HELGA ANDERS

Leinwandsternchen und verkannte Stars im Blickpunkt
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Prisma
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HELGA ANDERS

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HELGA ANDERS

[*11.01.1948 | † 31.03.1986]


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Das Lexikon der deutschen Filmstars hat geschrieben:
In Ruhpolding und Bielefeld aufgewachsen; Besuch einer Ballettschule; spielt mit acht Jahren eine Rolle in der Operette »Der fidele Bauer«. Nach dem Umzug der Eltern an den Tegernsee wirkt A. mit dreizehn an einer bayrischen Bauernbühne mit. Ihr Filmdebüt feiert sie mit zwölf; als Fünfzehnjährige tritt sie erstmals in der Kleinen Komödie in München auf. Heiratet 1967 Roger Fritz, unter dessen Regie sie in mehreren Filmen die Hauptrollen übernimmt, besonders bekannt wurde sie durch Mädchen Mädchen (1966). Der Jungstar wird von Roger Fritz geschieden, betreibt eine Theaterkneipe in München, ist ab Mitte der sechziger Jahre auch häufig im Fernsehen zu sehen. Sie scheidet durch Suizid aus dem Leben. Laut Pressemitteilung war die Todesursache angeblich Herzversagen. Typ: Die kleine Dunkelhaarige mit den großen Augen galt als die Lolita im deutschen Film der sechziger Jahre. Lasziv und provozierend »unschuldig«, war sie die gefährdete Minderjährige und verkörperte den Typ einer modernen Jugend, die offenen Umgang mit dem anderen Geschlecht pflegte.


Die Auseinandersetzung mit der Schauspielerin Helga Anders sieht auf den ersten Blick ganz einfach aus: eine Darstellerin, die sich selbst ein Image erschuf, beziehungsweise um die eine Art Image kreiert wurde, das ewige Schulmädchen sein zu müssen, um es ein wenig überspitzt zu formulieren. Zunächst konnte man Anders glänzend und später gefangen in obligatorischen Rollen erleben. Sie stellte die junge »Lolita« des deutschen Kinos und eine der Identifikationsfiguren der damaligen Jugend dar. Derartige Festlegungen, die es ja scharenweise gegeben hat und bis heute gibt, bilden zuerst Fundamente für steile Karrieren und große Erfolge. Wenn diese jedoch ewig haften bleiben und betreffende Stars nicht die Möglichkeiten gefunden oder erhalten haben, sich von ihnen zu lösen, entwickeln sie sich zu einem späten Zeitpunkt und im schlimmsten Fall zu einem latenten Fluch. Befasst man sich mit dem zweiten Blick, so offenbaren sich zahlreiche Facetten, die wesentlich mehr hergeben möchten. Die Typisierung spielt unter anderem auf die immense Kraft der Augen an, die gerade bei Helga Anders eine bemerkenswerte Aura entstehen lässt. Bei einem derartigen Schicksal lässt man sich vielleicht ziemlich schnell dazu verleiten, eine gewisse Traurigkeit heraus zu sehen, was sich aber im Grunde genommen nur auf den Bereich der jeweiligen Anforderungen bezieht. Nicht selten fühlt man sich als Zuschauer durch verführerische und selbstbewusste Blicke verfolgt, aber auch verwirrende, beziehungsweise schwer nachzuvollziehende Verhaltensweisen. Helga Anders bediente die Kategorie der Publikumswirksamkeit mit klassischen Image-Besetzungen, aber auch progressiven Frauenrollen, die der deutsche Film gerade erst am erfinden war und nötig hatte.

Viele Personen kolportieren bis heute das nahezu zementierte Bild der Schauspielerin und es kommt unausweichlich zu Einschätzungen wie »mädchenhaft-unschuldig« oder man stellt ihr das Zeugnis der»Kindfrau« aus, was allerdings nur eine Halbwahrheit darstellt, denn immerhin konnte sich die in Innsbruck geborene Interpretin sozusagen von ihren emanzipierten Rollen emanzipieren, was sich auch in ihrer ausgiebigen TV-Filmografie zeigt. Hin und wieder schießt bei Helga Anders ein Anflug eines Quervergleichs mit Romy Schneider in den Kopf, bei der sich bis heute ebenfalls Gerüchte um einen angeblichen Suizid halten, nicht zuletzt wegen der anklagenden Verlautbarungen der französischen Presse. Bei Helga Anders, die gerade Mal 38-jährig verstarb, urteilte die Klatschpresse ähnlich bewusst und deutlich. So entstehen kleinere oder größere Mythen um entsprechende Schauspieler_innen, da ihr Ende die breite Öffentlichkeit berührt und dazu veranlasst hat, eigene gedankliche Erhebungen und Mutmaßungen anzustrengen. Helga Anders konnte zwar keine internationale Karriere verbuchen, dennoch hat sie ihren festen, angesehenen Platz in der deutschen Kino-und-TV-Landschaft, da sie temporär gesehen Frauenrollen interpretierte, die vom Gros der Schablonen mitunter weit entfernt waren. Helga Anders einzuschätzen, ist trotz aller Begeisterung keine besonders leichte Aufgabe, denn sie passt so wenig in vorgefertigte Schubladen, obwohl bei ihr ein deutlicher Hang zum Avantgardistischen wahrzunehmen ist, aber gleichzeitig auch das Fügen in Anforderungen, die über die Selbstaufgabe hinaus gingen. So bleiben einerseits die mitunter progressivsten und modernsten Frauenrollen des damaligen Kinos übrig, andererseits auch scharfkantige Zuschnitte, die sich am unerbittlichen und kurzlebigen Willen des Marktes orientierten.

