Lino Ventura Michel Serrault Romy Schneider in
DAS VERHÖR
● GARDE À VUE / DAS VERHÖR (F|1981)
mit Guy Marchand, Didier Agostini, Patrick Depeyrrat, Pierre Maguelon, Annie Miller, Serge Malik, u.a.
eine Produktion der Les Films Ariane | TF1 Films Production | im Concorde Filmverleih
ein Film von Claude Miller
»Eine Frau die Blumen liebt, tötet man nicht...«
Zwischen Silvesterabend und Neujahrsmorgen findet ein ungewöhnliches Verhör statt, das von Routinier Inspektor Gallien (Lino Ventura) geführt wird. Zusammen mit seinem Assistenten Belmont (Guy Marchand) befragt er den angesehenen Notar Martinaud (Michel Serrault) zu den schrecklichen Vorfällen, die jüngst in Cherbourg stattgefunden haben und bei denen zwei Mädchen vergewaltigt und ermordet aufgefunden wurden. Zunächst sieht man in Martinaud einen möglichen Zeugen, der eventuell entscheidende Hinweise im Zusammenhang mit den Gewaltverbrechen liefern könnte, doch die überhebliche Art des Juristen kommt bei den Beamten nicht gut an. Außerdem verstrickt er sich zusehends in Widersprüche. Als auch noch seine eigene Frau Chantal (Romy Schneider) im Präsidium auftaucht und als Belastungszeugin gegen ihren Mann auftritt, eskaliert die Situation in vielerlei Hinsicht...
31. Dezember. Silvesternacht. 21 Uhr. Es regnet in Strömen, das Szenario wirkt vom ersten Moment an ungemütlich. Durch einen schnellen Wechsel des Schauplatzes wird der Zuschauer an den Ort des Geschehens geführt und man befindet sich im Polizeirevier, welches die widrigen Verhältnisse von draußen beinahe zu übertrumpfen versucht. Auf dem Revier herrscht trotz des bevorstehenden Champagner-Ereignisses ein reger Betrieb, Protokolle werden aufgenommen, Angaben gemacht. Das Tagesgeschäft scheint tatsächlich immer das gleiche zu sein. Maître Martinaud wartet, ganz offensichtlich gab es bereits zuvor verborgene Spannungen zwischen ihm und Inspektor Galliens Assistenten. Die Atmosphäre wirkt nervös und gleicht nach kürzester Zeit einem Vakuum. Das Büro vermittelt eine ernüchternde Eintönigkeit, denn in diesen vier Wänden sind ganz offensichtlich schon viele Fassaden gefallen und Schicksale besiegelt worden, doch auf dem Stuhl vor Inspektor Galliens Schreibtisch sind letztlich alle gleich, egal, welcher Gesellschaftsschicht der jeweilige Gast entstammt. Dieser am Anfang transportierte, kammerspielartige Aufbau wird die Basis der Geschichte bleiben und Regisseur Claude Miller verfolgt eine ganz konsequente Strategie bei der Inszenierung und einen nahezu chronologischen Aufbau, der im Verlauf mit kurzen Rückblenden angereichert wird. Es wird buchstäblich wenige Lichtblicke geben. Das Büro vermittelt eine Stumpfsinnigkeit, die viele Leute auf Dauer sicherlich verrückt machen würde, und es herrscht eine Struktur, eine beinahe manische Ordnung, die man besser nicht hinterfragen möchte. Lediglich das Pinup-Girl der Woche an der Wand wirkt wie ein versteckter Ausbruchsversuch von diesem Fließband, das offenbar 365 Tage im Jahr gleich zu laufen scheint. Noch bevor die alles dokumentierende Schreibmaschine zu hören ist, befindet man sich unmittelbar in einem Gespräch, das aus empfundenen Belanglosigkeiten besteht, um allerdings plötzlich und unerwartet immer mehr zum Kern der Sache zu kommen. Zwei bestialische Morde liegen auf dem Tisch und es muss ein Verantwortlicher gefunden, aber vor allem präsentiert werden.
