Delphine Seyrig
BLUT AN DEN LIPPEN
● LES LÈVRES ROUGES / BLUT AN DEN LIPPEN (B|D|F|1971)
mit Danielle Ouimet, John Karlsen, Paul Esser, Fons Rademakers, Georges Jamin, Joris Collet und Andrea Rau
eine Produktion der Showking Films | Ciné Vog Films | Roxy Film | Maya Films | im Inter Verleih
ein Film von Harry Kümel
»Ich will Blut!«
Valérie (Danielle Ouimet) und Stefan (John Karlen) befinden sich auf ihrer Hochzeitsreise und machen einen Zwischenstopp in einem Hotel in Ostende. Da man dort außerhalb der Saison abgestiegen ist, befinden sich die beiden alleine mit dem Portier (Paul Esser) in dem luxuriösen Anwesen. Wenig später taucht eine geheimnisvolle Dame namens Baronin Elisabeth Báthory (Delphine Seyrig) mit ihrer Begleiterin Ilona (Andrea Rau) im Foyer auf. Dem Portier verschlägt es beim Anblick der Baronin die Sprache, da er sie kennt. Als er vor über vierzig Jahren als Piccolo in jenem Hotel begann, hatte er die schöne Frau bereits gesehen, doch sie hat sich in all den Jahren nicht im Geringsten verändert. Die beiden rätselhaften Frauen bringen das junge Ehepaar, welches ursprünglich nur eine Nacht in Ostende bleiben wollte, derweil dazu, ihren Aufenthalt zu verlängern. Ein abscheulicher Mord in Brügge hält unterdessen die Bevölkerung in Atem, bei dem die Tote mit einer seltsamen Wunde am Hals und ohne einen Tropfen Blut aufgefunden wurde. Die Jungvermählten beginnen sich sichtlich zu verändern, denn sie stehen unter dem Einfluss der Baronin, die nur eine Absicht hat: sie will Valérie auf die Nachfolge Ilonas vorbereiten...
Bei "Blut an den Lippen" handelt es sich um das Erstlingswerk des belgischen Regisseurs Harry Kümel, der sich vieler genretypischer Elemente bedient, dabei allerdings einen komplett unkonventionellen, teilweise poetisch angehauchten Weg einschlägt. Handwerklich mit dem höchsten künstlerischen Anspruch versehen, erscheint sein Film auf inhaltlicher Basis zwar schemenhaft zu bleiben, aber eine radikale Unterordnung hinsichtlich Hauptdarstellerin Delphine Seyrig und der Äthetik an sich wird für erlesene Momente sorgen. So kann man von einem Beitrag sprechen, der in zahlreichen Bereichen beispiellos geblieben ist. Viele Superlative und Lobeshymnen eilen diesem Film voraus, doch die richtige Umschreibung ist schwierig zu finden, da sich der Eindruck etabliert, dass jedes Lob maßlos untertreibt. Sexy, phantasievoll oder beispielsweise überdurchschnittlich; das klingt entweder zu untertrieben oder zu unpassend, was sich aber nur so bedingungslos einschätzen lässt, wenn man sich auf den Film als komplette Einheit einlassen und sich von diesen betörenden Bildern und Personen leiten lassen kann. Zu seiner Entstehung wurde dieses düstere Vampir-Märchen hauptsächlich kritisch begutachtet. »Undeutlicher Vampir-Horror, Sex und Sadismus in einem billigen, unzulänglichen, vor Unglaubwürdigkeiten strotzenden Schundfilmchen. Wir raten ab.«, urteilte beispielsweise eine Filmkommission, doch die Produktion hielt sich recht erfolgreich in den Kinos. Die Besetzung ist übersichtlich, aber überaus originell und vor allem überzeugend, doch bei der Leistung einer bestimmten Actrice müssten eigentlich neue Superlative erfunden werden. Die Washington Post urteilte: »Man sollte schon in den Film gehen, nur um Delphine Seyrig zu sehen.« Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen, denn bei der Beurteilung der französischen Schauspielerin kommt man aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Die Leinwand wird von einer betörenden Dominanz vereiinahmt, die stets so geheimnisvoll wirkende Delphine Seyrig, Pionierin der Nouvelle Vague, wirkt unglaublich anziehend und sinnlich, andererseits erfährt der Zuschauer aber auch eine nicht zu überwindende Distanz und Abscheu, gekoppelt mit unumgänglicher, gefährlicher Faszination. Ihre Erscheinung ist eine einzige Choreografie, die bis ins kleinste Detail perfekt abgestimmt zu sein scheint.