Die Faszination um Helga Anders bedingt sich schlussendlich nicht vornehmlich um die vermeintliche »Lolita« oder das »Schulmädchen«, denn dieses Image wirkt vor allem in der Rückschau zu konstruiert, unpräzise und am wenigsten gerechtfertigt. Sie ist und bleibt eine Darstellerin, die überdies unmissverständlich anspricht, weil die schauspielerische Kompetenz so unverwechselbar und nicht selten auffällig unbändig erscheint. In diesem Spektrum zwischen Schulmädchen und Verführerin wirkt sie widersprüchlich und ebenso auffordernd. Hinzu kommt, dass häufig keine großartige Distanz zum Zuschauer aufgebaut wird, sie ihre Charaktere jedoch mit einer eigenartigen Kontrolle, Dominanz und Struktur ausstatten konnte. Helga Anders zehrt in ihren Auftritten in einem hohen Ausmaß von ihrer Körpersprache, ihrer angenehmen und in der Synchronisationsarbeit dynamischen Stimme, von ihrer Ausstrahlung ganz zu schweigen. Wie es eben so ist, werden Image-Fragen meistens erst am bitteren Ende kritisch durchleuchtet. Aus heutiger Sicht kann vielleicht ein verschwenderischer und einseitiger Umgang des deutschen Films mit der begabten Schauspielerin Helga Anders beklagt werden, die diversen Rollen ein reizvolleres und nachhaltigeres Gesicht hätte geben können, was sich auch darauf bezieht, dass sie in wichtigen Produktionen einfach fehlte. Leider werden bis heute auch nicht die richtigen Filme mit ihr wiederholt, sodass sie langsam aber sicher in eine sich anbahnende Vergessenheit gerät. Sie würde auch heute mit größter Wahrscheinlichkeit noch zur deutschen TV-Prominenz zählen, denn sie verfügte über die Fähigkeiten, den Mut und die Ausstrahlung. So bleibt insgesamt zu sagen, dass eine Beteiligung von Helga Anders stets genügend Grund darstellt, sich auf den jeweiligen Film einzulassen, um sich zu freuen, zu träumen, zu staunen oder über das zu philosophieren, was dem Publikum aufgrund eines so schrecklich kurzen Lebens vorenthalten geblieben ist.

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Dschallogucker
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Re: HELGA ANDERS

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27 | JET GENERATION

Da ist sie auch dabei?

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Prisma
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Re: HELGA ANDERS

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Dschallogucker hat geschrieben:
Do., 24.12.2020 21:02
Da ist sie auch dabei?

In "Jet Generation" wird Helga Anders zumindest einmal unter den Gästen geführt, allerdings kann ich mich auch nicht an ihren Auftritt erinnern, aber ich habe den Film auch erst zweimal gesehen. Vermutlich handelt es sich nur um einen ziemlich Gastauftritt ohne besondere Funktion für die laufende Geschichte oder exponierte Erscheinung, aber das werde ich demnächst nochmal überprüfen. Ich weiß noch, dass ich mich nach der Erstansicht auch gefragt hatte, ob sie denn tatsächlich dabei gewesen ist, schließlich waren die anderen, als Gäste ausgewiesenen Darsteller_innen, alle schnell auszumachen. In der Regel ist aber davon auszugehen, dass derartige Ankündigungen im Vorspann stimmen, es sei denn, dass viel Material der Schere zum Opfer gefallen ist. Davon ist hier aber nicht auszugehen. Im "Jet Generation"-Thread sehe ich aber gerade, dass ich Helga Anders - die mir als Erscheinung immer sofort auffällt - damals bei den Gästen nicht erwähnt hatte, da ich sie nicht ausfindig machen konnte. Deine Frage trifft sich also ganz gut, da ich mir den Film ohnehin nochmals anschauen wollte.

Percy Lister
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Re: HELGA ANDERS

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Prisma hat geschrieben:
.... ihrer angenehmen und in der Synchronisationsarbeit dynamischen Stimme.
Ihre einprägsame Stimme eignet sich besonders gut für koboldhafte Figuren wie die der Zeichentrick-Holzpuppe "Pinocchio" oder des Hamsters Krümel in "Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen". Das Timbre erinnerte mehr an einen Jungen als an eine Frau.

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Prisma
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Re: HELGA ANDERS

Beitrag von Prisma »

An einen Jungen habe ich dabei nie denken müssen. Es wirkt auf mich eher verniedlicht, beziehungsweise verkindlicht oder betont verjüngt, was ja der Anforderung in Kinderserien durchaus entspricht. In "Schulmädchen-Report. 11. Teil: Probieren geht über Studieren" hatte Helga Anders beispielsweise als damals fast Dreißigjährige eine wesentlich jüngere Schülerin synchronisiert und brachte eine freche, naive, aufmüpfige und im Endeffekt verzerrt wirkende Färbung in die Dialoge. Diese Verniedlichungen ziehen sich im Grunde genommen ziemlich hartnäckig durch ihre Karriere und Filmrollen.

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Prisma
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● HELGA ANDERS als ROSWITHA MEINECKE in
DERRICK - JOHANNA (D|1974)



Eine junge, hübsche Frau steht an der Music Box. Alles um sie herum scheint sie nicht zu interessieren, solange sie die nächste Münze zum Einwerfen und den nächsten Drink hat. Als ihr wesentlich älterer Freund auftaucht, bleibt ihre Stimmung jedoch im Keller, denn offensichtlich hat er erneut nicht so funktioniert, wie sie es von ihm verlangt. Schnell wird klar, dass es sich um ein Mordkomplott handelt, welches beiden ermöglichen würde, ein Leben zu führen, wie sie es sich vorstellen. Ohne finanzielle Nöte in den Tag hineinleben, auf bürgerliche Konventionen pfeifen, oder einfach nur die Sau rauslassen können. Roswitha Meinecke hat alles, was Männer anlockt. Ihre dem empfinden nach leichtfertige Art lädt zu dem Gedanken ein, dass Phantasien Wirklichkeit werden könnten, doch alles hat seinen Preis. Auch sie. Helga Anders spielt in der zweiten Episode der Kriminalserie "Derrick" eine Figur, die sie vom Prinzip her schon häufiger interpretiert hat und bei der Mitte 20jährigen wurde dramaturgisch wieder eine Verjüngungskur vollzogen, der man die zwanzig Jahre aufgrund ihres Aussehens auch durchaus noch abnimmt. Man betrachtet eine Frau, die mit der modernen und unbefangenen Einstellung einer neuen Generation kokettiert, doch ihr Kalkül erlaubt es ihr nicht, sich mit kleinen Fischen abzugeben. Ihr Liebhaber, ein Habe- und Taugenichts aus dem Bilderbuch, nennt eine gute Partie sein eigen, da er jüngst reich geheiratet hat und mittlerweile in einem gut ausstaffierten Käfig lebt. Doch die Frau, die Roswithas Mutter sein könnte, stört bei der geheimen Zweisamkeit und dem ausgelassenen Begriff der freien Libido. Helga Anders wählt für diese Rolle wieder einmal ihren speziellen Weg der schwer erreichbaren Emotionen. Sie gewährt dem Zuschauer kein einziges Lächeln, keinen Raum für Sympathien, und präsentiert sich als Wurzel allen Übels - dies sogar aus vollster Überzeugung.

