KILLER COP - Luciano Ercoli

Harte Kerle, grobe Keilereien, heiße Feger und unbarmherzige Gangster.
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Maulwurf
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KILLER COP - Luciano Ercoli

Beitrag von Maulwurf »

Killer Cop
La polizia ha le mani legate
Italien 1975
Regie: Luciano Ercoli
Claudio Cassinelli, Arthur Kennedy, Franco Fabrizi, Sara Sperati, Bruno Zanin, Francesco D'Adda, Paolo Poiret, Valeria D'Obici, Giuliana Rivera, Franco Moraldi, Elio Jotta, Enzo Fisichella


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https://ssl.ofdb.de/film/35627,Killer-Cop
https://italo-cinema.de/italo-cinema/item/killer-cop

Kommissar Rolandi ist in einem Hotel gerade auf der Spur eines Drogendealers, als in der Hotelhalle eine Bombe explodiert. Ein Anschlag, ausgeführt von unbekannten Extremisten. Viele Tote, das Foyer gleicht einem Schlachtfeld, und Rolandi ist völlig geschockt von diesem Ereignis. Als er seinem Freund, dem degradierten Polizisten Balsamo davon erzählt, meint der, dass er den Täter schon gestellt hatte. Dieser richtete aber eine Pistole auf ihn, und Balsamo ist halt, wie der Name schon sagt, eher der Sanften einer und ließ den Mann laufen. Der Generalstaatsanwalt Di Federico, ein humorloser und knallharter Hund, übernimmt die Ermittlung, stutzt Balsamo zurecht und verbittet sich jede Einmischung seitens Rolandi. Als Balsamo erschossen wird, fängt Rolandi auf eigene Faust das Ermitteln an, was Di Federico wiederum fuchsteufelswild macht. Das geht soweit, dass Rolandi als einer der Hauptverdächtigen gilt. Und solange Di Federico diese Haltung nicht aufgibt, so lange sind der Polizei die Hände gebunden.

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Es gibt Polizeifilme, und es gibt Polizeifilme. Die einen sind unterhaltsame Actionvehikel mit jeder Menge Keilereien, Verfolgungsjagden und wilden Schnäuzern. Andere Polizeifilme sind dann eher Politthriller, welche in erster Linie die Hilflosigkeit der Polizei gegenüber korrupten Vorgesetzten, kraftlosen Gesetzen und einer aggressiven Presse an den Pranger stellen. Und dann gibt es noch ein paar ganz wenige Exemplare, die sich sehr sorgfältig zwischen alle Stühle setzen, sich jeglicher Kategorisierung verweigern, und genau deswegen so erstklassig sind. Sergio Martinos DIE KILLERMAFIA ist so ein Hybrid, aber der KILLER COP ist noch ein paar Ecken besser: Ein spannender Polizeifilm mit einer mühsamen Ermittlungsarbeit voller Hindernisse. Rolandi muss gegen alles und jeden ermitteln: Sein Vorgesetzter darf nicht wissen was er da tut, der Staatsanwalt verbietet es ihm glatterdings, und Rolandi selber scheißt auf alles und jeden – und ermittelt ganz einfach. Diese exponierte Stellung, prinzipiell ein klassischer Bestandteil eines Polizotteschis, wird von Claudio Cassinelli feinfühlig und mit viel Gespür für die Person und die Situation gespielt. Mit Mario Adorf oder Maurizio Merli, von Fernando Di Leo oder Umberto Lenzi inszeniert, wäre der Film komplett anders ausgefallen. Aber sowas von komplett anders …

