DIE SCHAMLOSEN - Pierre Chenal

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Prisma
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DIE SCHAMLOSEN - Pierre Chenal

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Marisa Mell

DIE SCHAMLOSEN


● LES BELLES AU BOIS DORMANTES / LES LIBERTINES / LAS BELLAS DEL BOSQUE / L'INTRECCIO / DIE SCHAMLOSEN (F|I|E|1970)
mit Robert Hossein, Alberto Dalbés, Ettore Manni, Perla Cristal, Krista Nell, Ellen Bahl, Robert Dalban, Sabine Sun und Lili Muráti
eine Produktion der Lira Films | Ascot | Cineraid | Balcázar Producciones Cinematográficas
ein Film von Pierre Chenal

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»Ich möchte fliehen aus diesem furchtbaren Haus!«


Ein kleines Schloss wurde zu einem feudalen Sanatorium umfunktioniert, in dem die Klientel ausschließlich aus der besseren Gesellschaft stammt. Da die Herrschaften mit allerlei psychischen Störungen, Spleens und Neurosen zu kämpfen haben, widmet man sich dort mit möglichst einfachen Methoden zur Genesung der angeschlagenen Seele. Isabelle (Marisa Mell), die schöne Direktrice der Anstalt, wird von den Männern umschwärmt, aber von den Klientinnen und dem Personal mit einem Sicherheitsabstand konfrontiert. Dies ist auch angebracht, denn inmitten von all dem Luxus kommt sie auf die Idee, sich das Leben auch versüßen zu wollen. Außerdem steckt ihr krimineller Liebhaber Serge (Robert Hossein) in der Klemme. So arbeitet sie den Plan aus, sich das wertvolle Diamanten-Collier einer herzkranken Patientin (Lili Muráti) anzueignen, welches sie aus Dankbarkeit eigentlich einer anderen Mitarbeiterin zugedacht hatte. Doch der Plan geht nicht so leicht auf, wie es sich Isabelle gedacht hat...

Der bekannte Regisseur und Drehbuchautor Pierre Chenal inszenierte diesen in Vergessenheit geratenen Spielfilm unter seinem Pseudonym Dave Young, der sich über weite Strecken nur schwer in ein bestimmtes Genre einordnen lassen will. Die Umschreibung Erotik-Krimi passt unterm Strich vielleicht am besten und der Verlauf zeigt sich zusätzlich angereichert mit dramatischen Anteilen, etwas Action und vagen psychologischen Erklärungsversuchen. Das Setting und die eigenartigen Gestalten rund um das Luxus-Sanatorium erinnern vom Prinzip her recht häufig an "Das Schloss der blauen Vögel", doch die hier vorhandenen und streng dosierten Giallo-Fragmente der Geschichte zeigen sich nur selten in Reinkultur, außerdem fehlen explizite Gewalt- und Erotik-Darstellungen, die hier offen gestanden Wunder gewirkt hätten. Bei Betrachtung der Gesamtkomposition ist es letztlich unbegreiflich, dass unter derartig guten Voraussetzungen jegliches Potential systematisch ignoriert und bereitwillig verschenkt wurde. Die Story um das Gangster-Pärchen und den Juwelenraub ist ungelenk und wirkt wenig ausgefeilt und der komplette Verlauf ist mit nicht immer nachvollziehbarem und überzeichnetem Handeln seiner Protagonisten gestreckt, was schon wieder zum guten Ton derartiger Beiträge zu zählen ist. Zu erwähnen bleibt, dass der Film trotz aller bemerkbaren Schwächen einen geradezu eigenartigen Reiz ausübt, denn seine Ruhe wirkt überraschend und das geschehen wird von einer mysteriösen Note geradezu dominiert. So macht sich eine subtile Spannung breit und "Die Schamlosen" zehrt im besonderen Maße von seiner ansprechenden und frischen Bildsprache, verbreitet dabei eine Art fantasievoller Langeweile. Durch die eleganten Kompositionen von Armando Sessian kommt eine besondere Atmosphäre auf, die swingenden und klassischen Arrangements vertreiben die Zeit sehr angenehm und verleiten dazu, das Gezeigte schließlich überzubewerten. So ist es nicht die Geschichte selbst, die für Verwirrung beim Zuschauer sorgt, sondern es ist die Tatsache, dass man hier im übertragenen oder eher relativen Sinne noch Stroh zu Gold machen konnte. Daher sollte Chenals Projekt eher wohlwollend betrachtet werden, denn Beiträge dieser Art, die bei aller Belanglosigkeit doch irgendwie überzeugend - um nicht zu sagen - faszinierend wirken, vermitteln unterm Strich eine diskrete Raffinesse.

