ANASTASIA, DIE LETZTE ZARENTOCHTER - Falk Harnack

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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ANASTASIA, DIE LETZTE ZARENTOCHTER - Falk Harnack

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Lilli Palmer

ANASTASIA, DIE LETZTE ZARENTOCHTER


● ANASTASIA, DIE LETZTE ZARENTOCHTER / ANASTASIA - DIE LETZTE ZARENTOCHTER (D|1956)
mit Ivan Desny, Dorothea Wieck, Rudolf Fernau, Adelheid Seeck, Susanne von Almassy, Tilla Durieux, Margot Hielscher,
Alice Treff, Käthe Braun, Peter Carsten, Werner Peters, Fritz Tillmann, Ernst Schröder, Wolfgang Preiss, Erik von Loewis,
Lucie Höflich, Siegfried Schürenberg, Charles Regnier, Berta Drews, Maria Sebaldt, Stanislav Ledinek und Ellen Schwiers
eine Corona Produktion | Alfu Film | Hansa Film | im Verleih der Deutsche London Film
ein Film von Falk Harnack

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»Das ist doch ein Märchen für Erwachsene!«


Zwei Jahre nach der Exekution der russischen Zarenfamilie im Jahr 1918 wird eine Unbekannte (Lilli Palmer) aus dem Berliner Landwehrkanal gezogen. Vollkommen traumatisiert wird die Frau in eine Klinik gebracht und will keine Angaben über ihre eigene Person machen. Anhand einiger Zeitungsbilder glaubt eine Mitpatientin in der Unbekannten die Zarentochter Anastasia zu erkennen. Der Stein kommt ins Rollen und bringt eine Reihe unglaublicher Torturen mit sich. Hat sie die damaligen Geschehnisse tatsächlich überlebt oder handelt es sich um eine gerissene Hochstaplerin, die nur an den hinterlegten 5 Millionen Goldrubel interessiert ist?

Der Mythos um die namenlose Frau, die im Jahr 1920 aus dem Landwehrkanal in Berlin gerettet wurde, war gefundener Anlass, dieses ergiebige Thema über Jahrzehnte gesehen filmisch aufzuarbeiten. Hierbei zeigten sich unterschiedliche Ansätze bei der Bewältigung einer Geschichte, die streng genommen keine komplette Wahrheit kennt. Während die 1956 entstandene Version von Falk Harnack darauf abzielt, es tatsächlich mit der echten Zarentochter Anastasia zu tun zu haben, schlägt die im gleichen Jahr entstandene Version des Regisseurs Anatole Litvak mit Ingrid Bergmann in der Titelrolle andere Wege ein, was im direkten Vergleich wiederum zu recht interessanten Ergebnissen führt, auch bei der Eigenbewertung. Die deutsche Version ist Ausstattungsfilm und Star-Parade in einem, und der episodenhafte Aufbau gesteht vielen bekannten Interpreten oft nur kleine Intervalle oder Pointen zu, in denen es jedoch zu großartigem Schauspiel kommen wird. Vollkommen zugeschnitten auf Hauptdarstellerin Lilli Palmer, die zwischen subtilem und leidenschaftlichem Schauspiel hin und her pendelt, lebt der Film von ihren Emotionen, deren spürbarer Melancholie und zeitweise einer aufblitzenden hoheitsvollen Note der menschlichen Sorte, die den Film eindrucksvoll prägt. Das Szenario wimmelt von Interessengemeinschaften, die entweder das große Geschäft wittern oder eine finanzielle Nebenbuhlerin ausschalten wollen. Hier sind vor allem großartige Interpretinnen wie Adelheid Seeck als Prinzessin Irene von Preußen, Tilla Durieux als Zarenmutter, Ellen Schwiers als Prinzessin Katharina oder Alice Treff in der Rolle der Baronesse von Seekendorf zu nennen, die alles daran setzen, die Unbekannte nicht anzuerkennen, indem sie sie mit Verachtung strafen beziehungsweise sie nicht identifizieren wollen.