Man merkt, wie Seyrig diese Frauenrolle in sich übergehen lässt und sieht die Freude, aber vor allem die Kompetenzen, mit Akteuren und Zuschauern zu spielen. So wirkt der Todeskuss der Baronin Báthory wie ein erstrebenswertes Privileg und quasi wie der Höhepunkt der möglichen Erotik. Delphine Seyrig stellt wirkungsvoll einen Kontrast in sich selbst dar: Die elegante Hülle der Baronin zieht Blicke an wie ein Magnet, Ruhe und Selbstsicherheit offenbaren Bedingungen an die Objekte ihrer Begierde. Ihre abgrundtiefe Perversion, die nur selten direkt zum Ausdruck kommt, ist zwar latent vorhanden, wirkt aber dennoch wie ein Phantom. Die personifizierte Gefahr in Form von Delphine Seyrig führt zu magischen Eindrücken bei Beteiligten und Zuschauern - es ist kaum besser zu lösen und darzustellen. Für weitere Glaubwürdigkeit der Konstellation und der Geschichte sieht man als Ilona Erotik-Expertin Andrea Rau agieren. Mysteriös in ihrer Erscheinung, mit streng angelegtem Bubikopf, halboffenem Mund, anbietenden Blicken und sparsamer Emotion, wirkt diese Dame nicht minder interessant und anziehend wie ihre Gebieterin, der sie vermutlich in jeder Hinsicht zu dienen hat. Andrea Rau wirkt äußerst stark in Szene gesetzt und zeigt sich nicht nur für diverse erotische Einlagen verantwortlich, sondern transportiert in besonderer Art und Weise den schwarzen Sarkasmus und letztlich das Vampir-Motiv. Danielle Ouimet schildert eine Art charakterliche Metamorphose und fungiert als Schlüsselfigur dieser Geschichte. Ihr maskenhaftes Gesicht lässt in Verbindung mit ihrer attraktiven Erscheinung ein Absterben von Emotionen und eine immer massiver werdende gefügige Haltung zu, und sie als Objekt der Begierde glaubhaft wirken. John Karlen spielt nach Kräften, geht bei der erdrückend starken weiblichen Konkurrenz zwar nicht komplett unter, aber er muss für gute Momente stärker kämpfen, wirkt schließlich stark untergeordnet. Paul Esser macht in seiner kleineren Rolle einen soliden Eindruck. Als er die Baronin nach über vierzig Jahren wieder erkennt, aber seinen Augen nicht trauen kann, lernt man die soliden Möglichkeiten des Darstellers kennen. Er weiß, dass er sich irren muss, doch als er von ihr spontan mit seinem Vornamen genannt wird, entstehen Gänsehaut-Momente.
Man kann sich denken, dass er diese Frau schon als junger Mann bewundert hat und sie nie wieder vergessen konnte. Ein ungleiches, wenn auch sehr starkes Ensemble, bereichert "Blut an den Lippen" schließlich sehr flexibel und eindrucksvoll. Der Film bietet mit seinem isoliert wirkenden, abgewandelten Vampir-Thema eine alternative Dimension an. Alles wirkt abgestimmt, alles wirkt erfrischend, alles wirkt beinahe neu, obwohl hier keineswegs das Rad neu erfunden wird. Das Leitmotiv ist die Farbe Rot, die man in jedem noch so kleinen Detail wiederfinden kann. Angefangen mit dem blutroten Lippenstift Delphine Seyrigs, oder deren feuerroten Fingernägeln, ein rotes Kleid, ihr roter Wagen - Farben sind es hier, die Stimmungen eindrucksvoll untermalen und die Aufmerksamkeit forcieren. Viele Szenen sind mit roten Überblendungen ausgestattet, des Weiteren funktioniert der Verlauf aufgrund des hervorragenden Schnitts besonders gut, genau wie die bemerkenswerte Musik von François de Roubaix. Das Morbide der Geschichte ist hauptsächlich in den Dialogen zu erkennen und nicht plakativ in den stilvollen Bildern. Der Aspekt der Erotik wird durch sinnliche Sex-Szenen unterstrichen, bekommt aber ebenfalls eine vielschichtigere Bedeutung durch die intensive Dialogarbeit. Dass der Film einen gleichen Anfang und ein identisches Ende präsentiert, symbolisiert die Unsterblichkeit des Bösen sehr geschickt und nimmt kein Fünkchen Spannung. Es braucht hier vielleicht eine gewisse Wachheit, da der Film keine passive Berieselungsstrategie verfolgt und nicht primär auf plakativer Ebene ansprechen will. Herkömmliche Elemente sind daher sicherlich auf den Zeitgeist und die Publikumsorientierung zurückzuführen. Mit "Blut an den Lippen" erlebt man einem Film voller Symbolik und Metaphorik, der voller sinnlicher Momente und Reflexionsansprüche ist. Die Personen tun das Übrige durch eine unmissverständliche, aber kaum zu entschlüsselnde Verwirrungstaktik hinzu. Es könnte nach diesem Film-Erlebnis also durchaus passieren, dass einem auffällt, im übertragenen Sinn selbst Blut an den Lippen zu haben. Es bleibt ein großartiger, da mutiger und formvollendet wirkender Beitrag, der mithilfe einer übermächtig wirkenden Frau möglicherweise indirekt versucht, das eigentlich schwache Geschlecht zu entlarven. Ein Klassiker!
