6 KUGELN FÜR GRINGO - Rafael Romero Marchent

Staubige Dörfer, schweigsame Pistoleros und glühende Colts.
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Sid Vicious
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6 KUGELN FÜR GRINGO - Rafael Romero Marchent

Beitrag von Sid Vicious »

Originaltitel: Dos pistolas gemelas
Regisseur: Rafael Romero Marchent
Kamera: Franco Vitrotti
Musik: Gregorio García Segura
Drehbuch: Manuel Sebares, Giovanni Simonelli
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Die Zwillingsschwestern Sally und Jenny Parker reisen gemeinsam mit ihrem Großvater durch die Lande, um kraft ihrer kleinen Wild West Show die Zuschauer zum Kauf eines Wunderelixiers zu bewegen. Nachdem ihr Opapa bei einem Pokerspiel ein Grundstück inklusive der dort errichteten Farm gewinnt und anschließend erschossen wird, fällt der Gewinn unverzüglich in die Hände der Zwillinge. Analog zu ihrem Erbschaftsantritt stehen die Geschwister fortan mit ihren neuen Nachbarn, dem Ranger Slatery und seinem Sohn Gringo, auf Kriegsfuß. Als ausgerechnet Gringo von Unbekannten entführt wird, gestaltet sich die Gesamtsituation zusehends verzwickter und die Zwillinge müssen sich von Stund an nicht nur um Farm und Land, sondern auch um ihr Leben sorgen, denn ihre Erbschaft scheint einen wesentlich größeren Wert zu besitzen, als es die Mädels in ihren kühnsten Träumen hätten ausmalen können.

Einige Monate bevor Rafael Romero Marchent den düsteren und kürzlich von mir besprochenen TWO CROSSES AT DANGER PASS inszenierte, kreierte er mit 6 KUGELN FÜR GRINGO einen Western, der von melodramatischen Pflichten, wie sie halt TWO CROSSES AT DANGER PASS transportiert, befreit ist. Der Film greift stattdessen mittels seiner humoresken Anklänge - zumindest ganz zart - das vor, was mit den Spencer/Hill-Western zu einem festen Bestandteil des italienischen Westerngenres wurde. Gottlob war die Berliner Union Film GmbH & Co. Studio KG gnädig gestimmt und verzichtete auf eine von Kalauern dominierte Plapperorgie. Ergo können wir uns allesamt zurücklehnen und Marchents zweite Regiearbeit, welcher der Blütezeit des Italo-Westerns entsprang, allerdings nicht, wenn man die IMDB zurate zieht, in den italienischen Lichtspielhäusern aufgeführt wurde, entspannt konsumieren. Die italienische Beteiligung ist nichtsdestotrotz eindeutig belegbar, da sich die römischen Firmen Trans Monde-Film und Luxor-Film in die Produktion einbrachten.