Luciano Ercoli aber hatte einen eigenen Stil. Genauso wie in seinen Gialli (etwa dem erstklassigen DEATH WALKS AT MIDNIGHT) sind bei ihm neben der spannenden Kriminalarbeit auch fein herausgearbeitete Psychogramme von Menschen unter Druck zu bewundern: Nieves Navarro in DEATH WALKS ON HIGH HEELS etwa, oder Dagmar Lassander in FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT. Oder, um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen, Claudio Casinelli in KILLER COP. Und neben dieser psychologischen Komponente und einer sehr spannenden Handlung liefert Ercoli, so ganz nebenher, auch noch punktgenau treffende Aussagen in punkto öffentliche Meinung versus schweigende Mehrheit: Ein Schwenk durch die Straßenbahn präsentiert allgemeine politische Ansichten in Form von zeitunglesenden Passanten und ihren Kommentaren. Die einen sind dafür dass sie dagegen sind, die anderen sind dagegen dass sie dafür sind, und eigentlich ist alles beim Alten. Aber diese sich allmählich aufladende Stimmung in dem Straßenbahnwaggon, der Austausch nicht von Meinungen sondern von Parolen, der gibt dem Film viel Spannung an einer Stelle, wo man sie überhaupt nicht erwartet hätte. Wenn die Szene noch länger gegangen wäre, dann hätte man wahrscheinlich irgendwann einem Lynchmord am nächsten, zufällig daherkommenden, Langhaarigen beiwohnen können.
Als Schmankerl dann aber auch immer wieder humorige Momente, welche die düstere und beklemmende Stimmung auflockern, ohne aber den Druck aus der Geschichte zu nehmen, eine unterschwellige Botschaft (wenn man nämlich irgendwann die Befürchtung hegen muss, dass Kommissar Rolandi das Schicksal des Anarchisten Giuseppe Pinelli teilen wird und aus dem Fenster im vierten Stock des Mailänder Polizeipräsidiums flüchten “muss“) sowie klandestine Hintermänner.

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Überhaupt, die Politik und die Männer im Hintergrund. Ercoli klagt nicht laut und vernehmlich an wie Damiano Damiani, er zeigt kein klar erkennbares Muster wie etwa Francesco Rosi, und er übt auch nicht aggressive Kritik wie zum Beispiel Elio Petri. Nein, Ercoli geht geschickter vor, indem er die Hintergründe des Bombenanschlags genauso im Unklaren lässt wie die eigentlichen Auftraggeber und ihre Motive. Als Zuschauer wissen wir zwar, dass es da einen Colonnello gibt der Befehle an die Bombenleger erteilt, aber wer das eigentlich ist erfahren wir nicht, und Rolandi noch viel weniger. Geheimdienst? Staatsschutz? Pff, wenn interessiert’s? Die Toten bestimmt nicht … Gerade dieses Diffuse, diese Unschärfe, zeichnet KILLER COP gegenüber dem erwähnten DIE KILLERMAFIA aus, wo zumindest einer der höheren Chargen deutlich benannt wird. Rolandi nimmt für uns die Stelle eines unbeteiligten Beobachters ein, der genauso wenig erfährt wie der durchschnittliche Zeitungsleser das tut, und tatsächlich ist Rolandi ja auch nur zufällig am Ort der Explosion. Und beginnt die Ermittlung ebenfalls nur aus persönlichen Bewegründen, nicht weil er von Berufs wegen müsste. Ercoli stellt diese Unschärfe zum einen dar, indem er immer wieder optische Spielereien platziert, welche die Bildränder verschwimmen lassen. Damit werden Personen verschleiert und in eine Halbwelt getaucht, zu der ein einfacher Kommissar keinen Zugang hat. Die Grenzen Rolandis sind, genauso wie unsere alltäglichen Grenzen, eng gesteckt, narrativ und bildlich gesprochen.

Das andere Element der Unschärfe ist die Sehschwäche Ludovisis, die Ercoli breit ausspielt und zum entscheidenden Element erklärt. Franco Ludovisi ist Rolandis “Gegenstück“ bei den Terroristen. Das extrem kurzsichtige Moppelchen, das eigentlich nur dazu da ist Befehle entgegenzunehmen und die Bombe zu platzieren, reibt sich auf seine Art genauso an der Gesellschaft wie Rolandi es tut. Der eine liest halt Moby Dick und übt den zivilen Ungehorsam, der andere meint, dass er mit politischem Extremismus etwas ändern kann. Doch als Ludovisi merkt was er da eigentlich tut, regt sich sein Gewissen. Kein kaltschnäuziger Anarchist, kein menschenverachtender Faschist ist Ludovisi, sondern nur ein fehlgeleiteter Mensch, der zu spät zur Besinnung kommt. Ein Befehlsempfänger, der seinen eigenen Willen viel zu spät entdeckt. Wie viele von denen mag es im aufgeheizten politischen Klima im Italien der 70er-Jahre gegeben habe? Und nicht nur dort … Die eben nicht fanatisierte Halbirre waren, sondern irgendwann mal eine Entscheidung getroffen haben, die sich nachträglich als falsch erwies, und die dann anschließend 20 Jahre im Gefängnis saßen …
Auf jeden Fall ist Ludovisi auf seine Weise in einer zunehmend kälter werdenden Gesellschaft genauso menschlich geblieben wie Rolandi. Beide handeln in erster nach ihrem Gewissen, nur die Wege unterscheiden sich.

