DERRICK

Der Tummelplatz für alle Serienjunkies und Binge-Watcher!
Von DALLAS bis DENVER, vom TATORT in die LINDENSTRASSE über BREAKING BAD bis hin zu GAME OF THRONES.
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Prisma
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DERRICK

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● DERRICK (D|1974-1998)
in den Hauptrollen | Horst Tappert | Fritz Wepper | Willy Schäfer | Gerhard Bormann | Günther Stoll
Regie | Theodor Grädler | Helmuth Ashley | Zbyněk Brynych | Alfred Weidenmann | Alfred Vohrer | Dietrich Haugk | Günter Gräwert | u.a.
hergestellt durch die Neue Münchner Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF



Die im Jahr 1974 gestartete Kriminalserie "Derrick" brachte mit in einer Sendedauer von beachtliche 24 Jahren auf 281 Episoden à 60 Minuten und gilt bis heute als der Exportschlager unter den deutschen Serien, was die weltweite Ausstrahlung in über 100 Ländern dokumentiert. Der Zuschauer begleitet Horst Tappert als Oberinspektor Stephan Derrick, der sich in treuer Gefolgschaft seines Kollegen Harry Klein alias Fritz Wepper befindet, bei teils spektakulären Fällen, die für Abwechslungsreichtum und Nervenkitzel stehen. Die Handlungen spielen zum größten Teil im Großraum München, in welchem es je nach Episode richtig zur Sache gehen wird. Interessant ist, dass man das Format zu Beginn als Gegenentwurf innerhalb handelsüblicher deutscher Krimiware anlegte, denn die Fälle der ersten Staffel sparen sich den beliebten Whodunit auf, sodass der Zuschauer gleich zu Beginn darüber im Bilde ist, bei wem es sich jeweils um den Täter handelt.

Hierbei handelt es sich um eine Variante, bei der sich die Dramaturgie zu gleichen Teilen mit Ermittlerteam und der Psyche der jeweiligen Verbrecher befassen konnte, was einen zusätzlichen Reiz mit sich bringt. Dieses Modell wurde später zugunsten eines immer sehr gerne gesehenen Krimi-Ratespaßes modifiziert. "Derrick" lebt genau wie ähnliche Formate von seinen verlässlichen Ermittlern, die mit namhaften Schauspielern besetzt wurden, was nicht nur zum Aushängeschild der Reihe werden sollte, sondern auch zum unschlagbaren Erfolgskonzept. "Derrick" bietet dem Publikum insgesamt alles, was das Krimi-Herz begehrt, liefert dabei zum Teil wirklich atemberaubende, tragische, hoch spannende oder raffiniert eingefädelte Verbrechen und ebenso stilsicher aufgelöste Fälle an, die mitunter das Potenzial besitzen, lange in Erinnerung zu bleiben. Die charakteristische Titelmusik von Les Humphries tut ihr Übriges dazu. So sind hier insgesamt einige Klassiker zu finden, die man sich immer wieder gut anschauen kann.

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Sid Vicious
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Re: DERRICK

Beitrag von Sid Vicious »

Die folgenden Episoden liegen mir vor. Es ist interessant zu sehen wie sich das Konzept der Reihe mit den Jahren gewandelt hat. Die Folgen 271 bis 281 zentralisieren eine bestimmte Person und kümmern sich um deren Psyche. Wie in den ersten Episoden ist der Mörder meist bekannt, sodass ein whodunnit aus dem Fokus rückt. Auch wenn mir die späteren Episoden weniger zusagen, gebe ich zu, dass ich (na, was kommt jetzt ?) ein Derrick-Fan bin. Jetzt kann mir bitte jemand mitteilen, ob und wie ich die Episoden in einen Spoiler verpacken kann.
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Prisma
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Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
So., 08.11.2020 22:33
Auch wenn mir die späteren Episoden weniger zusagen

Diesen Eindruck hatte ich auch, insbesondere bei einer Staffel, ziemlich weit hinten, die mir fast wie ein Totalausfall vorkam. Die Storys waren durchwachsen und die Episoden schwach besetzt. Aber wenn man nur mal beim Einstieg in die Serie bleibt, ist das schon beste Krimi-Unterhaltung. Ich habe schon länger nicht mehr in die Serie reingeschaut, aber ich müsste tatsächlich nochmal von vorne beginnen, denn ich habe mich immer sehr gut unterhalten gefühlt, auch wenn häufiger bei "Der Alte" und "Der Kommissar" reinschaue. Aber gerade "Waldweg" und "Johanna" sind schon absolute Kracher!

