FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Schwarze Handschuhe, undurchsichtige Typen, verführerische Damen und stylische Kills.
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Sid Vicious
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FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Beitrag von Sid Vicious »

Originaltitel: Le foto proibite di una signora per bene
Regisseur: Luciano Ercoli
Kamera: Alejandro Ulloa
Musik: Ennio Morricone
Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Mahnahén Velasco
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220px-Le_foto_proibite_di_una_signora_per_bene.jpg (26.78 KiB) 3038 mal betrachtet
Minou wird bei einem nächtlichen Spaziergang von einem Unbekannten angegriffen, der ihren Ehemann, Peter, als Mörder bezeichnet. Der Unhold verschwindet zwar ebenso schnell wie er aufgetaucht ist, doch die Zusammenkunft wirkt sich nahezu katastrophal auf ihr Selbstbewusstsein und ihre (ohnehin angeknackste) Psyche aus. Kurze Zeit später erhält die junge Frau einen Anruf von dem ominösen Fremden, der ihr eine Tonaufnahme vorspielt, auf der sich Peter als Mörder zu erkennen gibt. Minou triff sich mit dem Fremden und hofft, dass sie diesen mit Geld und einer heißen Liebesnacht zum Schweigen bringen kann, aber Pustekuchen, denn das ist erst der Anfang eines stets eskalierenden Psychoterrors. Wer ist der Fremde und was bewegt ihn zu seinem erbarmungslosen „Stalking“?

Ungeachtet des Film Noir, der nicht nur die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden ließ, sondern auch die Rolle der weiblichen Protagonisten mit tief verankerten Bösartigkeiten ausstattete, welche sie zur Verwirklichung ihrer Ziele rigoros einsetzten, manövrierte der Thriller der 1950er Jahre, die Frau wieder vermehrt in eine Opferrolle. Daraus resultierte die Zentralisierung des schutzbedürftigen Wesens, das von einem Fremden oder gar vom eigenen Ehemann bedroht wird. Meist mit dem Makel versehen, dass weder Freunde noch die polizeilichen Ermittler ihr Glauben schenken. Der Produzent einiger Westernperlen wie „Eine Pistole für Ringo” und „Der lange Tag der Rache”, Luciano Ercoli, setzte sich in den ganz frühen 1970ern erstmals selbst auf den Regiestuhl, um umrissene Konstellation auszukosten. „Le Foto proibite di una signora per bene“, so der Name seines Regiedebüts, welches in Deutschland mit der wesentlich markanteren Firmierung „Frauen bis zum Wahnsinn gequält“ ausgestattet wurde.

„Dein Peter ist ein Halunke, aber nicht nur das: ER IST EIN MÖRDER!"

Ercoli startet seinen Film mit einer Präsentation der Hauptprotagonistin. Ein wunderschönes Geschöpf, das allerdings dem Konsum von Psychopharmaka (von der deutschen Synchronisation als Beruhigungsmittel suggeriert) verfallen ist. Die junge Dame lebt in den besseren Kreisen, himmelt ihren Ehemann, Peter, förmlich an und greift (parallel zum Antidepressivum) auch gern zum flüssigen Problemlöser, da sie sich von ihrem Herzallerliebsten deutlich vernachlässigt fühlt. Während die Kamera genüsslich, von einem imposanten Leitmotiv (Ennio Morricone) begleitet, durch die urgemütlichen Räumlichkeiten streift und einhergehend Edda Dell'Orsos Gesang unsere Sinne verzaubert, wird unser Blick stets zu den Spiegeln geleitet, die innert der Räumlichkeiten installiert sind und in denen sich Minou immerzu betrachtet. Der Rezipient sollte demnach schnell die Metaphern tapsen hören und synchron zum Erfassen der Spiegelreflexion an einer Identitätsproblematik des Hauptcharakters tüfteln.

Nach einem erholsamen Bad, folgt Minous nächtlicher Spaziergang entlang des Strands sowie über einen menschenleeren Platz. Da Zweitgenanntes ein beängstigendes Szenarium, sprich Zeichen von Agoraphobie erkennen lässt, wird die Bedrohung durch einen plötzlich auftauchenden Fremden deutlich maximiert. Die Konfrontation Täter/Opfer kann dementsprechend zünden und den Zuschauer bereits in dieser frühen Phase (des Films) ködern. Überdies werden mit dem stetigen Chargieren des Blickwinkels (Sicht: Täter / Sicht: Opfer) Minous Angst und die Souveränität des Unbekannten zu einer Einheit, deren Dominanz nach dem Zuschauer greift, um ihn für sich zu gewinnen. Diese Erstkonfrontation liefert gleichzeitig den Nährboden, aus dem „Frauen bis zum Wahnsinn gequält“ seine Kräfte zieht.

