DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Nebelige Schlösser, mystisches Gewirre und blutiges Gekröse.
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Mater_Videorum
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DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Mater_Videorum »

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Der Antichrist
(L'anticristo)

IT, 1974



Regie: Alberto De Martino
Musik: Ennio Morricone & Bruno Nicolai
Darsteller: Carla Gravina, Mel Ferrer, Arthur Kennedy, Alida Valli, Anita Strindberg, George Coulouris, Mario Scaccia, Umberto Orsini, Remo Girone, Beatrice De Bono, u.v.m.


Inhalt: Nach einem von ihrem Vater (Mel Ferrer) verursachten Autounfall in ihrem 12.Lebensjahr, bei dem ihre Mutter starb, sitzt Ippolita (Carla Gravina) im Rollstuhl, paralysiert und unglücklich. Die hochintelligent und sehr sensitive Frau entwickelt jedoch nach einem Wachtraum Charakterzüge einer vom Teufel Besessenen und fängt an, ihre Umwelt zu terrorisieren, versetzt diverses Mobiliar in den Schwebezustand, dröhnt mit düsterer Männerstimme Obszönitäten und geifert ihre Familie zusammen. Offenbar gab es in der Familie schon einmal vor 400 Jahren den Fall einer Ippolita, die sich einer Dämonensekte verschrieb und sich mit dem Teufel (bzw. seinem Vertreter auf Erden) paarte. Ein Bettelmönch macht sich schließlich an einen Exorzismus... [Quelle: OFDb]


Kurzkritik: Der Antichrist, Alberto de Martinos verfilmtes Götzenabbild von William Friedkins ein Jahr zuvor erschienenen Welterfolg, bedient sich folglich bei der erzählten Geschichte mehr als genug beim großen Vorbild aus Übersee. Und dennoch mag ich dieses europäische Plagiat -oder nennen wir es besser ein von vorhandenen Ideen inspiriertes und weiterentwickeltes Bessessenheitsdrama- lieber als Friedkins Original!

Zum einen liegt es natürlich an den in grauer Tristesse getauchten Locations rund um die italienische Hauptstadt, auch wenn der diabolische Spielplatz hauptsächlich ins Haus der Familie Oderisi verlegt wurde und da geht es in der zweiten Filmhälfte so richtig rund.

Zum anderen natürlich an der Hauptdarstellerin und Opfer allen Übels, Carla Gravina. Carlas Rolle der Ippolita, hier die Tochter von Mel Ferrer, wurde nämlich seit ihrem 12. Lebensjahr kontinuierlich durch die Scheiße gezogen. Verdanken hat sie das ihrem Dad, der durch eine Unaufmerksamkeit einen heftigen Autounfall verursachte, bei dem sie, anders als ihre Mutter, zwar noch knapp mit dem Leben davon kam, dafür ihre Beine dank einer anhaltenden Lähmung nicht mehr gebrauchen kann. Die nun herangewachsene, sehr intelligente und hochsensible junge Frau, mag sich mit ihrem Schicksal vielleicht noch nicht ganz abgefunden haben, aber man merkt als Zuschauer vehement, dass sie sich selber nicht mehr allzu viele Chancen in Bezug auf Heilung einräumt. Ippolita mag dabei auch keine allzu großen Sympathiepunkte beim Publikum einheimsen, aber Carla spielt diesen halb-gebrochenen Menschen einfach verblüffend glaubwürdig und schafft dadurch dennoch eine vertrackte Bindung zum Zuschauer aufzubauen. Auch den dämonischen Terror, dem Ippolita nach Hälfte der Laufzeit ausgesetzt ist, portraitiert sie ebenfalls stark, egal in welcher Zwischenstufe teuflischer Bessessenheit sie gerade taumelt. Dieser Schnitt, von Normalität in Richtung niederträchtiges Abdriften, ist einfach sensationell gesetzt, denn es dauert sein Weilchen, bis der deutsche Kinotitel auch das einlöst, was er vorher versprechen mag. Danach geht die Sause aber los, es wird gespuckt, gekotzt, Gegenstände werden durch die Luft gewirbelt, Vulgäritäten im Dauertakt rausposaunt und spätetestens wenn Wolfgang Hess, die deutsche Synchronstimme unseres geliebten Carlo Pedersoli (R.I.P.), als Sprachrohr des Verteufelten Ippolitas Stimmbänder beansprucht, darf die Kuh so richtig fliegen.

