MIDNIGHT RIPPER - Lamberto Bava

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Percy Lister
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MIDNIGHT RIPPER - Lamberto Bava

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"Midnight Ripper" (Morirai a mezzanotte) (Italien 1986)
mit: Valeria d'Obici, Paolo Malco, Leonardo Treviglio, Dino Conti, Lara Wendel, Lea Martino, Eliana Miglio, Barbara Scoppa, Loredana Romito, Marcello Modugno, Loredana Guerra, Massimo Baratta, Peter Pitsch u.a. | Drehbuch: Dardano Sacchetti, Lamberto Bava | Regie: Lamberto Bava

Kriminalkommissar Piero Terzi glaubt zunächst nicht an die Theorie der Polizeipsychologin Anna Berardi, dass die jüngsten Frauenmorde auf das Konto des berüchtigten Franco Tribbo gehen. Dieser kam vier Jahre nach seiner Inhaftierung bei einem Brand in der psychiatrischen Abteilung des Gefängnisses ums Leben. Dennoch wird er von mehreren Zeugen in der Nähe der Tatorte gesehen. Konnte Tribbo, der das Feuer damals selbst legte, entkommen? Oder hat jemand sein Erbe angetreten und begibt sich nun auf einen mörderischen Rachefeldzug?

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Die Zutaten für einen gelungenen Giallo kennt Lamberto Bava aus dem filmischen Werk seines Vaters. Die Ungewissheit, die Verunsicherung und die Demütigung durch Angst sind dabei von essentieller Bedeutung. Die Atmosphäre einer permanenten Bedrohung legt den Grundstein für das Gelingen des Films, der nach "A Blade in the Dark" erneut auf ein zurückliegendes Trauma baut und die tödlichen Folgen eines nicht aufgearbeiteten Verbrechens aufzeigt. Die Faszination, welche rätselhafte Serienmorde mitbringen, entsteht in regelmäßigen Abständen immer wieder neu, besonders, wenn Daten unter Verschluss gehalten werden oder das Thema aufgrund neuer Fälle wieder aktuell wird. Dabei sieht es zu Anfang noch nach einem klassischen Fall von Eifersucht aus, der häusliche Gewalt provoziert und deren blutiger Verlauf den Ehemann zum Tatverdächtigen Nummer Eins werden lässt. Die Tatsache, dass es sich dabei um einen Polizeibeamten handelt, wird nicht übermäßig betont, obwohl in vielen Gialli ein negatives Bild der Ordnungskräfte gezeichnet wird. Paolo Malco gibt als Hauptermittler einen besonnenen Mann, der sich der aufkommenden Hysterie um die Rückkehr des Mörders Franco Tribbo verschließt und wissenschaftliche Ergebnisse höher bewertet als Spekulationen über ein Phantom. Eine besondere Note erhält die Handlung durch Terzis Tochter Carol, die von Lara Wendel mit sympathischer Ausgewogenheit dargestellt wird. Sie recherchiert den archivierten Fall Tribbo als Studentin der Kriminalpsychologie und zieht ihre eigenen Schlüsse. Des Weiteren bewahrt sie die Nerven, als sie selbst in Gefahr gerät und sich die Schlinge immer fester um ihr Umfeld zusammenzieht. In diesem Zusammenhang gibt es erneut eine Referenz an "A Blade in the Dark", als eines der Mädchen einen Roman mit dem Titel "Blood" liest, dessen Titelbild ein Messer zeigt, das durch eine Hand sticht. Ebenso erinnern die weitläufigen Gänge des wegen Saisonende geschlossenen Hotels an die Abgeschiedenheit des "Hauses mit dem dunklen Keller". Lamberto Bava bleibt seinen stilsicheren, aber dennoch gewaltintensiven Werken treu, wobei er präzise und schlüssig vorgeht. Die Handlungen des Täters greifen auf bewährte Muster zurück und verbreiten dadurch Angst und Schrecken. Die Gewissheit, dass er so lange töten wird, bis sich das Reservoir an Opfern erschöpft, hält die Spannung aufrecht.