Es ist einfach sehr viel drin in diesem nicht wirklich reinen Polizeifilm. Viel Politik, viel Krimi, viel Verbrechen, viel Verzweiflung. Viel Menschlichkeit. Und es ist interessanterweise nicht der erste Poliziotto mit Claudio Casinelli, bei dem ich nicht genau weiß was ich sagen soll. Der sich mir beim Versuch der Beschreibung entzieht und stattdessen eine ganz bestimmte Stimmung vorgibt. Eine Mischung aus Realismus, Härte und Verzweiflung. Liegt das an Cassinelli? Der hat mitunter so traurige Augen, und seine Rollenwahl in den70ern hat ja öfters solche Rollen wie hier gezeitigt: Der nach außen harte Cop, der nach innen so viel Gefühl hat, dass er an seinem Job fast zerbricht. Aber eben nur fast, denn wenn es sein muss kann er auch ordentlich auf den Putz hauen. Trotzdem, der wesentliche Unterschied zu, sagen wir, den Charakteren die Maurizio Merli so überlebensgroß dargestellt hat, ist der: Die Cassinelli-Figuren sind intelligent, sie sind leise - Sie sind irgendwie wie Freunde, die man gerne hätte.

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8/10

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Richie Pistilli
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Re: KILLER COP - Luciano Ercoli

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Killer Cop (D)
La polizia ha le mani legate (IT)
L'assassin à l'imperméable vert (F)
Les dossiers rouges de la mondain (F)
La police a les mains liées (F)
Boites à fillettes (F)
Brigada antidroga (ES)
Terreur in Milaan (NL)
Den Kalla Snuten (SWE)
The Police Can't Move


IT 1975

R: Luciano Ercoli
D: Claudio Cassinelli, Arthur Kennedy, Franco Fabrizi, Sara Sperati, Bruno Zanin, Giovanni Cianfriglia, Francesco D'Adda, Paolo Poiret, Valeria D'Obici, Giuliana Rivera, Franco Moraldi, Walter Valdi u.a.



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Deutsche Erstveröffentlichung: 1988 (VHS-Premiere)

Synchronkartei

Italo-Cinema.de

Score: Stelvio Cipriani

IMCDb

OFDb





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"Herzlichen Glückwunsch zu ihrem neuen Mercedes."


Commissario Rolandi, eigentlich zuständig für Suchtgiftbekämpfung, rutscht in eine Untersuchung eines Bombenattentats, ein terroristischer Hintergrund ist wahrscheinlich. Als er sich auf der richtigen Spur befindet und erste Ergebnisse vorweisen kann wird ihm von der eigentlich zuständigen Abteilung klar gemacht, das dies nicht erwünscht ist. Die politische Lage des Landes soll destabilisiert werden aber Rolandi bleibt unbeirrbar auf der Suche nach den wahren Attentätern. (Cineploit Records)