Sid Vicious hat geschrieben:
So., 08.11.2020 22:33
Jetzt kann mir bitte jemand mitteilen, ob und wie ich die Episoden in einen Spoiler verpacken kann.

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Sid Vicious
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Beitrag von Sid Vicious »

WALDWEG und HOFFMANNS HÖLLENFAHRT finde ich grandios. Dazu kommen noch einige tolle Vohrer-Inszenierungen.
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Prisma
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Sid Vicious hat geschrieben:
So., 08.11.2020 23:43
WALDWEG und HOFFMANNS HÖLLENFAHRT finde ich grandios. Dazu kommen noch einige tolle Vohrer-Inszenierungen.

Ja, die sind wirklich vom Feinsten, und es kommen noch viele solche Folgen hinzu, die man nicht so schnell wieder vergisst. Da braucht man nur die ersten 10 nehmen, und jede ist wirklich sehr gut bis hervorragend. Ich müsste mir nochmal "Zeichen der Gewalt" ansehen, mit Raimund Harmstorf und Sybil Danning. Eine Orgie! Alfred Vohrer schätze ich bei "Derrick" auch sehr, beziehungsweise generell in deutschen Serienformaten. Da ist es mir gleich, ob er eine Episode hier, für "Der Alte" oder für "Die Schwarzwaldklinik" beigesteuert hat. :mrgreen:

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Sid Vicious
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Beitrag von Sid Vicious »

Ich krame mal ein paar Notizen und Screenshots raus. Eigentlich müsste ich alles umschreiben, aber ich sehe das diesmal nicht ganz so streng.

WALDWEG
Deutsche Erstausstrahlung: So 20.10.1974 ZDF

Regie: Dietrich Haugk
Drehbuch: Herbert Reinecker
Musik: Peter Thomas
Kamera: Manfred Ensinger

In der Nähe eines Waldwegs wird der leblose Körper einer jungen Frau gefunden. Bei der Toten handelt es sich um die Internatsschülerin Ellen Theiss. Oberinspektor Derricks erste Anlaufstelle ist demzufolge jenes in der Nähe des Tatorts angesiedelte Internat, welches Ellen besuchte.

Die erste im TV ausgestrahlte (!) Derrick Episode, WALDWEG, macht uns ratzfatz mit den (anfänglichen) Prinzipien der vermutlich beliebtesten bundesrepublikanischen Krimireihe vertraut. WALDWEG nutzt nicht die Mechanismen eines Whodunit-Thrillers, denn der Mörder ist dem Zuschauer von Anfang an bekannt. Was freilich nicht bedeutet, dass dem Derrick-Debüt die Spannung abgeht, denn die Mitwisserschaft gestaltet sich für den Rezipienten - dank Wolfgang Kielings hervorragendem und zugleich beängstigendem Spiel als Lehrer und Mörder Manger - als eine äußerst fesselnde und unbequeme Angelegenheit. Und wenn Derrick Mangers Heim aufsucht und den Dozenten gemeinsam mit seiner Mutter antrifft, dann kann man sich das vorzügliche Zusammenspiel zwischen Wolfgang Kieling („…schenk mir ein, Mama!“) und Lina Carstens genüsslich auf der Zunge zergehen lassen.

WALDWEG ist übrigens ein überaus beliebter Treffpunkt für durch und durch unsympathische Charaktere. Dafür zeugen nicht nur Lina und Wolfgang. So kann Herbert Bötticher als Herr Dackmann, ein alter Lüstling, der auf 17 bis 19jährige abfährt, so manche schmierige Arie trällern. Ihm zur Seite stehen Karl Lieffen als Herr Sparke, ein Überbleibsel der Generation von Auschwitz sowie Walter Sedlmayr als ebenfalls stramm rechts tönender Röhm-Verschnitt und Kioskbesitzer. Inmitten dieses Pfuhls der Unsympathen ist allerdings auch Platz für den Sympathieknuffel. Und der geht an Klaus Höhne in der Rolle des Hausdieners Herr Dirks. Einfach köstlich der Mann.