Im Kreise der Besetzung empfehlen sich einige gute alte Bekannte, die dem Szenario Glanz und Gloria zu verleihen wissen. Marisa Mell hatte zu jener Zeit im optischen Sinne ihre Blütezeit erreicht und sie wirkt einmal mehr schön, verführerisch und stolz. Ihre Isabelle gibt ganz dem Charakter des Films entsprechend nur verhältnismäßig viel her, obwohl sie nahezu pausenlos zu sehen ist. Tagsüber erscheint sie als attraktive Direktrice des Sanatoriums, in dem sie mit harten Prinzipien vorgeht, um ihre angeschlagenen Gäste zu kurieren. Sie delegiert, ermahnt, wirkt bestimmend, gebieterisch und entscheidet darüber, was das Beste für alle Insassinnen sein soll. Es ist ihre Vision, das Sanatorium zu dem angesehensten und exklusivsten weit und breit zu machen, doch wie sich herausstellt, will sie wesentlich mehr. Ihre zwei Gesichter zeigen sich insbesondere beim Zusammensein mit ihrem kriminellen Freund Serge, dem sie unterwürfig gegenübertritt und scheinbar eine unterschwellige Angst hat, ihm aber genau so verfallen zu sein scheint. Dieses angedeutete Abhängigkeitsverhältnis wird jedoch nicht weiter ausbuchstabiert. Alle weiteren Herren schwirren um sie herum und hofieren sie, wo sie nur können. Dabei treibt sie ihr gut choreografiertes Spiel zwischen Abweisung und aufgesetztem Interesse, um ihre höheren Ziele zu verwirklichen. Bei Nacht huscht Marisa Mell im Nachthemd bekleidet wie ein Gespenst durch das Gemäuer, bewegt sich leise und geschmeidig wie eine Katze, horcht an Türen, geht auf Zehenspitzen und verschwindet wieder leise im Nichts. Im Endeffekt wurde doch noch recht viel aus dieser eigentlich eintönig angelegten Rolle heraus geschlagen, aber es handelt sich definitiv nicht um eines ihrer Karriere-Highlights. Zu ihrem Partner Robert Hossein mag sie dem Empfinden nach nicht restlos passen, da die Interaktion oberflächlich und die Verbindung unglaubwürdig wirkt. Überhaupt ist die männliche Hauptrolle sehr sparsam in Sachen Darstellung und Screentime angelegt und Hossein, der normalerweise immer eine solide Figur macht, bleibt hier leider uninteressant und beliebig austauschbar. Die interessante Frage, wer bei diesem doppelten Spiel gewinnen oder verlieren wird, hält sich bis kurz vor Ende aufrecht, da alle beteiligten Personen über die Maßen für sich alleine spielen und sich keine wirklichen Allianzen eingehen oder sich ehrliche Zuneigungen heraus kristallisieren. Falls es so gewollt war, wirkt diese Strategie sehr effektiv in das empfunden diffuse Gerüst dieses Beitrages hinein.