Während Kommissar Matteo Rolandi (Claudio Cassinelli), ein erfahrener Drogenfahnder der Mailänder Polizeibehörde, ein eines Tatverdächtigen im Hotel Parco Di Principi durchsucht, explodiert im Foyer des Gebäudes eine Bombe, die dort vermutlich von einer terroristischen Vereinigung platziert wurde. Zwar bleibt Rolandi unverletzt, aber zahlreiche Besucher einer internationalen Konferenz, die sich zum Zeitpunkt der Explosion im Foyer aufhielten, hatten weniger Glück. Obwohl Terrorattentate nicht in die Zuständigkeit des anwesenden Drogenfahnders fallen, recherchiert Rolandi fortan auf eigene Faust an dem Fall, ohne dabei zu registrieren, dass sich aufgrund der internationalen Brisanz bereits ein Zusammenschluss aus dem leitenden Generalstaatsanwalt Di Federico (Arthur Kennedy), Staatsanwalt Bondi (Francesco D'Adda), Abgeordneten des Innenministeriums und des inländischen Geheimdienstes sowie einer handverlesenen Anzahl an polizeilichen Ermittlern mit dem heiklen Terrorakt befassen. Kurz darauf trifft Rolandis Streifenkollege Balsamo (Franco Fabrizi) im Rahmen seiner täglichen Arbeit rein zufällig auf einen der vermutlichen Täter, der sich tatsächlich kurze Zeit später als einer der Anschlagsverantwortlichen outet. Als Balsamo den Tatverdächtigen festnehmen will, zieht dieser plötzlich eine Waffe, mit der er den verdutzt dreinblickenden Streifenpolizist bis zu seiner erfolgreichen Flucht in Schacht hält. Als Folge dieses unverzeihlichen Fauxpas befürwortet Balsamos Vorgesetzter dessen fristlose Entlassung aus dem Polizeidienst, wobei sich Generalstaatsanwalt Di Federico für ihn stark macht und ihn als Zeuge, der als einziger das wahre Aussehen eines der Täter kennt, bei sich zu Hause einquartiert. Ein fataler Fehler, wie sich kurz darauf herausstellt, denn obwohl Balsamo nahe gelegt wurde, zu seiner eigenen Sicherheit das Haus nicht zu verlassen, begibt sich dieser auf eine Einkaufstour, bei der er von einem unbekannten Mann auf offener Straße erschossen wird. Während Generalstaatsanwalt Di Federico kurze Zeit später vermutet, dass Rolandi als Spitzel der terroristischen Vereinigung agiert, kristallisiert sich allmählich immer klarer heraus, dass sich für den Anschlag eine Verschwörung aus ranghohen Staatsbeamten verantwortlich zeigt, die zur Erlangung ihrer persönlichen Ziele gemeinsame Sache mit Extremisten machen.


