DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

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Horst Buchholz

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● DAS TOTENSCHIFF (D|MEX|1959)
mit Mario Adorf, Helmut Schmid, Alf Marholm, Werner Buttler, Dieter von Keil, Panos Papadopulos, Günter Meisner,
Marielouise Nagel, Claudia Gerstäcker, Albert Bessler, Karl Lieffen, Alfred Balthoff, Edgar O. Faiss und Elke Sommer
eine Produktion der UFA | Producciones José Kohn | im UFA-Filmverleih
ein Film von Georg Tressler

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»Sie sind doch sicher glücklich hier an Bord der Yorikke Dienst zu tun!«


Der amerikanische Seemann Philip Gale (Horst Buchholz) geht in Antwerpen an Land. Um die harte Arbeit für kurze Zeit vergessen zu können, zieht es ihn in das Amüsierviertel der Stadt. Er lernt ein leichtes Mädchen (Marielouise Nagel) kennen und verbringt die Nacht mit ihr. Am nächsten Tag stellt er fest, dass ihm sein Geld gestohlen wurde, doch viel schlimmer ist, dass auch seine Papiere verschwunden sind. Außerdem ist sein Schiff bereits vor dem abgemachten Termin ausgelaufen. Ohne seine Seemannspapiere ist es ihm unmöglich, an eine Heuer zu kommen, und er wird von der belgischen Polizei abgeschoben. Philip muss irgendwie nach Marseille kommen, weil man dort auch ohne Legitimation eine Arbeit bekommen könne. An seinem französischen Ziel angekommen, findet er zu seinem Glück tatsächlich eine Heuer als Trimmer auf einem Schiff. Die "Yorikke" entpuppt sich jedoch als erschreckend heruntergekommener Frachter, auf dem die Arbeitsbedingungen nicht nur knochenhart, sondern auch unmenschlich sind. Er freundet sich mit dem Kohlenschlepper Lawski (Mario Adorf) an, der ihm die unglaubliche Wahrheit über die "Yorikke"anvertraut...

Regisseur Georg Tressler arbeitete hier nach "Die Halbstarken" und "Endstation Liebe" bereits zum dritten Mal mit seinem Star Horst Buchholz zusammen, den er als modernen und unkomplizierten Schauspieler bezeichnete. Diese deutsch-mexikanische Co-Produktion der Ufa wurde ebenfalls zum großen Erfolg und beeindruckt in ihrer realistischen und ungeschönten Umsetzung und in der tragischen Darstellung von Einzelschicksalen. Der Film ist in allen Belangen als Meisterleistung zu bezeichnen und wirkt auch nach über sechzig Jahren kein bisschen angestaubt. Es werden Ängste angesprochen, die jeden plagen könnten: Plötzlich und ohne eigenes Verschulden in einem Alptraum zu landen, sich bei zwei Entscheidungsmöglichkeiten für die fatalste Variante zu entscheiden, jemandem komplett ausgeliefert zu sein und aus der Situation nicht mehr herauszukommen, oder komplett ohne Identität zu sein. Hauptdarsteller Horst Buchholz ist hier nur innerhalb dieser mitreißenden Geschichte auf einem falschen Dampfer, und ansonsten ist zu sagen, dass man mit dem charismatischen Schauspieler hier die allererste Wahl getroffen hat. Er spielt unkonventionell und dynamisch, es schimmern immer wieder Kostproben seines Humors durch, der sich im weiteren Verlauf in Galgenhumor verwandeln wird. Er wirkt im Film jeder Anforderung und jeder Situation gewachsen, sein breites Repertoire und seine natürliche, sympathische Erscheinung lassen das Publikum in jeder Minute mitfiebern.

