HALB ELF IN EINER SOMMERNACHT
● 10.30 P.M. SUMMER / LAS 10:30 DE UNA NOCHE DE VERANO / HALB ELF IN EINER SOMMERNACHT (US|E|1965)
mit Melina Mercouri, Romy Schneider, Peter Finch, Julián Mateos, Isabel María Pérez, Tota Alba, Juan Estelrich, u. a.
eine Argus Produktion | Jorilie | im Verleih der United Artists
ein Film von Jules Dassin
»Was heißt Schuld auf Griechisch?«
In einer verregneten spanischen Sommernacht kommt das Ehepaar Maria (Melina Mercouri) und Paul (Peter Finch) mit ihrer Tochter Judith (Isabel María Pérez) und der gemeinsamen Freundin Claire (Romy Schneider) in einer kleinen Stadt nicht weit entfernt von Madrid an. Sie wundern sich über das Polizeiaufgebot und erfahren, dass hier vor Kurzem ein Doppelmord stattgefunden hat, doch der Täter ist unauffindbar. Während es zwischen Paul und Claire zu einer immer stärker werdenden sexuellen Anziehung kommt, gibt sich Maria dem Alkohol hin und hinterfragt ihre belanglose Ehe. Plötzlich steht sie dem Mörder gegenüber …
Es gibt Filme, deren Titel eine Ansicht auf unbestimmte Zeit nach hinten verschieben können, manchmal sogar um Jahre. "Halb elf in einer Sommernacht" könnte zumindest ein solcher Fall sein, suggeriert er doch eine Art sentimental-dramatische Masse und ein Übertünchen von Substanzlosigkeit durch eine Top-Besetzung. Schaut man sich Jules Dassins Beitrag schließlich an – der sich übrigens mit allem, was er hat weigern wird, sich in ein Genre zwingen zu lassen – ist nach kürzester Zeit zu bemerken, dass man dem Film unter dieser Betrachtungsweise völlig Unrecht getan hat, da man mit großem Kino belohnt wird. Bereits der Vorspann verspricht Feuer und Temperament, jedoch ebenso Verschleierung und Subtilität. Der Starkregen wirkt wie bleierne Ketten, die vom Himmel fallen, weist bei dieser Gelegenheit auf die bevorstehende Schwere der Konstellationen und eigentümlichen Situationen hin. Ein Doppelmord aus Leidenschaft wird unter dem Kreuzzeichen besiegelt, die Regie treibt eine im weiteren Verlauf noch schwer auszuhaltende Diskretion vor sich her. Filme wie diese, die dem Publikum etwas so Außergewöhnliches wie Deutungshoheit zugestehen, können sich schnell in gedanklichen Labyrinthen verlieren, was hier jedoch nicht der Fall sein wird, da zum gleichen Teil Tiefsinn und Faszination angeboten wird. Hin und wieder fußt diese sogar auf bloßer Abscheu, globalem Unverständnis oder mitleidiger Anteilnahme, doch die wenigen Hauptcharaktere schöpfen ihr charakterliches Potenzial und das des anderen völlig aus. Das Innere eines Autos simuliert die unerträglichste Form eines Vakuums, da sich drei von ihnen gegenseitig hassen, weil sie sich lieben. Oder umgekehrt. Obwohl er eigenartig nichtssagend wirkt, bleibt der Titel des Films stets im Hinterkopf und dividiert Assoziationen an Sommernächte, wie man sie kennt und liebt, einfach weg. Es regnet Hunde und Katzen, ein Hotel hat keine Kapazitäten mehr für erschöpfte Gäste, eine Alkoholikerin braucht dringend ihre nächste Flasche, eine prekäre Affäre muss auf die nächste Stufe getrieben werden und ein noch unschuldiges Kind soll von alldem nichts mitbekommen. Nebenbei wird ein flüchtiger Mörder gesucht, der hier noch eine clever angelegte Relevanz erhalten wird. Interessant bleibt, dass sich Vorlage und Regie nicht im Geringsten um einen Sympathieträger bemühen, was für zusätzliche Brisanz sorgt.