Nebst dem Fremden und Minou werden im weiteren Filmverlauf die Personen Peter (Minous Ehemann), Dominique (Minous Freundin) sowie der ermittelnde Kommissar in die Story eingeführt. Minou steht zu beiden Personen (den Kommissar ausgeklammert) in einem besonderen Verhältnis, was dem Rezipienten diverse Betrachtungsaspekte offeriert. So blickt sie ehrfürchtig auf ihren Ehemann und will ihn davor schützen (ohne ihn darüber zu informieren, die Logiker werden sich die Haare raufen), dass sein angeblich praktizierter Mord nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Doch zu diesem Zweck muss sie sich intensiver mit dem Erpresser einlassen, der allerdings nicht mit Geld abzuspeisen ist und einzig die naturelle Währung akzeptiert. Infolgedessen ist für einen kleinen Anteil von Sexmomenten gesorgt, welche einhergehend die sadistische Ader des Fremden vermitteln. Doch obwohl Minou - wie bereits angerissen - zu einer Unterwürfigkeit neigt, gibt sie sich dem Akt unter Zwang hin, demnach sollte man sehr vorsichtig mit einer - immer wieder gern zitierten - sadomasochistischen Skizzierung umgehen. Stiglegger weist innert „SadicoNazista explizit darauf hin, dass „eine erzwungene Situation, die nur jeweils einen der Partner ohne Einverständnis des anderen in die aktive Position versetzt, in keinem Fall als sadomasochistisch gewertet werden kann“ und das „die auswegslose Zwangssituation eher einer banalen Henker Opfer Konstellation gleicht, die in den wenigsten Fällen bewusst sexuell motiviert sein dürfte“.

Im Gegensatz zu Minou zeigt sich ihre Freundin, Dominique, weniger schüchtern und naiv und steht der Entdeckung neuer Liebespraktiken stets aufgeschlossen gegenüber. Sie verzichtet auf etwaige Verschleierungen hinsichtlich ihres Liebeslebens und frönt wie beispielsweise auch Rosalba Neri (in ihren Filmrollen) eine offensive Sexualität. Dieser rassige und dekadent angehauchte Charakter entpuppt sich einerseits als ein Pendant zu der schutzbedürftigen Minou, andererseits als die mysteriöse Verdächtige, der man den viel zitierten Gang über Leichen jederzeit zutraut. Sexy und gerissen - der Bestseller unter den gialloesken Cocktailgruppen. Eine Schönheit, die sich die beste Seite des Lebens greift und ihre wechselnden Liebschaften in vollen Zügen genießt, anstatt mögliche Anflüge von Moral zu hinterfragen. Minou setzt hingegen auf einen Abwehrmechanismus, lässt niemanden, ungeachtet Dominique und Peter, an sich herantreten, vegetiert in ihrem goldenen Käfig, und ist ein gefundenes Fressen für den unbekannten Erpresser. Inmitten dieser Belegschaft gilt es nun für den Zuschauer nach Lösungen zu suchen.

Was beabsichtigt der Fremde?
In welchem Verhältnis steht Dominique zu ihm?
Könnte Minou unter Wahnvorstellungen leiden?
Hat sie die Begegnungen mit dem Fremden vielleicht nur imaginiert?

So lauten die grundlegenden Fragen innert eines Ratespiels mit kleinen Wendungen und falschen Fährten, denen die ganz Abgewichsten natürlich nicht auf den Leim gehen. Gespickt ist diese Kopfnuss mit den üblichen Gialli-Begleitern wie Unwetter, knalligen (Signal)Farben, Irritationen und dem Gesicht am Fenster, das ebenso plötzlich verschwindet wie es auftauchte.

Fazit: Gialli sind bunt, Gialli sind ästhetisch! Gialli sind verführerisch! Denn Gialli fesseln ihre Beobachter und entführen sie in eine andere Welt - da bildet „Le Foto proibite di una signora per bene“ keine Ausnahme. Und obwohl das whodunnit-Schema nur zeitweise einen Mord in den Fokus rückt, sorgen schöne Kulissen und Requisiten sowie noch schönere Frauen und ein charismatischer Oberschuft für viel Geborgenheit und spannende Unterhaltung.
https://italo-cinema.de/italo-cinema/it ... n-gequaelt
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Richie Pistilli
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Re: FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Beitrag von Richie Pistilli »

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Frauen bis zum Wahnsinn gequält (D)
Le foto proibite di una signora per bene (IT)
Photo interdite d'une bourgeoise (F)
Días de angustia (ES)
The Forbidden Photos of a Lady Above Suspicion
Days of Anguish



IT/ES 1970

R: Luciano Ercoli
D: Dagmar Lassander, Nieves Navarro, Pier Paolo Capponi, Simón Andreu, Osvaldo Genazzani, Salvador Huguet



