● DIE NACKTE GRÄFIN (D|1970)
mit Wolfgang Lukschy, Ursula Blauth, Renate Kasché, Fernando Gómez, Helga Marlo, Elke Hart, Gunther Möhner, Christiane Müller,
Julio M. Pinheiro, Michael Comer, Gernot Möhner, Ilka Häusler, Michel Jacot, Jean-Pierre Zola, Ibrahim Aslahan und Kurt Nachmann
ein Lisa Film | im Gloria Verleih
ein Film von Kurt Nachmann
Dass die Polizei häufiger einmal Leichen am Wegesrand findet, ist sicherlich nicht neu, dass sie allerdings nackt in einem teuren Cabriolet liegen, welches wie eine Visitenkarte platziert ist, vielleicht schon. Regisseur Kurt Nachmann lässt es sich in seinem Film nicht nehmen, die Ermittler-Rolle gleich selbst zu übernehmen, zeichnet dabei einen stoischen Beamten, den offenbar nichts so leicht aus der Ruhe bringt, wenn der vorprogrammierte Weg nicht zu einem berüchtigten Grafen führen würde, dessen schlechtem Ruf wohl nie ein guter vorausgegangen ist. Der Titel-Ankündigung nach klingt "Die nackte Gräfin" wie ein klassischer Vertreter der längst in Gang gekommenen deutschen Sex-Welle und lässt bei einem Blick auf die Besetzung und den Stab zunächst nicht viel Spielraum für andere Schlussfolgerungen übrig. Doch in diesem Film ist alles anders als erwartet, handelt es sich doch überraschenderweise um einen der am schönsten und vor allem kühnsten fotografierten deutschen Filme mit erotischem Hintergrund, die man überhaupt finden kann. Offenbar orientiert an großen internationalen Vorbildern, jedoch ausgestattet mit eigener Seele und doppeltem Boden, kann man sich auf ein besonderes Filmvergnügen gefasst machen, dessen Visualisierung überaus beachtlich wirkt und für Paukenschläge sorgen kann. Die Geschichte wirkt mit all ihren Windungen recht originell und kann mit Leichtigkeit Trümpfe ausspielen, an die vielleicht niemand im Vorfeld gedacht hätte. Überhaupt würde man Kurt Nachmann nach diversen und im Grunde genommen eindeutigen cineastischen Visitenkarten keinen so couragierten und faszinierenden Film zugetraut haben, was die Sache am Ende umso interessanter macht. Nach einer empfundenen Ewigkeit spielt Wolfgang Lukschy wieder einmal eine Hauptrolle, doch Großmutters Zeiten sind in diesem Szenario definitiv vorbei. Seine weltmännische Aura und eine gebieterische Überheblichkeit sogen für eine wie von selbst laufende Überzeugungskraft, die alle in seinem Umfeld zu Untertanen macht - zumindest scheint es so.