Das Verhör und die damit verbundenen Gesprächsinhalte entwickeln eine unberechenbare Eigendynamik, obwohl man routiniert und ganz im Prinzip von zahlreichen Dienstjahren agiert. Diese versteckte Unberechenbarkeit geht vor allem von Maître Martinaud, aber auch von Inspektor Galliens Assistenten aus, denn beide repräsentieren unterschiedliche gesellschaftliche Herkünfte und veranstalten zunächst ein indirektes Tauziehen um die bessere Position und um die persönliche Größe in dieser Arena. Lediglich die Sachlichkeit und augenscheinliche Neutralität Galliens wirken in den richtigen Momenten immer wieder gegen ein aus dem Ruder laufen der Situation, da er sich am besten im Griff zu haben scheint. Noch. »Sie kennen meine Frau nicht. Sie spricht niemals etwas direkt aus, immer in Windungen.« Nicht zum ersten Mal hört man eine derartige Bemerkung, denn offensichtlich scheinen tatsächlich alle Wege stets zu Madame Martinaud zu führen, die genau wie der Mädchenmörder wie ein Phantom über der Angelegenheit zu schweben scheint. Doch auch wenn es so aussieht, aneinander vorbeigeredet wird hier nicht und die vielen Mosaiksteinchen des überaus intelligenten Aufbaus formen sich immer mehr zu einem hässlichen Bild zusammen. In diesem Zusammenhang verlieren die Beteiligten des Verhörs auch immer mehr an Souveränität und Geduld. Der Raum wird wahlweise von Zynismus, Arroganz, Überheblichkeit und Verachtung, immer ordinärer ausgedrückten Zwischenmeldungen und schließlich empfindlich platzierten Torpedos gefärbt. Die ohnehin angespannte Stimmung droht also endgültig überzukochen, doch kurz vor dem erwarteten Knall kommt es zu einer überraschenden Unterbrechung, denn eines der zentralen Phantome taucht auf. Chantal Martinaud wird dem Inspektor angekündigt und es sieht beinahe so aus, als würde er von ihr in einem separaten Raum vorgeführt. Der Zuschauer erhofft sich gerade von ihr Rückendeckung für den mutmaßlichen Angeklagten, obwohl ihr eigener Mann ein sehr bedenkliches und beinahe schon niederschmetterndes Profil von ihr erstellt hat. Doch es kommt anders als erwartet.
Auf Madame Martinauds eigenen Wunsch findet das Zusammentreffen nicht im gewohnten Setting statt. Eine elegant, aber ebenso eiskalt wirkende Frau dreht sich der Kamera zu. Der verdunkelte Raum hüllt sie wie in einen nicht zu durchschauenden Schleier und die Situation behält den Charakter der Unberechenbarkeit. Zum Erstaunen Galliens und des Zuschauers nimmt man wahr, dass sich die Schilderungen des Maître nicht mit der soeben vorgestellten Person decken. Ganz im Gegenteil. Trotz der immer dichter gewordenen Charakterisierung entsteht die Gewissheit, dass man ihr offensichtlich geschmeichelt hat. Diese zutiefst verbitterte, aber beherrschte Frau, bekommt ein bemerkenswertes Profil von Romy Schneider, die man hier in ihrem vorletzten Film sieht. Hemmungslos dirigiert sie die kompromittierende Chronologie über eine Ehe, die einem Alptraum gleicht. Es kommt zu schweren Vorwürfen und Anschuldigungen, die über eheliche und zwischenmenschliche Belange hinausgehen, sodass sich die erhoffte entlastende Instanz zur unerbittlichen Zeugin der Anklage entwickelt. Ein Präzisionsauftritt im Bereich der Rhetorik. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls die außergewöhnlichen Leistungen des Dreiergespanns Lino Ventura, Guy Marchand und Michel Serrault genannt werden, die den kompletten Verlauf spektakulär prägen. Die unfreiwillige Zusammenkunft bekommt ihren Reiz durch die unterschiedlichen Typisierungen. Lino Ventura bemüht sich um Ruhe und Sachlichkeit, wenngleich man Verachtung wahrnehmen kann. Jedoch hat er sich besser im Griff als sein Kollege. Der Verlauf schüttelt Umgangsformen und Höflichkeiten durch die präzisen Auftritte von Ventura und Marchand sozusagen ab und der Ton wird rauer. Michel Serrault hält mit einer Art unempfindlichen Hochmut dagegen, allerdings wittert man eine mögliche Kapitulation, da ihm die Situation naturgemäß zu profan ist, und er auch über das Verhör hinaus längst resigniert hat. Wenn schließlich alle Vorhänge gefallen und alle Hosen heruntergelassen sind, betrachtet man eine eigentlich unfassbare Geschichte, die den größten Twist in sich darstellt. Claude Millers depressiver Thriller sichert sich mit Leichtigkeit seinen Platz im Kreis der ganz großen französischen Beiträge und wurde in der laufenden Saison in acht Kategorien für den César nominiert - dabei viermal ausgezeichnet. Dieses in allen Belangen überragende Ergebnis sollte man einmal gesehen haben.