Bei "Blut an den Lippen" handelt es sich um das Erstlingswerk des belgischen Regisseurs Harry Kümel, der sich vieler genretypischer Elemente bedient, dabei allerdings einen komplett unkonventionellen, teilweise poetisch angehauchten Weg einschlägt. Handwerklich mit dem höchsten künstlerischen Anspruch versehen, erscheint sein Film auf inhaltlicher Basis zwar schemenhaft zu bleiben, aber eine radikale Unterordnung hinsichtlich Hauptdarstellerin Delphine Seyrig und der Äthetik an sich wird für erlesene Momente sorgen. So kann man von einem Beitrag sprechen, der in zahlreichen Bereichen beispiellos geblieben ist. Viele Superlative und Lobeshymnen eilen diesem Film voraus, doch die richtige Umschreibung ist schwierig zu finden, da sich der Eindruck etabliert, dass jedes Lob maßlos untertreibt. Sexy, phantasievoll oder beispielsweise überdurchschnittlich; das klingt entweder zu untertrieben oder zu unpassend, was sich aber nur so bedingungslos einschätzen lässt, wenn man sich auf den Film als komplette Einheit einlassen und sich von diesen betörenden Bildern und Personen leiten lassen kann. Zu seiner Entstehung wurde dieses düstere Vampir-Märchen hauptsächlich kritisch begutachtet. »Undeutlicher Vampir-Horror, Sex und Sadismus in einem billigen, unzulänglichen, vor Unglaubwürdigkeiten strotzenden Schundfilmchen. Wir raten ab.«, urteilte beispielsweise eine Filmkommission, doch die Produktion hielt sich recht erfolgreich in den Kinos. Die Besetzung ist übersichtlich, aber überaus originell und vor allem überzeugend, doch bei der Leistung einer bestimmten Actrice müssten eigentlich neue Superlative erfunden werden. Die Washington Post urteilte: »Man sollte schon in den Film gehen, nur um Delphine Seyrig zu sehen.« Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen, denn bei der Beurteilung der französischen Schauspielerin kommt man aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Die Leinwand wird von einer betörenden Dominanz vereiinahmt, die stets so geheimnisvoll wirkende Delphine Seyrig, Pionierin der Nouvelle Vague, wirkt unglaublich anziehend und sinnlich, andererseits erfährt der Zuschauer aber auch eine nicht zu überwindende Distanz und Abscheu, gekoppelt mit unumgänglicher, gefährlicher Faszination. Ihre Erscheinung ist eine einzige Choreografie, die bis ins kleinste Detail perfekt abgestimmt zu sein scheint.