„Ich bin schuld!“ (Inge Behrwald)
„Ach was! Delon ist schuld!“ (Derrick)

Fazit: Obwohl uns der Täter von Anfang an bekannt ist, gelingt es Haugk einen fortwährend spannenden und teils unbequemen Kriminalfall zu präsentieren. Was ein grandioser Auftakt!
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PS: Der Horst hängt übrigens in meinem Korridor.
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Re: DERRICK

Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
Mo., 09.11.2020 22:54
Was ein grandioser Auftakt!

Das kann man wohl sagen! Ich muss zwar sagen, dass mir Whodunit-Geschichten im Krimi-Bereich traditionell immer lieber als solche sind, die den Täter gleich zu Beginn präsentieren oder zu früh spoilern, aber die Anfänge von "Derrick" stellen da wie etwa auch "Columbo" eine willkommene Ausnahme und darüber hinaus gelungene Überraschung dar. "Waldweg" ist ein äußerst starker Beginn für die Serie und es kommt Hochspannung auf, was nicht nur dem dichten Script zu verdanken ist, sondern auch der Leitung von Wolfgang Kieling. Auch das Ermittler-Duo feiert einen sehr guten Einstieg

Sid Vicious hat geschrieben:
Mo., 09.11.2020 22:54
PS: Der Horst hängt übrigens in meinem Korridor.
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Genau das gleiche Plakat hatte ich auch mal in meinem Flur hängen. :D

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Prisma
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● FOLGE 01: WALDWEG (D|1974)
mit Horst Tappert und Fritz Wepper
Gäste: Wolfgang Kieling, Hilde Weissner, Lina Carstens, Herbert Bötticher, Karl Lieffen, Walter Sedlmayr, u.a.
hergestellt durch die Telenova Film- und Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF | ORF | SRG
Regie: Dietrich Haugk



Ellen Theiss besucht eine Wirtschaftsschule außerhalb Münchens. Als sie eines Abends von einem Kinobesuch mit der S-Bahn zurückkommt, hat ihr Fahrrad einen Platten. Um keine weitere Zeit zu verlieren, nimmt sie die Abkürzung durch den Wald. Plötzlich sieht sie eine Person, die sie zu verfolgen scheint und rennt davon. Erleichtert bemerkt sie, dass es sich um Herrn Manger, einen ihrer Lehrer von der Schule handelt, und sie gehen den Waldweg gemeinsam. An seinem Haus angekommen lockt er die ahnungslose Schülerin hinein und die Polizei findet sie am folgenden Tag ermordet auf. Oberinspektor Derrick und sein Assistent Inspektor Klein nehmen die Schule und die Personen aus dem Umfeld der Toten unter die Lupe, bis sich schließlich Zusammenhänge ergeben und sich ein Verdacht bestätigt...

Die Geburtsstunde der erfolgreichen Reihe "Derrick" bringt mit Folge 1 direkt und kompromisslos höchstes Niveau an fesselnder Krimi-Unterhaltung zu Tage, es wird schnell unmissverständlich klar, dass sich die Serie nicht als irgendein Plagiat zufrieden geben wird, sondern mit einem durchdachten Konzept für Aufsehen und seriöse Unterhaltung sorgen möchte. Ungewöhnlich für den Zuschauer ist hier die Tatsache, dass es nicht um obligatorisches Mörder-Raten gehen wird, denn das Verbrechen und dessen Urheber bekommt eine beängstigende und nicht minder erschreckende Silhouette und zerrt hier in Form von Wolfgang Kieling unheimlich an den Nerven. Man bekommt als Zuschauer Inhalte wie Verfolgung, Mord und Verbergen der Tat unmittelbar zu Gesicht und wird zum Mitwisser, dabei handelt es sich aber nicht um ein Servieren auf dem Silbertablett. Das mag vielleicht im ersten Moment nach mäßiger Spannung klingen, doch das ist hier keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil, der Verlauf der Geschichte forciert ein Gefühl von Unbehagen und lässt durchgehend mitfiebern, wie das neue, hochmotivierte und erfrischend wirkende Ermittlerduo den Fall aufrollen und den Verbrecher dingfest machen wird. Dieses Konzept der lückenlosen, ja exemplarischen Veranschaulichung mit Hilfe von denkwürdigen Bildern und packenden Szenen ist nicht nur ungewöhnlich, sondern bietet einen neuen Aspekt bezüglich der Durchleuchtung von Psyche und Agieren des Täters, ohne dabei großartig Position zu beziehen und zu ermahnen. Gut, das Thema rund um die Morde in einer Mädchenschule, in deren Umkreis ein Triebmörder sein Unwesen treibt, scheint wirklich zu genüge ausgeschlachtet worden zu sein, wirkt aber in dieser Folge Aufsehen erregend neu, beziehungsweise fast schon gefühlt innovativ, was natürlich der Umsetzung zu verdanken ist, außerdem in höchstem Maße den schauspielerischen Präzisionsleistungen. Hinzu kommt, dass gerade dieses Thema wohl immer irgendwie aktuell bleiben wird.

