Attraction (D)
Nerosubianco (IT)
A Atração do Sexo (MEX)
The Artful Penetration of Barbara
Barbara the Yes Girl
Black on White
Attraction
IT 1969
R: Tinto Brass
D: Anita Sanders, Terry Carter, Nino Segurini, Umberto Di Grazia, Bobby Harrison, Tinto Brass, Mike Lease, Ray Royer, Steve Shirley
Deutsche Erstaufführung: 03.10.1969
Score: Freedom
Deutsche Kinofassung
OFDb
Nachdem Barbara (Anita Sanders) von ihrem Ehemann Paolo (Nino Segurini) am Rande des Londoner Hyde Parks abgesetzt wurde, erkundschaftet sie kurzerhand die prächtige Parkanlage und stößt dabei auf jede Menge merkwürdiger Hippies, die ungeniert der freien Liebe fröhnen oder sich andersweitig von gesellschaftlichen Zwängen befreien. Während eine Rockband in den Wipfeln eines Baumes ihre Tonkunst zum Besten gibt, begibt sich die emotional verunsicherte Ehefrau rundheraus auf einen leidenschaftlichen Selbstfindungstrip, der sie kurz darauf in die Innenstadt der britischen Hauptstadt führt. Während einer U-Bahnfahrt erblickt sie einen adretten Afroamerikaner (Terry Carter), der ihr sogleich den Kopf verdreht. Was folgt, ist ein turbulenter Ausflug ins ungestüme Swinging London der späten 60er, bei dem ihr nicht nur der begehrenswerte Afroamerikaner auf Schritt und Tritt folgt, sondern auch die rockselige Musikkapelle aus den Baumwipfeln des Hyde Parks, die von daan alle paar Meter frisch gedresst mit einem neuen Song aus ihrem zum damaligen Zeitpunkt noch überschaubaren Repertoire aufwartet. Übermannt von erotischen Fantasien versucht Barabra der Verlockung zu widerstehen, indem sie sich gedanklich in gesellschaftliche Themen flüchtet, die entsprechend den kulturrevolutionären Zeitgeit der damaligen Generation prägten. Bleibt letztlich die Frage, ob Themen wie Krieg, Sex, Gewalt, Rassismus oder Politik dazu geeignet sind, um dem immer intensiver werdenden Bedürfnis zu widerstehen, auf der Stelle dem ständig an ihr haftendem Objekt ihrer Begierde zu verfallen - und zwar mit Haut und Haar.
Ein sensationeller Film, den Tinto Brass im Jahr 1967 drehte, bevor dieser ein Jahr später bei den Filmfestspielen in Cannes seine Leinwandpremiere feierte. Ähnlich wie bei den Werken von Jess Franco bevorzuge ich auch bei Tinto Brass dessen filmische Frühphase, denn den rein erotischen Werken ihrer Hauptschaffensphase, für die die beiden Filmemacher hauptsächlich bekannt sind, kann ich irgendwie so rein gar nichts abgewinnen. Nachdem mich bereits der ebenfalls im Swinging London verortete ICH BIN WIE ICH BIN - DAS MÄDCHEN VON DER CARNABY-STREET maßlos begeisterte, war ich natürlich gespannt, wie sich das Nachfolgewerk ATTRACTION in der deutschen Synchronfassung so schlägt, das beim diesjährigen TERZA VISIONE als 35mm-Filmkopie über die Leinwand des Frankfurter Filmmuseums flimmerte. Was mich letztlich erwartete, war ein orgastischer Bildersturm, der sich nicht nur collagenartig über die Leinwand ergoss, sondern auch das Bewusstsein erweiterte. Ein audiovisuelles Erlebnis sondergleichen.
