NACKTES ENTSETZEN - Rafael Romero Marchent

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Prisma
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NACKTES ENTSETZEN - Rafael Romero Marchent

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Ray Milland   Sylva Koscina   in

NACKTES ENTSETZEN


● UN PAR DE ZAPATOS DEL '32 / QUALCUNO HA VISTO UCCIDERE / NACKTES ENTSETZEN / DER MÖRDERISCHE PROFESSOR (E|I|1974)
mit Ramiro Oliveros, Franco Giacobini, Charly Bravo, María Silva, May Heatherly, Eduardo Calvo, Marisa Porcel und Fernando E. Romero
eine Produktion der Lotus Films | Cinecompany
ein Film von Rafael Romero Marchent

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»Kinder sind unberechenbar!«


Dr. Roger Melli (Ray Milland), Direktor eines Jungen-Internats, hat einen folgenschweren Fehler begangen. Damit seine Geliebte Sonya (Sylva Koscina) frei für ihn wird, gibt er den Mord ihres Mannes in Auftrag, doch der Killer sprengt die Maschine, mit der Sonyas Mann fliegen wollte, in die Luft. Der Doktor hat nun plötzlich 140 Menschenleben auf dem Gewissen und erschlägt den gekauften Attentäter im Affekt. Im gleichen Moment bemerkt er, dass er offensichtlich von einem seiner Schüler beobachtet wurde, da er einen Schuh mit der Größe 32 findet. Doktor Melli versucht ab sofort herauszufinden, um welchen Jungen es sich dabei gehandelt hat, doch die Suche gestaltet sich für ihn schwerer als befürchtet, sodass er sich gezwungen sieht, außerordentliche Mittel anwenden zu müssen...

Der deutschen Titel von Rafael Romero Marchents Film versprechen, beziehungsweise verraten möglicherweise etwas zu viel über diesen Verlauf, der den Zuschauer gleich von Beginn an zu seinen Komplizen macht. Leicht skeptisch nimmt man diese eher ausgefallene Variante wahr, denn immerhin stellt sich doch schnell die Frage, woraus die Geschichte eigentlich ihre Spannung schöpfen möchte. Aufgrund der hier gegebenen Voraussetzungen ahnt man allerdings sehr schnell, welchen Verstärker sich diese Konstruktion auserkoren hat, denn die Schockwirkung entfaltet sich erfahrungsgemäß sehr effektiv über Kinder, falls die richtigen Leute skrupelloser Natur am Werk sind. Die Idee, das Prinzip des "Cinderella"-Schuhs einfach im Rahmen eines Mordfalls zu variieren, kann als sehr originelle und darüber hinaus äußerst perfide Idee gewertet werden, da dieser Schuh so gut wie jedem Kind im Internat passen könnte, was die Gefahr für alle drastisch erhöht. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob man es tatsächlich mit einem so skrupellosen Kriminellen zu tun hat, der auch vor Kindern nicht zurückschrecken würde, doch bei ohnehin 140 unfreiwilligen Opfern kommt es auf ein paar mehr oder weniger auch nicht mehr an. So lehren es jedenfalls die Gesetze des Verbrechens. In der Tat ist es so, dass schon bald der erste kleine Junge das Zeitliche segnen wird, sodass sich die Spannung auf einem soliden Niveau bewegt. Die weitgehend tempoarme Suche nach dem wahren Augenzeugen beginnt, aber der Verlauf wird trotz ruhigeren Fahrwassers nie uninteressant oder gar langweilig, da die Geschichte gut aufgebaut ist und einen genretypischen Wiedererkennungswert zu vermitteln weiß. Rafael Romero Marchent gelingt es vor allem sehr gut, eine fatale Kettenreaktion zu zeichnen und auszuarbeiten, die mithilfe der Charaktere und deren Konstellationen untereinander an Brisanz gewinnt.

