TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

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Percy Lister
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TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

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"Treffpunkt Todesbrücke" (Cassandra Crossing) (Deutschland / Italien / Großbritannien 1976)
mit: Richard Harris, Sophia Loren, Burt Lancaster, Ingrid Thulin, Ava Gardner, Martin Sheen, Lee Strasberg, O.J. Simpson, Ann Turkel, Lionel Stander, John Phillip Law, Lou Castel, Ray Lovelock, Alida Valli, Thomas Hunter, Fausta Avelli, Stefano Patrizi, Angela Goodwin, John P. Dulaney, Andrea Esterhazy u.a. | Drehbuch: George P. Cosmatos, Tom Mankiewicz und Robert Katz nach einer Geschichte von Robert Katz und George P. Cosmatos | Regie: George P. Cosmatos

Obwohl Experimente mit bakteriellen Erregern laut einer UN-Resolution verboten sind, werden sie für militärische Zwecke in Labors hergestellt. Zwei schwedische Aktivisten planen einen Anschlag auf eine Schweizer Klinik, der jedoch misslingt und dazu führt, dass sich beide mit dem Bakterium infizieren. Während der eine Mann festgenommen wird und kurz darauf an Lungenpest verstirbt, gelingt dem anderen die Flucht. Er mischt sich unter die Fahrgäste eines Transkontinentalzuges, der von Genf nach Stockholm unterwegs ist. Sobald das Militär Kenntnis davon erhält, übernimmt US-Colonel Stephen Mackenzie die Leitung der Operation. Da kein Land den Passagieren gestattet, auszusteigen, muss der Zug versiegelt werden und in ein polnisches Quarantänelager umgeleitet werden. Die Ärztin Dr. Elena Stradner hat Bedenken gegen diesen Plan, weil die Fahrt über die baufällige Kassandrabrücke führen soll. Sie misstraut Mackenzie und vermutet eine tödliche Intrige hinter seinen Anweisungen....

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Regisseur George P. Cosmatos äußerte sich wie folgt zum Thema seines Films, der von einem Szenario ausgeht, das von der Wirklichkeit längst eingeholt wurde: "Für mich ist eine Epidemie zerstörerischer als ein Erdbeben, Feuer und sogar eine Bombe. Und eine von Menschen gemachte Epidemie, wie sie in "Cassandra Crossing" gezeigt wird, ist die schändlichste von allen. Wir selbst sind unsere schlimmsten Feinde, weil wir uns mit unserem so genannten Fortschritt selbst umbringen." Ein unsichtbarer Todesbringer, wie ihn ein Virus darstellt, ist weder mit Bomben, noch mit Raketen zu bekämpfen, seine schleichende Ausbreitung kündigt sich nicht mit Feuer oder Lärm an, ebenso warnt keine Sirene vor seiner baldigen Ankunft. Das Genre des Katastrophenfilms demaskiert den Menschen, es zeigt ihn in Ausnahmesituationen, wo Angst und Panik das Denken bestimmen und das Vertrauen in die Gesetze, die Technik und die Natur ebenso verloren gehen wie Experten und Autoritäten plötzlich eine Macht erlangen, die das Prinzip der demokratischen Partizipation an den elementaren Entscheidungen aushebelt. Der Protagonist, welcher Ruhe, Weitsicht und Verstand bewahrt, avanciert zum Helden der Geschichte, auf dem die Hoffnungen seiner Umgebung ruhen. Die Spekulation mit der Faszination für gefährliche Grenzsituationen, in denen die Menschheit auf die Probe gestellt wird, geht an der Kinokasse meistens auf, weil es sich um aufwendige Großproduktionen handelt, für die renommierte Stars und technisch ausgefeilte Spezialeffekte in Anspruch genommen werden. Das Geschäft mit dem kalkulierten Schrecken funktioniert, weil der Zuschauer sich mit den Figuren auf der Leinwand identifizieren kann, erleben sie doch furchtbare Bedrohungen, denen das Publikum persönlich auszuweichen wünscht, andererseits jedoch erfahren möchte, wie andere Menschen mit der Herausforderung umgehen. Im Zeitalter der rücksichtslosen Kriegsführung und dem gemeinfreien Umgang mit den Ressourcen dieses Planeten, entstehen Sicherheitslücken, die Raum für kriminelle Elemente und Schädlinge schaffen, deren Opfer der Mensch in seinem naiven Fortschrittsglauben ist. Wie wenig es braucht, um ihn im Innersten zu erschüttern, zeigt das Szenario von "Treffpunkt Todesbrücke" mehr als eindrucksvoll, da es Abläufe in Gang setzt, die ihn bald an seine Grenzen führen und die erbärmliche Hilflosigkeit der intelligentesten Kreatur auf dieser Erde einmal mehr betonen. Die perfiden Machenschaften von Militäreliten und Regierungsmitgliedern befeuern den Niedergang zusätzlich.