Man ahnt, dass sie ihren labilen und überaus ungefestigt wirkenden Freund ohne Mittelpunkt lange genug bearbeitet haben wird, bis er zu spuren anfing, doch dummerweise scheint eine Nebensächlichkeit wie sein Gewissen im Weg zu stehen, um in letzter Konsequenz vorzugehen. Der Mordplan entspricht in seiner Einfältigkeit und dilettantischen Stilrichtung vollkommen der Einstellung von Roswitha Meinecke, eine junge Dame, die sich hauptsächlich auf Instinkte und Intuition zu verlassen scheint. Funktioniert ihr Liebhaber nicht in verlangter Art und Weise, weiß sie ganz genau, wie sie vorzugehen hat. Nicht nur Umgang und Wortwahl verdunkeln sich merklich, sondern viel wirkungsvoller ist, dass sie sich im Zweifelsfall offensichtlich sexuell verweigern wird. Ihr Freund Alfred lässt sich mit dieser Sex-Klemme erpressen und manipulieren, sodass das anvisierte Ziel immer näher vor Augen rückt. Helga Anders spielt sehr glaubhaft und unheimlich authentisch. Es sieht erneut so aus, als könne sie alles zwischen Klischee und komplexer Mehrfachanforderung auf den Punkt bringen. Blickt man auf die Serie im Ganzen und auf Anders' sieben Rollen innerhalb von 10 Jahren, lassen sich insgesamt ganz außergewöhnliche Darbietungen ausfindig machen, von denen einige zurecht einen gewissen Klassiker-Status erlangen konnten. Was man nicht vergessen darf, ist, dass sie in dieser zweiten Folge zusätzlich gegen einen unglaublich starken Helmuth Lohner, vor allem aber gegen die Übermacht Lilli Palmer in gleich doppelter Potenz anzuspielen hatte, und dennoch einen ebenbürtigen Eindruck angesichts einer Rolle hinterlässt, die formal gesehen eigentlich eine untergeordnete Funktion hat. Um es also nochmals zu betonen: Wer Helga Anders in ihren Spielfilmen schätzt, darf auch ruhig einmal einen gezielten Blick in Richtung ihrer Darbietungen im Feld der Kriminalserien richten, denn es dürfte höchstwahrscheinlich zu zusätzlichen Offenbarungen kommen.

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Prisma
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● HELGA ANDERS als EDNA CORMICK in
JERRY COTTON - DER MÖRDERCLUB VON BROOKLYN (D|1967)



Diese bereits fünfte "Jerry Cotton"-Verfilmung stellte für Helga Anders auch gleichzeitig das halbe Dutzend absolvierter Kinofilme dar. Die Serie weist generell eine deutliche Eigenart im Rahmen weiblicher Besetzungen auf, die sich wahlweise aus weitgehend eher unbekannten oder international agierenden Damen und hauptsächlich untergeordneten Rollen mit verhältnismäßig wenig Screentime auszeichnen. Als Edna Cormick übernahm Helga Anders genau eine solche Rolle, deren einzige Relevanz insofern zu erkennen ist, dem Zuschauer als unschuldiges und beschützenswertes Opfer präsentiert zu werden. Mit Anders' emanzipierten und vollkommen unkonventionellem Spiel hat diese Rolle also rein gar nichts zu tun, was aber auch nicht in das Konzept der Serie respektive dieses Beitrags gepasst hätte. Die sympathisch und nahezu fragil wirkende Edna Cormick wird Zielscheibe einer erpresserischen Bande, die vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt. Filmpartnerin Dagmar Lassander wurde in diesem Rahmen beispielsweise schnell und unsentimental verheizt, was dem Zuschauer klar suggerieren soll, dass es der inoffiziellen weiblichen Hauptrolle genauso ergehen könnte, falls das Schicksal weiteren Launen nachgeben sollte. Dieser weitere Aspekt, dass in der Reihe gerade über weibliche Rollen gerne empfindliche Schocks gesetzt wurden, ist der Spannung sehr zuträglich und so profitiert auch Helga Anders alleine von den Grundvoraussetzungen in ihrer zugegebenermaßen recht unscheinbaren Rolle ohne wesentliche Entfaltungsmöglichkeiten. Man identifiziert sie schnell als äußerst freundliche Erscheinung mit der man mitfiebern kann, weil sie den Beschützer-Instinkt, aber auch die Fantasie der männlichen Zuschauer offensiv anregt, auch wenn sich das Ganze noch in eher gezügelten Formen abzuspielen hatte.

Das Drehbuch sieht in "Der Mörderclub von Brooklyn" also keine besonders ausfüllende Funktion bei Edna Cormick vor, macht sich aber prinzipiell die Voraussetzung der großen Beliebtheit der jungen Interpretin zunutze. Im Rahmen der Anforderung leistet Helga Anders eine solide Arbeit, die frische Impulse offeriert und situationsbedingt eine gute Anpassungsfähigkeit zeigt. Ob als höfliche Gesellschafterin, besorgte Tochter, gefährdetes Opfer, unter Kuratel stehende Geisel oder Objekt der Begierde; jede Situation wird intuitiv und in begrüßenswerter Weise gefärbt. Leider ist ihre Auftrittsdauer zu beschränkt, als dass es zum großen Wurf hätte kommen können und daher bleibt dieser Ausflug in die Welt des Verbrechens als insgesamt unbedeutend in Erinnerung. Spannende Szenen entstehen im Rahmen ihrer Entführung, vor allem als einer ihrer Peiniger auf die spontane Idee kommt, sich die Zeit doch interessanter als nur mit bloßem herumsitzen vertreiben zu wollen. Naturgemäß muss das weibliche Opfer in diesen Situationen Vieles aushalten und im Bereich der angemessenen Emotionen beweist Helga Anders ein gutes Gespür bei der Dosierung und der allgemein situationsabhängigen Gestaltung. Die Kamera zeigt sich nur bedingt interessiert an der zierlichen und zerbrechlich wirkenden Darstellerin, sodass sie meist im Dickicht der prominent berücksichtigten Hauptrollen untergeht. Insgesamt kann von einem Auftritt gesprochen werden, der letztlich gar nicht so unwichtig wie zunächst erschienen ist, da er innerhalb einer angesagten und publikumswirksamen Produktion sicherlich den Marktwert und die Nachfrage zusätzlich steigern konnte. Die wirklich interessanten Auftritte sollten dementsprechend aber noch folgen, auch wenn das Fundament hierfür schon längst gelegt war. Diesen "Cotton"-Vertreter darf man sich also primär wegen seiner eigenen Stärke anschauen, in dem es Helga Anders als netten Bonus zu sehen gibt.