Die Geschichte an sich bleibt wie erwähnt alles andere als außergewöhnlich und arbeitet wirre Tendenzen immer wieder demonstrativ heraus. Dass sich diese nicht von den Personen herleiten, sondern sich komischerweise auf diese übertragen, wirkt im Umkehrschluss fast schon wieder geistreich. Der Erotik-Faktor schaut hier hin und wieder über den Tellerrand, trägt aber nicht sonderlich zu nachhaltiger Erinnerung bei. Viele Plot-Inhalte wirken bestenfalls ambitioniert, wie beispielsweise die kleine Show einer nymphomanischen Patientin, die nicht müde wird bei einem Stallburschen landen zu wollen, oder die Anreicherung durch schlüpfrige Dialoge und lesbische Einlagen, die für Aufmerksamkeit sorgen möchten, bis hin zu einer Orgie, bei der die Korsetts jedoch kaum abgelegt werden. Im Großen und Ganzen erscheinen die Charaktere kaum bei der Sache zu sein und es schleicht sich eine merkwürdige Lethargie ein. Vollkommen zugeknöpft gibt sich wider erwarten auch Hauptdarstellerin Marisa Mell, was vielleicht ein vermehrtes Interesse bezüglich eines ernstzunehmenden Charakters bekundet, aber dennoch ungewöhnlich bleibt - gerade für dieses Zeitfenster. Pierre Chenal, der hier auch am Drehbuch beteiligt war, wusste offensichtlich nur bedingt, wie er diesen in Fragmenten zugegebenermaßen interessanten Stoff anpacken sollte, und kreierte nüchtern gesehen einen Flop mit überschaubarem Unterhaltungswert. Die Kriminal-Anteile und Giallo-Elemente finden ihre Erfüllung mit einigen Toten; jedoch muss die Geschichte ohne Whodunit auskommen. Die Rolle der Polizei bleibt auffällig irrelevant und die meiste Konzentration liegt nur auf dem lange dahin gezogenen Plot und dem Diebstahl des wertvollen Colliers, das genau so viel oder wenig interessant wie die Nebenhandlungen wirkt. Die allgemeine Unentschlossenheit überträgt sich schließlich auf den Zuschauer und es ist verständlich, wenn man diese verpatzte Chance als belanglos und ziemlich langweilig abqualifiziert. Aus persönlicher Sicht gewinnt "Die Schamlosen" bei jeder erneuten Ansicht immer mehr hinzu, da die Courage dieses Konglomerats aus nichts Ganzem und nichts Halbem irgendwie anerkennenswert ist. Außerdem ist das vollkommen abrupte, aber genau so überraschende Finale ein absolutes Juwel in Sachen inszenatorischer Verzweiflung, da sich eine Person vorbehält, den Film mit einem irren Lachen zu beenden, um ihn damit gleichzeitig zu charakterisieren. Im günstigsten Fall ruft Chenals Film mit dem herrlich verspielt wirkenden französischen Originaltitel "Les belles au bois dormantes" ein Happening der Umkehrreaktionen hervor, wenn aus Langeweile plötzlich Faszination wird und Ratlosigkeit in Überzeugung umschlägt.

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Prisma
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Re: DIE SCHAMLOSEN - Pierre Chenal

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Wie üblich mache ich mir hin und wieder gerne ein paar Gedanken zu den internationalen Titeln von Filmen, so auch zu dem französischen von Pierre Chenals Film. Oftmals sind Namensgebungen ja kaum nachvollziehbar und haben dem Anschein überhaupt nichts mit jeweiligen Verläufen zu tun, doch hier ist bei "Les belles au bois dormantes" ein ganz interessantes Wortspiel entstanden, das mir mit seiner Metaphorik sehr gut gefallen hat. Offensichtlich abgeleitet von "La belle au bois dormant", dem französischen Namen des Märchens "Dornröschen", entsteht sogar eine Art Wortwitz, wenn man den Film gesehen hat und ihn auf dessen Inhalte überträgt. Um das Sanatorium wächst in diesem Fall zwar keine riesige Dornenhecke, allerdings sind die Damen dort auch gefangen wie der gesamte Hofstaat und der ruhige Verlauf des Films reflektiert eine Art Dornröschenschlaf ziemlich genau. Eine schöne, tiefgründigere Idee für die Titelgebung und auch interessant zu sehen, dass sich ein paar mehr Gedanken als üblich gemacht wurden, wenn das auch wieder einmal nicht gerade für den deutschen Titel gilt.

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