DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE - Dario Argento

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
Antworten
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3733
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE - Dario Argento

Beitrag von Prisma »



Bild

● IL GATTO A NOVE CODE / DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE / LE CHAT À NEUF QUEUES (I|D|F|1971)
mit James Franciscus, Karl Malden, Catherine Spaak, Horst Frank, Pier Paolo Capponi, Rada Rassimov, Cinzia De Carolis,
Aldo Reggiani, Vittorio Congia, Ugo Fangareggi, Tom Felleghy, Emilio Marchesini und Tino Carraro sowie Werner Pochath
eine Produktion der Seda Spettacoli | Terra Filmkunst | Labrador Films | im Constantin Filmverleih
ein Film von Dario Argento

Katze (1).jpg
Katze (2).jpg
Katze (3).jpg
Katze (5).jpg
Katze (4).jpg
Katze (6).jpg
Katze (7).jpg
Katze (8).jpg
Katze (9).jpg

»Da jagen wir einer Katze mit neun Schwänzen hinterher!«


Der Einbruch in einem wissenschaftlichen Institut für Genforschung fordert ein Todesopfer, doch weder Personal noch Polizei sehen irgend welche Zusammenhänge. Da sich der Mord in der unmittelbaren Nachbarschaft des ehemaligen und mittlerweile erblindeten Journalisten Franco Arnò (Karl Malden) abgespielt hat, der in diesem Zusammenhang ein verdächtiges Gespräch mithören konnte, macht er sich auf die Suche nach dem Killer. Schützenhilfe leistet sein Kollege Carlo Giordani (James Franciscus), bis beide wenig später merken, dass sie auf der richtigen Spur zu sein scheinen, da der Killer schwerere Geschütze auffährt...

Nach dem Überraschungserfolg seines Debüt-Thrillers "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" schickte Dario Argento den zweiten Teil seiner häufig sogenannten Tier-Trilogie in die Arena, welche durch "Vier Fliegen auf grauem Samt" komplettiert wurde. Für Fans des Regisseurs und des Genres ist es innerhalb dieser Beiträge in der Regel völlig klar, welche Geschichte den ersten Platz auf dem Treppchen macht. "Die neunschwänzige Katze" weist wie ihre Tier-Genossen thematisch gesehen nur beiläufig auf den Titel hin, der eine neunschwänzige Peitsche als Namensvetter nimmt, die für schwere körperliche Bestrafung und Misshandlung steht. Im übertragenen Sinn beschreibt sie den Verlauf metaphorisch, da es zu einem tödlichen Rundumschlag kommt. So ungewöhnlich der Titel auch erscheinen mag, so passend wirkt er in dieser nebulösen Geschichte, die sich mit einem Gen-Forschungsinstitut ein modernes Setting gewählt hat. Ärzte und Wissenschaftler stehen als Äquivalent für Innovation, Cleverness und Intelligenz, sodass sich die Frage stellt, ob sich auch genügend Raffinesse und Motivation für eine Mordserie unter ihnen ausfindig machen lassen könnte. Für einen soliden Spannungsaufbau und eine atemlose Atmosphäre arbeitet Regisseur Argento mit subjektiven Kamerafahrten, sodass das Publikum zum Komplizen wird. Aufgrund überaus brutaler Morde, deren Exposition grausam und unerbittlich wirkt, ist zu erahnen, dass man es mit einem Killer zu tun hat, der vor nichts zurückschrecken wird. Doch wo liegt eigentlich das Motiv? Dario Argento wird dieses Thema akribisch und in atemberaubenden Bildstrecken aufarbeiten. Vergleicht man diese Produktion mit "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" oder "Vier Fliegen auf grauem Samt" , lassen sich etliche Similaritäten ausfindig machen.