Man merkt, wie Seyrig diese Frauenrolle in sich übergehen lässt und sieht die Freude, aber vor allem die Kompetenzen, mit Akteuren und Zuschauern zu spielen. So wirkt der Todeskuss der Baronin Báthory wie ein erstrebenswertes Privileg und quasi wie der Höhepunkt der möglichen Erotik. Delphine Seyrig stellt wirkungsvoll einen Kontrast in sich selbst dar: Die elegante Hülle der Baronin zieht Blicke an wie ein Magnet, Ruhe und Selbstsicherheit offenbaren Bedingungen an die Objekte ihrer Begierde. Ihre abgrundtiefe Perversion, die nur selten direkt zum Ausdruck kommt, ist zwar latent vorhanden, wirkt aber dennoch wie ein Phantom. Die personifizierte Gefahr in Form von Delphine Seyrig führt zu magischen Eindrücken bei Beteiligten und Zuschauern - es ist kaum besser zu lösen und darzustellen. Für weitere Glaubwürdigkeit der Konstellation und der Geschichte sieht man als Ilona Erotik-Expertin Andrea Rau agieren. Mysteriös in ihrer Erscheinung, mit streng angelegtem Bubikopf, halboffenem Mund, anbietenden Blicken und sparsamer Emotion, wirkt diese Dame nicht minder interessant und anziehend wie ihre Gebieterin, der sie vermutlich in jeder Hinsicht zu dienen hat. Andrea Rau wirkt äußerst stark in Szene gesetzt und zeigt sich nicht nur für diverse erotische Einlagen verantwortlich, sondern transportiert in besonderer Art und Weise den schwarzen Sarkasmus und letztlich das Vampir-Motiv. Danielle Ouimet schildert eine Art charakterliche Metamorphose und fungiert als Schlüsselfigur dieser Geschichte. Ihr maskenhaftes Gesicht lässt in Verbindung mit ihrer attraktiven Erscheinung ein Absterben von Emotionen und eine immer massiver werdende gefügige Haltung zu, und sie als Objekt der Begierde glaubhaft wirken. John Karlen spielt nach Kräften, geht bei der erdrückend starken weiblichen Konkurrenz zwar nicht komplett unter, aber er muss für gute Momente stärker kämpfen, wirkt schließlich stark untergeordnet. Paul Esser macht in seiner kleineren Rolle einen soliden Eindruck. Als er die Baronin nach über vierzig Jahren wieder erkennt, aber seinen Augen nicht trauen kann, lernt man die soliden Möglichkeiten des Darstellers kennen. Er weiß, dass er sich irren muss, doch als er von ihr spontan mit seinem Vornamen genannt wird, entstehen Gänsehaut-Momente.
Man kann sich denken, dass er diese Frau schon als junger Mann bewundert hat und sie nie wieder vergessen konnte. Ein ungleiches, wenn auch sehr starkes Ensemble, bereichert "Blut an den Lippen" schließlich sehr flexibel und eindrucksvoll. Der Film bietet mit seinem isoliert wirkenden, abgewandelten Vampir-Thema eine alternative Dimension an. Alles wirkt abgestimmt, alles wirkt erfrischend, alles wirkt beinahe neu, obwohl hier keineswegs das Rad neu erfunden wird. Das Leitmotiv ist die Farbe Rot, die man in jedem noch so kleinen Detail wiederfinden kann. Angefangen mit dem blutroten Lippenstift Delphine Seyrigs, oder deren feuerroten Fingernägeln, ein rotes Kleid, ihr roter Wagen - Farben sind es hier, die Stimmungen eindrucksvoll untermalen und die Aufmerksamkeit forcieren. Viele Szenen sind mit roten Überblendungen ausgestattet, des Weiteren funktioniert der Verlauf aufgrund des hervorragenden Schnitts besonders gut, genau wie die bemerkenswerte Musik von François de Roubaix. Das Morbide der Geschichte ist hauptsächlich in den Dialogen zu erkennen und nicht plakativ in den stilvollen Bildern. Der Aspekt der Erotik wird durch sinnliche Sex-Szenen unterstrichen, bekommt aber ebenfalls eine vielschichtigere Bedeutung durch die intensive Dialogarbeit. Dass der Film einen gleichen Anfang und ein identisches Ende präsentiert, symbolisiert die Unsterblichkeit des Bösen sehr geschickt und nimmt kein Fünkchen Spannung. Es braucht hier vielleicht eine gewisse Wachheit, da der Film keine passive Berieselungsstrategie verfolgt und nicht primär auf plakativer Ebene ansprechen will. Herkömmliche Elemente sind daher sicherlich auf den Zeitgeist und die Publikumsorientierung zurückzuführen. Mit "Blut an den Lippen" erlebt man einem Film voller Symbolik und Metaphorik, der voller sinnlicher Momente und Reflexionsansprüche ist. Die Personen tun das Übrige durch eine unmissverständliche, aber kaum zu entschlüsselnde Verwirrungstaktik hinzu. Es könnte nach diesem Film-Erlebnis also durchaus passieren, dass einem auffällt, im übertragenen Sinn selbst Blut an den Lippen zu haben. Es bleibt ein großartiger, da mutiger und formvollendet wirkender Beitrag, der mithilfe einer übermächtig wirkenden Frau möglicherweise indirekt versucht, das eigentlich schwache Geschlecht zu entlarven. Ein Klassiker!