Das Staraufgebot liest sich wie das Who's who des internationalen Kinos und vereint charakteristische Mimen vor der Kamera, deren Leidensweg die Figuren, die anfangs selbstbewusst und entschlossen eine Richtung einschlagen, aus dem Konzept wirft und sowohl das Beste, als auch das Schlechteste ihrer Persönlichkeit an die Oberfläche befördert. Ein Quartett wird den Film dabei besonders prägen: Richard Harris, Ingrid Thulin, Burt Lancaster und Sophia Loren. Sie sind auf eine Weise miteinander verwoben, der mannigfaltige Gefühle und Motive zugrunde liegen, die sich mit dem Anschwellen der Bedrohung herauskristallisieren und die ein zähes Ringen zwischen Vernunft und Wahnsinn, Ehrgeiz und Demut, sowie Skrupellosigkeit und Altruismus bedeuten. Oberflächliche Zwistigkeiten, Eifersüchteleien, Profilierungsabsichten und Geltungssucht treten nach und nach in den Hintergrund und weichen einer deutlichen Sprache, die konzertiertes Handeln erst möglich macht. Als zähe und beharrliche Gegenspieler erweisen sich mit Burt Lancaster und Richard Harris zwei Männer aus unterschiedlichen Lagern. Der Militärbeauftragte sieht den Sinn seiner Aktionen darin, größeren Schaden abzuwenden, indem Bauernopfer gebracht werden und bedient sich dabei der klassischen Sichtweise so vieler Kriege: Die Wahrheit schmälere nur das Verdienst der sinnlos Verstorbenen. Unter dem Deckmantel von Heldentum und Opferbereitschaft für das Vaterland - oder wahlweise die westliche Zivilisation - sei der Tod leichter zu akzeptieren, wobei die Schuldfrage gleichzeitig in den Bereich des Schicksalshaften verschoben wird. Die Tatsache, dass Menschen elend verrecken, vertuscht der beschönigende Begriff der Gefallenen. Standhaft stirbt hier niemand. Den Bogen in die Vergangenheit spannt Lee Strasberg als Holocaust-Überlebender, für den die Fahrt in die polnische Quarantäne-Station mehr bedeutet als die simple Isolierung von potenziell Infizierten von der menschlichen Gemeinschaft. Die Agonie seiner Familie hat ihn nie losgelassen und rückt nun mit jedem gefahrenen Kilometer näher und näher. Er ist die treibende Kraft hinter den Zweifeln, die der Plan von Colonel Stephen Mackenzie in Dr. Jonathan Chamberlain und dessen geschiedener Frau Jennifer Rispoli auslöst. Inmitten dem Durcheinander, der Aufregung und dem angespannten Aktionismus sorgt seine Furcht vor der eingeschlagenen Route für Unbehagen und verstärkt die düsteren Gedanken, die sich der Zuschauer ohnehin bereits macht. Die Angst als treibende Kraft wird nach einer Phase der Lähmung Vorgänge, die eine grausame Wiederholung der Vergangenheit symbolisieren, aktivieren und eine Schicksalshaftigkeit betonen, die den Zynismus des militärischen Entscheidungsträgers unterstreicht.

Neben den guten schauspielerischen Leistungen sind es genrebedingt vor allem die technischen Effekte, die beim Publikum punkten können. Das hohe Tempo des Films nimmt das Publikum in Geiselhaft und lässt ihm kaum Möglichkeiten, sich vom Geschehen auf der Leinwand zu distanzieren. Dadurch geht es eine enge Gemeinschaft mit den handelnden Personen ein, was das Interesse für die Geschichte verstärkt und über kleinere Mängel - wie zum Beispiel Rückprojektionen - hinwegsehen lässt. Beeindruckende Aufnahmen aus der Vogelperspektive wechseln sich mit Porträtbildern der Darsteller ab, deren Emotionen mindestens so relevant sind wie ihr Handeln. Die Laufzeit von 129 Minuten lässt dem Geschehen reichlich Raum, sich zu entwickeln, ohne eine unwahrscheinliche Beschleunigung von Zusammenhängen zu schaffen. Eisenbahnfreunde werden die Kooperation der italienischen Staatsbahn FS, der französischen SNCF und der Schweizerischen Bundesbahn SBB schätzen. Die klaustrophobische Enge in den Garnituren, die ein tödliches Virus transportieren, wird durch Panik, Gewalt und Verzweiflung noch verstärkt und bringt viele Reisende an die Grenze ihrer Belastbarkeit. In stiller Verbeugung vor den großen Namen dieser Produktion, die mit Ava Gardner, Alida Valli und Sophia Loren drei Hollywood-Diven aus der Blütezeit des Kinos auffährt, inszenieren die Produzenten Carlo Ponti und Lew Grade Szenen von memorabler Eleganz, die dem anonymen Massensterben durch die Individualisierung einiger Personen prägnante Gesichter verleihen will. Die Wahrheitsfindung verläuft parallel mit dem Kampf um die Vorherrschaft an Bord des Zuges, der von einem Transportfahrzeug zu einem Deportationsmittel geworden ist. Während der Stoff genügend kontroverse Theorien bereithält, fehlt es nicht an Stilmitteln der klassischen Schmonzette, um jene Zuschauer zu erreichen, denen mehr an "soft skills" als an harten Fakten gelegen ist. So bilden die Intrigen, Eitelkeiten und Umgarnungen der beiden Paare Harris/Loren und Gardner/Sheen jenes Schmiermittel, das die bittere Pille der Pandemie leichter rutschen lässt und für die nötige Prise Glamour sorgt, die eine breite Vermarktung des Films ermöglicht. Ein wenig Pathos gehört bei diesem Thema unweigerlich dazu und unterstreicht die schwere Bürde bzw. hehre Aufgabe, über Wohl und Weh von mehreren Hundert Menschen zu entscheiden. George P. Cosmatos ist ein gelungener Balance-Akt zwischen Kunst und Kommerz gelungen, der dem Publikum Kraft und Anstrengung abfordert und der Nüchternheit der Realität Tribut zollt.