Mario Adorf, der schon alleine durch seine markante Erscheinung wirkt, als sei er unverzichtbares Inventar dieser Andeutung eines Schiffes, steht ihm in nichts nach. Er lockt Philip unter Vorspiegelung falscher Tatsachen auf die "Yorikke", um es mit seiner Hilfe bei der eigenen Arbeit leichter zu haben. Aus der anfänglichen Antipathie entsteht schließlich eine Freundschaft, die die unsäglichen Umstände halbwegs erträglich werden lassen. Helmut Schmid spielt die Rolle des wenig umgänglichen Heizers Martin, unter dessen Aggressionen sein Umfeld stark zu leiden hat. Er wird einige Male mit Philip aneinander geraten, sodass ein Kampf zwischen mentaler und körperlicher Überlegenheit entsteht. Ebenfalls hervorragend wirkt Alf Marholm, als Kapitän den Totenschiffs. Er vereint Skrupellosigkeit und Zynismus in einer ganz bitteren Mischung und wirkt genau wie Werner Buttler, der hier als seine rechte Hand fungiert, abstoßend und widerwärtig. Die darstellerischen Leistungen bewegen sich bis in die Nebenrollen hinein auf überdurchschnittlichem Niveau. Bevor der Kampf ums nackte Überleben losgeht, strahlt Elke Sommer als letzter Hoffnungsschimmer für den Seemann Philip auf. Er trifft sie per Zufall, und Mylène wird das einzige Mädchen in seiner wohl langen Liste sein, an die er mit aufrichtigem Gefühl zurückdenken wird. Elke Sommer wirkt hier wie der Prototyp einer Mischung aus Versuchung und Unschuld. Dementsprechend verhält sie sich scheu und zurückhaltend.

Die schöne Blondine ist kein leichtfertiges Mädchen und träumt einerseits von einer gemeinsamen, bürgerlichen Zukunft. Andererseits hat sie durch ihre offene Art etwas indirekt Aufforderndes an sich, von ihrer klassischen Schönheit ganz zu schweigen. Elke Sommer sieht man rund zehn Minuten, ziemlich am Anfang der Geschichte, und ihrer kleinen Rolle kann sogar eine gewisse Tragweite zugesprochen werden, da nicht nur Philip noch mehrmals an sie denken wird. Mit ihr bekommt die Hoffnung eines ihrer schönsten Gesichter, doch es wird eine andere Dame in das Leben von Philip treten: Die "Yorikke". So spielt dieses schrottreife verkommene und kurz vor dem Kollaps stehende Schiff eine weitere Hauptrolle im Film, die hervorragend in Szene gesetzt ist. Als sie zum ersten Mal auftaucht, herrscht Stille bei der Besatzung. Die Musik versetzt hierbei einen großen Paukenschlag. Die ersten Bilder im Profil und an Deck lassen es einem beinahe die Sprache verschlagen und man zweifelt sofort an der Seetüchtigkeit dieses Frachters. Alles ist verdreckt, heruntergekommen und trostlos; erstaunt beobachtet man nur einen riesigen Haufen Schrott. Das Raffinierte bei der Umsetzung ist, dass nicht das Unheil naht, wie es der Volksmund gerne sagt, sondern dass die Besatzung dem Unheil hinterher läuft. Besorgte und resignierte Mienen veranschaulichen, dass die Beteiligten es mit einer ausweglosen Situation zu tun haben. Dieses Schiff beherbergt ein Sammelsurium von Gestalten, die entweder einiges auf dem Kerbholz haben, oder die vor dem Schicksal davon laufen möchten.

Die Besatzung besteht somit bereits aus Toten, im sozialen, gesellschaftlichen oder sogar moralischen Sinn. Das mutmaßliche Schiff wirkt wie ein Fluch und schwebt selbst an Land wie ein Schatten über der Crew. Eine Einstellung zeigt Horst Buchholz und Mario Adorf bei einer Unterhaltung: Man sieht das wunderschöne Panorama der Stadt, in der sie angelegt haben, und in der Ferne sieht man die "Yorikke" in ihrer Silhouette, die wie eine gierige schwarze Witwe lauert. Bemerkenswert an dieser Produktion ist, neben der kompetenten und eindringlichen Umsetzung, dass die gesellschaftskritischen Untertöne genau wie die Anprangerung eines kalten Kapitalismus auch heute noch brandaktuell sind, und wohl immer bleiben werden. Natürlich ist das hier gebotene Zeitfenster ausschlaggebend, aber man könnte die "Yorikke" im übertragenen Sinne heute mit diversen anderen Missständen vergleichen. Für damalige Verhältnisse ist außerdem das Aufzeigen oder Andeuten gewisser "Milieustudien" verhältnismäßig offen gewesen, denn der Film zeigt sich unmissverständlich und vor allem direkt. "Das Totenschiff" verfügt über einen sehr spannenden und in seinen brisantesten Phasen schockierenden Verlauf, präsentiert insbesondere im letzten Drittel spektakuläre Szenen und extravagante Kamerafahrten. Die Musik von Roland Kovac erweist sich stets als hervorragendes Stilmittel, welches ebenso sinnlich, als auch aufwühlend präsentiert wird. Georg Tressler inszenierte nach der Romanvorlage von B. Traven einen herausragenden Spielfilm, der mit seiner sparsamen Ausnutzung von Effekten nicht nur durchweg überzeugend ausgefallen ist, sondern im Nachgang auch zu Denken gibt. Ein herausragender Film.

