TÖTE, DJANGO - Giulio Questi

Staubige Dörfer, schweigsame Pistoleros und glühende Colts.
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Sid Vicious
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TÖTE, DJANGO - Giulio Questi

Beitrag von Sid Vicious »

Originaltitel: Se sei vivo spara
Regisseur: Giulio Questi
Kamera: Franco Delli Colli
Musik: Ivan Vandor
Drehbuch: Franco Arcalli, Giulio Questi, María del Carmen Martínez Román, Benedetto Benedetti
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„Django“ und seine Lumpenhunde haben sich mit Oaks und dessen Desperados verbündet, um gemeinsam einen Goldschatz zu rauben. Der Coup ist erfolgreich, aber Oaks und seine Halsabscheider denken nicht ans Teilen. Folglich massakrieren sie Django und seine mexikanischen Strolche. Um anschließend ein wenig zu feiern und sich von dem kräftezehrenden Massaker zu erholen, ziehen die Killer in ein kleines Dorf ein, wo sie schnell feststellen, dass die Einwohner nicht mit ihrer Feierlaune konform gehen, denn Oaks und seine Halunken sind in der Hölle gelandet und Satans sadistische Häscher liegen bereits auf der Lauer, um die ungeladenen Gäste mit Folter und Tod zu bewirten.

„Du wirst nicht weit kommen… Oaks!“ (Django)

Das Œuvre von Giulio Questi umfasst einen spärlichen Anteil von Regiearbeiten. Irgendwie erinnert mich seine Filmografie an die von Claudio Gora. Geachtet dessen, lassen sich gar Gemeinsamkeiten aus ihren jeweils einzigen Westernarbeiten, „Töte, Django“ und „Il Nero“, dechiffrieren. Zwei sehr spezielle Inszenierungen, die nicht nach den üblichen Formeln des Italo-Westerns gestaltet sind und sich stattdessen als äußerst bizarre Konstruktionen zu erkennen geben.

Einige Jahre bevor Corbucci seinen Weg mit Leichen pflasterte und einhergehend die Geschichte eines stummen Erlösers auf Zelluloid hauchte, visualisierte Questi eine von jeglicher Moral befreite Welt, eine sinnbildliche Hölle auf Erden, in dessen Zentrum ein Gesetzloser, der zugleich als eine Art Heiland fungiert und zwischen zwei verfeindete Parteien gerät, tritt, um Rache zu nehmen.

Analog zu dieser Mission werkt Questi, wie bereits erwähnt, nicht nach der üblichen IW-Formel, absolut nicht, denn der Regisseur greift gar dessen in Stein gemeißelte Ingredienzien an, jedoch weniger, um sie einer Revision zu unterziehen, sondern um Tabus zu brechen und Grenzen zu überschreiten. So werden beispielsweise die klassischen Desperados des italienischen Genrekinos, die staubigen, stets coolen und gerissenen Zuschauerlieblinge, als eine Schar von homosexuellen Cowboys, gekleidet in einheitliche Uniformen, dargestellt. Eine kostümierte Privatarmee, die jegliche Outfitklischees und - das ist besonders eigen - die Sexualorientierung der Bösewichte einer strikten Umkehrung unterzieht, was einem gewagtem Bruch mit dem Traditionellen gleichkommt.

„Und es ward ihnen gegeben, dass sie sie nicht töteten, sondern sie quälten - fünf Monate lang; und ihre Qual war wie eine Qual vom Skorpion, wenn er einen Menschen schlägt.“ (Die Offenbarung - Kapitel 9)

Religiöse Motive und Anspielungen auf das Christentum (in diesem Kontext erscheint mir das Buch „Gnade spricht Gott – Amen mein Colt: Motive, Symbolik und religiöse Bezüge im Italowestern“, das ich selbst leider noch nicht gelesen habe, äußerst bereichernd) sind im Italo-Western nun wirklich keine Seltenheit. Man denke an die zahlreichen symbolischen Kreuzigungen, sowie an den Antihelden, der zum Heiland und Hoffnungsträger gekrönt wird. Auch Questi findet Gefallen an der heiligen Schrift, lässt Django nach dem Massaker aus dem Reich der Toten zurückkehren (Frohe Ostern, Compañero!) und gemeinsam mit zwei indianischen Dienern (die Heiligen Zwei Könige) in ein von Psychopaten und Sadisten beherrschtes Westernkaff einziehen.

Das diese fehlgesteuerten Figuren, genannte Psychopaten und Sadisten, den gern zitierten Schuss nicht gehört haben, halte ich für eine sehr zahme Behauptung, denn ich bin der Meinung, dass sie selbst den Explosionsknall, den der Vulkan Krakatau auslöste, nicht vernommen hätten. Infolgedessen muss man den Darstellern ein überaus gutes Zeugnis ausstellen, da sie den Wahnsinn, der Questis Vehikel immerzu durchzieht wie ummantelt, jederzeit authentische spüren lassen. Schaut euch einfach mal den Stadteinmarsch von Oaks und seinen Desperados genauer an und lasst die Mimiken und Gestiken der beobachtenden Dorfbewohner auf euch einwirken. Und? Mir laufen bei der Ansicht dieser Szene kalte Schauer über den Rücken. Ein Effekt, der mir übrigens seit meiner ewig zurückliegenden VHS-Erstsichtung von „Töte Django“ in tiefer Erinnerung blieb.

Wie bereits in der Inhaltsangabe angerissen, ist der Fremde nicht besser als der übelste Desperado. Trotzdem stellt er die letzte Hoffnung innert einer verlorenen Gesellschaft dar. Eine Gesellschaft, die sich längst nicht mehr am Abgrund bewegt, da sie bereits am Endpunkt einer florierenden Dekadenz angelangt ist.

Fazit: „Töte, Django“ gehört (wie „Il Nero“, „Willkommen in der Hölle" und „El Puro“) zum ganz speziellen Output des italienischen Westernkinos. Ein brutaler, abschreckender und fortwährend böser Film, in dem Questi die Hölle auf Erden visualisiert und uns einhergehend das Abbild einer kranken Gesellschaft (in der wir einst lebten, gegenwärtig leben sowie auch Zukunft leben werden) zeigt, was dem Film zugleich eine ewige Jugendlichkeit respektive (s)eine Zeitlosigkeit attestiert.


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