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Prisma
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Re: TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

Beitrag von Prisma »

Percy Lister hat geschrieben:
Do., 19.11.2020 10:42
Regisseur George P. Cosmatos äußerte sich wie folgt zum Thema seines Films, der von einem Szenario ausgeht, das von der Wirklichkeit längst eingeholt wurde: "Für mich ist eine Epidemie zerstörerischer als ein Erdbeben, Feuer und sogar eine Bombe. Und eine von Menschen gemachte Epidemie, wie sie in "Cassandra Crossing" gezeigt wird, ist die schändlichste von allen. Wir selbst sind unsere schlimmsten Feinde, weil wir uns mit unserem so genannten Fortschritt selbst umbringen."

Eine denkwürdige Aussage des Regisseurs, die schon ohne aktuelle Ereignisse ihre Richtigkeit hätte, zumal das Vorgehen der Verantwortlichen hier wirklich kaum zu glauben ist. Hunderte Menschenleben sollen für eine breit angelegte Verschleierung geopfert werden, die Lakaien der Verantwortlichen handeln blind auf Befehl, logische, sachliche oder medizinische Überlegungen unerwünscht. Schaut man sich "Treffpunkt Todesbrücke" an, kommt es zu der ernüchternden Erkenntnis, dass es immer Unbeteiligte sein werden, die für die Geltungssucht der Verantwortlichen ihren Kopf hinhalten sollen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich jedenfalls um einen hochinteressanten Vertreter des Katastrophenfilms, der durch das tödliche Vakuum Zug eine enorme Spannung aufzubauen vermag, die sich aufgrund des Ziels in Form einer maroden Brücke, die zuletzt vor Jahrzehnten passiert werden konnte, wirklich sukzessive hochschaukeln kann. Action und Tempo fabrizieren zusätzlich einen starken Gesamteindruck, der in dieser Form vielleicht gar nicht zu erwarten gewesen wäre. Der Todeszug bekommt ein Ziel auferlegt, vordergründig soll eine Epidemie vereitelt werden, die eigens für das Militär und gegen eine UN-Resolution in Reagenzgläsern hergestellt wurde. Ab dem Attentat auf die Schweizer Klinik, in der sich die Forschungslabors befinden, geht es Schlag auf Schlag. Unterschiedliche Schicksale und Konstellationen werden durch George P. Cosmatos sehr gut vorgestellt und in das Geschehen integriert, überhaupt bekommt man es mit einer Starbesetzung zu tun, die keine Wünsche offen lässt: Richard Harris, Sophia Loren, Burt Lancaster, O.J. Simpson, Ava Gardner, Lou Castel, Lee Strasberg, Martin Sheen oder eine wie immer brillante Ingrid Thulin; dieser Film lebt mitunter von den Emotionen seiner Starparade. Die Regie lässt es sich nicht nehmen, neben kritischen Untertönen auch Sarkasmus und Prisen Schwarzen Humors zu installieren, was nicht nur zum Nachdenken animiert, sondern gewisse Atempausen verschafft. "Treffpunkt Todesbrücke" bleibt als ungewöhnlich doppelbödiger Katastrophenfilm zurück, dessen zynische Aussage die Realität wohl unverhohlener widerspiegelt, als befürchtet.

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Prisma
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Re: TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

Beitrag von Prisma »



Hier noch der schmackhafte Trailer:


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Richie Pistilli
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Re: TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

Beitrag von Richie Pistilli »

Auch diesen Film müsste ich mir bald mal wieder ansehen, denn TREFFPUNKT TODESBRÜCKE hat auch bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

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Prisma
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Re: TREFFPUNKT TODESBRÜCKE - George P. Cosmatos

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 11.10.2023 20:04
Auch diesen Film müsste ich mir bald mal wieder ansehen, denn TREFFPUNKT TODESBRÜCKE hat auch bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Das ist verständlich, schau den auf jeden Fall nochmal an. Ich finde ja sogar, dass er zu der Kategorie der besseren Katastrophenfilme gehört.

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