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Sid Vicious
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Re: DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

Beitrag von Sid Vicious »

Ich hatte den Film erstmals im TV geschaut (entweder 24:00 Uhr oder 00:30 Uhr, es war jedenfalls schon sehr spät), dass ist schon ewig her, denn es gab noch eine Programmansagerin, die darüber aufklärte, dass es sich um einen der 100 besten Filme aller Zeiten handelt. Einst fand ich den Film okay, heute würde ich allerdings ein paar Schippen Begeisterung drauflegen.
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Prisma
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Re: DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

Beitrag von Prisma »

Das ist immer schwierig mit derartigen Einschätzungen, ob es sich um einen der besten 100 Filme aller Zeiten handelt, aber in der eigenen Liste kommt er bestimmt darin vor. "Das Totenschiff" habe ich das erste Mal als Kind gesehen und ich war gleich begeistert. Auch hier hatte ich wieder das Glück, dass mein Vater den mal irgendwann auf Video aufgenommen hatte. Diese beklemmende und völlig trostlose Atmosphäre ist mir sehr lange im Gedächtnis geblieben, außerdem die hervorragende Bebilderung und die darstellerischen Leistungen. Ich schaue mir den Film immer wieder mit Begeisterung an, da es auch nach all den Jahren immer noch Neues zu entdecken gibt.

Percy Lister
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Re: DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

Beitrag von Percy Lister »

"Das Totenschiff" (Deutschland / Mexiko 1959)
mit: Horst Buchholz, Mario Adorf, Helmut Schmid, Elke Sommer, Alf Marholm, Werner Buttler, Panos Papadopoulos, Edgar O. Feiss, Günter Meisner, Albert Bessler, Claudia Gerstäcker, Karl Lieffen, Alfred Balthoff, Marieluise Nagel, Erik Radolf, Dieter von Keil, Bernhard Caspar, Emmy Burg u.a. | Drehbuch: Hans Jacoby, Georg Tressler und Werner Jörg Lüddecke nach dem Roman von B. Traven | Regie: Georg Tressler

Philip Gale, ein amerikanischer Seemann, versäumt nach einer Nacht in Antwerpens Amüsierviertel nicht nur sein Schiff, sondern bemerkt auch noch den Verlust seines Bargeldes und seiner Arbeitsbewilligung. Ohne Papiere darf er nicht an Bord eines regulären Schiffes, weswegen er versucht, sich nach Marseille durchzuschlagen, wo man es angeblich mit Ausweispapieren nicht so genau nimmt. Er heuert auf dem Frachter "Yorikke" an, der einen heruntergekommenen Eindruck macht. Der polnische Kohlenschlepper Lawski erzählt ihm vom perfiden Plan des Kapitäns: Die "Yorikke" ist weit über Wert versichert und soll auf offener See untergehen....