Die Hauptrollen sind mit dem Briten Ray Milland und der schönen Wahl-Italienerin Sylva Koscina prominent besetzt und es ergibt sich eine ziemlich ungleiche Liaison dangereuse, die in erster Linie für Gefahr aber auch Scheitern steht. Bedroht werden natürlich andere, und schon ein oberflächlicher Blick auf diese Konstellation genügt, um zu begreifen, dass die treibende Kraft und womöglich Wurzel allen Übels somit den Namen Sonya trägt. Die Drahtzieherin hinter diesem mörderischen Komplott manövriert den Doktor in eine Kurzschlussreaktion, die zwar kalkuliert war, aber nicht bis ins Detail durchdacht. Wie so oft kommt einer attraktiven Frau der dritte Frühling des Mannes zur Hilfe, der ohne Widerstand kapituliert und sich zum willigen Werkzeug ausbilden lässt. Ray Milland formt diese Figur sehr beachtlich, da er die nötigen Voraussetzungen mitbringt. Seine weltmännische Attitüde und das nötige Kleingeld imponiert Frauen wie Sonya, die sich im Gegenzug zur Verfügung stellen, solange die Rendite stimmt. Sylva Koscina trumpft mit einer nahezu teilnahmslosen Körpersprache auf. Außer wenn es um das Wohl ihres kleinen Sohnes geht, der ebenfalls im Internat von Doktor Melli untergebracht ist, sieht man deutlichere Gefühlsregungen. Ansonsten fungiert die aparte Interpretin hart und kompromisslos wenn es darum geht, dass ein anderer ihre Wünsche und Ziele verwirklicht, was nicht gerade dafür sorgt, alle Sympathien auf sich zu ziehen. Die Geschichte behält sich Steine im Weg vor und in diesem Zusammenhang kommt es zu einer sehr ansprechenden Lösung, der Gerechtigkeit nach diversen Opfergaben zum Sieg zu verhelfen. Die weiteren Rollen hätten vielleicht ein wenig spektakulärer besetzt werden können, aber man wird in "Nacktes Entsetzen" Zeuge einer vollkommenen Unterordnung angesichts der Fokussierung auf die Hauptrollen.

Der besondere Reiz dieses gialloesken Thrillers liegt in der nicht uninteressanten Umkehr konventioneller Erzählstrukturen. In der Regel mit Whodunit-Effekt versehen, ist sich der Zuschauer in diesem Fall von vorne herein im Klaren, mit wem man es zu tun hat. Der Täter beschäftigt sich den kompletten Verlauf damit, den stummen Zeugen seiner Tat kaltzustellen und somit wird das potentielle Opfer originellerweise zum Phantom, auch für den interessierten Zuschauer. Bis sich die Zusammenhänge ergeben, werden etliche Unbeteiligte über die Klinge springen müssen, allerdings unter Vorbehalt gewisser Paukenschläge. Wie erwähnt hat man es stets mit einer der perfidesten Art von Verbrechen zu tun, solange Kinder involviert werden. Gleichzeitig weist diese Strategie noch viel deutlicher auf die Tatsache hin, wie sinnlos Verbrechen tatsächlich sind und dass es den perfekten Coup überhaupt nicht geben kann. Insgesamt sieht man mit "Nacktes Entsetzen" einen soliden Beitrag, der von dem spanischen Regisseur Rafael Romero Marchent ansprechend gelöst wurde. Falls man jedoch auf einen Überflieger spekulieren sollte, könnte man hier sehr schnell enttäuscht werden, da die strukturellen Unterschiede doch sehr massiv ins Gewicht fallen und sich streckenweise sogar eine recht konservative Note herausfiltern lässt. »Kinder sind unberechenbar!«, heißt es im Film, und genau diese Feststellung kann der Verlauf in geistreicher Manier belegen. Zum Ende hin kommt nicht nur eine gute Portion Brisanz zustande, sondern auch ein gesteigertes Tempo, sodass der mit Tragik gewürzte Verlauf in ein passendes Finale münden kann. "Nacktes Entsetzen" belegt schließlich, dass der Volksmund recht hat wenn er sagt, dass Märchen und Kinder grausam sein können, auch wenn sich dies nur indirekt in eine Kausalität zum Verlauf bringen lässt. Alles in allem bleibt ein eigenwilliger Vertreter zurück, der sich von seiner Zunft abzuheben versucht, ihm dabei jedoch hin und wieder ein wenig der Elan ausgeht.

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Richie Pistilli
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Re: NACKTES ENTSETZEN - Rafael Romero Marchent

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Nacktes Entsetzen (D)
Der mörderische Professor (D)
Schuhgröße 32 (DDR)
Qualcuno ha visto uccidere... (IT)
Un par de zapatos del '32 (ES)
Un par de zapatos del '32 (F)
The Student Connection
Witness to Murder




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Deutsche Erstaufführung DDR (Kino): 11.02.1977

Deutsche Erstaufführung BRD (TV): 23.12.1985

Score: Stelvio Cipriani

Synchronkartei (DEFA-Synchro)

Synchronkartei (VHS-Synchro)

DEFA-Stiftung

OFDb




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'Nun liebe Kinder gebt fein acht, denn Onkel Milland schleicht durchs Haus nach Mitternacht...'