Der Film schildert das Ende einer Kette von Vorfällen und Justierungen der Vergangenheit, die zu keiner Zeit maßgeblich erklärt werden. Man weiß nicht, wo diese Ménage-à-trois herkommt, was sie noch hervorbringen und wo sie enden wird. Allerdings reicht das, was zu sehen ist, völlig aus, um sich ein Bild zu machen. Bereits während der Fahrt lagen Aggressivität und Zärtlichkeit in der Luft. Eine Mutter begibt sich im Umgang mit ihrer Tochter auf Kindesniveau, um auszubrechen, der Situation zu entkommen. Hierbei handelt es sich neben dem Trinken um ihren üblichen Reflex, ihre dienlichste Kompensation, sich die Augen und Ohren einfach zuzuhalten, die Realität abzustellen. Der Umgang wirkt herzlich, doch jeder weiß, dass dieses Kind durchs Raster fallen und – obwohl beide Elternteile noch leben – zur Halbwaisen wird. Die designierte Stiefmutter lauert bereits wie eine Katze, doch zunächst wird dem Zuschauer noch einiges an Zündstoff angeboten. Der Ausgang ist ungewiss, doch es dürfte zu keinem Happy End aus Liebesromanen kommen. Produktion und Verlauf gestalten die Aura eines Kunstfilms, dem jede Genre-Zuweisung nur schaden würde, da morbider Zauber verlorenginge. Fordernd ist die starke Visualisierung, die über weite Strecken immer wieder ohne Dialoge auszukommen hat, auf der anderen Seite jedoch wunderbar eingefangene Bilder anbietet, die architektonischen Gebilden gleichen, sodass sich die Gedanken des Publikums schnell in diesem verfahren wirkenden Szenario verlieren können. Thematisch gesehen werden ausschließlich Extreme angeboten, ob im Handeln, Fühlen oder Inszenieren. Hier entsteht eine überaus interessante Kombination, die zu Entschlüsselungsversuchen animiert, wenngleich diese wie nette Versuche in der Nacht verhallen. Hält man sich eng an die angebotenen Haupt-Charaktere, ist alles Dargebotene leichter zu verstehen, immerhin kann sich im Spektrum der Emotionen alles abspielen, selbst das Unwahrscheinliche. In diesem Zusammenhang sieht man die griechische Interpretin Melina Mercouri als Epizentrum von allem, was hier noch wichtig erscheinen wird. Ihre Exzesse setzen sich zu einem wichtigen Teil einer hochinteressanten Assoziationskette zusammen, deren Entschlüsselung immer wieder künstlich verzögert wird, da Maria, Claire und Paul ihren toxischen Umgang miteinander nötig zu haben scheinen.
Mercouris zwischen Leidenschaft und Lethargie hin- und herpendelnde Darstellung der Maria wird zum ganz großen Ereignis, immerhin handelt es sich bei ihr um eines der ganz seltenen Exemplare von Personen, bei denen der Alkohol den Verstand schärft, zumindest, wenn es sein muss. Offenbar handelt es sich um eine gewohnheitsmäßige Trinkerin, die aktiver Teil geworden ist, ihre Ehe künstlich am Leben zu halten. In ihren Zuständen des alkoholischen in sich Gehens beweist sie einen beeindruckenden Mut zur Hässlichkeit, zumindest konträr gesehen zum klassischen Schönheitsideal, denn ihre Intervalle unter Alkoholeinfluss strengen an. Verstehen mit der markanten Synchronstimme von Gisela Trowe entstehen hin und wieder Momente, in denen man beginnt, sich für so viel Selbst-Demütigung zu schämen. Ihre Gefühlsverstärker bilden Romy Schneider – ausgewiesene beste Freundin und gleichzeitig Hyäne – und Peter Finch als ihr nicht zu greifender Ehemann; gefangen im Schraubstock zwischen Liebe und Libido. Seine Frau steht plötzlich einem gehetztem Mörder gegenüber, mit dem sie sich aus Gründen der Verklärung solidarisiert. Beeindruckt von einer Verzweiflungstat aus Leidenschaft und getrieben durch die ergebnislose Suche nach Zuwendung, kommt es zu Verhaltensweisen, die nur schwer zu begreifen sind. Gábor Pogánys Kamera beschäftigt sich ausgiebig mit Mercouris Gesicht, sodass der Zuschauer jedes Gefühl, jede Regung nur nachzuempfinden braucht. Die Akteure tanzen auf einem Vulkan, alles hier Dargebotene scheint bis ins kleinste Detail durchdacht, geplant und nichts dem Zufall überlassen zu sein, sodass man sagen könnte, dass es zu zahlreichen Choreografien innerhalb einer großen Choreografie kommt. Das Forcieren von Intensität ist schließlich in allen Bereichen zu erkennen, ob inszenatorisch, thematisch oder darstellerisch. Auch wenn Melina Mercouri hier wie das Maß aller Dinge wirkt, sind die ebenfalls hervorragenden Leistungen von Peter Finch und Romy Schneider hervorzuheben, die sich innerhalb dieser Dreiecksgeschichte in besonderem Maß hervortun. So handelt es sich nicht nur in Schneiders Filmografie, sondern auch generell um einen leider in Vergessenheit geratenen Hochkaräter ohne breite Anerkennung, den man unbedingt gesehen haben sollte. "Halb elf in einer Sommernacht"… Wem würde hier fernab des Films nicht selbst eine passende Situation aus seinem eigenen Leben einfallen?