Geflutet von temporeich geschnittenen Bildkollagen im Pop-Art-Stil, offenbart sich ATTRACTION als ein ungestümer Kunstfilm, der stellenweise sogar etwas avantgardistisch anmutet. Irgendwo angesiedelt zwischen einem pseudohaften Sex-Reportagefilm und einem endlosen Musik-Videoclip, bringt Tinto Brass in seinem Werk nicht nur Themen wie sexuelle Freiheit, Krieg, Rassenhass, Unterdrückung, Religion, Drogen oder Politik unter einem Hut, sondern bereitet auch solch zeitgenössischen Persönlichkeiten wie Karl Marx, Hồ Chí Minh, Che Guevara, John Smith, Martin Luther King, Mao, Godard, Adolf Hitler, Malcolm X, Crepax, René Magritte oder Hieronymus Bosch eine Bühne, ohne dabei aber thematisch in die Tiefe zu gehen. Letztlich behandelte Brass diese brisanten Themen nicht nur oberflächlich, sondern nutzt diese vielmehr als geeignete Ingredenzien für sein filmisches Gesamtkonstrukt, das durch und durch den Zeitgeist der damaligen Era versprühen sollte - und genau das gelingt dem Film schlussendlich auch auf eine bemerkenswerte Art und Weise. Was die Handlung anbelangt, so erzählt der Film die Geschichte einer emotional verunsicherten Frau namens Barbara, die von ihrem vielbeschäftigten Mann vorübergehend am Londoner Hyde Park ausgesetzt wird. Gespielt von der bezaubernden Schwedin Anita Sanders, begibt sich die Hauptprotagonistin Barbara auf einen reizüberflutenden Selbstfindungstrip, bei dem sie bereits nach kürzester Zeit hilflos den verführerischen Reizen eines Afroamerikaners ausgeliefert ist, der von da an ihr Blut in Wallung versetzt. Musikalisch begleitet wird die ausufernde Reise von der britischen Musikkapelle Freedom, die sich wiederum aus ehemaligen Bandmitgliedern der Musikgruppe Procul Harum zusammensetzt und ebenfalls fest in den Handlungsverlauf miteingewoben wurde.
Was mich bei der deutschen Synchronfassung erstaunte, waren nicht nur markante Sprecherstimmen, deren Dialoge offensichtlich völlig adäquat auf dem ursprünglichen Drehbuch beruhen, sondern auch ein gekonnter Wortwitz, der beispielsweise bei einem raffinierten Zahlenspiel zu Tage trat. Summa summarum eine sorgfältig produzierte Synchro, die aber denoch zeitbedingte Unkorrektheiten nicht missen lässt. Was die verschiedenen Filmfassungen angeht, so blicke ich bei diesen immer noch nicht so ganz durch. Während die Exportfassung eine Laufzeit von 80 Minuten aufweist, schafft es die italienische Version nur auf 73 Minuten. Die deutsche Kinofassung beläuft sich ebenfalls auf 73 Minuten, obwohl diese augenscheinlich auf der Exportfassung beruht, die Radley Metzger unter dem ausbeuterischen Titel THE ARTFUL PENETRATION OF BARBARA in den Vereingten Staaten auf den Markt brachte, und obendrein einige Unterschiede zur italienischen Fassung aufweist: Infolge restriktiver Zensurauflagen entschärfte Tinto Brass in der italienischen Fassung nicht nur lapidare Offenherzigkeiten mit dem Einsatz von zusätzlichen Spiraleffekten, sondern tauschte auch gleich einen kompletten Szeneblock aus, der die visuelle Untermalung für den FREEDOM-Song Childhood Reflections darstellte. In der italienischen Fassung wurde nicht nur das komplette Massagasalon-Szenario durch eine Frühstücksszene ersetzt, die den plagenden Alltag der Hauptprotagonistin Barbara verdeutlichen soll, sondern auch gleich das ganze Musikstück ausgetauscht, so dass anstatt 'Childhood Reflections' nunmehr To be free erklingt.
Fazit: Ein lohnenswertes Filmerlebnis, das bereits nach wenigen Minuten angenehm die Sinne berauscht.
Filmplakate:
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Filmauftritte der Band FREEDOM:
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Eröffnungsszene & Old Chelsea Drive-In Trailer:
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Filmmusik:
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Filmausschnitt: