VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT - Dario Argento

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Prisma
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VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT - Dario Argento

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● QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO / QUATRE MOUCHES DE VELOURS GRIS / VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT (I|F|1971)
mit Michael Brandon, Mimsy Farmer, Francine Racette, Jean-Pierre Marielle, Marisa Fabbri, Aldo Bufi Ladi, Calisto Calisti, Oreste Lionello,
Fabrizio Moroni, Stefano Satta Flores, Tom Felleghy, Laura Troschel, Gildo Di Marco, Guerrino Crivello, Leopoldo Migliori sowie Bud Spncer
eine Produktion der Seda Spettacoli | Universal Productions France | im Verleih der Cinema International Corporation
ein Film von Dario Argento

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»Glaubst du mir nicht?«


Roberto Tobias (Michael Brandon), der Schlagzeuger einer Rockband, fühlt sich seit mehreren Tagen von einem unbekannten Mann beobachtet und verfolgt. Als er diesen zur Rede stellen will, tötet Roberto ihn im Affekt, wird aber gleichzeitig von einem Maskierten fotografiert. Ab sofort beginnt ein perverses Psycho-Spiel zwischen ihm und dem Unbekannten. Es geschehen weitere bestialische Morde, die so gelenkt werden, dass Roberto immer mehr in den Verdacht gerät, sie begangen zu haben. Auch seiner Frau Nina (Mimsy Farmer) erzählt er nichts von den Geschehnissen, bis sich die Schlinge um Robertos Hals immer enger zuzieht...

"Vier Fliegen auf grauem Samt" komplettiert neben "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" und "Die neunschwänzige Katze" Dario Argentos sogenannte Tier Trilogie, wobei diese Produktion aus dem Jahr 1971 in der Bundesrepublik nicht mehr unter dem Banner Bryan Edgar Wallace vermarktet wurde, sprich: auch keine deutsche Produktionsfirma wie etwa die cCc oder Terra Filmkunst beteiligt war. Dies schlägt sich nicht unbedingt thematisch nieder, sondern lediglich in der Tatsache, dass keine deutsche Beteiligung mehr im Stab zu finden ist, was im Zweifelsfall und auf das persönliche Ranking bezogen zu Abstufungen nach hinten führen könnte, immerhin liegt die inszenatorische Messlatte mit Argentos Debüt sehr hoch. In dieser Geschichte kommt es überraschenderweise zu einer Ausdünnung von Sympathieträgern, wenngleich sich doch ein paar Protagonisten identifizieren lassen, was für eine interessante Art der Unterhaltung steht, da man sich als Zuschauer sehr mit seinen Prognosen bezüglich des Handlungsverlaufs zurückhält. Die Geschichte beginnt unheimlich, das Publikum wird erneut zum Komplizen von Opfer und gleichzeitig Mörder, dessen unheimliche Maskierung auf einen Wahnsinnigen schließen lässt. Oder eine Wahnsinnige? Die Hauptpersonen sind jung, scheinen gut situiert, und die Frage nach der Wahrscheinlichkeit dieser Konstellation wird durch eine bemüht modern und unabhängig wirkende Attitüde weggewischt. Obwohl man schnell der Seite Michael Bradnons zugewiesen wird, bleibt die Unzufriedenheit, die eigene Solidarität einer Person zugestehen zu müssen, die nicht besonders sympathisch und empathisch wirkt. Seine Partnerin Mimsy Farmer lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Gewollt oder nicht, schlecht gespielt oder nicht, Strategie der Regie oder nicht oder ist tatsächlich alles so ungewiss wie geplant? Dario Argento kann es kaum verbergen, dass Leistungsvolumen und Fantasie mit jedem weiteren Film sukzessive abgenommen haben, da es ihm nicht mehr möglich war, sich selbst neu zu erfinden, wenngleich "Vier Fliegen auf grauem Samt" alles andere als einen schwachen Film darstellt.