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Prisma
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● HELGA ANDERS als HERTA PANSE in
DER KOMMISSAR - DIE SCHRECKLICHEN (D|1969)



In "Die Schrecklichen" sieht man nicht nur den den ersten Auftritt von Helga Anders bei "Der Kommissar", sondern auch den ersten von vier Beiträgen des insbesondere für diese Serie berüchtigten tschechischen Regisseurs Zbyněk Brynych. Berüchtigt deswegen, weil er hier und dort zweifellos für unkonventionelle, unorthodoxe und - böse Zungen behaupten sogar - unerträgliche Ausreißmanöver innerhalb klassischer Strukturen sorgte, außerdem wegen seiner speziellen Art der Schauspieler-Führung stets auffallen konnte. Am Beispiel Helga Anders wird diese Strategie mehr als deutlich, beugt sie sich dem Willen der Regie doch wo sie nur kann. Zunächst macht sich die Episode das bestehende Schulmädchen- und Lolita-Image der zierlichen Interpretin dienstbar und so spielt Helga Anders die Rolle eines Mädchens, welches erneut wesentlich jünger als Helga Anders sein sollte. »Wie mach' ich das eigentlich mit 'ner 17jährigen?«, hört man Fritz Wepper seine Kollegin fragen, die ihm pauschal berichtet, dass man nur originell sein muss, was immer das auch heißen mag. Aber zunächst zum ersten Auftreten der jungen Darstellerin, die seinerzeit ja bereits eine feste Größe in der deutschen Schauspiel-Landschaft gewesen ist. Herta Panse wird hier in eindeutiger Manier durch ihren Vater vorgestellt, gespielt von einem wie üblich aufbrausenden Dirk Dautzenberg, und dessen Tochter befindet sich allem Anschein nach im Würgegriff dieses einfältigen Cholerikers. Er denkt nicht nur für sie, sondern spricht auch für sie, was sich beim eigentlich nicht zustande gekommenen Verhör mit Sätzen wie »meine Tochter kennt den Mann nicht!« bemerkbar macht. Helga Anders schleicht der Situation entsprechend völlig verängstigt und angespannt im Szenario umher, und unterlegt ihre stets so bemerkenswerte Ausstrahlung mit Resignation und Traurigkeit, was allerdings später von der Regie aufgesprengt wird.

Um es direkt zu sagen: in "Die Schrecklichen" ist einer von Anders' schwächeren Auftritten wahrzunehmen, was allerdings nicht an ihrer Interpretation liegt, sondern am Diktat der Regie. So kann man Brynych erneut vorwerfen, dass er auch hier seinen liebsten Fehler beging, den Zuschauer und seine Darsteller zu unterschätzen. Aus welchem Grund sonst würde er immer wieder Emotionen und Stimmungen auf einem nicht zu übersehenden Silbertablett servieren? Helga Anders jedenfalls beugt sich den offensichtlichen Anweisungen souverän und ihr kann wenigstens einmal attestiert werden, dass sie eher solide funktioniert. Im späteren Verlauf, wenn Harry Klein am herausfinden ist, wie man 17jährige anpackt, geht Herta Panse aus sich heraus und legt ihre Anspannung zugunsten eines typisch Brynych'schen Gefühlsausbruchs ab, fängt also aus heiterem Himmel an zu tanzen und zu lachen, was zugegebenermaßen sehr nett anzusehen ist, wenngleich es auch völlig deplatziert wirkt. Im Rahmen von Gestik und Mimik berichtet sie unter dem typischen Repertoire der Helga Anders, dass sie endlich aus ihrem elterlichen Gefängnis fliehen möchte, indem sie den Polizisten mit der erfrischenden Direktheit eines Kindes fragt, ob er eine Wohnung habe, möglicherweise um zusätzlich zu demonstrieren, dass es sich bei ihr keineswegs mehr um ein kleines Mädchen handelt. Sowohl der genaue, als auch oberflächliche Blick auf die Dramaturgie dieser dreizehnten "Kommissar"-Geschichte zeigt, dass man im Zusammenhang mit Anders nur Eindrücke aus der Konserve und obendrein eine Rolle aufgetischt bekommt, die für das Geschehen eigentlich weitgehend überflüssig ist. Nichtsdestotrotz handelt es sich natürlich um ein insgesamt angenehmes Wiedersehen mit der sympathischen Schauspielerin, die unter Brynych aber leider vollkommen isoliert und nicht optimal eingesetzt wirkt, bei einer Gratwanderung zwischen Krampf und Tanz durch dieses unangenehme Fiasko.

