● UTOPIA / DAS FERNE LAND UTOPIA (D|1982)
mit Manfred Zapatka, Imke Barnstedt, Gundula Petrovska, Gabriele Fischer, Johanna Sophia, Birgit Anders, Barbara Beutler,
Bernhard Adami, Fritz Ebert, Johanna Ebert, Klaus Jepsen, Johanna Gerhard, Ursula Kessler, Albert Heins, Irma Jagow, u.a.
eine Produktion der Ullstein Tele Video | ZDF | Studio Hamburg | im Basis Film Verleih
ein Film von Sohrab Shahid Saless
»Los, leck mich!«
Der Zuhälter Heinz (Manfred Zapatka) gestaltet eine Privatwohnung zu einem noblen Bordellbetrieb um. Aus unterschiedlichsten privaten Gründen arbeiten fünf Frauen dort zunächst freiwillig, die sich größtenteils auf Annoncen gemeldet hatten. Schon bald müssen sie erfahren, in welcher Hölle sie gelandet sind. Es gibt keine Privatsphäre, sie werden auf Schritt und Tritt überwacht, ausgebeutet, gedemütigt und ihr Zuhälter entpuppt sich als grausamer Sadist, der jede Regelwidrigkeit streng bestraft. Als Renate (Imke Bernstedt), Rosi (Gundula Petrovska), Susi (Gabriele Fischer), Helga (Johanna Sophia) und Monika (Birgit Anders) sich gegen ihren Schänder und Chef auflehnen, wird dieser Impuls mit hemmungsloser Gewalt erwidert …
Eine Straßennutte mittleren Alters wird in einen Oberklassewagen gezerrt. Es ist offensichtlich, dass sie einfach nicht mehr will und nicht mehr kann. Ihr Zuhälter macht nicht viel Aufhebens um die Situation, sie soll sich dick anmalen, ihre Fresse halten und aufhören zu flennen. Wie sich im Verlauf des Films noch herausstellen wird, ist Renate sein ältestes Pferdchen im Stall; was sie alles durchmachen musste, gleicht einer Hölle. Sie lässt sich wieder in die Spur bringen, immerhin weiß sie hinlänglich Bescheid über die Gewaltbereitschaft und sadistische Brutalität ihres Chefs, der ab sofort expandieren will. Jeweils kurze Szenen der zukünftigen Prostituierten in seinem Nobelclub zeigen unterschiedliche private Verhältnisse, dementsprechend auch verschiedene Motivationen, sich bei Heinz auf eine unscheinbare Annonce hin zu melden. Geldprobleme, Studium oder sonst etwas lassen die neuen Aushängeschilder des Clubs ihre Identität an der Garderobe abgeben. Zunächst läuft alles beinahe bürokratisch geordnet. Die Freier sitzen auf einer Besetzungscouch und suchen sich ihre Favoritin aus. Szenen gelangweilter Frauen beim mechanischen Beischlaf prägen das Bild der Arbeit in diesem Etablissement, ihr Chef greift alle naselang auch auf seiner Arbeiterinnen zurück. Der iranische Filmregisseur und Drehbuchautor Sohrab Shahid Saless zeichnet trostlose Bilder einer ekelerregenden Maschinerie aus Verzweiflung, Demütigung und Gewalt, sodass dem Publikum bei diesem seelenruhig ablaufenden Film klar ist, dass es keine Hoffnung für die fünf Frauen gibt. Bei einer ausladenden Länge von 187 Minuten lässt die Regie sich Zeit für Random-Schilderungen und fabriziert über dieses gewählte Schneckentempo eine unruhige Spannung, die in ihren Spitzen kaum auszuhalten ist. Wenn Gewalt und Willkür das Regiment führen, will man es kaum fassen, ist aber wie bei einem Unfall beinahe gezwungen, hinzuschauen. Man fragt sich, ob es sich nur um eines der vielen Märchen aus dem halbseidenen Milieu handelt, doch der völlig authentische Stil der Regie wirkt dahingehend wie eine Gewissheit, dass es sich jederzeit und überall genauso abspielen könnte. Wie trostlos das Ganze in Wirklichkeit abläuft, zeigt sich in Szenen, in denen es sich um Bagatellen oder Gegebenheiten handelt, die unabänderlich sind und dennoch hart geahndet werden.