Neben soviel Scheusal läßt Anita Strindberg einem wahrlich die Augen verblitzen. Zwar bleibt dem Zuschauer ihr sichtbarer Ausflug nach Silikonien mal wieder nicht verborgen, aber so anmutig sah ich sie bisher annähernd nur in Fulcis A Lizard in a Woman's Skin; sowie Aldo Lados The Child - Die Stadt wird zum Alptraum. Leider ist ihre Rolle der Gelieben von Ippolitas Vater nicht mit allzu viel Screentime gesegnet, aber Albertos Filmchen handelt ja auch hauptsächlich vom sprichwörtlichen Entsetzen und weniger von schwierigen Beziehungskisten. Mel Ferrer ist natürlich immer sehenswert, selbst wenn er nur einen besorgten Papa mit Schuldgefühlen mimt. Auch seine Figur wird im Laufe der Handlung unfreiwillige Veränderungen durchmachen und genau das schätze ich an de Martinos Okkultdrama, denn Stillstand ist hier fehl am Platz. Selbst bei Dialogen ist die Kamera in Bewegung und harrt nicht versteift auf ihrer Position. Kein Wunder, denn das Objektiv ist bei Aristide Massaccesi in allerbesten Händen. Seine Kameraführung scheint die Protagonisten förmlich zu umgarnen. Es gibt eine Szene, da wird Ippolitas Schlafzimmerhintergrund -ein gemalter Himmel- während eines Traums real und samt Bett, schwebt man mit der Hauptdarstellerin quasi über den Wolken, ein somnabuler Effekt, der im Kinosaal* seinesgleichen suchte. Auch die Ritualsequenz, sicher etwas aus Polanskis Rosemarys Baby abgeschielt, überzeugt voll und ganz, wirkte zudem weniger peinlich als sonstige Nachzügler, sondern erzeugte auf ihre eigene Art und Weise mulmiges Unbehagen.

Musikalisch hielt sich Maestro Morricone (R.I.P) mit Kollege Nicolai in Bezug auf Pompösität dieses Mal zurück und kredenzte ein eher unauffälles Klanggerüst, welches De Martinos Exorzistenthematik trotzdem wunderbar aus dem Hintergrund den Rücken stärkt. Im zweiten Teil des Originals, Der Ketzer, ließ es Ennio ja bekanntlich wieder etwas progressiver angehen, aber hier passt das Mischverhältnis wunderbar.

Alberto De Martino, der fast jedes mögliche Genre in seiner Regie-Karriere beackerte, konnte mich mit Schwarzes Messe des Dämonen (einer der zahlreichen dt. Alternativtitel) wieder einmal in wahre Begeisterungsstürme versetzen, drum hab ich zum Schluss vielleicht auch mit am frenetischsten Beifall geklatscht. Ich würde sogar sagen, dass Die Hexe von Rom (auch so ein dämlicher Wiederaufführungstitel) vielleicht der schönste, wenn nicht sogar perfekteste Eintrag in seiner umfangreichen Vita ist. Sicher wird der Film von allerlei "Kennern" als plagiativer Schrott aus dem Stiefelland gebrandmarkt - aber mir wumpe, ich fühlte mich erneut sensationell unterhalten, darauf soll es doch letztendlich ankommen. Und öfters gesehen als den Ur-Exorzisten, hab ich diesen hier nun auch. Amen!


* diese Besprechung wurde nach der analogen Sichtung beim Terrore a Norimberga-Festival in Nürnberg im Oktober 2019 verfasst




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Prisma
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Prisma »

Mater_Videorum hat geschrieben:
So., 29.11.2020 10:54
Sicher wird der Film von allerlei "Kennern" als plagiativer Schrott aus dem Stiefelland gebrandmarkt - aber mir wumpe, ich fühlte mich erneut sensationell unterhalten, darauf soll es doch letztendlich ankommen.

Vergleiche verleiten ja oft dazu, dass insbesondere Nachfolgerfilme oder thematisch und stilistisch ähnlich gelagerte Geschichten schlechter wegkommen. Bewusst oder unbewusst. Solche Vergleiche bringen einen wie ich finde nicht wirklich weiter, daher gefallen mir viele Fortsetzungen, beispielsweise à la "Exorzist 2" oder "Psycho 2" oder auch sogenannte Plagiate oft sogar wesentlich besser, als in Stein gemeißelte Klassiker. Stößt dann hin und wieder auf Unverständnis, wie ich gemerkt habe. "Der Antichrist" bewegt sich passgenau und stilsicher in einem Genre, das oft und tatsächlich ziemlich derb ausgeschlachtet wurde, aber Alberto De Martino hat einen wirklich guten, auf die Konfrontation Gut vs. Böse und Kirche & Glaube bezogen sogar einen sehr anspruchsvollen und effektiven Beitrag abgeliefert, der über große Momente verfügt, von der exzellenten Besetzung ganz zu schweigen. Mit der positiven Bewertung bin ich da also vollkommen bei Dir.