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Prisma
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● HELGA ANDERS als CHRISTA BRÜCKNER in
DER ALTE - TEUFELSBRUT (D|1979)



In der beliebten Serie "Der Alte" brachte es Helga Anders zwischen 1979 und 1984 auf drei Gastauftritte, die sehr unterschiedlicher Anlegung waren. Längst in Kriminalserien angekommen, interpretierte Anders erinnerungswürdige Charaktere sehr nachhaltig, so auch in der dreißigsten Episode "Teufelsbrut". Alleine der Titel dieser Folge charakterisiert ihre Aufgabe als Tochter des Hauses Brückner bereits sehr genau, sieht man doch eine seltsam verbitterte Frau Anfang 30, die es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht hat, Gift in alle Himmelsrichtungen zu verspritzen. Ein Mord ist geschehen und spätestens wenn man sich Christa Brückner bei der Beerdigung anschaut, spürt man keine Anzeichen von sichtbarer Trauer auf, sondern nimmt ausschließlich die eisige Kälte wahr, die sie zu umgeben scheint. Mit harter Miene, abschreckender Körpersprache und angriffslustiger Gesprächsführung ist sie keine Unbekannte in ihrem Umfeld und vor allem in der eigenen Familie geworden, und es besteht kein Zweifel daran, dass man bei dieser jungen Dame in jeder Hinsicht auf Granit beißen wird. Helga Anders setzt hier bemerkenswerte Akzente in einer zugegebenermaßen übersichtlichen Rolle, was natürlich dem Format der Serie geschuldet ist. Dennoch lässt sich unbedingt anmerken, dass dieser Part im Rahmen von Struktur und Effizienz vollkommen ausgeschöpft wurde, sodass man sich in Anders' Sequenzen wieder einmal staunend zurücklehnen kann, um ihre durchschlagende Wirkung zu erleben. Der Aufbau dieses Charakters ist denkbar einfach, daher auch vollkommen einseitig: Ein leerer Blick, von Hass dominierte Emotionen, eine starre und kalte Körpersprache die nur ein Wechselspiel eingeht, wenn es um Anschuldigungen oder Vorhaltungen geht. Ja, diese Christa Brückner ist einfach nur ein einziger wandelnder Vorwurf, der vor allem an die Adresse der zweiten Frau ihres Vaters geht.

»Soll ich dir sagen, was ich bei der Beerdigung empfinden habe? Befriedigung, nichts als Befriedigung.« Hierbei handelt es sich nur um eine der Kostproben von Christa Brückner, bei der man sich bei der Art und Weise ihrer Gesprächsführung fragt, was eigentlich geschehen sein muss, dass sie so ist, wie sie ist. Handelt es sich um eine mit aller Gewalt choreografierte Emotionslosigkeit, oder hat dieses Geschöpf einfach nur vergessen, dass tiefer Hass doch auch in dieser Palette zu finden ist? Nach kurzer Zeit eskaliert die Unterhaltung, jedoch nur für den Zuschauer, denn es handelt sich ohne jeden Zweifel um Alltag innerhalb der Familie. Ihre Kontrahentin ist wie erwähnt ihre widerwillig geduldete Stiefmutter, die von einer besonnen agierenden und ruhig wirkenden Marilene von Bethmann gegeben wird, was diese Brut nur noch zusätzlich in Rage zu bringen scheint. »Sprich bitte nicht in diesem Gouvernantenton mit mir. Du bist nicht meine Mutter!«, ist das letzte, was man von Helga Anders in einer Art lethargischen Trance zu hören bekommt, bevor sie das Szenario erbost verlässt, nachdem sie von ihrem Vater wie ein ungehorsames Mädchen gemaßregelt wurde. Das stark inszenierte Finale von "Teufelsbrut" wird erfreulicherweise Helga Anders gehören, das in Verbindung mit ihrem Auftreten und der melancholischen Musik von Frank Duval nachhallt und in deutlicher Erinnerung bleibt, obwohl man es vielleicht mit einem eher herkömmlichen Fall zu tun hatte. Für die Serie liefert Helga Anders mit ihrem Debüt einen hochkarätigen Gastauftritt und die bereits besprochenen, sehr präzise erspielten Komponenten werden durch einen ausgebrannten, nahezu innerlich verzweifelten Tenor einer eigentlich bemitleidenswerten Person unterstrichen, die ganz offensichtlich emotional vollkommen ausgehungert ist und bei der das Sprichwort »Blut ist dicker als Wasser« perfide umgekehrt wird. Eine großartige Leistung von Helga Anders.

Percy Lister
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Re: HELGA ANDERS

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Prisma hat geschrieben:Christa Brückner, bei der man sich bei der Art und Weise ihrer Gesprächsführung fragt, was eigentlich geschehen sein muss, dass sie so ist, wie sie ist.
Spontan fällt mir hier ein Zitat aus dem amerikanischen Film "Laura" ein, das vom männlichen Hauptdarsteller in einer Radiosendung gesprochen wird: "Sie währen nicht lange, die Tage des Lachens und des Weinens,". Bei der Figur, die Helga Anders darstellt, hallen die intensiven Gefühle, die sie auf den Rollentyp, der von Thomas Fritsch gespielt wird, fokussiert, sehr lange nach und werden immer stärker, je weniger Resonanz sie spürt. Sie wird regelrecht von ihren negativen Emotionen beherrscht, obwohl sie vorgibt, sich selbst zu beherrschen. Ihre Verletzungen kaschiert sie durch eine angebliche Gleichgültigkeit, doch diese führt im Normalfall zu Souveränität, was man von Christa Brückner nicht sagen kann - zu sehr wird sie noch immer von Hass, Eifersucht und Neid dominiert; einem Dreigespann an toxischen Empfindungen, die am Ende denjenigen zerstören, der sie aussendet.

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Prisma
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Re: HELGA ANDERS

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● HELGA ANDERS als WALTRAUD HEIMANN in
DERRICK - AUF EINEM GUTSHOF (D|1980)