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Inspiriert von dem terroristischen Sprengstoffanschlag auf der Piazza Fontana in Mailand, bei dem 1969 17 Menschen ihr Leben ließen und 88 Menschen teils lebensgefährlich verletzt wurden, drehte Luciano Ercoli im Jahr 1975 den Film COP KILLER, der sich mit den staatsverschwörerischen Hintergründen der bleiernen Jahre in Italien auseinandersetzt. Im Gegensatz zu inhaltlich ähnlich gelagerten Filmen wie beispielsweise DIE KILLER-MAFIA, THE 44 SPECIALIST oder dem großartigen Paranoia-Thriller ICH HABE ANGST, die sich ebenfalls bereits in den 70er Jahren mit dem vermuteten Terrornetzwerk beschäftigten, dessen wahre Existenz aber erst 1984 durch den Rechtsextremisten Vincenzo Vinciguerra, ein Angehöriger der rechten Terrororganisation Ordine Nuovo, vor Gericht zum ersten Mal offiziell bestätigt wurde (Stichwort: Gladio), ließ Ercoli in seinem Film die Frage unbeantwortet, welche politische Seite er tatsächlich zum damaligen Zeitpunkt als Urheber der verschwörerischen Terrorattentate vermutete, die letztlich von dem rechten Netzwerk den italienischen Linksextremisten in die Schuhe geschoben wurden. In Wirklichkeit handelte es sich bei den Verantwortlichen der tödlichen Terroranschläge auf der Piazza Fontana, auf einen antifaschistischen Demonstrationszug in Brescia mit 8 Todesopfern, auf den Zug von Rom nach Messina mit 6 Todesopfern und 100 Verwundeten in Gioia Tauro, auf drei Carabinieri in Peteano, auf einen weiteren Zug während der Fahrt durch einen Tunnel mit 27 Toten und 180 Verletzten sowie auf den Bahnhof von Bologna mit 85 Toten und über 200 Verletzten um Mitglieder der neofaschistischen Terrororganisation Ordine Nuovo, die als Teil der "Strategie der Spannung" (eine Hypothese die besagt, dass "zahlreiche Terroranschläge in Italien unter „falscher Flagge“ von italienischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten und der Geheimloge Propaganda Due (P2) inszeniert worden seien. Diese sollen das Ziel gehabt haben, die öffentliche Meinung zu Ungunsten der politischen Linken zu manipulieren, insbesondere der Kommunistischen Partei Italiens." Quelle) in der Funktion des ausführenden Arms der verschwörerischen Terrorvereinigung agierte. Was zum damaligen Zeitpunkt bereits seit dem Anschlag auf der Piazza Fontana von einem breiten Teil der Öffentlichkeit vermutet sowie von Filmemachern und Buchautoren in ihren Werken verarbeitet wurde, nämlich die wahre Täterschaft durch rechtsterroristische Akteure, wurde erst in den 80er sowie 90er Jahren offiziell belegt, wobei die Aussagen der beiden Ordine-Nuovo-Mitglieder Vincenzo Vinciguerra und Stefano Delle Chiai, zwei begnadete Jünger des faschistischen Rassentheoretikers Julius Evola, einiges dazu beitrugen, dass sowohl die Existenz der netzwerklerischen Spannungsstrategen in Italien als auch die teils miteingebundene Geheimorganisation Gladio erstmals vor Gericht belegt werden konnten. Dies hatte wiederum zur Folge, dass Anfang der 90er zahlreiche europäische Länder die Existenzen landeseigener Stay-Behind-Organisationen offen legten und mehr oder weniger erfolgreich versuchten, die demokratiefeindliche Geheimkomplexe gerichtlich aufzuarbeiten. Hierzulande wurde die Existenz einer deutschen Stay-Behind-Organisation von politischer Seite aus zwar zähneknirschend bestätigt, aber im Rahmen der zahlreichen Probleme nach der Wiedervereinigung klammheimlich unter den Teppich gekehrt. Wie so oft in unserer Geschichte wurde somit schon wieder (willentlich?) eine Chance vertan, unrechtsstaatliche Verstrickungen zwischen Geheimdienstorganisationen und braunen Kameraden, die hinter dem Rücken der parlamentarischen Demokratie nicht nur ungehindert ihr eigenes verschwörerisches Süppchen kochten, sondern auch in tödliche Terroranschläge verwickelt waren, juristisch sowie geschichtswissenschaftlich aufzuarbeiten. Deswegen ist heute auch alles soviel besser...