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alan_cunningham
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von alan_cunningham »

20201129_225733.jpg

Ich mag den Film auch sehr gerne :) Ob es sich bei so manchem italienischen Film um ein Plagiat handelt, hat mich noch nie ernsthaft interessiert :D
Hauptsache, sie machen Spass! Und hier macht besonders Carla Gravina Spass :twisted:

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Prisma
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Prisma »

alan_cunningham hat geschrieben:
So., 29.11.2020 23:05
Und hier macht besonders Carla Gravina Spass :twisted:

Ja, das finde ich auch. Ich will nicht grade sagen, dass Carla Gravina ein unbeschriebenes Blatt für mich war, aber ganz so viele ihrer Auftritte kannte ich vor diesem Film nicht, oder sie ist mir nicht im Besonderen aufgefallen. Das hat sich nach "Der Antichrist" ein bisschen geändert und ich finde ihre vielen unterschiedlichen Facetten beeindruckend. Hier hinterlässt sie natürlich einen besonders starken Eindruck, was doch sehr zur aufreibenden Atmosphäre des Films beiträgt.

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alan_cunningham
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von alan_cunningham »

Mit Carla Gravina ist es bei mir ähnlich wie bei Marisa Mell - ich kenne nicht allzu viele Filme mit den beiden. Liegt wahrscheinlich weniger an den Filmen, sondern eher daran, dass viele noch nicht offiziell auf DVD/Blu-ray erschienen sind ... :shock:

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Prisma
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Prisma »

alan_cunningham hat geschrieben:
Mo., 30.11.2020 22:47
ich kenne nicht allzu viele Filme mit den beiden. Liegt wahrscheinlich weniger an den Filmen, sondern eher daran, dass viele noch nicht offiziell auf DVD/Blu-ray erschienen sind

Mit Marisa Mell habe ich so gut wie alles durch, aber das ist auch eine Sache, die sich über mehrere Jahre gezogen hat. Da habe ich bei Sendern mitunter Summen bezahlt, die nicht schlecht waren und mich heute frage, ob ich noch ganz richtig war. Aber das gehört manchmal zu der Begeisterung dazu. Ansonsten sind natürlich viel zu wenige Filme mit ihr herausgebracht worden, was sehr schade ist, denn da gibt es wirklich sehenswerte Produktionen, die leider in Vergessenheit geraten sind. Das gleiche gilt wohl auch für Carla Gravina, wie ich in ihrer Filmografie gesehen habe.

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alan_cunningham
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von alan_cunningham »

Bei Sendern? Das erinnert mich an den Autor von "Die Feuerblume" :) Dann sind es DVD-Rs, oder? Man findet ja auch im Ausland viele Filme auf DVD-R. Oft richtig miserable Qualität ... Und oft ohne englische UT :shock: Mein Italienisch hat sich durch die DVD/Blu-ray zwar etwas gebessert (schaue viele italienische Filme mit italienischem Ton und englischen/deutschen UT), aber das reicht noch lange nicht! :)

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Prisma
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Prisma »

alan_cunningham hat geschrieben:
Mo., 30.11.2020 23:24
Bei Sendern?

Ja, zum Beispiel ORF oder ZDF auf DVD-R. Vor allem TV-Produktionen, bei denen meistens davon auszugehen ist, dass sie nicht veröffentlicht werden.

hockeymask86
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von hockeymask86 »

Ein Exorzist-Rip-Off das mir besser als das Original gefällt. Auf Arte lief der ja in besser Qualität als die Blu Ray.
War zwar in Szenen gekürzt, an manchen Stellen aber länger die Scheibe.
Habe beide Fassungen.

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Richie Pistilli
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Re: DER ANTICHRIST - Alberto De Martino

Beitrag von Richie Pistilli »

hockeymask86 hat geschrieben:
Di., 28.09.2021 20:45
Ein Exorzist-Rip-Off das mir besser als das Original gefällt. Auf Arte lief der ja in besser Qualität als die Blu Ray.
War zwar in Szenen gekürzt, an manchen Stellen aber länger die Scheibe.
Habe beide Fassungen.

Der dazugehörige Schnittbericht: https://www.schnittberichte.com/schnitt ... ?ID=784539

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