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Als die Ufa im Jahr 1962 Insolvenz anmelden musste, wurde nach Schuldigen gesucht und neben dem Chef Arno Hauke auch Spielfilme ausgemacht, die vom Publikum nicht angenommen wurden - unter anderem die Produktion "Das Totenschiff", für die anfangs entweder Rolf Thiele oder Alfred Weidenmann als Regisseur vorgesehen waren. Georg Tressler, den Horst Buchholz vorgeschlagen hatte, setzte sich am Ende für die Spielleitung durch. Die Presse nahm den Film bei seiner Uraufführung zwiespältig auf. Dabei war lange am Drehbuch gearbeitet worden, einige Änderungen diskutiert und verschiedene Möglichkeiten erwogen worden. Der Autor der Vorlage musste das Script absegnen, was er kurz vor Beginn der Dreharbeiten auch tat. Die vielen Querelen rund um die Produktion des schonungslosen Stoffes befeuerten die Stimmung, welche den Film dominierte, zusätzlich und gehören nicht nur zur Legendenbildung, was bei Unstimmigkeiten zwischen den Schauspielern anfing und mit einem Gerichtsprozess zwischen den Produktionspartnern endete. Der raue Ton herrschte also nicht nur auf der Leinwand, sondern auch hinter den Kulissen, wobei es gar nicht so einfach war, diese überzeugend in Szene zu setzen. Ein gemieteter Schoner wurde auf alt getrimmt und diente als "Yorikke" dem Sinnbild für den Niedergang der Menschheit. Viele Szenen wurden jedoch in den Studios in Berlin Tempelhof gedreht, wo u.a. die Maschinenräume des Schiffes nachgebaut wurden. Die optische Brillanz der bedrohlichen Sequenzen ist sehr einnehmend und realistisch und lässt vergessen, dass viele tödlich wirkende Handlungselemente auf Hebebühnen gedreht wurden statt auf offener See. Die Dramatik der sich zuspitzenden Ereignisse sorgt zusammen mit der aufwühlenden Musik von Roland Kovac für Nervenkitzel und Anteilnahme, die am Ende selbst jene Charaktere erfasst, die sich anfangs als wenig vertrauenswürdig erwiesen haben. Wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm wirkt deshalb jener Abschnitt des Films, der die Begegnung zwischen dem Seemann Philip mit der Bahnwärtertochter Mylène thematisiert.

Philip und Mylène - abseits der lauten, geschwätzigen Spelunken und fern von der kohlengeschwärzten, abgewrackten "Yorikke" - bewegen sich die beiden in einer sonnengefluteten, friedlichen Illusion, wohlwissend, dass ihr kleines Glück nicht von Dauer sein wird. Ihre erste Begegnung am Bahndamm vermittelt Vertrauen, ein natürliches Bedürfnis, jemandem glauben zu können. Vorurteilslos wie unschuldige Kinder finden sich Philip und Mylène in Gesten der Zuneigung und Worten der Verbundenheit. Die anfängliche Scheu weicht der Neugier und diese wiederum der Angst, den anderen bald wieder zu verlieren und dann noch einsamer zu sein als zuvor, weil der Verlust gegenwärtig wird und das Vakuum, das vorher schon existierte, nun durch die Sehnsucht nach dem Traumbild nachhaltig betont wird. Während von Plänen und Aufgaben gesprochen wird, eilen die Gedanken bereits wieder voraus, in eine ungewisse Zukunft, aber eine Zukunft ohne den anderen. Die Poesie dieser fragilen Momente lässt die Luft vibrieren und für einen Augenblick vergessen, dass ein Schiff wartet, so unbarmherzig wie der Tod auf die Lebenden. Wie eine warme Sommerbrise, die er immer dann im Nacken spürt, wenn er sich fragt, wie es weitergehen soll, wird Mylène als Synonym für verlorenes Glück noch lange in seinen Gedanken fortbestehen. Sie gibt ihm für Augenblicke Halt durch die Kraft der Erinnerung und tröstet ihn in Stunden der Hoffnungslosigkeit. Einen Freund findet Philip in Stanislav Lawski, der zunächst an seinen eigenen Vorteil denkt, im klugen und unkonventionellen Amerikaner dann jedoch einen Verbündeten findet, der sich von der dumpfen Masse der Seemänner abhebt, die teils stoisch, teils mürrisch ihren Dienst auf der "Yorikke" tun, ohne an ein Gestern oder ein Morgen zu denken. Einige von ihnen sind verurteilte Verbrecher, die andernfalls am Galgen gelandet wären, wenn sie nicht vom Kapitän eingestellt worden wären. Die Voraussetzungen für Spannungen und Konflikte liegen deshalb auf der Hand und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der emotionale Sprengstoff entlädt.