Bilder vom Sprengstoffanschlag auf der Piazza Fontana:
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Aber kommen wir zurück zu Luciano Ercolis beeindruckendem KILLER COP, der das damals in bella Italia vorherrschende Klima der Angst sehr gut widerspiegelt, ohne dabei konkret Partei zu ergreifen. Entgegen der meisten Genrevertretern des italienischen Polizeifilm-Genres entpuppt sich der durch Claudio Cassinelli verkörperte Kommissar Matteo Rolandi als ein toller Typ, der anders als beispielsweise Kommissar Eisen Gewalt tatsächlich nur in Notwehrsituationen anwendet - polizeiliche Selbstjustiz ist in Ercolis Film kein Thema. Nebenbei liest Rolandi gerne Moby Dick und fährt einen zwanzig Jahren alten Mercedes, den er sich eigens für diesen Film zugelegt hat. Schade, dass Cassinelli nicht häufiger einen Kommissar in den italienischen Polizeifilmen mimte, denn seine wenigen Darbietungen in diesem Filmgenre waren allesamt überzeugend. Ebenfalls überzeugend agiert Arthur Kennedy in der Rolle des leitenden Generalstaatsanwalts Di Federico, der für den Ermittlungsverlauf die alleinige Verantwortung trägt und jegliche Einmischungen in seinen Fall untersagt. Ein eiskalter Hund, der sich gleich einmal an dem über jeglichen Verdacht stehenden Rolandi festbeißt, da dieser es sich in seiner Funktion als Drogenfahnder wagte, sich ungefragt in die laufende Ermittlungsarbeit einzumischen, anstatt besser erst einmal vor der eigenen Haustüre ordentlich zu kehren. Franco Fabrizi spielt wiederum den tollpatschigen Streifenpolizisten Luigi Balsamo, dessen tägliche Arbeit darin besteht, Schwarzfahrer in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuspüren. Nebenbei entpuppt er sich als ein Lebemann im besten Alter, denn Gigolo Balsamo liegen sofort sämtliche junge Frauen zu Füßen. Leider dauert seine Auftrittsdauer nicht allzu arg lang an, da Giovanni Cianfriglia ihm in der Rolle eines Profikillers während eines Einkaufbummels mit einem schießgewehrartigen Regenschirm für immer das Lebenslicht ausbläst. Alles in allem ist Luciano Ercoli mit KILLER COP ein überdurchschnittlich guter Poliziottesco gelungen, der sowohl sorgfältig inszeniert wurde als auch hierzlande in einer äußerst stimmigen Synchronfassung veröffentlicht wurde. Abgerundet wurde das stattsgeheime Verschwörungsspektakel mir einer hervorragenden Filmmusik von Stelvio Cipriani, die glücklicherweise seit vielen Jahren auf verschiedenen Tonträgermedien erhältlich ist.


Neben der Veröffentlichung des Films im Jahr 1986 auf VHS existiert dank Cineploit seit 2019 auch hierzulande eine BD von COP KILLER, die trotz des typischen Raro-Masters im Großen und Ganzen recht manierlich ausgefallen ist. Kann mich zumindest nicht großartig beschweren, was die deutsch-österreichische HD-Auswertung anbelangt. Natürlich wäre ein frisches HD-Master, das obendrein auch noch farbecht daherkommt, ein Traum gewesen.


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Filmplakate:
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Score:
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Titelvorspann:


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Richie Pistilli
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Re: KILLER COP - Luciano Ercoli

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Kurzer Nachtrag zur 'Strategie der Spannung':

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L'Orchestre Noir: Schwarzer Terror In Italien [ARTE] 1997


Einen guten Überblick über die Komplexität des verschwörerischen Terrornetzwerks bietet die ARTE Doku "L’ Orchestre Noir – Schwarzer Terror" aus dem Jahr 1997, die sich mit den Hintergründen des Attentats auf der Piazza Fontana und zahlreiche Protagonisten der 'Strategie der Spannung' persönlich zu Wort kommen lässt (bspw. Guido Giannettini, Stefano Delle Chiaie, Vincenzo Vinciguerra, Giulio Andreotti und der CIA Mann in Rom Marc Wyatt)




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Folge 1: Schwarzer Terror in Italien - Die Geschichte eines Komplotts - Das Attentat auf der Piazza Fontana [+ Folge 2]
https://www.youtube.com/watch?v=CuaXdadrDpM
https://www.youtube.com/watch?v=UX7dRzqPHDg


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Folge 2: Schwarzer Terror in Italien - Strategie der Spannung
Teil #1 #2 #3 #4 #5 #6 #7




Ebenfalls empfehlenswert ist die thematisch einschlägige ARTE-Doku: "Gladio - Geheimarmeen in Europa"


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In Italien und Deutschland sterben in den 60er bis 80er Jahren zahlreiche Menschen bei Bombenanschlägen. Indizien belegen bestimmte Zusammenhänge, die Spuren führen zu einer geheimen Struktur namens "Gladio".