31. Dezember. Silvesternacht. 21 Uhr. Es regnet in Strömen, das Szenario wirkt vom ersten Moment an ungemütlich. Durch einen schnellen Wechsel des Schauplatzes wird der Zuschauer an den Ort des Geschehens geführt und man befindet sich im Polizeirevier, welches die widrigen Verhältnisse von draußen beinahe zu übertrumpfen versucht. Auf dem Revier herrscht trotz des bevorstehenden Champagner-Ereignisses ein reger Betrieb, Protokolle werden aufgenommen, Angaben gemacht. Das Tagesgeschäft scheint tatsächlich immer das gleiche zu sein. Maître Martinaud wartet, ganz offensichtlich gab es bereits zuvor verborgene Spannungen zwischen ihm und Inspektor Galliens Assistenten. Die Atmosphäre wirkt nervös und gleicht nach kürzester Zeit einem Vakuum. Das Büro vermittelt eine ernüchternde Eintönigkeit, denn in diesen vier Wänden sind ganz offensichtlich schon viele Fassaden gefallen und Schicksale besiegelt worden, doch auf dem Stuhl vor Inspektor Galliens Schreibtisch sind letztlich alle gleich, egal, welcher Gesellschaftsschicht der jeweilige Gast entstammt. Dieser am Anfang transportierte, kammerspielartige Aufbau wird die Basis der Geschichte bleiben und Regisseur Claude Miller verfolgt eine ganz konsequente Strategie bei der Inszenierung und einen nahezu chronologischen Aufbau, der im Verlauf mit kurzen Rückblenden angereichert wird. Es wird buchstäblich wenige Lichtblicke geben. Das Büro vermittelt eine Stumpfsinnigkeit, die viele Leute auf Dauer sicherlich verrückt machen würde, und es herrscht eine Struktur, eine beinahe manische Ordnung, die man besser nicht hinterfragen möchte. Lediglich das Pinup-Girl der Woche an der Wand wirkt wie ein versteckter Ausbruchsversuch von diesem Fließband, das offenbar 365 Tage im Jahr gleich zu laufen scheint. Noch bevor die alles dokumentierende Schreibmaschine zu hören ist, befindet man sich unmittelbar in einem Gespräch, das aus empfundenen Belanglosigkeiten besteht, um allerdings plötzlich und unerwartet immer mehr zum Kern der Sache zu kommen. Zwei bestialische Morde liegen auf dem Tisch und es muss ein Verantwortlicher gefunden, aber vor allem präsentiert werden.