Valeria d'Obici als Anna Berardi gibt in der Spurensuche nach dem Phantom mit dem Eispickel die Richtung vor. Ihr Beruf verlangt nach distanzierter Analyse, doch nun vermischen sich Dienstliches und Privates und ein guter Freund von ihr steht unter dem Verdacht, ein Mörder zu sein. D'Obici zeigt ihre Anna als pragmatische Frau, die man nicht so leicht erschrecken kann und sie scheint trotz der Gedanken, die sie sich um die neue Mordserie macht, sehr gefasst. Dennoch hat der Fall Tribbo, der bereits über zehn Jahre zurückliegt, Eindruck auf sie gemacht und beschäftigt sie auch außerhalb der Arbeitszeiten. Wie sehr sich der Frauenmörder bereits in ihrem Gedächtnis eingenistet hat, zeigt sich, als sie sein Gesicht plötzlich im Spiegel ihres Wohnungsflurs sieht. Zum ersten Mal verliert sie ihre Beherrschung, doch da sie bald wieder sachlich über den Fall diskutiert, wird der kurze Augenblick ihrer Agonie wieder vergessen. Anna ist der Ruhepol im aufgeregten Umfeld ihrer Studenten und Berufskollegen, weshalb der Zuschauer zunächst gar nicht merkt, dass sich die Identifikation von Anna auf Carol verlagert. Der Schauplatzwechsel in das einsame "Hotel Progresso" sorgt dafür, dass die Spannungsschraube noch einmal fester gezurrt wird und die jungen Mädchen dem gestörten Killer sozusagen auf dem Präsentierteller angerichtet werden. Er kann nun seelenruhig eine nach der anderen töten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, da die Abgeschiedenheit des geschlossenen Raums ihm Schutz vor Strafverfolgung bietet. Er hat von nun an keinen anderen Gegner zu fürchten als sich selbst. Dennoch lässt die Anspannung nicht nach, weil die Heldin des Films generell unter dem sprichwörtlichen Schutz des Zuschauers steht, der um sie bangt. "Midnight Killer" scheint den Weg allerdings bis zum Ende gehen zu wollen und obwohl die Morde im Vergleich mit anderen Genrevertretern nicht übermäßig brutal ablaufen, sorgen die gelungenen Kameraeinstellungen für gleichbleibenden Nervenkitzel. Das Präludium für die Morde äußert sich in einem Zurückweichen des Objektivs, das in schwindelnde Höhen klettert, um dann unvermittelt jene eruptive Gewalt zu zeigen, die aus dem Nichts zu kommen scheint, jedoch auf kaltblütiger Planung beruht und in den Taten ein Ventil sucht, der Vergangenheit ausweichen und sie besiegen zu können. Der Kreislauf schließt sich deshalb fortnehmend schneller, was den Angstpegel in die Höhe schnellen lässt.

Die Frage, ob es sich der Giallo zur Aufgabe gemacht hat, den Zuseher auf unkonventionelle Weise zu unterhalten oder ob er auch eine sozialkritische Funktion erfüllt, kann im vorliegenden Fall nicht eindeutig beantwortet werden. Die tödlichen Messerattacken gelten ausschließlich Frauen, was bereits als klassisches Muster des Genres gesehen werden kann. Der Ursprung der Taten fußt in der Vergangenheit, was für eine psychologisch anspruchsvolle Geschichte spricht, die mehr zu bieten hat als die sexuell motivierte Raserei eines Serienmörders. Neben der traditionellen Arbeit der Polizei befasst sich auch eine Gruppe von Studentinnen mit dem archivierten Fall und beleuchtet die neuen Taten mit wissenschaftlichem Interesse. Die Hintergründe der neuen Mordserie deuten auf die oft geäußerte Theorie hin, dass sich ein Opfer aus seiner passiven Rolle befreien will, indem es selbst zum Täter wird, wobei der Fall hier ein wenig komplizierter liegt. Das Kräftemessen mit der Polizei stellt für den Täter eine sportliche Herausforderung dar und erhöht für ihn den Reiz, sich ein fürs andere Mal dem Zugriff der Ordnungshüter zu entwinden. Letztendlich ist es jedoch nicht der Kriminalkommissar, der sich im finalen Kampf mit dem Täter bewähren muss, sondern dessen Tochter, welche einen neuen Frauentyp verkörpert, der sich aus den Geschlechterklischees befreit und sich der Gefahr klug und mutig in den Weg stellt. Die Frage, inwiefern Lamberto Bava hier ein Exempel statuieren möchte und vom eingefahrenen Muster des typischen Giallos abweicht, kann erst beantwortet werden, wenn der Vorhang gefallen ist und alle Identitäten offengelegt worden sind. Dann zeigen sich Ursache und Wirkung, die einiges begreifbar machen und dem Film - ähnlich wie bereits in "A Blade in the Dark" - Tiefe verleihen. Der Schrecken erfährt ein langes Echo und jagt dem Publikum nachträglich Schauer über den Rücken, wenn es sich vor Augen führt, dass es viele solcher wandelnder Zeitbomben gibt, die mitten in der Gesellschaft jederzeit hochgehen können. Lamberto Bava versteht sein Handwerk jedenfalls mindestens so gut wie sein berühmter Vater und fügt dem Genre moderne Nuancen hinzu, die dem Wandel der Zeit entsprechen und gleichzeitig auf bewährte Weise zu unterhalten wissen. Das Zusammenspiel der optischen und akustischen Elemente darf als überaus gelungen bezeichnet werden und macht diesen Film zu einem würdigen Vertreter des Genres.