Horst Buchholz war bereits auf dem Sprung nach Amerika, als er das Engagement für "Das Totenschiff" annahm. Die Zerrissenheit, nirgends einen sicheren Hafen zu haben, an dem er anlegen kann, ohne sich entweder als Gast oder als Gejagter zu fühlen, verkörpert er in seiner Rolle trotz aller Verzweiflung mit einer Spur Eigensinnigkeit und der Absicht, sich nichts gefallen zu lassen. Er schlägt sich wacker und geht Risiken ein, als er sich mit den harten Männern der "Yorikke" anlegt, wohlwissend, dass er auf keinem anderen Schiff unterkommen wird. Das Abhängigkeitsverhältnis scheint viele Schikanen zu rechtfertigen, die nicht nur ihn betreffen, sondern jeden mit eiserner Faust traktieren, der sich noch nicht resigniert in sein Schicksal ergeben hat. Die obskuren Machenschaften des Kapitäns finden den passenden Rahmen auf dem schäbigen Kahn, der längst dem Tode geweiht ist und dennoch Heimat bietet für jene, deren Lebensweg den rauen Stürmen ihrer persönlichen Existenz nicht standhalten konnte und die in der "Yorikke" eine ebenso gebeutelte, unbarmherzige Leidensgefährtin sehen. Hineingepfercht in enge Kojen und gegen den Stillstand anschaufelnd unter Hitze und Anspannung, werden Meisner, Schmid und Adorf ordentlich an die Kandare genommen. Zunächst sieht es so aus, als wäre die Besatzung des Schiffes ebenso furchteinflößend wie der dunkle Schatten der "Yorikke", die wie ein schlafendes Monster in Lauerstellung verharrt, um unvermittelt zuschlagen zu können. Kolosse wie Helmut Schmid und Mario Adorf stemmen sich gegen die Glut aus den Kohlekesseln ebenso wie sie gelernt haben, ihre Muskeln gegen aufmüpfige Kameraden einzusetzen. Weitaus verheerender sind jedoch Alf Marholm und Werner Buttler, die ihre hinterhältigen Absichten weniger offen zeigen, dafür jedoch zerstörerische Fantasien pflegen. Die Mannschaft ist für sie nur die Staffage für einen Versicherungsbetrug und bedeutet ihnen ebensowenig wie die heruntergewirtschaftete "Yorikke". Mit Gewalt wird das Werk vollendet, das ohnehin früher oder später durch den Zahn der Zeit seinen Lauf genommen hätte.

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Prisma
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Re: DAS TOTENSCHIFF - Georg Tressler

Beitrag von Prisma »



Filmische Adaptionen, denen bekannte Romanvorlagen oder gar Bestseller zugrunde liegen, wurden von der zeitgenössischen Kritik gerne qualitativ relativiert oder vorsichtig bis offensichtlich degradiert, vor allem vergleichsweise. Dabei wurde auch gerne ausgeklammert, dass der Film naturgemäß ganz andere Interessen verfolgen muss. Georg Tresslers "Das Totenschiff" kam nicht unbedingt schlecht bei Bewertungen weg, aber ihm wurde nicht die Brillanz bescheinigt, über die der bildgewaltige Verlauf verfügt. Wenn das Schicksal seinen Lauf nimmt, können dabei viele unterschiedliche Wege genommen werden; hier bekommt der Zuschauer eine Horde lebender Toter angeboten, die allesamt mit der gleichen Dame verheiratet sind, nämlich dem schrottreifen Schiff "Yorikke". Das Anschauen des Films wird jedes Mal zu einem ganz neuen Erlebnis, da die Vielschichtigkeit sich immer wieder neu und von vorne aufrollen lässt, ob unter sozialkritischen oder unterhaltungstechnischen Gesichtspunkten, die wohlgemerkt nicht verwerflich sind. Georg Tressler präsentiert sich als Routinier mit einem enormen Gespür für schockierende und epische Momente, welches den Verlauf über Amplituden und durch tiefe Täler schickt. Im Grunde genommen ist die Inszenierung zeitweise vielleicht minimalistisch aber mindestens einmal klassisch ausgefallen, verfügt allerdings über ein beneidenswertes Timing und ein überaus waches und unerschrockenes Auge der Kamera. "Das Totenschiff" ist ein atemberaubender und denkwürdiger Film zugleich, der das mehrmalige oder immer wiederkehrende Anschauen lohnt, da sich die Zeiten in Bezug auf die Niedertracht des Einzelnen in Jahrzehnten nicht gravierend geändert haben und dies wohl auch in Jahrzehnten nicht passieren wird - und das leider im negativsten aller Sinne. Für die Produktion gilt dies jedoch nicht, handelt es sich immerhin um einen der besten deutschen Filme der 50er-Jahre.

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