DIE VERDAMMTEN - Luchino Visconti

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Prisma
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DIE VERDAMMTEN - Luchino Visconti

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DIE VERDAMMTEN


● LA CADUTA DEGLI DEI / DIE VERDAMMTEN (I|D|1968)
mit Ingrid Thulin, Helmut Berger, Dirk Bogarde, Helmut Griem, Reinhard Kolldehoff, Renaud Verley, Umberto Orsini, Albrecht Schoenhals,
Irina Wanka, Nora Ricci, Karin Mittendorf, Valentina Ricci, Karl-Otto Alberty, Jessica Dublin sowie Charlotte Rampling und Florinda Bolkan
eine Produktion der Pegaso | Italnoleggio | Praesidens | Eichberg Film | im Verleih Warner Bros.
ein Film von Luchino Visconti

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»Der Anschein von Legalität kann durchaus nützlich sein!«


Die beginnende Hitler-Ära führt zu einschneidenden Veränderungen bei einer deutschen Schwermetall-Dynastie, die zur wichtigen Infrastruktur für Rüstungsgüter zählt. Als der Patriarch Joachim von Essenbeck (Albrecht Schoenhals) stirbt, entfacht sich ein erbitterter Machtkampf unter den Erben und Beobachtern, doch die Macht geht schließlich an den völlig unterschätzten Martin (Helmut Berger), was die Karten völlig neu mischt und Intrigen aufflammen lässt. Der völlig sadistische und perverse Sprössling möchte seine Kontrahenten am liebsten für immer aus dem Weg geräumt sehen, sodass er sich nicht zu schade ist, sich dem Hitler-Regime anzudienen...

»Macht euch ja keine Illusionen, diese Schlacht hat gerade erst begonnen!« Diese Aussage - die Drohung und Wahrheit in einem ist - bekommt man kurz nach dem Ableben des Familienpatriarchen zu hören. Zwar geht sie zunächst ins Blaue hinein, doch die richtigen Adressaten werden sich schon angesprochen fühlen und auf der Hut sein. Wie es sich in den besseren Kreisen gehört, wurde Baron Joachim von Essenbeck ermordet, der bisherige Stand der Ermittlungen besagt von einem Unbekannten. Luchino Viscontis Familien- und Politepos "Die Verdammten" spielt sich in beginnender und erschreckenderweise schon tiefster Nazi-Zeit ab und reißt die schauerlichen, unmenschlichen Seiten dieser Ära an, nicht ohne unbequeme rhetorische Rückfragen zu stellen. Als Äquivalent für Angst, Schrecken und Helfershelfertum fungiert eine Industriellenfamilie, deren Hochöfen Objekt der Begierde einer jeden Kriegswirtschaft sind. Die Tränen und Klagelieder der armen Bonzen, die ihrer Version nach keine andere Wahl als Kollaboration haben, da sich ihre wirtschaftliche Existenz ansonsten in Rauch auflösen würde, wirkt selbstgefällig, vermessen und abstoßend. Die Familie gleicht blutrünstigen Hyänen, allerdings nicht vom gleichen Rudel, da sie gegeneinander arbeiten und sich gegenseitig an die Kehle wollen. Bestenfalls weiß man über die vielen Leichen in den Kellern der anderen Bescheid, sodass sich um Zweifelsfall etwas arrangieren lässt, um sich in die bessere Position zu bringen. Visconti geht subtil bis aggressiv bei der Vorstellung der einzelnen Charaktere vor, die sich dem Empfinden nach jedoch zu verselbstständigen drohen, da die Zeit und die Degeneration ihren Tribut fordern. So entsteht ein unerträgliches Vakuum, in dem es sich nur für die Protagonisten zu leben lohnt. Wer ist bereit, am meisten zu opfern, oder wer ist bereit, den anderen zu opfern? Diese spannende Frage wird vom geschichtlichen Hintergrund angefeuert und gleichzeitig aufgeweicht, da man hofft, dass die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Doch es sind zu viele. Die eiserne Hand am Schreibtisch steht konträr zu den Tränen im Bett, aber es sind auch die Frauen, die ihre Gegner im Zweifelsfall mit dem Schafott vertraut machen.