Ein paar Schlucke Whisky von der Bar, die Renate nicht gezahlt hatte, werden von Heinz mit Kopfschlägen gegen die Theke quittiert. Diese 10 Sekunden dauern dem Empfinden nach wie eine Ewigkeit und genauso geht es auch weiter, denn jede von ihnen ist einmal wegen irgendetwas an der Reihe. Eine von ihnen bekommt ihre Periode, bittet um Pause, muss mit Heinz durch eine harte, widerliche Schule im Bad, um anschließend wieder anschaffen zu können. Schläge, Kopfnüsse und verbale Attacken schießen immer wieder ein, um die deprimierende Situation nicht nur zu modellieren, sondern sie gleichzeitig anzufeuern. »Ihr seht ja zum Kotzen aus!«, ist einer der morgendlichen Appelle an seine Crew, die jederzeit Akkuratesse zu bieten hat. Vom angeschafften Geld dürfen sie gerade einmal etwas über 15 Prozent in die eigene Tasche wirtschaften, sodass einige von ihnen erfinderisch werden. Dem Zuschauer ist klar, dass es auffliegen dürfte, denn der Zuhälter betreibt in seiner Freizeit eine lückenlose Bürokratie des Grauens. Kein Film ist nur so gut wie eines seiner Zahnräder alleine und hier finden sich günstige Voraussetzungen in allen wichtigen Bereichen. Der aus Bremen gebürtige Interpret Manfred Zapatka übertrifft sich hier selbst in einer Rolle zwischen weit entfernt von Gut und ebenso weit entfernt von Böse, denn es müssen andere Vokabeln bemüht werden, um diesen Herrn zu beschreiben. Er verfügt über eine niedrige beziehungsweise keine Hemmschwelle, folglich eine Art der eruptiven Brutalität, die ohne Weiteres provoziert und ausgelebt werden kann. Sein Mut, eine derart abstoßende, verachtenswerte und erschreckende Performance abzuliefern, ist anerkennenswert. Heinz setzt sich regelmäßigen Revierkämpfen aus, doch das ist nicht auf seine vier eigenen Wände bezogen. Eine der Frauen merkt einmal sinngemäß an, dass bei ihm durch zahlreiche Prügeleien irgendetwas im Kopf kaputtgegangen sei, doch der Zuhälter wird auch im späteren Verlauf von Renate, seiner ältesten Vollzeitkraft, charakterisiert. Er agiert emotionslos, egomanisch, besitzt kein Mitgefühl, kennt keine Gnade und der Wert des anderen ist für ihn nicht existent. Hierbei handelt es sich um eine großartige Leistung des Schauspielers, der in "Utopia" seine erste Kinohauptrolle gleich zu einem denkwürdigen Happening machen kann.
Ihm in jeglicher Hinsicht untergeordnet sind die Frauen, die zermürbende Frondienste zu leisten haben. Auch hier ergeben sich erstaunliche Darbietungen, die unterschiedliche Intentionen ausbuchstabieren. Man fragt sich offen, warum sie alle diese Hölle in vier Wänden aushalten können, doch die individuellen Situationen geben irrationalen Aufschluss. Renate hofft nach 20 Jahren wohl immer noch, dass sich irgendein Gefühl für sie entwickeln könnte, immerhin hatte sie sich als junge Frau in ihren Peiniger verliebt, der sie anfangs hofierte, um sie gleich auf den Strich zu schicken. Eine andere bildet sich ein, dass sie ihr Kind aus der Fürsorge zurückbekommen könnte, eine andere will sich das Studium erleichtern. So ergibt sich der schlüssige Titel der Produktion, der nicht vordergründig darauf bezogen zu sein scheint, dass es doch utopisch sein müsste, so eine Qual auszuhalten, oder dass es unrealistisch wäre, dass solche Machenschaften und Verhältnisse überhaupt existieren. So weist der vielsagende Titel auf die Utopie der Gedanken, Träume und Wünsche der fünf Frauen hin, die im Grunde genommen nur dazu gemacht sind, um sich in schwierigen Zeiten daran hochziehen zu können. Doch diese schwierigen Zeiten existieren leider toujours. Bemerkenswerte Leistungen liefern in diesem Zusammenhang Imke Barnstedt, Gabriele Fischer, Johanna Sophia, Birgit Anders und Gundula Petrovska, deren Fristen in klaustrophobischen Zuständen greifbar wirkt und tief in die Seelen der gebrochenen Frauen blicken lässt. Die Gesellschaft funktioniert bedauerlicherweise nicht annähernd so gut, um sie im Zweifelsfall auffangen zu können, also muss es weitergehen. Tag für Tag. Abend für Abend. Nacht für Nacht. Ewigkeit für Ewigkeit. Regisseur Sohrab Shahid Saless zeichnet ein provokantes Bild einer zweifellos bestehenden Tagesordnung und rollt seinen Beitrag mit irritierender Seelenruhe auf, um in den richtigen Momenten unbarmherzig zuschlagen zu lassen. Hierfür steht die Hauptfigur und die brillante Zeichnung Manfred Zapatkas, der einen das Fürchten und Ekeln lehrt. Erwähnenswert ist das packende Finale dieser sehenswerten Studie, welche eine besondere Überraschung bereithält. Besonders deswegen, weil man sie lange zuvor einkalkuliert hat, aber eben nicht, dass die eigene Vorstellungskraft durchaus ihre Grenzen hat. Erstklassig.
