MITTERNACHTSSPITZEN - David Miller

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Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

MITTERNACHTSSPITZEN - David Miller

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"Mitternachtsspitzen" (Midnight Lace) (USA 1960)
mit: Doris Day, Rex Harrison, John Gavin, Myrna Loy, John Williams, Natasha Parry, Anthony Dawson, Herbert Marshall, Roddy McDowall, Hermione Baddeley, Richard Ney, Rhys Williams, Richard Lupino, Doris Lloyd, Hayden Rorke u.a. | Drehbuch: Ivan Goff und Ben Roberts nach dem Bühnenstück "Matilda shouted fire" von Janet Green | Regie: David Miller

Vor drei Monaten hat die vermögende Amerikanerin Kit den Londoner Geschäftsmann Anthony Preston geheiratet. Eines Abends wird sie im Nebel von einer unbekannten Stimme mit dem Tod bedroht. Der Mann kennt ihren Namen und ihre Nationalität und belästigt sie auch am Telefon. Scotland Yard nimmt die Ermittlungen auf, glaubt aber bald, dass sich Kit nur von ihrem Ehemann vernachlässigt fühlt, der zunehmend mehr Zeit in seiner Firma verbringt, die durch eine finanzielle Schieflage in Schwierigkeiten geraten ist. Als sich die Vorfälle häufen, steigert sich Kits Angst und sie sucht verzweifelt nach Hilfe. Währenddessen beobachtet ein Fremder das Haus und auch der Bauunternehmer Younger interessiert sich für die attraktive Frau....

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Die pastellfarbene Welt der Doris Day war lange Zeit ein Gütesiegel für blitzblanke, adrette und fröhliche Unterhaltung. Von kosmopolitischen Ereignissen unberührt, zeigten die Liebeskomödien dem Zuseher eine Welt, in der bonbonfarbene Kostüme, kecke Hütchen und elegante Pelze zur Tagesuniform zählten und frau das Haus nie ohne Handschuhe verließ. Selten erhielt die Schauspielerin die Gelegenheit, anspruchsvollere Rollentypen abseits der leichten Unterhaltung zu übernehmen. Wenn sie in einem Thriller besetzt wurde, wuchs sie unter dem Eindruck einer lebensgefährlichen Bedrohung über sich hinaus wie in den Spannungsfilmen "Der Mann, der zu viel wusste" (1956) oder "Mord in den Wolken" (1957). Das sorglose Leben der weiblichen Hauptfigur ist in "Mitternachtsspitzen" eine Farce; längst kreist der Geier über dem Wolkenkuckucksheim, bereit, seine scharfen Krallen jederzeit zerstörerisch zum Einsatz zu bringen. Die Privilegien der wohlhabenden Gesellschaftsschicht werden durch Attacken auf die Psyche erschüttert. Die Launen der Reichen und Schönen als Ausdruck ihrer geistigen und körperlichen Unterforderung erfahren zunächst wenig reelle Aufmerksamkeit. Die Annahme, eine gelangweilte Frau kompensiere ihre Leere mit fingierten Telefonanrufen, um die Aufmerksamkeit und Fürsorge ihrer Umgebung auf sich zu lenken, liegt bei den Behörden nahe, die zwar ihre besten Steuerzahler zufriedenstellen wollen, persönlich jedoch die Überspanntheit exaltierter Millionäre verabscheuen. Während Kit aufgrund ihres sympathischen Charismas bald Pluspunkte sammeln kann, strahlt ihr reservierter Gatte die Vertrauenswürdigkeit einer Kobra aus und findet in Rex Harrison einen adäquaten Vertreter jener Wirtschaftstreibenden, deren Bilanzen ebenso akkurat frisiert sind wie ihr Haupt. Die Wahrung ihres Ansehens verlangt Opfer, allerdings meistens von den anderen und somit stellen Anthony Preston und seine Gesinnungsgenossen eine latente Bedrohung für jene dar, die sie auf ihrem zweifelhaften Weg behindern. Privates und Berufliches soll laut seiner Maxime getrennt werden, verhindert jedoch nur, dass Probleme angesprochen werden und beizeiten im Keim erstickt werden können.

Temporeich und dynamisch wie das personifizierte Wirtschaftswunder nimmt die Vorzeige-Amerikanerin die steife britische Festung ein, hinter deren Fassaden finstere Abgründe lauern - auf diesen einfachen Nenner ließe sich der Thriller von einem nüchternen Betrachter bringen, wenn da nicht die vielen Zwischentöne wären, die den Film von einem überaus spannenden, aber im Grunde vorhersehbaren Reißer unterscheiden. Die Psyche als menschlicher Risikofaktor war im Kinojahrgang 1960 besonders populär und zeigte damit, dass sich die Filmindustrie nach den berechenbaren Fünfziger Jahren für Tabuthemen öffnete und damit ein Potenzial anzapfte, das unzählige Möglichkeiten bot. Die Bedrohung durch ein gestörtes Gehirn wurde ebenso präsent wie jene durch einen Täter, der primär an finanzieller Bereicherung interessiert war. Dies stellte die Polizei vor neue Herausforderungen und zeigte dem Zuschauer, dass das Universum des Films noch manche Überraschung bereithalten konnte, was mehr und mehr an Bedeutung gewann, zumal mit dem Fernsehen ein mächtiger Konkurrent in den Wettstreit um die Gunst des Publikums eingetreten war. Die geschmeidige Kombination aus Thriller und Drama verführte durch ein wahres Feuerwerk an optischen Eindrücken, die ein ums andere Mal zünden, weil sie den Zuschauer einlullen und fesseln zugleich. Präzise agierende Mimen zeigen, dass sie ihr Handwerk gelernt haben und zehren von ihrer Ausstrahlung, welche die großen Schauspieler ihrer Zeit so nachhaltig vermitteln konnten. Die Choreografie der Handlung funktioniert nach dem Lehrbuch und macht den Film zu einem klassischen Vertreter des Genres, der sich bemüht, nach streng logischen Grundsätze vorzugehen und jeden Rest eines Zweifels aus dem Weg zu räumen. Große Emotionen konkurrieren mit Understatement und man kann sich ausrechnen, auf welcher Seite die Sympathien der Produktion liegen. Traue niemandem, der seine Gefühle unter Verschluss hält - so die Botschaft des Films und seiner weiblichen Heldin Doris Day, die das verwaschene Grau des Londoner Nieselwetters wie eine Sonne überstrahlt.

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