Der Film beginnt mit einem tödlichen Unfall, der erst durch einen unheimlich maskierten Zeugen zum Mord stilisiert werden könnte, immerhin hat die unkenntliche Figur Fotos von der Situation geschossen. Da hier auch der Letzte nicht mehr an den Zufall glaubt, lässt man sich voller Spannung auf das hier angebotene Mordkomplott ein, dessen Verlauf und Ausgang durch gekonnte Winkelzüge relativ ungewiss bleibt, es sei denn, die Materie Giallo ist einem nicht fremd. Die folgenden Morde fallen erneut durch eine überaus grausame Exposition auf, und da diese nicht linear wirken, wird für eine Unberechenbarkeit gesorgt, die jederzeit und vor allem bei jedem zuschlagen könnte, immerhin wird alles verwendet, was noch einen drauf setzen kann, wie etwa Drahtschlingen, Giftspritzen oder Schlachthofmesser. Wenn man so will, zelebriert Dario Argento wieder einmal den unkonventionellen, gegen Ende seines Films sogar den ästhetischen Tod. Über visuelle Aspekte kann auch hier abendfüllend diskutiert werden, denn es kommt zu immer beispielloser werdenden Kamerafahrten, die in tödlichen Einbahnstraßen enden, Kapriolen, die zu Atemlosigkeit führen, und einer Nähe, die beunruhigend wirkt. Die Hauptpersonen versprühen leider nicht den gleichen Esprit und es fehlt anscheinend an wichtiger Agilität, aber sie erfüllen ihren Zweck als wandelnde Täuschungsmanöver oder zu Unrecht Verdächtigte. Der US-Amerikaner Michael Brandon stattet seine Rolle mit einer eigenartigen Lethargie aus, die nicht ausschließlich auf seine Film-Situation und privaten Umstände zurückzuführen sind. Ihn mit der Hauptrolle zu betrauen bleibt daher ein Schleudersitz, da es ihn an Ausdrucksfähigkeit fehlt. Dies gilt im Besonderen für seine Landsfrau Mimsy Farmer, deren Gestaltungsmöglichkeiten sich innerhalb weniger starrer Stilmittel abspielen und unterm Strich unbefriedigend bleiben. So darf Farmer mit einem immer gleich bleibenden Gesichtsausdruck quasi gegen die Ziellinie fahren. Die Verpflichtung der beiden Interpreten weist möglicherweise auf eine Orientierung am amerikanischen Markt hin, wie es zuvor auch eine Ausrichtung zum europäischen Kino gab.

Einer attraktiven Francine Racette und nervös agierenden Marisa Fabbri ist es in ihren kleineren Rollen vergönnt, bizarre Akzente zu setzen, ebenso wie es Bud Spencer tut, dessen Mitwirkung manchmal wie ein Fremdkörper in dieser Produktion wirkt, die aber generell auf nicht alltäglich und handelsüblich wirkende Charaktere setzt. Eigentlich. Den wohl besten und intensivsten Part hat der ausdrucksstarke Franzose Jean-Pierre Marielle erwischt, der als homosexueller Privatdetektiv ohne jegliche berufliche Erfolge des Rätsels Lösung herbeizaubern soll. Im weiteren Verlauf kommt es zu unerwarteten, teils unorthodoxen Wendungen, die den Zuschauer nicht nur irritieren, sondern fast vor den Kopf stoßen, und die Suche nach dem Mörder intensiviert sich unter Dario Argentos Regie vor allem, wenn man dem über weite Strecken rätselhaft wirkenden Titel auf die Spur kommt, dessen Auflösung ebenso geistreich wie abwegig erscheint. "Vier Fliegen auf grauem Samt" verfügt über eine kühne Bildgestaltung und verankert sich über eindringliche und bestialische Ermordungsszenen im Gedächtnis, vor allem aber wegen eines Finales, welches eine unerschrockene Melange aus Ästhetik und Schock eingeht, das Puzzle spektakulär zusammenfügt, um unter Maestro Ennio Morricone seine Erfüllung zu finden. Dem Vernehmen nach war Dario Argento jedoch mit dessen Arbeit so unzufrieden, dass er über 20 Jahre nicht mehr mit Morricone zusammen arbeiten wollte, was beinahe schon an Selbstgeißelung grenzt. Zwischenzeitliche Alpträume Robertos und nicht zu ordnende Bilder halten das Geschehen frisch und geheimnisvoll, bis man ahnt, dass die Regie jederzeit eine Schippe drauflegen könnte oder zumindest möchte. Der Abschluss der sogenannten Tier-Trilogie ist unterhaltsam, spannend und abwechslungsreich geworden, im Vergleich jedoch nicht mehr so überragend wie vor allem "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe", wobei einen dieser Vergleich auch nicht wirklich weiter bringt, immerhin hat man es hier mit einem eigenständigen und ebenso selbstbewussten Film und besonderem Aushängeschild des Genres zu tun, das man sich immer wieder anschauen kann.

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