In der "Derrick"-Episode "Auf einem Gutshof" kommt man nicht nur in den Genuss des bereits fünften Auftritts von Helga Anders, sondern man bekommt es außerdem mit einer insgesamt sehr spektakulären Besetzung zu tun, die durch sie, Horst Buchholz und Ellen Schwiers ein seltsames Dreier-Gespann bildet. Die Folge startet mit einer unheimlichen und vollkommen schweren Atmosphäre; Unwetter und Dunkelheit scheinen dabei die verheißungsvollen Vorboten für einen unmittelbar bevorstehenden Zwischenfall zu sein. Und tatsächlich lässt der Verlauf sich nicht lange bitten, nachdem die ungleichen Schwestern Waltraud und Marlene kurz durch Anders und Schwiers vorgestellt wurden. Ein Schuss ertönt durch die Nacht und verfehlt das anvisierte Ziel nur um Haaresbreite - so denkt man zumindest anfangs. Kurz darauf folgen die schweren Anschuldigungen des Opfers, sie habe eindeutig ihren eigenen Ehemann als Schützen identifiziert. Was in Theodor Grädlers Folge absolut auffällig erscheint, ist die Tatsache, dass bei den Rollenverteilungen variiert wurde, denn vor allem Ellen Schwiers ist vollkommen konträr zu ihrem hinlänglich bekannten Image eingesetzt worden, sodass Helga Anders das Regiment übernehmen wird, was sicherlich keine Ausnahme darstellt, hat man sie doch mehrfach in starken Frauenrollen gesehen. Waltraud Heimann, Studentin der Psychologie, präsentiert sich fortan als äußerst unbequeme Gesprächspartnerin, da sie die psychologischen Kniffe der Manipulation anderer offenbar im Schlaf beherrscht. Sie hinterfragt die Situation erst gar nicht, die beleuchtet nicht die andere Seite der Medaille und versteift sich vollkommen auf die schwerwiegende Behauptung ihrer älteren Schwester, um den Vorgang der Verurteilung zu beschleunigen und perfekt zu machen. Ihre Stärke zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich unbeirrbar und im Zweifelsfall auch unerbittlich zeigt, ohne den Willen, Kompromisse einzugehen.

Dieses Naturell verschärft die ohnehin angespannte Situation gegenüber ihrem Schwager, den sie offensichtlich nicht nur als Störfaktor in diesem Vakuum ansieht, sondern ihn als Projektionsfläche für Hass und Verachtung auserkoren hat, vielleicht weil diese neue Allianz, die dem Vernehmen nach erst ein halbes Jahr alt sein soll, einen unkalkulierbaren Kontrollverlust mit sich bringt. Man schaut auf Helga Anders und nimmt eines ihrer unzähligen Gesichter wahr und wundert sich zunächst darüber, dass sie jede Rolle so in sich übergehen lassen konnte. Dieser Eindruck rührt bestimmt aus dem bestehenden Bild der Interpretin her, die trotz niederster Charakterzüge immer noch als Sympathieträgerin identifiziert werden kann. Viele Filme und TV-Produktionen machten sich diese grundeigene Ambivalenz gewinnbringend dienstbar, und es ist und bleibt erstaunlich, dass man als Zuschauer immer wieder die gleiche Hingabe unter verschiedenen Voraussetzungen sehen kann. »Die Waltraud, die ist aus Eisen!«, hört man einen Mann beim Verhör durch "Derrick" ankündigen, was gleichzeitig einen nicht ausgesprochenen Hinweis auf die Schwäche der anderen Personen gibt und die damit verbundene emotionale Schraubzwinge mitschwingen lässt. In diesem Zusammenhang besticht Helga Anders erneut im Rahmen ihrer Körpersprache. Man sieht, dass sie ihre Aufgabe sehr ernst nimmt, man wartet auf Regungen, doch sie verzieht keine Miene. Lediglich wenn sie Torpedos auf andere schießt, oder diese mit aller Gewalt beeinflussen will, wird der Ton vehementer. Ihre Mundwinkel ziehen sich nach unten und der Blick wird stechender, sodass ihr jeweiliges Gegenüber erstarrt wie das Kaninchen vor der Schlange. Schließlich spielt sie häufiger ihre Stärke aus, die auf der offenkundigen Schwäche ihres Umfeldes basiert, und abschließend darf gesagt werden, dass Helga Anders wieder einmal eine sehr stichhaltige Interpretation zum Besten gibt, die diese ohnehin atmosphärische 73. Folge ungemein bereichert.

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Re: HELGA ANDERS

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● HELGA ANDERS als ELISABETH in
SCHREIE IN DER NACHT (D|I|1969)



Nach einem halben Dutzend Jahren im Filmgeschäft bewegte sich Helga Anders mit dem von Antonio Margheriti inszenierten Thriller "Schreie in der Nacht" bereits auf die Marke von 30 Auftritten in Kino und Fernsehen zu, sodass man vor allem von einer etablierten Größe in deutschen Produktionen sprechen kann. Hier handelt es sich um einen der wenigen Auftritte in deutsch-italienischer Co-Produktion, bei welchen festzuhalten bleibt, dass sie hier jeweils besonders wirksam inszeniert wurde. "Schreie in der Nacht" lebt sowohl von einer schaurigen Atmosphäre, als auch von besonders intensiven Darbietungen von weiblicher Seite, die durch völlig überraschende und hervorragende Interpretationen von Marianne Koch, Dominique Boschero und eben Helga Anders teils traumhaft untermalt werden. Dabei ist hier eine Helga Anders zu sehen, wie man sie eigentlich bereits hinlänglich präsentiert bekam, allerdings kommt es zu entscheidenden Modifikationen aufgrund der wenig subtilen Anlegung der Rolle. Elisabeth gehört zur besseren Gesellschaft. Was die Männer bei der tatsächlichen Jagd absolvieren, zelebriert sie im persönlichen Umfeld, indem sie potenzielle Liebschaften sondiert und ohne irgendwelche Zeit zu verlieren akquiriert. Das Geschlecht scheint ihr dabei egal zu sein, Hauptsache es kommt zu völliger Hingabe und einem auf sie bezogenen Verfall der Gegenseite. Elisabeth braucht das herausfordernde Gefühl, begehrt zu werden und in Liebesdingen als eine Art Elixier angesehen zu werden, da sie auf der anderen Seite bereit ist, mehr zu geben, als es andere tun. So wirkt die junge Frau überaus freizügig und leichtfertig, doch ihr Preis ist hoch, wie auch Vivian Taylor alias Marianne Koch am eigenen Leib erfahren muss. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine klassische liaison dangereuse, wie sie gefährlicher aber gleichzeitig erfüllender nicht sein könnte, da Elisabeth nie bereit ist, alles zu geben, obwohl es immer mehr erscheint, als bei vergleichbaren Beziehungen, die allerdings konventionell bleiben und unerfüllt zurücklassen.

Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass die Zeit, in der die Geschichte spielt, noch nicht einmal in einschlägigen Kreisen bereit für gleichgeschlechtliche Liebe, beziehungsweise Libido gewesen ist, und von daher ist es umso prekärer, dass Vivian und Elisabeth sich auf eine leidenschaftliche Affäre einlassen. Ihre Männer, die sie immer nur dann brauchen, wenn ihnen danach ist, besitzen keinen anderen Reiz als eine finanzielle Absicherung. Es ist nichts anderes mehr, als eine Rolle in der sogenannten besseren Gesellschaft zu spielen, in der man noch nicht einmal gewillt ist, an weniger als der Oberfläche zu kratzen. Helga Anders' Performance in dieser weit unterschätzten Produktion ist sozusagen anders, immerhin begibt sie sich auf ein Terrain, dass sie nicht wie üblich im Kreis der Sympathieträgerinnen platziert, sondern sie steht offensiv für Geheimnis, Leidenschaft, Ambivalenz und Sex. Anders' Rolle nimmt im Gesamtgeschehen keine besonders lange Zeit in Anspruch, ist überdies noch komplett als Rückblende angelegt, fasziniert aber von der ersten bis zur letzten Einstellung. Hinter ihrer unscheinbaren Fassade verbirgt sich eine zielstrebige Jägerin, die ihre Beute intuitiv über deren heruntergewirtschaftete Gefühle ausfindig macht. Es scheint dabei egal zu sein, bei wem und wann sie zuschlägt, nur ihr Wille, ihren eigenen Kopf durchzusetzen, ist entscheidend. Helga Anders ist als personifizierte Verführung sehr anziehend zurecht gemacht worden und man kann sie als Zuschauer ebenso fixierend verfolgen, wie sie es zu tun pflegt. Hartes Make-Up um die Augenpartien erinnert im weitesten Sinn an eine Kriegsbemalung, da sie auf ihrem Terrain eine Kämpferin zu sein scheint, wobei das jeweilige Gegenüber, wie beispielsweise Vivian, freiwillig und ohne Kampf kapituliert, aber gleichzeitig wirkt sie auch beinahe wie eine Puppe, zart und zerbrechlich, an deren Mimik ihre eigene stark erinnert. Es handelt sich schlussendlich um eine der vielleicht verführerischsten Darbietungen der beliebten Schauspielerin, die es sich näher anzuschauen lohnt.

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● HELGA ANDERS als HELI in
DERRICK - HALS IN DER SCHLINGE (D|1977)



»Ihr Vater ist tot!« Bevor der Arzt den Exitus, beziehungsweise den Tod durch Selbsttötung feststellen konnte, spielten sich dramatische Szenen im Hause Geserke ab. Offenbar zurück gekommen von einem ausgelassenen Abend, suchen Heli und ihr Bruder Ingo ihren Vater in ihrem unübersichtlich großen Haus, doch von ihm fehlt jede Spur, bis jedem ein lauter Schrei durch Mark und Bein geht. Plötzlich verlangt Heli ein Messer, um ihren erhängten Vater von seinem Strick auf dem Dachboden abzuschneiden. Der Fall hätte sich mit dem unkritischen Totenschein des Doktors von selbst erledigt haben können, doch Heli verlangt nach der Mordkommission, die noch darauf hingewiesen hatte, sich nicht mit Selbstmorden zu befassen. Helga Anders zeigt sich von ihrer temperamentvollen und vor allem hartnäckigen Seite, denn sie behauptet nachdrücklich, dass es sich um einen Mord handeln muss, schließlich passe diese Tat nicht zum Wesen ihres Vaters. Wer denkt, dass die Nerven blank liegen, liegt selbst falsch, denn Heli behält irgendwie die Nerven und beharrt darauf, dass dieser mysteriöse Fall von vorne herein untersucht wird, da für sie kein Zweifel daran besteht, dass es sich um heimtückischen Mord handelt. In ihrem zweiten von insgesamt sieben beachtlichen "Derrick"-Einsätzen wird es Helga Anders sein, die den Ton angibt, auch wenn sie aus dem Anschein nach konträr wirkenden biederen - oder wenn man so will - gut situierten, wohl behüteten Verhältnissen stammt. Ihre verzweifelten Schreie wirken lange nach, ihre Vehemenz beeindruckt, aber ihre Intention scheint nicht komplett klar zu sein, da man sie ein wenig in die weibliche Intuitionsecke abschieben möchte, was Überraschungen garantiert. Oberinspektor Derrick tut die Sache nicht ab, denn er hört sich im erweiterten Umfeld des Toten um, welches einstimmig berichtet, dass der vermeintliche Selbstmord völlig überraschend für alle sei. So schafft es Helga Anders schließlich als Einzelkämpferin, eine Lobby hinter sich zu vereinen, um den Zuschauer noch mehr zu verunsichern, die Polizei aber in die richtige Richtung vor sich herzutreiben.

Wie ist Heli zu beschreiben und was treibt sie eigentlich an? In Krimiserien gab es unzählige Fälle von Doppelleben oder gefallenen Vorhängen, sodass es zumindest im Bereich des möglichen liegt, dass sich der Vater des Hauses selbst das Licht ausgeknipst hat. Dagegen sprechen eine intakte Firma, berufliche Ambitionen und ein völlig ausgeglichener Mensch. Die Tochter betont ohne Unterlass, dass sie ihren Vater gut genug kannte, um einen Selbstmord auszuschließen, ihr Bruder sagt nichts dergleichen und nimmt die erste Diagnose der Polizei dankend, wenn auch nervös an, da er schließlich den Chefsessel seines Vaters im Visier hat. Langsam aber sicher baut sich eine ausgewogene Anspannung aus, die hauptsächlich von Helga Anders und ihrer Unnachgiebigkeit ausgeht. Dabei agiert sie ohne Rücksicht auf Verluste, Sentiments anderer und demonstriert, dass es ihr egal sei, welcher Kopf am Ende rollen wird. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der Interpretin in diversen Einsatzgebieten zeigten sich auch insbesondere in Episoden wie diesen, da sie sich in die jeweilige Person hinein versetzt. Hier geschieht dies besonders lautstark und beinahe gebieterisch, doch ihr ist klar, dass sie Unterstützung der Polizei braucht. Bei genauerem Überlegen wäre es vielleicht nicht einmal besonders schwer herauszufinden, wer für den unterstellten Mord in Frage käme, doch Anders bleibt auf ihrer eingeschlagenen Route und fällt durch unbequeme Fragen und Sticheleien auf, die auch vor ihrem eigenen Bruder Ingo nicht halt machen werden. Heli tut dies nicht aus Veranlagung, das heißt, sie hat kein Interesse daran, andere zu quälen oder zu kompromittieren, aber in dieser Ausnahmesituation muss es zu Erfolgen kommen, denn das ist sie ihrem Vater und seiner Rehabilitation schuldig. Helga Anders bleibt insgesamt mit einer leidenschaftlichen Performance, einer normalerweise abwartenden aber lebensfrohen Person in Erinnerung, die von externen Umständen dazu gezwungen wird, aus ihrer Komfortzone herauszukommen. Im "Derrick"-Universum stellt diese Etappe also nur eine weitere Nuance ihren breit angelegten Könnens dar.