„Die Rolle der Frau im Italo-Western lässt sich leicht definieren, entweder sie stirbt für ihn oder sie lebt ohne ihn. Wo bleibt da die Revolution?“ schreibt Anatol Weber in seiner Essay „Ihr Name ist Nobody“ und bringt damit unmissverständlich auf den Punkt, dass die weiblichen Protagonisten im IW, gelinde formuliert, nicht viel zu bestellen haben. Marchent ließ sich von dieser Konstruktionsformel nicht beirren und rückt(e) gar ein feminines, von Emilia und Pilar Bayona verkörpertes, Zwillingspaar (Jenny und Sally Parker), von denen eine die Brave und die andere die Kratzbürste mimt, in den Fokus. Die Mädels sind die Hauptattraktion einer kleinen Wild-West-Show, in der sie ihr Showtalent sowie Jenny ihre Fähigkeiten als Kunstschützin zum Besten geben. Jennys sicherer Umgang mit Winchester und Colt spricht freilich gegen die Regeln des Westerns, da sie bessere Leistungen abliefert, als es beispielshalber dem maskulinen Pistolenhelden Gringo möglich ist. Es sind jedoch weniger ihre sichere Hand wie ihr gutes Auge als eher ihr kesses Mundwerk, dass einen Bezug zu Martha Jane Burke, besser bekannt als Calamity Jane, die in Buffalo Bills Wild-West-Show und der Palace Museum Show auftrat, entschlüsseln lässt. Die Trunkenheit, die man Jane nachsagt, wird von Jenny wie auch Sally Parker allerdings nicht bedient. Stattdessen avancieren sie sukzessive zu love interests, was einhergehend die beiden männlichen Hauptcharaktere, der Ingenieur Robert Clark und der Rangersohn Jimmy Slatery, von der deutschen Synchronisation auf den Namen Gringo getauft, in Aktion treten lässt. Ungeachtet ihrer Liebesambitionen stellen sich Robert und Gringo als minder transparente Charaktere vor, die vom Duft roter Heringe erfüllt sind und ebendarum die im Film thematisierte Aufhellung eines Geheimnisses additional aromatisieren. Dementsprechend geht der Film, was die eindeutige Konstruktion von Gut und Böse anbelangt, nicht unbedingt mit den konventionellen Zuschauererwartungen konform. Der Ranger Slatery, dessen Sohn Gringo (gespielt von Sean Leslie Flynn, dem Sprössling von Errol) der Sheriff, der Ingenieur Robert Clark, die ominösen Unbekannten: Sie alle greifen unermüdlich in die Satzzeichenkiste, um den Zuschauer mit Fragezeichen zu befeuern. Gemessen an den zwielichtigen Figurenzeichnungen mutet es selbstredend praktisch verschenkt, dass Marchent nicht die Optionen des Zwillingsmotivs auskostet und den beiden charakterlich unterschiedlichen Mädels, die notabene jederzeit ein bequemes Plätzchen in nahezu jedem bundesrepublikanischen Heimatfilm der 1950er wie 1960er gefunden hätten, ein zwischen Gut und Böse chargierendes Spiel ermöglicht. Marchent etikettiert das Geschwisterpaar ganz simpel als die Brave (Sally) und den Zankteufel (Jenny) und ermöglicht keiner der beiden Schwestern über ihren Schatten hinaus zu schreiten. Schauen Sie sich zum Vergleich mal DRACULAS HEXENJAGD an, dann verstehen Sie auch was ich meine, denn die dort wirkenden Zwillinge Madeleine und Mary Collinson ziehen in ihren Rollen als Frieda und Maria Gellhorn einen derart mächtigen wie gar prächtigen Budenzauber auf, der den Grafen Karnstein älter aussehen lässt, als es seine aberhundert Aktivitätsjahre als Untoter beziffern.

Marchents Kreativität respektive die Raffinesse seines Drehbuchautors lassen den Zuschauer zwischen den unterschiedlichsten Szenarien schwingen. Denn wenn Jenny und Sally durch die Straßen oder über die Saloonbühne tanzen, kann die gelöste Stimmung stante pede umschlagen und die Showbühne in einen staubigen Untergrund transformieren, der die brutalen Mechanismen des Italo-Westerns aktiviert und Fausthieben wie Stiefeltritten ihre einschlägige wie blutfordernde Performance ermöglichen. Diese fundamentalen Wechsel gestehen dem Gesamtwerk freilich eine immerzu über dem Geschehen schwebende Uneinschätzbarkeit zu, welche die eindeutige Kategorisierung des Vehikels beeinträchtigen. Die begeleitende bundesrepublikanische Synchronisation ist recht zahm ausgefallen, sodass wir, wie eingangs erwähnt, von Klamauk und sonstigen IW-schädlichen Sprachsalven verschont bleiben. An die Seite dieser Sprachkonstruktion tritt eine von Gregorio García Segura komponierte Eingangsfanfare, die eindeutig an Alfred Newmans Glanzstück „How the West was won“ angelehnt ist. Ich spreche zwar ungern von Musikklau und weiß künstlerische Freiheit zu schätzen, aber die kompositorischen Gemeinsamkeiten sind schon sehr offensichtlich und somit für nahezu jedermann spielend zu entschlüsseln.

Fazit: 6 KUGELN FÜR GRINGO lässt die Ingredienzien von Musical, Komödie und hartem IW um ein Geheimnis kreisen, dessen Aufhellung wie die Konstruktionen der fahndenden Figuren beziehungsweise Charaktere nicht immer mit der Erwartungshaltung der Zuschauer konform gehen. Zudem bricht Machents Inszenierung gar mit den ehernen Regeln des Italo-Western, gewährt der Herzenswärme ihren Triumph und offeriert ein Finale, welches in seiner Kitschigkeit kaum zu übertrumpfen ist, was demgemäß ein Glück reflektiert, dass es in den südländischen Bleiopern praktisch - na was wohl? - nicht geben darf.
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