Das Verhör und die damit verbundenen Gesprächsinhalte entwickeln eine unberechenbare Eigendynamik, obwohl man routiniert und ganz im Prinzip von zahlreichen Dienstjahren agiert. Diese versteckte Unberechenbarkeit geht vor allem von Maître Martinaud, aber auch von Inspektor Galliens Assistenten aus, denn beide repräsentieren unterschiedliche gesellschaftliche Herkünfte und veranstalten zunächst ein indirektes Tauziehen um die bessere Position und um die persönliche Größe in dieser Arena. Lediglich die Sachlichkeit und augenscheinliche Neutralität Galliens wirken in den richtigen Momenten immer wieder gegen ein aus dem Ruder laufen der Situation, da er sich am besten im Griff zu haben scheint. Noch. »Sie kennen meine Frau nicht. Sie spricht niemals etwas direkt aus, immer in Windungen.« Nicht zum ersten Mal hört man eine derartige Bemerkung, denn offensichtlich scheinen tatsächlich alle Wege stets zu Madame Martinaud zu führen, die genau wie der Mädchenmörder wie ein Phantom über der Angelegenheit zu schweben scheint. Doch auch wenn es so aussieht, aneinander vorbeigeredet wird hier nicht und die vielen Mosaiksteinchen des überaus intelligenten Aufbaus formen sich immer mehr zu einem hässlichen Bild zusammen. In diesem Zusammenhang verlieren die Beteiligten des Verhörs auch immer mehr an Souveränität und Geduld. Der Raum wird wahlweise von Zynismus, Arroganz, Überheblichkeit und Verachtung, immer ordinärer ausgedrückten Zwischenmeldungen und schließlich empfindlich platzierten Torpedos gefärbt. Die ohnehin angespannte Stimmung droht also endgültig überzukochen, doch kurz vor dem erwarteten Knall kommt es zu einer überraschenden Unterbrechung, denn eines der zentralen Phantome taucht auf. Chantal Martinaud wird dem Inspektor angekündigt und es sieht beinahe so aus, als würde er von ihr in einem separaten Raum vorgeführt. Der Zuschauer erhofft sich gerade von ihr Rückendeckung für den mutmaßlichen Angeklagten, obwohl ihr eigener Mann ein sehr bedenkliches und beinahe schon niederschmetterndes Profil von ihr erstellt hat. Doch es kommt anders als erwartet.
Auf Madame Martinauds eigenen Wunsch findet das Zusammentreffen nicht im gewohnten Setting statt. Eine elegant, aber ebenso eiskalt wirkende Frau dreht sich der Kamera zu. Der verdunkelte Raum hüllt sie wie in einen nicht zu durchschauenden Schleier und die Situation behält den Charakter der Unberechenbarkeit. Zum Erstaunen Galliens und des Zuschauers nimmt man wahr, dass sich die Schilderungen des Maître nicht mit der soeben vorgestellten Person decken. Ganz im Gegenteil. Trotz der immer dichter gewordenen Charakterisierung entsteht die Gewissheit, dass man ihr offensichtlich geschmeichelt hat. Diese zutiefst verbitterte, aber beherrschte Frau, bekommt ein bemerkenswertes Profil von Romy Schneider, die man hier in ihrem vorletzten Film sieht. Hemmungslos dirigiert sie die kompromittierende Chronologie über eine Ehe, die einem Alptraum gleicht. Es kommt zu schweren Vorwürfen und Anschuldigungen, die über eheliche und zwischenmenschliche Belange hinausgehen, sodass sich die erhoffte entlastende Instanz zur unerbittlichen Zeugin der Anklage entwickelt. Ein Präzisionsauftritt im Bereich der Rhetorik. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls die außergewöhnlichen Leistungen des Dreiergespanns Lino Ventura, Guy Marchand und Michel Serrault genannt werden, die den kompletten Verlauf spektakulär prägen. Die unfreiwillige Zusammenkunft bekommt ihren Reiz durch die unterschiedlichen Typisierungen. Lino Ventura bemüht sich um Ruhe und Sachlichkeit, wenngleich man Verachtung wahrnehmen kann. Jedoch hat er sich besser im Griff als sein Kollege. Der Verlauf schüttelt Umgangsformen und Höflichkeiten durch die präzisen Auftritte von Ventura und Marchand sozusagen ab und der Ton wird rauer. Michel Serrault hält mit einer Art unempfindlichen Hochmut dagegen, allerdings wittert man eine mögliche Kapitulation, da ihm die Situation naturgemäß zu profan ist, und er auch über das Verhör hinaus längst resigniert hat. Wenn schließlich alle Vorhänge gefallen und alle Hosen heruntergelassen sind, betrachtet man eine eigentlich unfassbare Geschichte, die den größten Twist in sich darstellt. Claude Millers depressiver Thriller sichert sich mit Leichtigkeit seinen Platz im Kreis der ganz großen französischen Beiträge und wurde in der laufenden Saison in acht Kategorien für den César nominiert - dabei viermal ausgezeichnet. Dieses in allen Belangen überragende Ergebnis sollte man einmal gesehen haben.