So sterben 1969 in Mailand 16 Menschen bei einem Bombenanschlag. Im August 1980 detoniert eine Bombe im Bahnhof Central in Bologna - 85 Menschen sterben. Im September des gleichen Jahres gibt es auch in Deutschland Bombenopfer. Beim schwersten Anschlag der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte sterben 13 Menschen auf dem Münchner Oktoberfest. Im Lauf der Jahre häufen sich die Indizien, dass diese Anschläge in einem bestimmten Zusammenhang stehen: Alle Täter kommen aus dem Umfeld rechtsradikaler Gruppen, mehrfach wird militärischer Sprengstoff benutzt. Die Spuren führen zu einer geheimen Struktur, koordiniert von der NATO und den nationalen Geheimdiensten - ohne parlamentarische Kontrolle. Ihr Name: "Stay behind", später auch "Gladio". Sie geht auf eine US-Initiative für "verdeckte Operationen" von 1948 zurück. Geheime Waffendepots werden angelegt und Agenten ausgebildet. Im Falle eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa sollten sie sich überrollen lassen und hinterrücks Sabotageakte und Guerillaoperationen durchführen. Doch der sowjetische Angriff blieb aus. Was aus den geheimen Strukturen wurde, ist weitgehend unbekannt. Gladio wird jedoch verdächtigt, im Umfeld rechtsradikaler Gruppen Gewalttaten im Auftrag politischer Interessen begangen zu haben.

Spuren von Gladio finden sich in Italien. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Strukturen seit den 60er Jahren benutzt wurden, Regierungen an der Macht zu halten. Trotz massiver Behinderung der italienischen Justiz durch Geheimdienste und Behörden gelingt es, die Existenz von Gladio nachzuweisen. 1990 räumt der damalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti öffentlich ein, dass Gladio nicht nur in Italien, sondern europaweit existierte und existiert. Es wird umfassende Aufklärung gefordert - passiert ist wenig. So auch in der Bundesrepublik. Obwohl es Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Gladio und dem Attentat auf das Münchner Oktoberfest von 1980 gibt. Die Ermittlungen werden eingestellt. Die Asservate, die dank neuer, kriminaltechnischer Methoden Hinweise geben könnten, sind mittlerweile vernichtet. Haben Rechtsextremisten Gladio-Strukturen auch in Deutschland benutzt, um ihre politischen Ziele zu verfolgen? Die Frage bleibt offen. Die Wahrheit über Gladio findet sich in den Archiven - unter Verschluss. Nur deren Öffnung könnte Klarheit bringen. Aber bis heute fehlt der politische Wille zur Aufklärung. (Quelle)





Gladio - Geheimarmeen in Europa [ARTE] 2010

https://www.youtube.com/watch?v=lQzIFRvHByY
https://www.youtube.com/watch?v=kUXQS6nSkyI
https://www.youtube.com/watch?v=ha3cEWOBH3k



STAY BEHIND: Wie die CIA Nazis für Geheimdienste rekrutierte [ZDF Frontal] 2014

https://www.youtube.com/watch?v=V3XMFS25FiY



Kennzeichen D: Gladio-Attentate unter falscher Flagge [ZDF] ca. 1992
https://www.youtube.com/watch?v=qMa3XDRE5SI



Terrororganisation: Die Freimaurer Loge 'Propaganda Due' (P2) [Spiegel TV] ca. 1993
Teil 1: https://www.youtube.com/watch?v=QTjpU2MJ5Gk
Teil 2: https://www.youtube.com/watch?v=Ips5mvZwpo0
Teil 3: https://www.youtube.com/watch?v=lliSe4lIMVs
https://www.spiegel.de/politik/die-loge ... 0013509259



Vortrag: Geschichte Italiens - Die Gefahr von rechts 1969-1982 (Strategia della tensione | anni di piombo)
Teil 1: https://www.youtube.com/watch?v=1tIWApcVw_E
Teil 2: https://www.youtube.com/watch?v=WWl9nYW8RwE

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Richie Pistilli
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Re: KILLER COP - Luciano Ercoli

Beitrag von Richie Pistilli »

Nachdem ich mich in der letzten Woche etwas ausführlicher mit den bleiernen Jahren in Italien (insbesondere mit der 'Strategie der Spannung' und dem Terroranschlag auf der Piazza Fontana) auseinandergesetzt habe, folgte gestern nach vielen Jahren eine erneute Sichtung der Doku 'L'Orchestre Noir: Schwarzer Terror In Italien'. Dabei fiel mir auf, dass ich im vorausgegangenen Beitrag versehentlich nur die letzte Folge der zweiteiligen Doku gepostet habe. Dies wurde nun behoben! Während sich die erste Folge ausnahmslos den Terroranschlag auf der Piazza Fontana zum Thema gemacht hat, befasst sich die zweite Folge hauptsächlich mit den Protagonisten der 'Strategie der Angst'. Eine beachtliche Doku, die den Betrachter mit einem Gefühl tiefer Ernüchterung zurücklässt.