Eine Straßennutte mittleren Alters wird in einen Oberklassewagen gezerrt. Es ist offensichtlich, dass sie einfach nicht mehr will und nicht mehr kann. Ihr Zuhälter macht nicht viel Aufhebens um die Situation, sie soll sich dick anmalen, ihre Fresse halten und aufhören zu flennen. Wie sich im Verlauf des Films noch herausstellen wird, ist Renate sein ältestes Pferdchen im Stall; was sie alles durchmachen musste, gleicht einer Hölle. Sie lässt sich wieder in die Spur bringen, immerhin weiß sie hinlänglich Bescheid über die Gewaltbereitschaft und sadistische Brutalität ihres Chefs, der ab sofort expandieren will. Jeweils kurze Szenen der zukünftigen Prostituierten in seinem Nobelclub zeigen unterschiedliche private Verhältnisse, dementsprechend auch verschiedene Motivationen, sich bei Heinz auf eine unscheinbare Annonce hin zu melden. Geldprobleme, Studium oder sonst etwas lassen die neuen Aushängeschilder des Clubs ihre Identität an der Garderobe abgeben. Zunächst läuft alles beinahe bürokratisch geordnet. Die Freier sitzen auf einer Besetzungscouch und suchen sich ihre Favoritin aus. Szenen gelangweilter Frauen beim mechanischen Beischlaf prägen das Bild der Arbeit in diesem Etablissement, ihr Chef greift alle naselang auch auf seiner Arbeiterinnen zurück. Der iranische Filmregisseur und Drehbuchautor Sohrab Shahid Saless zeichnet trostlose Bilder einer ekelerregenden Maschinerie aus Verzweiflung, Demütigung und Gewalt, sodass dem Publikum bei diesem seelenruhig ablaufenden Film klar ist, dass es keine Hoffnung für die fünf Frauen gibt. Bei einer ausladenden Länge von 187 Minuten lässt die Regie sich Zeit für Random-Schilderungen und fabriziert über dieses gewählte Schneckentempo eine unruhige Spannung, die in ihren Spitzen kaum auszuhalten ist. Wenn Gewalt und Willkür das Regiment führen, will man es kaum fassen, ist aber wie bei einem Unfall beinahe gezwungen, hinzuschauen. Man fragt sich, ob es sich nur um eines der vielen Märchen aus dem halbseidenen Milieu handelt, doch der völlig authentische Stil der Regie wirkt dahingehend wie eine Gewissheit, dass es sich jederzeit und überall genauso abspielen könnte. Wie trostlos das Ganze in Wirklichkeit abläuft, zeigt sich in Szenen, in denen es sich um Bagatellen oder Gegebenheiten handelt, die unabänderlich sind und dennoch hart geahndet werden.
