DAS GEHEIMNIS DER ALTEN MAMSELL - Herbert Ballmann

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Prisma
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DAS GEHEIMNIS DER ALTEN MAMSELL - Herbert Ballmann

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DAS GEHEIMNIS DER ALTEN MAMSELL


● DAS GEHEIMNIS DER ALTEN MAMSELL (D|1972) [TV]
mit Giulia Follina, Brigitte Horney, Inge Langen, Volkert Kraeft, Ingeborg Schöner, Dieter Borsche, Hilde Sessak, Ingeborg Steinbach, Hilde Weissner,
Joachim von Ulmann, Georg Hartmann, Karin Schroeder, Patricia Rissmann, Christiane Theuss, Ruth Breitag und als Erzähler Friedrich W. Bauschulte
eine Produktion der Chamier Film | im Auftrag des ZDF
nach dem Roman von Eugenie Marlitt
ein Fernsehfilm von Herbert Ballmann​

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»Schamlos!«


Als die Mutter (Karin Schroeder) der kleinen Felicitas (Christiane Theuss) unter tragischen Umständen auf der Bühne stirbt, wird diese von der wohlhabenden Familie Hellwig aufgenommen. Doch es dauert nicht lange, bis auch ihr Beschützer, der alte Kommerzienrat (Dieter Borsche), stirbt. Fortan wird sie von der Dame des Hauses (Inge Langen) wie eine Magd behandelt und unter dem Deckmantel einer christlichen Erziehung bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt. Zuneigung findet sie fortan bei der in eine Dachwohnung gesperrten alten Mamsell (Brigitte Horney), die nach Ansicht der Familie nicht gesellschaftsfähig ist. Sie gibt Felicitas Unterricht und bringt ihr alles bei, was eine selbstbewusste und ehrliche junge Dame wissen muss …

In einem Zeitraum von 1972 bis 1985 erschienen fünf Fernseh-Verfilmungen nach Vorlagen der deutschen Schriftstellerin Eugenie Marlitt, deren Fortsetzungsprosa beinahe ausschließlich in der Familienwochenschrift "Die Gartenlaube" erschien, einem Vorläufer moderner Illustrierter. Mit "Das Geheimnis der alten Mamsell" fand die Reihe einen sehr gelungenen Start, basierend auf einer in Teilen abgewandelten Erzählung, die bei Erscheinen im Jahr 1867 für heftige Kritik sorgte. Im Zentrum steht Felicitas, deren Werdegang man in einer gestrafften Inszenierung im Alter von 5 bis über 18 Jahre begleiten kann. Gesellschaftliche Korsetts und ein Unterdrückerprinzip verleihen der von Regisseur Herbert Ballmann inszenierten Geschichte eine immer aktuell und fesselnd wirkende Silhouette, auch wenn man sich zeitlich und örtlich gesehen in völlig anderen Zeiten wiederfindet. Alleine der kryptisch wirkende Titel weckt Interesse an einer vor der kritischen und hinterhältigen, gehobenen Gesellschaft entfernten alten Dame, deren Capricen und Wissen auf Dauer allzu unangenehm geworden wären. Im Hause Hellwig herrscht eine gut durchchoreografierte Frömmigkeit, deren Barrieren nicht die eigenen vier Wände sind, sondern erst anfängt, wenn man sich außerhalb derer befindet. So werden der Abwechslung und Gerechtigkeit halber verschiedene Entwürfe von Charakteren vorgestellt, die sich in fundamentalen Einstellungen zum Leben und zur Gesellschaft unterscheiden. Zum größten Teil wimmelt es geradezu von angriffslustigen Hyänen, die wie Mühlsteine um den Hals der jungen Protagonistin baumeln. Das Leben ist trotz der feudalen Verhältnisse für sie karg und unmenschlich, nur in Sequenzen mit der Titelfigur bekommt auch der Zuschauer etwas Balsam für die Seele geboten. Größter Star dieser Produktion ist sicherlich Brigitte Horney in der Titelrolle, deren weltoffene Ansichten die vermeintliche Verschrobenheit sehr gut übertünchen können. Heimlicher Star dieser Veranstaltung bleibt jedoch die Hamburgerin Giulia Follina als ältere Felicitas, deren Performance einfach nur als formvollendet zu beschreiben ist. Ihre erzwungene Unterwürfigkeit lässt immer wieder die eingeborene Lust aufblitzen, sich gegen die hier hoheitsvoll wirkenden Obrigkeiten aufzulehnen, die von der Hausherrin bis zur Köchin reichen, da jeder in der Hierarchie über ihr zu stehen hat. So wird es alles andere als leicht, sie zu begleiten.

Follina agiert unbefangen und überaus dynamisch, ihre angenehme Stimmfärbung bringt es zu blendenden Dialogen, die nicht nur begeistern, sondern auch zu denken geben. Die junge Frau, die wesentlich mehr als Trotzköpfigkeit verkörpert, ist umzingelt von niederträchtigen Personen, deren Intensität von den entsprechenden Interpreten entworfen wird. Hier zu nennen ist vor allem Inge Langen, diese großartige Schauspielerin mit der alles durchdringenden Stimme, die ihre verhasste Ziehtochter geißelt und demütigt, und das aus Prinzip. Da sich ihr Mann seinerzeit gegen ihr Veto durchsetzen konnte, ist Felicitas, deren angeblich blasphemischer Name kurzerhand umgeändert wurde, wie ein Spiegel ihrer eigenen Unzulänglichkeit. An ihrer Seite agiert eine hier umwerfende, da völlig eitle und biestige Ingeborg Schöner, und dieses Duo kann sich wirklich sehen lassen. Als Gegenentwurf thront eine wie immer leichtfüßige Brigitte Horney als graue Eminenz, deren Weltoffenheit trotz eines Lebens im Gefängnis ungebrochen erscheint. Sie beweist mit Leichtigkeit, dass man ein unschuldiges Geschöpf auch ohne Zwänge und Züchtigung auf einen guten Weg bringen kann, doch sie hütet ein dunkles Geheimnis. Diese Gewissheit fabriziert eine permanente Grundspannung, die das Szenario in ausgewählten Sequenzen zum Hochkochen bringen kann. Des Weiteren ausstaffiert mit bekannten Namen, Stars und Sternchen, kann man auf interessante Darbietungen von Volkert Kraeft, Hilde Weissner, Karin Schroeder, Hilde Sessak, Georg Hartmann, Ingeborg Steinbach oder Dieter Borsche blicken, deren Interpretationen diese Geschichte mit zu einer gehobenen Angelegenheit machen. Um zeitliche Sprünge nicht allzu grob wirken zu lassen, gibt es immer wieder einen Off-Kommentar von Friedrich W. Bauschulte, der die Geschichte erklärend zusammenfügt. Sicherlich lassen sich große Anteile ausfindig machen, die kitschig oder gar theatralisch wirken. Manche würden vielleicht sogar von einer Art Schmonzette sprechen. Auch die teils bühnenhaften Darbietungen muss man wohl bedingungslos annehmen können, um mit dieser TV-Produktion insgesamt d'accord zu sein. Unterm Strich gibt es jedenfalls sehr viel Positives zu finden, sodass es dieser ersten von fünf Marlitt-Verfilmungen mit Leichtigkeit möglich ist, die Messlatte sehr hoch anzulegen. Außerdem gibt es ja noch das hier angekündigte Geheimnis der alten Dame zu lüften, das wie die Büchse der Pandora geöffnet wird, um diverse Personen aus ihren Komfortzonen zu drängen.

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