Zudem habe ich den vorausgegangenen Beitrag noch um die sehenswerte ZDF-Doku 'STAY BEHIND: Wie die CIA Nazis für Geheimdienste rekrutierte' (sehr gute Zusammenfassung über den aktuellen Stand der Dinge, was die deutschen Gladio-Strukturen betrifft) sowie um die Spiegel-TV-Reportage 'Terrororganisation: Die Freimaurer Loge 'Propaganda Due' (P2)' ergänzt.




Maulwurf hat geschrieben:
Fr., 20.11.2020 06:30
Ercoli klagt nicht laut und vernehmlich an wie Damiano Damiani, er zeigt kein klar erkennbares Muster wie etwa Francesco Rosi, und er übt auch nicht aggressive Kritik wie zum Beispiel Elio Petri. Nein, Ercoli geht geschickter vor, indem er die Hintergründe des Bombenanschlags genauso im Unklaren lässt wie die eigentlichen Auftraggeber und ihre Motive. Als Zuschauer wissen wir zwar, dass es da einen Colonnello gibt der Befehle an die Bombenleger erteilt, aber wer das eigentlich ist erfahren wir nicht, und Rolandi noch viel weniger. Geheimdienst? Staatsschutz? Pff, wenn interessiert’s? Die Toten bestimmt nicht … Gerade dieses Diffuse, diese Unschärfe, zeichnet KILLER COP gegenüber dem erwähnten DIE KILLERMAFIA aus, wo zumindest einer der höheren Chargen deutlich benannt wird.

Was die Unbestimmtheit der Verantwortlichen im Handlungsverlauf des Films betrifft, so muss ich dem Maulwurf zustimmen, aber dass uns Ercoli diesbezüglich komplett im Dunkeln tappen lässt, sehe ich jetzt nicht so. Stichwort: "Hotel Parco Di Principi".

Während Ercoli in dieser Örtlichkeit eine internationale "Konferenz zur naiven Kunst" stattfinden lässt, bevor sie durch seine Extremistenbande in die Luft gejagt wird, fanden sich im wahren Leben vom 3. bis 5. Mai 1965 Neofaschisten, Vertreter des Militärs, Unternehmer, Politiker, Journalisten und eine Gruppe von 20 Universitätsstudenten im echten "Hotel Parco Di Principi" in Rom ein, um gemeinsam eine Tagung über den Revolutionskrieg abzuhalten. Dabei trat auch der ehemalige SS-Obersturmführer und Esoteriker Pio Filippani Ronconi als Gastredner auf, der durch seinen Vortrag "Hypothese für eine Gegenrevolution" die 'Strategie der Spannung' quasi in die praktische Umsetzung brachte. Das Treffen gilt zumindest als die Geburtsstunde der Strategie in der Praxis. Unter den Teilnehmern waren beispielsweise Stefano Delle Chiaie, Mario Merlino, Guido Giannettini und Pino Rauti, die sich wenige Jahre später allesamt als Verantwortliche des Terrorattentats auf der Piazza Fontana vor Gericht wiederfanden.

So gesehen gibt Ercoli klar zu erkennen, wer sich letztendlich in seinem Film für die grausame Tat verantwortet. Was er jedoch im Handlungsverlauf nicht erkennen lässt, sind die jeweiligen Funktionen, die die einzelnen Protagonisten im Rahmen des Terroranschlags inne haben. Zu guter Letzt setzt er auch noch trotz des qualvollen Hintergrundes ein klares Zeichen, indem er den entsetzlichen Anschlag in seinem Film in keiner Bank, sondern eben in dem besagten "Hotel Parco Di Principi" stattfinden lässt - er sprengt sozusagen den Geburtsort der katastrophalen "Strategie" in die Luft.

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