Es gibt Filme, deren Titel eine Ansicht auf unbestimmte Zeit nach hinten verschieben können, manchmal sogar um Jahre. "Halb elf in einer Sommernacht" könnte zumindest ein solcher Fall sein, suggeriert er doch eine Art sentimental-dramatische Masse und ein Übertünchen von Substanzlosigkeit durch eine Top-Besetzung. Schaut man sich Jules Dassins Beitrag schließlich an – der sich übrigens mit allem, was er hat weigern wird, sich in ein Genre zwingen zu lassen – ist nach kürzester Zeit zu bemerken, dass man dem Film unter dieser Betrachtungsweise völlig Unrecht getan hat, da man mit großem Kino belohnt wird. Bereits der Vorspann verspricht Feuer und Temperament, jedoch ebenso Verschleierung und Subtilität. Der Starkregen wirkt wie bleierne Ketten, die vom Himmel fallen, weist bei dieser Gelegenheit auf die bevorstehende Schwere der Konstellationen und eigentümlichen Situationen hin. Ein Doppelmord aus Leidenschaft wird unter dem Kreuzzeichen besiegelt, die Regie treibt eine im weiteren Verlauf noch schwer auszuhaltende Diskretion vor sich her. Filme wie diese, die dem Publikum etwas so Außergewöhnliches wie Deutungshoheit zugestehen, können sich schnell in gedanklichen Labyrinthen verlieren, was hier jedoch nicht der Fall sein wird, da zum gleichen Teil Tiefsinn und Faszination angeboten wird. Hin und wieder fußt diese sogar auf bloßer Abscheu, globalem Unverständnis oder mitleidiger Anteilnahme, doch die wenigen Hauptcharaktere schöpfen ihr charakterliches Potenzial und das des anderen völlig aus. Das Innere eines Autos simuliert die unerträglichste Form eines Vakuums, da sich drei von ihnen gegenseitig hassen, weil sie sich lieben. Oder umgekehrt. Obwohl er eigenartig nichtssagend wirkt, bleibt der Titel des Films stets im Hinterkopf und dividiert Assoziationen an Sommernächte, wie man sie kennt und liebt, einfach weg. Es regnet Hunde und Katzen, ein Hotel hat keine Kapazitäten mehr für erschöpfte Gäste, eine Alkoholikerin braucht dringend ihre nächste Flasche, eine prekäre Affäre muss auf die nächste Stufe getrieben werden und ein noch unschuldiges Kind soll von alldem nichts mitbekommen. Nebenbei wird ein flüchtiger Mörder gesucht, der hier noch eine clever angelegte Relevanz erhalten wird. Interessant bleibt, dass sich Vorlage und Regie nicht im Geringsten um einen Sympathieträger bemühen, was für zusätzliche Brisanz sorgt.