Ein paar Schlucke Whisky von der Bar, die Renate nicht gezahlt hatte, werden von Heinz mit Kopfschlägen gegen die Theke quittiert. Diese 10 Sekunden dauern dem Empfinden nach wie eine Ewigkeit und genauso geht es auch weiter, denn jede von ihnen ist einmal wegen irgendetwas an der Reihe. Eine von ihnen bekommt ihre Periode, bittet um Pause, muss mit Heinz durch eine harte, widerliche Schule im Bad, um anschließend wieder anschaffen zu können. Schläge, Kopfnüsse und verbale Attacken schießen immer wieder ein, um die deprimierende Situation nicht nur zu modellieren, sondern sie gleichzeitig anzufeuern. »Ihr seht ja zum Kotzen aus!«, ist einer der morgendlichen Appelle an seine Crew, die jederzeit Akkuratesse zu bieten hat. Vom angeschafften Geld dürfen sie gerade einmal etwas über 15 Prozent in die eigene Tasche wirtschaften, sodass einige von ihnen erfinderisch werden. Dem Zuschauer ist klar, dass es auffliegen dürfte, denn der Zuhälter betreibt in seiner Freizeit eine lückenlose Bürokratie des Grauens. Kein Film ist nur so gut wie eines seiner Zahnräder alleine und hier finden sich günstige Voraussetzungen in allen wichtigen Bereichen. Der aus Bremen gebürtige Interpret Manfred Zapatka übertrifft sich hier selbst in einer Rolle zwischen weit entfernt von Gut und ebenso weit entfernt von Böse, denn es müssen andere Vokabeln bemüht werden, um diesen Herrn zu beschreiben. Er verfügt über eine niedrige beziehungsweise keine Hemmschwelle, folglich eine Art der eruptiven Brutalität, die ohne Weiteres provoziert und ausgelebt werden kann. Sein Mut, eine derart abstoßende, verachtenswerte und erschreckende Performance abzuliefern, ist anerkennenswert. Heinz setzt sich regelmäßigen Revierkämpfen aus, doch das ist nicht auf seine vier eigenen Wände bezogen. Eine der Frauen merkt einmal sinngemäß an, dass bei ihm durch zahlreiche Prügeleien irgendetwas im Kopf kaputtgegangen sei, doch der Zuhälter wird auch im späteren Verlauf von Renate, seiner ältesten Vollzeitkraft, charakterisiert. Er agiert emotionslos, egomanisch, besitzt kein Mitgefühl, kennt keine Gnade und der Wert des anderen ist für ihn nicht existent. Hierbei handelt es sich um eine großartige Leistung des Schauspielers, der in "Utopia" seine erste Kinohauptrolle gleich zu einem denkwürdigen Happening machen kann.
Ihm in jeglicher Hinsicht untergeordnet sind die Frauen, die zermürbende Frondienste zu leisten haben. Auch hier ergeben sich erstaunliche Darbietungen, die unterschiedliche Intentionen ausbuchstabieren. Man fragt sich offen, warum sie alle diese Hölle in vier Wänden aushalten können, doch die individuellen Situationen geben irrationalen Aufschluss. Renate hofft nach 20 Jahren wohl immer noch, dass sich irgendein Gefühl für sie entwickeln könnte, immerhin hatte sie sich als junge Frau in ihren Peiniger verliebt, der sie anfangs hofierte, um sie gleich auf den Strich zu schicken. Eine andere bildet sich ein, dass sie ihr Kind aus der Fürsorge zurückbekommen könnte, eine andere will sich das Studium erleichtern. So ergibt sich der schlüssige Titel der Produktion, der nicht vordergründig darauf bezogen zu sein scheint, dass es doch utopisch sein müsste, so eine Qual auszuhalten, oder dass es unrealistisch wäre, dass solche Machenschaften und Verhältnisse überhaupt existieren. So weist der vielsagende Titel auf die Utopie der Gedanken, Träume und Wünsche der fünf Frauen hin, die im Grunde genommen nur dazu gemacht sind, um sich in schwierigen Zeiten daran hochziehen zu können. Doch diese schwierigen Zeiten existieren leider toujours. Bemerkenswerte Leistungen liefern in diesem Zusammenhang Imke Barnstedt, Gabriele Fischer, Johanna Sophia, Birgit Anders und Gundula Petrovska, deren Fristen in klaustrophobischen Zuständen greifbar wirkt und tief in die Seelen der gebrochenen Frauen blicken lässt. Die Gesellschaft funktioniert bedauerlicherweise nicht annähernd so gut, um sie im Zweifelsfall auffangen zu können, also muss es weitergehen. Tag für Tag. Abend für Abend. Nacht für Nacht. Ewigkeit für Ewigkeit. Regisseur Sohrab Shahid Saless zeichnet ein provokantes Bild einer zweifellos bestehenden Tagesordnung und rollt seinen Beitrag mit irritierender Seelenruhe auf, um in den richtigen Momenten unbarmherzig zuschlagen zu lassen. Hierfür steht die Hauptfigur und die brillante Zeichnung Manfred Zapatkas, der einen das Fürchten und Ekeln lehrt. Erwähnenswert ist das packende Finale dieser sehenswerten Studie, welche eine besondere Überraschung bereithält. Besonders deswegen, weil man sie lange zuvor einkalkuliert hat, aber eben nicht, dass die eigene Vorstellungskraft durchaus ihre Grenzen hat. Erstklassig.