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Re: HELGA ANDERS

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● HELGA ANDERS als ANITA WILL in
DER ALTE - BRUDERLIEBE (D|1980)



»Du Anita, auch auf die Gefahr hin, dass du mich ne alte Gouvernante nennst. Bitte trink nicht so viel und lass ein bisschen Dampf ab, du treibst es zu doll!« Die wohlwollenden aber dennoch deutlichen Worte ihrer Kollegin Karin weisen eindeutig darauf hin, dass man es bei Anita will mit einer Überzeugungstäterin zu tun hat; eine Beschreibung, die wohl ihre Neider oder Kritiker verwenden würden. Ganz selbstverständlich verweist sie darauf, dass sie jung sei und sich amüsieren wolle. Es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn nicht eine gewisse Gefahr bestehen würde, permanent ausgenutzt zu werden. Die Männer stehen auf die Leichtfertigkeit der so unschuldig wirkenden technischen Zeichnerin, die Kollegen aus ihrem Betrieb haben sie deutlich im Visier, einer behauptet sogar, dass er sie lieben würde. Anita ist nicht interessiert an einer festen Beziehung, sondern nur an Spaß und Leben; wer würde etwas Verwerfliches darin sehen. Ihre Kollegin Karin tut dies auch nicht, denn sie möchte sich erst gar nicht als moralische Instanz aufspielen, da sie einfach andere Ansichten hat, ihre Kollegin aber aufrichtig mag. Die Warnung zielt daher vor allem in Richtung Männer ab, deren Unberechenbarkeit Anita in den entscheidenden Momenten nicht mehr entschärfen könnte. Für Helga Anders handelt es sich in dieser 43. "Der Alte"-Episode um einen ganz obligatorischen Auftrag, denn die Interpretin hat die engelsgleiche aber gleichzeitig verführerische Lolita schon so häufig spielen dürfen, auch wenn ihr eigenes Alter diesen Typ schon bald nicht mehr hergegeben hat. Eigentlich. Der Zuschauer schaut auf eine unbekümmerte Einstellung zum Alltag, vielleicht zum ganzen Leben, sieht aber ebenfalls eine deutliche Gefahr für die attraktive Frau, da in einer derartigen Serie ja immerhin ein Mordopfer präsentiert werden muss. Wie dem auch sei, Helga Anders treibt ihr Katz-und-Maus-Spiel auf die Spitze. Deutlich angetrunken, impulsiv und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, schaut sie sichtlich vergnügt dabei zu, wie sich zwei junge Männer um sie prügeln. Der Gewinner erhält wohl wie üblich die Trophäe namens Anita.

Helga Anders' Schauspiel ist ausgelassen, fein abgestimmt auf die doch sehr kleinbürgerlich wirkenden Rahmenbedingungen und die kurze Auftrittsdauer, die ein Mordopfer meistens nur zur Verfügung hat. Allerdings kommt das Publikum bei der Auflösung in den Genuss, sie erneut zu sehen, wenn sich alles zusammenfügt. Anita stichelt die Männer gerne an, sie hat keine ernsten Ambitionen, schon gar keine, die eine konservative Gesellschaft vorgibt. Ihr Fehler ist, dass sie ihre eigenen Grenzen und vor allem die der anderen nur schwer einschätzen kann. Sie lacht ihre Verehrer aus. Einmal, zweimal, mehrmals, was die Luft zum Brennen bringt. Am Ende kann sie sogar bei einem der Junior-Chefs landen, einem trockenen Alkoholiker in feucht-fröhlichen Zuständen, der dazu stilisiert wird, zu allem fähig zu sein. Man findet Anita tot in seinem Wagen, einem Cabriolet. Hier ist bei strömendem Regen leider zu sagen, dass sie als Leiche ein paar unkontrollierte Regungen mit ihren Augen macht, was die durchaus atmosphärische Inszenierung ein wenig abstuft. Die Familie versucht den bedauerlichen Vorfall unter den Teppich zu kehren, am liebsten unter einen jedes anderen. Anteilnahme oder Bestürzung ist nicht wahrzunehmen. Interessanterweise spart das Script sich eine Charakterisierung einer Art Hure, sodass Anitas eigene Worte als Erklärung zurückbleiben. Sie will Leben, oder wollte es zumindest. Helga Anders präsentiert schließlich eine ihrer leichtesten Fingerübungen im Rahmen einer Rolle, die sie zuvor bereits oft innerhalb gewisser Modifikationen zu absolvieren hatte. Am Ende fragt man sich tatsächlich, ob es überhaupt eine überzeugendere Interpretin für diese Muster hätte geben können, daher kann man mit dieser kurzen Leistung durchaus zufrieden sein. Trotz Totenstarre bleibt eine lebendige Performance und ein Blickfang innerhalb der steifen Gesellschaft zurück, die von der Matriarchin der Firma bis ins letzte Detail durchchoreografiert zu sein scheint, wenngleich sie den Mord sicherlich nicht mit einkalkuliert hatte. Oder doch? In der Episode "Bruderliebe" wird Helga Anders alias Anita Will die Antworten als Corpus Delicti liefern.

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