Überraschungen, falsche Fährten, Einbahnstraßen oder Tunnels mit entgegen kommenden Zügen, eine auffällige Brutalität und sadistische Ader des Mörders, zahlreiche charakterliche Eigenschaften, die sich gleichen, und so weiter. So kann gesagt werden, dass dieser erst zweite abendfüllende Spielfilm des Italieners bereits seine eindeutige Handschrift trägt. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass seine Beiträge über eine besonders komplexe Anatomie verfügen, die sich langsam aber sicher erschließt. Also sollte ein Argento-Zuschauer immer sein eigenes Seziermesser mit sich führen, auch wenn sich hier und da Unglaubwürdigkeiten zum Vorschein kommen. Interessant sind wieder einmal die völlig gegensätzlichen Charaktere, die sich hier erst zusammenfinden müssen, oder auch nicht. Das ausgiebige Schüren von Skepsis das Aufwerfen zahlreicher Vertrauensfragen macht dieses neunschwänzige Roulette spannend, zumal auch ausgewiesene Sympathieträger in den Kreis der Verdächtigen gerückt werden. Dario Argentos unbändige Lust zu verwirren wird auch hier wieder große geschrieben, wenngleich "Die neunschwänzige Katze" vielleicht nicht gerade über den besten Whodunit-Effekt verfügt. Dennoch entschädigt die wirklich hochwertige Inszenierung, bei welcher es die Regie in drastischen Bildern schafft, an den Nerven zu zerren, da manche Eindrücke bereits beim bloßen Anschauen beinahe weh tun. Das Einstreuen weicher Horror-Elemente spitzt die Hochspannung szenenweise immer wieder geschickt zu, und man erlebt einen Film, der nicht zuletzt wegen des empfindlichen Spiels mit Nähe und Distanz in Erinnerung bleibt. Ummantelt mit der stets abgestimmten Musik von Ennio Morricone, die behutsam, episch, irreführend und aufwühlend zugleich sein kann, entstehen formvollendete Momentaufnahmen, die am Ende zu einem stimmigen Ganzen verschmelzen, auch wenn unwahrscheinliche Elemente zum Genre dazu gehören. Der Tod könnte überall lauern und zuschlagen, lichtet das Feld schließlich empfindlich, wenn auch nicht radikal, um genügend Verdächtige übrig zu lassen.

Die Ermittlungen leitet die hiesige Polizei - dem Empfinden nach nur pro forma - denn es sind wie so oft Privatpersonen, die den Fall hauptsächlich durchleuchten und den Täter unter Druck setzen. Carlo Giordani, ein Reporter und Franco Arnò, ein blinder Zeuge, der lediglich durch die Augen seiner kleinen Nichte namens Lori sehen kann, tragen das Geschehen konstant voran, sodass rasante Züge Überhand gewinnen können. Die Auswahl der männlichen Hauptdarsteller ist ebenso extravagant wie auch etwas gewagt, da man zwei unterschiedliche Zugpferde ins Rennen schickt. Hollywood-Star Karl Malden erscheint hierbei der Favorit zu sein, da sein Kollege James Franciscus der vergleichsweise unbekanntere Name ist. Die beiden ungleichen US-Amerikaner definieren das Szenario auf die jeweilige Art und Weise sehr mitreißend und sorgen für so manche denkwürdige Szene, außerdem brauchen sich beide gegenseitig für eine quasi symbiotische Täterfindung, da der eine von ihnen trotz eines fehlenden Sinnes mehr der aufmerksame Kopf ist, der andere eher der Macher. Das aufgewühlte Szenario wird durch Catherine Spaaks undurchsichtige Charakterzeichnung effektiv bereichert, denn sie weigert sich förmlich, Partei zu ergreifen und sich für eine Seite zu entscheiden. Regisseur Argento lässt viele seiner Charaktere in diesem beinahe vogelfreien Status verweilen, um die größtmögliche Überraschung herauszuschlagen und Vorbehalte zu verbreiten. So wimmelt es nahezu von dubiosen Charakteren, passgenau und überzeugend dargestellt von Horst Frank, Tino Carraro, Aldo Reggiani oder Werner Pochath, aber auch Projektionsflächen für Schutz wie etwa Rada Rassimov oder Cinzia De Carolis. Betrachtet man am Ende das Motiv dieses feinen und sorgsam inszenierten Giallo, der in der Bundesrepublik unter dem ergiebigen Banner Bryan Edgar Wallace vermarktet wurde, muss man sich fragen, ab welchem Zeitpunkt es eigentlich für Mord reicht. Bei Dario Argento lautet die Faustregel: Wohl immer.

Antworten