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Deutsche VHS-Premiere

Synchronkartei -- #

Score: Ennio Morricone

OFDb



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LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE zählt für mich zu den Edel-Gialli, die man sich in gewissen Abständen immer wieder ansehen kann, ohne dass sie sich dabei abnutzen. Luciano Ercolis brillantes Regiedebüt fasziniert mich zumindest ein jedes Mal aufs Neue. Dabei hätte der Film auch zweifelsfrei von Sergio Martino stammen können, denn der Beziehungsplot erinnert stark an den KILLER VON WIEN und ein wenig an DIE FARBEN DER NACHT. Kein Wunder, denn in allen drei Fällen zeichnete sich der einzigartige Ernesto Gastaldi für die Drehbücher verantwortlich, wobei ich im Endeffekt doch glücklich darüber bin, dass die hinreißende Edwige Fenech, George Hilton und Alberto de Mendoza nicht die drei Hauptcharaktere in LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE verkörpern, denn so sehr ich die drei Schauspieler*innen schätze, wäre der Film als DER KILLER VON WIEN Teil II weitaus effektloser ausgefallen.


Prima, dass Luciano Ercoli die bezaubernde Dagmar Lassander, seine nicht minder entzückende Ehefrau Nieves Navarro, den leicht stoisch wirkenden Pier Paolo Capponi und den schauspielerisch besseren Hilton, Simón Andreu, engagierte, die nicht nur allesamt überzeugende Leistungen an den Tag legen, sondern auch durchweg adrett gekleidet sind. Dieser hervorragend abfotografierte Giallo strotzt wahrlich vor Stil und Style, was letztendlich sowohl die geschmackvolle Mode als auch vom stilvollen Dekor der Innenräume herrührt. Im Gegensatz zu FEMINA RIDENS und HATCHET FOR THE HONEYMOON mimt die reizende Dagmar Lassander dieses Mal eine weniger taffe Frau, die von einem unbekannten Erpresser auf eine unschöne Art und Weise drangsaliert wird. Dennoch glänzt Dagmar Lassander in der Rolle der etwas einfältigen als auch tablettensüchtigen Minou, denn sowohl ihre Darbietung als auch Ausstrahlung sind den ganzen Film über einfach nur umwerfend. Nicht minder beeindruckend entpuppt sich der Auftritt von Nieves Navarro, die nicht nur in der Rolle der offenherzigen und taffen Dominique besticht, sondern auch in ihrer Persönlichkeit irgendwie erhaben wirkt, ohne dabei aber arrogant oder überheblich anzumuten.


Obwohl die deutsche Synchro nicht unbedingt dem Wortlaut der italienischen Originalfassung entsprechen dürfte, finde ich diese aufgrund der beteiligten Sprecher sowie deren landesspezifischen Kernigkeit dennoch äußerst gelungen. Als Krönung des Ganzen verpasste Maestro Morricone LE FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE eine seiner wundervollsten Filmmusiken, denn sowohl die beiden Easy-Beat-Perlen 'Allegretto per signora' und 'Intermezzino pop' als auch das fantastische Titelstück 'Le foto proibite di una signora per bene' dürften mit zu meinen meist gehörten Morricone-Tracks zählen. Das wunderbare Album erklingt bei mit zumindest regelmäßig.


Fazit: Was bleibt, ist sowohl die Vorfreude auf die nächste Runde als auch der Wunsch, dass CO baldmöglich mal wieder die über alles geschätzte IGCC fortsetzt.


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hockeymask86
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Re: FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Beitrag von hockeymask86 »

Trotz seiner gediegenen Inszenierung ist der nicht langweilig. Frau Lassander ist hübsch anzusehen, Andreu gibt den schmierigen Psycho und Madame Scott die lebhaftere Freundin.
Lustig finde ich das Dagmar und Susan in jeder Szene eine andere Frisur tragen.
Die CO-Scheibe ist sehr zu empfehlen,wenn man sie noch bekommt.
Aber von Koch kommt der wohl irgendwann demnächst.
Wahrscheinlich in der lange angekündigten Italo-Klassiker-Reihe. Wann immer die mal startet.

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Richie Pistilli
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Re: FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Beitrag von Richie Pistilli »

hockeymask86 hat geschrieben:
Di., 28.09.2021 19:38
Lustig finde ich das Dagmar und Susan in jeder Szene eine andere Frisur tragen.

Kommt es nur mir so vor, oder wird in diesem Film tatsächlich übermäßig viel Alkohol getrunken und Zigaretten geraucht?

hockeymask86
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Re: FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT - Luciano Ercoli

Beitrag von hockeymask86 »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 29.09.2021 19:02
hockeymask86 hat geschrieben:
Di., 28.09.2021 19:38
Lustig finde ich das Dagmar und Susan in jeder Szene eine andere Frisur tragen.

Kommt es nur mir so vor, oder wird in diesem Film tatsächlich übermäßig viel Alkohol getrunken und Zigaretten geraucht?
Das hab ich gar nicht mehr so auf dem Schirm. Da ist mal wieder eine Sichtung fällig.

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