Wie oft bei Luchino Vosconti üblich, kann man sich auf Ausgiebigkeit gefasst machen, denn Überlänge gehört zu seinem guten Ton. Bildsprachlich und inszenatorisch beinahe dazu prädestiniert, hin und wieder zu überfordern, da die hervorragende und gestochen scharfe Dialogarbeit nebenbei geordnet werden muss, was auch für den geschichtlichen Kontext mit den vielen Grausamkeiten und unglaublichen Geschehnissen gilt, sieht man ein ausgewogenes und hochqualifiziertes Porträt der Unmoral. Der Verlauf gleicht einem Tauziehen, mal auf Augenhöhe, mal nicht, jedoch mit völlig unvorhersehbarem Ausgang, da die Personen alle Gefahr laufen, in ihre eigens postierten Fallen zu tappen, da Hass unvorsichtig macht. Visconti treibt die Degeneration im goldenen Käfig auf die Spitze, da man jederzeit den Eindruck hat, dass die Perversion bis zum Äußersten getrieben werden wird, was für den sexuellen, moralischen oder sogar beruflichen Bereich gelten könnte. Was wäre dieser Film ohne die exzellenten Darbietungen der Interpreten? Vielleicht nur zur Hälfte brillant. Unter Visconti scheint es so zu sein, dass man es bei jeder Rolle mit einer Paraderolle zu tun hat und er genau wusste, wer für entsprechende Parts gecastet werden sollte. Die hervorragende Schauspielführung in Verbindung mit Eigendynamik und hoher Kompetenz macht diesen Verlauf mit all seinen Komplikationen, Allüren und Machtkämpfen zu einem sich nicht erschöpfenden Kabinettstückchen. Dirk Bogarde ist der schwache Mann vor einer starken Frau, die von Ingrid Thulin beinahe beängstigende Züge verliehen bekommt. Er wirkt als Werkzeug und Mittel zum Zweck oft bemitleidenswert, doch so viel der Emotion sollte man keiner der Figuren schenken, da sie Masken tragen, doppelzüngig agieren und jede Großmutter verkaufen würden, sogar die eigene. Bogardes Interpretation ist bemerkenswert vielschichtig, da er seine gespielte Stärke häufiger gegen sein eigentlich zu weiches Wesen eintauscht. Frei nach dem abgewandelten Motto: »Wenn du zum Manne gehst, vergiss die Peitsche nicht...«, lässt er sich von seiner Frau vor jede noch so schwere Karre spannen, weil sie nichts anderes als Macht- und Blutgeruch auf sexuelle Hochtouren bringt.

Um ihn auf dem obersten Posten der Firma zu etablieren, würde sie sogar ihren eigenen Sohn - der die Aktienmehrheit und das Sagen im Betrieb durch den Tod des Patriarchen erlangt hat - verkaufen, da sie um Martins abartige und völlig sadistische Neigungen weiß, die von Helmut Berger ebenfalls ausgereizt werden. In "Die Verdammten" braucht man nicht lange nach Spitzenleistungen zu suchen, da der Anschein erweckt wird, dass jeder der Interpreten den anderen zu deckeln versucht, was im Abruf nichts anderes Brillanz fabriziert. Besonders anerkennungswürdige Leistungen liefern Reinhard Kolldehoff, der einen der widerlichsten Vertreter der Familie darstellt, Umberto Orsini, Charlotte Rampling, Renaud Verley, Florinda Bolkan, Albrecht Schoenhals in seinem letzten Film und vor allem Helmut Griem in einer überzeugenden Paraderolle. Die Familie ist eingeteilt in Fraktionen und Interessengemeinschaften, Allianzen werden geschmiedet und wieder eingeschmolzen. Größenwahn macht sich wie Goldfieber breit, bis jeder unter dem Verfolgungswahn leidet, dass ihn der andere unterdrücken, loswerden oder liquidieren will. Doch handelt es sich um wahnhafte Vorstellungen oder die blanke Realität? Visconti treibt sein Spektakel in Sphären der Spannung, die durch die Bildsprache und deren Gestaltung, die Akustik, die Opulenz und den Schmutz, sowie durch Dialoge wie Peitschenhiebe angefeuert werden. Wenn die Familie und deren Saboteure - die als Unterstützer getarnt sind - in den letzten Zügen liegen, sich pure Geilheit und Wahn vermischen, man lebende Leichen beobachten kann, dann kann man sich als Zuschauer nicht mehr wehren, den stets umstrittenen Begriff »Meisterwerk« in Erwägung zu ziehen. Die angedeutete These, dass unmenschliche Phasen, wie die des Nationalsozialismus, nur florieren konnten, wenn sich die richtigen Schachfiguren bereitwillig angebiedert hatten, bestürzt, wenn man diesen Film in seiner vollen Intensität gesehen hat. Jedes Schlachthaus braucht Sklaven, jede Müllkippe Material, und jede Götze auch Jünger, die sie anbeten. "Die Verdammten" kreiert eine bizarre Parallelwelt, die abstößt und verstört, am Ende aber nachhaltig dazu ermahnt, Kardinalfehler nicht noch einmal zuzulassen. Episch!

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