Die namentlichen Nennungen der historischen und völlig brüskierten Figuren sollen hierbei auf den Adelsstand hinweisen, der vor allem als Vertreter der These auftreten wird, dass es sich nur um eine gewöhnliche Betrügerin handeln muss. Falk Harnacks Strategie, Lilli Palmer als Anastasia zu integrieren, und dabei keinerlei Zweifel beim Publikum aufkommen zu lassen, muss man vielleicht bedingungslos annehmen, um mit dem Verlauf d'accord zu sein, wenngleich immer wieder deutliche Zweifel gesät werden. Lediglich Lilli Palmer demonstriert eine Unbeirrbarkeit, die nur wenige echte Unterstützer findet, wobei sich die meisten im Publikum finden dürften, da man keine andere Möglichkeit bekommt, auf Regisseur Harnacks direktive Strategie einzusteigen. Der Pöbel und der Hochadel gehen plötzlich Hand in Hand, um die Unbekannte zu diskreditieren, abzuschieben und mundtot zu machen, clevere und skrupellose Geschäftsleute glänzen mit hinterhältigen Vorhaben, um Profit zu schlagen. Das Ergebnis ist ein breites, aufrichtiges Mitgefühl für die Titelrolle, die es erstaunlicherweise selbst nicht nötig hat, um ein solches zu buhlen. Weitere großartige Leistungen zeigen Dorothea Wieck, die selbst in Hollywood-Produktionen zu sehen war, oder Ivan Desny, der auch eine Rolle im US-amerikanischen Pendant des gleichen Jahres übernommen hatte, Rudolf Fernau, der seinen Rollen stets etwas Erhabenes zu geben wusste. Die Liste der namhaften und gerne gesehenen Interpreten ist in "Anastasia, die letzte Zarentochter" so lang, dass es eine wahre Freude ist, selbst wenn manche Auftritte - wie etwa von Margot Hielscher, Charles Regnier, Susanne von Almassy, Siegfried Schürenberg, Berta Drews, Werner Peters, Fritz Tillmann, Käthe Braun oder Franziska Kinz - oft nur sehr kurz andauern.

Der Film verweist im Gros auf die innere Zerrissenheit und panische Angst der Hauptfigur, die sich aufgrund ihrer körperlichen und mentalen Schwäche nicht in Stande sieht, sich aus diesem gläsernen Vorführkäfig zu befreien, der von allen verfügbaren Seiten betrachtet wird. Viele Orts- und Gedankenwechsel sowie das Integrieren unterschiedlichster Personen sorgen für einen zeitlichen Schnelldurchgang und Spannung, da man sich des Ausgangs und des Schicksals der Protagonistin nicht sicher sein kann, immerhin gibt es zu viele unterschiedliche Verwandte, Bekannte und Unbekannte, die Anastasia wie ein Tau benutzen, an dem sie unerbittlich zerren. Unter Falk Harnack kommt es immer wieder zu rührseligen Tendenzen, die jedoch angebracht erscheinen, immerhin muss Lilli Palmer viel Leid zeichnen und aushalten, da man sie als Verstoßene wahrnimmt, die am Kalkül anderer zu zerbrechen droht, daher nicht zu ihrem Recht kommen darf. Da der beinahe strategische Verlauf der Handlung immer einen Schritt nach vorne geht, um gleichzeitig zwei Schritte zurückzugehen, etabliert sich eine große Ungewissheit über die Zielführung der Geschichte, sodass man sich natürlich nicht nur mit der sympathischen Anastasia solidarisiert, sondern richtiggehend um ihr Wohlergehen sorgt, denn immerhin könnte sie ein schlimmes Ende finden. "Anastasia, die letzte Zarentochter" ist als mit Stars bepackter Film - der den Versuch startet, die vermeintliche Wahrheit zu zeichnen, ohne sie finden zu wollen - als gelungen und unterhaltsam auf vielen Ebenen zu bezeichnen. Lilli Palmers Präsenz und beinahe unschuldige Anmut lässt es zur leichten Aufgabe werden, sich voll und ganz auf diesen gut durchdachten Verlauf der angeblich wahren aber umgekehrten Begebenheiten einzulassen, sodass ein Erfolgsrezept unterm Strich erneut aufgehen kann.

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