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Richie Pistilli
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Re: MIDNIGHT KILLER - Lamberto Bava

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Midnight Killer (D)
Midnight Ripper (D)
Morirai a mezzanotte (IT)
Midnight Horror (F)
Morirás a medianoche (ES)
Diario de un maniático sexual (MEX)
You'll Die at Midnight


IT 1986

R: Lamberto Bava
D: Valeria D'Obici, Leonardo Treviglio, Lara Wendel, Paolo Malco, Lea Martino, Barbara Scoppa, Massimiliano Baratta, Eliana Miglio, Dino Conti, Loredana Romito, Marcello Modugno, Peter Pitsch u.a.



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Italienische Erstaufführung: 03.05.1986

Deutsche VHS-Premiere: Mai 1987

Synchronkartei

Italo-Cinema.de

Score: Claudio Simonetti

Interview mit Lamberto Bava

IMCDb

OFDb



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Obwohl Lamberto Bavas MIDNIGHT KILLER größtenteils aus bekannten Versatzstücken älterer Genreproduktionen zusammengesetzt wurde und auch nicht gerade den besten Schauspieltalenten eine Bühne bietet, finde ich diesen 80er Jahre Giallo dennoch unterhaltsam inszeniert. Die Geschichte beginnt mit einem Polizisten namens Nicola Levi (Leonardo Treviglio), der während eines heftigen Beziehungsstreits die Kontrolle über sich verliert und seine Ehefrau Sara (Barbara Scoppa) beinahe tot prügelt. Völlig geschockt über den Kontrollverlust sucht er daraufhin Hilfe bei der befreundeten Polizeitpsychologin Anna (Valeria D'Obici), die ihn daraufhin in ihre Wohnung bittet. Als aber plötzlich bekannt wird, dass Sara Levi ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden wurde, gerät Nicola ins Visier des ermittelnden Kommissars Piero Terzi (Paolo Malco). Als Mordwerkzeug diente ein handelsüblicher Eispickel für die grausame Tat, der dem gemeinsamen Hausrat der Levis entstammte. Trotz der erdrückenden Beweislage, die sich gegen den zwischenzeitlich untergetauchten Nicola richtet, steht für Anna fest, dass ein vor langer Zeit verstorbener Serienmörder namens Tribbo für den Mord an Sara Levi verantwortlich ist, was wiederum bei Kommissar Terzi auf Ablehnung stößt. Als Nicola kurz rauf bei einem weiteren Mordversuch von seinen Kollegen erschossen wird, scheint sich der Fall für Kommissar Terzi endgültig geklärt zu haben. Doch die Morde hören nicht auf... Als dann auch noch Terzis Tochter Carol (Lara Wendel) gemeinsam mit ihren beiden Kommilitoninnen Monica (Eliana Miglio) und Gioia (Lea Martino) ins Visier des Killers gerät, wird die Luft für den ermittelnden Kommissar immer dünner...


Ursprünglich fürs TV konzipiert, fand Lamberto Bavas MIDNIGHT KILLER dennoch seinen Weg in die italienischen Kinos, ohne dabei aber für größere Zuschauerstöme zu sorgen. Vermutlich hatte sich Bava in weiser Voraussicht das Pseudonym John Old Jr. zugelegt, unter dem er schließlich den vorliegenden Film abdrehte. Obwohl dem Streifen etwas mehr inszenatorische Innovationen gut getan hätten, schafft es MIDNIGHT KILLER dennoch stellungsweise eine stimmungsvolle Atmosphäre aufzubauen, bevor dann aus dem Nichts der nächste deftige Mord geschieht. Hervorzuheben wäre hierbei die atmospärische Theaterszene, die aufgrund ihrer gekonnten Machart dem Zuschauer einen behaglichen Schauer über den Rücken jagt. Hinzu gesellen sich pointiert gesetzte Farbakzente, die vornehmlich in Form von Bühnenbild-Accessoires (bspw. Kleider, Kissen, Vorhänge, Treppengeländer, ...) in die jeweiligen Bildkompositionen eingewoben wurden. Was die Vorhersehbarkeit des Täters angeht, so begeht John Old Jr. den Fehler, die Schlüsselszene aus Dario Argentos DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE dermaßen unverholen zu kopieren, so dass er den Täter dem geneigten Giallo-Liebhaber quasi vorzeitig auf dem Silbertablett serviert. Ein weiterer Patzer beruht auf der deutschen Synchronfassung, denn als der Täter den Krankenhausrechner nach bestimmten Personendaten durchsucht, übersetzt eine verräterische stimme aus den Off die auf dem Bildschirm angezeigten Datensätze. In der italienischen Fassung herrscht zu diesem Zeitpunkt vollmommene Stille - nur das Tippgeräusch der Tastatur ist dort zu vernehmen. Abgerundet wird Bavas Eispickel-Thriller mit einer stimmigen Filmmusik von Claudio Simonetti.


Fazit: Alles in Allem ein annehmbarer Genre-Verteter.



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(Deutscher VHS-Trailer)

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