Dabei handelt es sich gerade mal um Ray Millands zweiten Ausflug ins italienische Filmgeschäft, nachdem er bereits in TODESGRÜßE VON GAMMA 3 einen friedvolleren Professor verkörperte. In NACKTES ENTSETZEN spielt er einen 'mörderischen Professor' namens Dr. Roger Melli, der gemeinsam mit der bezaubernden Silva Koscina eine perfide Intrige spinnt, in der sich beide letztendlich unwiderruflich verstricken. Um ihren Kopf aus der immer enger werdenden Schlinge wieder befreien zu können, muss Dr. Melli einen unliebsamen Zeugen ausschalten, der rein zufällig einer seiner mörderischen Schandtaten beiwohnte. Dumm nur, dass es sich bei dem unbekannten Zeugen um einen der Schüler des Internats handelt, in dem ausgerechnet Dr. Melli unterrichtet. Doch anstatt den Schülern genauer auf den Zahn zu fühlen, lässt sich der mörderische Professor viel zu schnell zu fatalen Schlussfolgerungen hinreißen, die jedes Mal den Tod eines unschuldigen Schülers zur Folge hat.

Sowohl Ray Milland als auch Silva Koscina überzeugen in ihren jeweiligen Rollen, obwohl vom Drehbuch her noch ordentlich Luft nach oben bestand. Letztere verkörpert eine sowohl gnadenlose als auch gewissenlose Mutter, die sogar bei einem eiskalt geplanten Mord keinerlei Skrupel zeigt. Erst als ihr eigen Fleisch und Blut ins Visier des mörderischen Professors gerät, regt sich bei der bis dato ruchlosen Silva so etwas wie ein Gewissen. Nebenbei gibt sich auch ein spanischer Yul Brunner die Ehre, dessen Namen ich aber leider nicht ausfindig machen konnte. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es sich bei NACKTES ENTSETZEN um einen unterhaltsamen Genrevertreter handelt, in dem aber weder blank poliertes Schlitzerwerkzeug, noch grausame Morde oder leicht bekleidete Damen auftauchen. Ein sleazefreier Vertreter, der andere Wege zu gehen versucht. Leider gelingt ihm das nicht unbedingt die ganze Laufzeit über, denn ein wenig mehr Spannung hätte dem Film nicht schlecht getan, aber dennoch schaue ich mir Ray Milland in der Rolle des passionierten Kinderslashers immer mal wieder gerne an.


Ein kleiner Nepp ist mir nebenbei auch noch aufgefallen: Der Film suggeriert (zumindest in der westdeutschen VHS-Fassung), dass sich die gezeigte Handlung in Paris abspielen soll. Während der Jagd nach einem flüchtenden Schüler durch die Pariser Innenstadt erhält Ray Milland den Hinweis, dass sich das gesuchte Kind am 'Triumphbogen' aufhalten soll. Als dieser dann kurz darauf im Film gezeigt wird, bestätigte sich dadurch mein bereits bestandener Verdacht: Der Film wurde gar nicht in Paris abgedreht, denn das was als 'Arc de Triomphe de l'Étoile'' gezeigt wird, hat mit dem Denkmal am 'Place Charles-de-Gaulle' augenscheinlich nicht viel mit am Hut. Zudem tragen die gezeigten Autos KFZ-Kennzeichen des 34. Arrondissements, was wiederum in Richtung Montpellier hindeutet. Wäre der Film tatsächlich in Paris gedreht worden, dann müssten vornehmlich Kennzeichen aus den 70er Arrondissements (75) zu sehen sein, aber gezeigt werden lediglich KFZ-Kennzeichen der 30er Arrondissements.


► Text zeigen


Weiterhin ist festzuhalten, dass für den Film zwei verschiedene Synchronisationen angefertigt wurden: Zum einen erstellte die DEFA eine Synchro für den Kinostart in der damaligen DDR, wohingegen die Westdeutschen den Film lediglich als VHS veröffentlichten, deren Synchro aber wiederum eher mittelprächtig ausfällt. Jetzt würde mich natürlich brennend interessieren, wie NACKTES ENTSETZEN mit der DEFA-Kino-Synchro wirkt?



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