Arroganz umweht ihn wie ein Zauber, der jedoch von seinen indiskreten Untergebenen schnellstens unterlaufen wird, da sie aus der Mottenkiste plaudern und ihren Herrn bei dieser Gelegenheit in ein reichlich schlechtes Licht rücken. Hier fällt eine wie immer bezaubernde Renate Kasché auf, die als pauschale Bereicherung für jeden Film zu werten ist, außerdem der Spanier Fernando Gómez, dessen Karriere in deutschen Sexfilmen begann und bekannten Serienformaten endete. Es ist schwer zu ordnen, was die Angestellten in ungefilterter Art und Weise von sich geben, doch dies gilt nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für den ermittelnden Polizeimann. Somit kommt der Film schnell zu seinem erotischen Kern, der durch Sadismus, Hörigkeit, Voyeurismus und Sadomasochismus angefeuert wird, bei dieser Gelegenheit in grellen und hochinteressanten Bildern strahlt. Hierfür verantwortlich zeigt sich der deutsche Fotograf und Kameramann Franz X. Lederle, der seine unverkennbare Handschrift in vielen publikumswirksamen Filmen von Wallace bis St. Pauli unterbringen konnte. Seine Fotografien erschließen und erklären sich wie Visionen in einem Genre, das sich nicht häufig mit derartigen Federn zu schmücken versuchte, was die Sache umso vereinnahmender, wenn nicht sogar brisanter macht. Um den Fall von hinten aufzurollen, kommen bei den Berichterstattungen Rückblenden zum Tragen, die etwas Ordnung in das grelle Dunkel bringen sollen. »Sex ist wie gutes Essen. Findest du Austern pervers?« Der Graf erweist sich als redegewandt und lullt seine seinerzeit frisch erbeutete Ehefrau mit Gegensätzlichkeiten ein, die jedoch wie die schönste Musik klingen können. Bereits nach der Hochzeit schwingt er seinen kleinen Fotoapparat, um seine Gattin beim Sex mit einem anderen zu fotografieren. Die Nacktheit, die im Verlauf gezeigt wird, geht eine prickelnde Allianz mit der Ästhetik ein und erteilt der Fließbandarbeit eine deutliche Abfuhr, sodass man beim Thema Zuschauen schnell zum bereitwilligen Komplizen des Grafen werden kann. Die Titelfigur stellt sich in bevorzugten Stellungen und mit natürlichem Entkleidungsdrang selbst vor.
Dies sogar mit einer spürbaren Wollust und der gefügigen Motivation, ihren Gatten zumindest passiv zufriedenzustellen. Es entstehen bizarre Intervalle, die einiges zeigen, aber noch mehr andeuten, gerne auch in den Bereich der Metaphorik gehend. Man sieht ausgefallenen Sex zwischen Panoramaglas, inmitten moderner Kunst, Trash, Körperkunst oder mahnender Mythologie, was dem Ganzen eine besondere Würze verleiht. Musikalisch getragen wird die Geschichte von einem häufig variierten Hauptthema von Gerhard Heinz, welches auch mit Gesang von der Österreicherin Marianne Mendt versehen ist. Ihr Lied "Die sieben Sünden" macht sich besonders gut bei den gezeigten Orgien des Grafen und kann mit einem Text aufwarten, der Ironie mit Sozialkritik verknüpft: »Hochmut, Hass, Völlerei, Wollust, Trägheit, Geiz und Neid. Das sind die Sünden von gestern und heute, die sieben Sünden, die jeder begeht, die sieben Sünden, die keiner bereute, seitdem sich diese Erde dreht.« Nimmt man es ganz genau, wird das Publikum thematisch ebenso durch einen unkonventionellen Kriminalfilm geführt, der jedoch in die zweite Reihe rückt, da man hier viel mehr geboten bekommt, als nur handelsübliche Unterhaltung. Da sich der Film auch darstellerisch auf einem guten Niveau bewegt, kann es in Kombination mit allen anderen Vorzügen zu einem gelungenen Gesamtergebnis kommen. Gerne gesehene Darstellerinnen wie Renate Kasché, Elke Hart, Helga Marlo oder Haupt- und Gelegenheitsdarstellerin Ursula Blauth machen die Angelegenheit besonders erlebnisreich und nahezu elektrisierend, sodass es global gesehen als Erlebnis angesehen werden kann, Kurt Nachmanns Beitrag verfolgen zu können. Wer hätte gedacht, dass der Wiener neben einschlägigen Beiträgen wie etwa "Josefine Mutzenbacher" oder "Kinderarzt Dr. Fröhlich" einen solch edlen Vertreter des erotischen Films fabrizieren könnte, der obendrein durch Schärfe, Mut und eine besondere Verspieltheit glänzt? "Die nackte Gräfin" kann daher durch und durch als Überraschungs-Coup beschrieben werden, dessen Nimbus im hinlänglich bekannten deutschen Sexfilm-Dschungel absolut deckelnd wirkt. Vom Anfang bis Ende überraschend.