Der Film schildert das Ende einer Kette von Vorfällen und Justierungen der Vergangenheit, die zu keiner Zeit maßgeblich erklärt werden. Man weiß nicht, wo diese Ménage-à-trois herkommt, was sie noch hervorbringen und wo sie enden wird. Allerdings reicht das, was zu sehen ist, völlig aus, um sich ein Bild zu machen. Bereits während der Fahrt lagen Aggressivität und Zärtlichkeit in der Luft. Eine Mutter begibt sich im Umgang mit ihrer Tochter auf Kindesniveau, um auszubrechen, der Situation zu entkommen. Hierbei handelt es sich neben dem Trinken um ihren üblichen Reflex, ihre dienlichste Kompensation, sich die Augen und Ohren einfach zuzuhalten, die Realität abzustellen. Der Umgang wirkt herzlich, doch jeder weiß, dass dieses Kind durchs Raster fallen und – obwohl beide Elternteile noch leben – zur Halbwaisen wird. Die designierte Stiefmutter lauert bereits wie eine Katze, doch zunächst wird dem Zuschauer noch einiges an Zündstoff angeboten. Der Ausgang ist ungewiss, doch es dürfte zu keinem Happy End aus Liebesromanen kommen. Produktion und Verlauf gestalten die Aura eines Kunstfilms, dem jede Genre-Zuweisung nur schaden würde, da morbider Zauber verlorenginge. Fordernd ist die starke Visualisierung, die über weite Strecken immer wieder ohne Dialoge auszukommen hat, auf der anderen Seite jedoch wunderbar eingefangene Bilder anbietet, die architektonischen Gebilden gleichen, sodass sich die Gedanken des Publikums schnell in diesem verfahren wirkenden Szenario verlieren können. Thematisch gesehen werden ausschließlich Extreme angeboten, ob im Handeln, Fühlen oder Inszenieren. Hier entsteht eine überaus interessante Kombination, die zu Entschlüsselungsversuchen animiert, wenngleich diese wie nette Versuche in der Nacht verhallen. Hält man sich eng an die angebotenen Haupt-Charaktere, ist alles Dargebotene leichter zu verstehen, immerhin kann sich im Spektrum der Emotionen alles abspielen, selbst das Unwahrscheinliche. In diesem Zusammenhang sieht man die griechische Interpretin Melina Mercouri als Epizentrum von allem, was hier noch wichtig erscheinen wird. Ihre Exzesse setzen sich zu einem wichtigen Teil einer hochinteressanten Assoziationskette zusammen, deren Entschlüsselung immer wieder künstlich verzögert wird, da Maria, Claire und Paul ihren toxischen Umgang miteinander nötig zu haben scheinen.
Mercouris zwischen Leidenschaft und Lethargie hin- und herpendelnde Darstellung der Maria wird zum ganz großen Ereignis, immerhin handelt es sich bei ihr um eines der ganz seltenen Exemplare von Personen, bei denen der Alkohol den Verstand schärft, zumindest, wenn es sein muss. Offenbar handelt es sich um eine gewohnheitsmäßige Trinkerin, die aktiver Teil geworden ist, ihre Ehe künstlich am Leben zu halten. In ihren Zuständen des alkoholischen in sich Gehens beweist sie einen beeindruckenden Mut zur Hässlichkeit, zumindest konträr gesehen zum klassischen Schönheitsideal, denn ihre Intervalle unter Alkoholeinfluss strengen an. Verstehen mit der markanten Synchronstimme von Gisela Trowe entstehen hin und wieder Momente, in denen man beginnt, sich für so viel Selbst-Demütigung zu schämen. Ihre Gefühlsverstärker bilden Romy Schneider – ausgewiesene beste Freundin und gleichzeitig Hyäne – und Peter Finch als ihr nicht zu greifender Ehemann; gefangen im Schraubstock zwischen Liebe und Libido. Seine Frau steht plötzlich einem gehetztem Mörder gegenüber, mit dem sie sich aus Gründen der Verklärung solidarisiert. Beeindruckt von einer Verzweiflungstat aus Leidenschaft und getrieben durch die ergebnislose Suche nach Zuwendung, kommt es zu Verhaltensweisen, die nur schwer zu begreifen sind. Gábor Pogánys Kamera beschäftigt sich ausgiebig mit Mercouris Gesicht, sodass der Zuschauer jedes Gefühl, jede Regung nur nachzuempfinden braucht. Die Akteure tanzen auf einem Vulkan, alles hier Dargebotene scheint bis ins kleinste Detail durchdacht, geplant und nichts dem Zufall überlassen zu sein, sodass man sagen könnte, dass es zu zahlreichen Choreografien innerhalb einer großen Choreografie kommt. Das Forcieren von Intensität ist schließlich in allen Bereichen zu erkennen, ob inszenatorisch, thematisch oder darstellerisch. Auch wenn Melina Mercouri hier wie das Maß aller Dinge wirkt, sind die ebenfalls hervorragenden Leistungen von Peter Finch und Romy Schneider hervorzuheben, die sich innerhalb dieser Dreiecksgeschichte in besonderem Maß hervortun. So handelt es sich nicht nur in Schneiders Filmografie, sondern auch generell um einen leider in Vergessenheit geratenen Hochkaräter ohne breite Anerkennung, den man unbedingt gesehen haben sollte. "Halb elf in einer Sommernacht"… Wem würde hier fernab des Films nicht selbst eine passende Situation aus seinem eigenen Leben einfallen?