Obwohl bereits ein Mord geschehen ist, zieht es die lebenslustigen jungen Mädchen trotz strikten Verbotes, die Schule ohne Erlaubnis und bei Nacht zu verlassen, immer wieder in die Stadt, da es gewisse Schlupflöcher im System gibt. Sie lassen sich etwa von einer Freundin als anwesend eintragen und zur unbehelligten Rückkehr ins Haus steht ein Fenster offen. Genau so war es auch in der Nacht geplant, als der nächste Mord geschehen sollte. Das Mädchen, dessen Fahrrad einen Platten hat, muss den Weg zu Fuß zurücklegen und den Waldweg benutzen. Wer diese Folge gesehen hat weiß, dass aus dem harmlos und fast idyllisch klingenden Wort "Waldweg" schnell ein Alptraum werden wird. Dunkelheit, schwere neblige Luft die man schneiden könnte und die Ahnung, dass ein Phantom plötzlich seine Hand nach einem der Mädchen ausstrecken könnte; genau so sieht die Angstvorstellung vieler Menschen aus, die hier in beklemmenden Bildern Wirklichkeit gewinnt. Plötzlich taucht der Mörder auf und verfolgt das Mädchen, welches in Todesangst davon rennt, doch plötzlich stehen bleibt und geradezu erleichtert wirkt. Sie kennt die Person, die sie nun begleiten wird, bis schauerliche Gewissheiten aufeinanderprallen werden und es zur Katastrophe kommt. Gerade diese Finesse der Inszenierung (oft angedeutet doch weniger häufig gezeigt): Vertrauen gegenüber einem Mörder erscheint derartig perfide, dass es trotz Veranschaulichung hochgradig spannend bleibt. Die sich anschließende Ermordungsszene in Zeitlupe kann man für deutsche Krimi-Formate beinahe schon beispiellos nennen und Wolfgang Kieling darf alle verfügbaren Register ziehen, lehrt den Zuschauer bei dieser Gelegenheit das Fürchten. Sein in Großaufnahme gezeigtes Gesicht wird zur entsetzlichen Fratze, die Mordlust und krankhaften Wahn offenbart.

Horst Tappert als Derrick und Fritz Wepper als Klein zeigen gleich zu Beginn, dass es sich um ein Erfolgsduo handelt: eine abgestimmte Mischung aus Kombinationsgabe, Routine und Vertrauen, die es jedem Verbrecher schwer machen wird. Neben resoluter Sachlichkeit bleibt ebenfalls Spielraum für (selbst)ironische Anmerkungen, die beiden wirken logischerweise noch etwas frischer und flexibler als 150 Folgen später und sammeln Sympathiepunkte beim Zuschauer. Gerade Horst Tappert, der hier und da auch mal gerne pokert wenn sich seines Erachtens zu wenig bei der Lösung des Falls tut, erscheint entfesselter, sogar ungeduldiger und fordernder. Feingefühl und Zurückhaltung gibt es lediglich situationsbedingt. Ein wirklich gut konstruiertes Team der ersten Stunde verspricht somit weitere, hochwertige Unterhaltung. Hilde Weissner als Leiterin der Schule leistet neben den übermächtigen Darbietungen eine ausgesprochen gute Interpretation. Sie erfährt nebenbei und viel zu spät, dass ihr System einige Lücken hat und das sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Lustmörder in ihrem Haus befindet. Sie transportiert ihre Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit gegenüber den Geschehnissen sehr präzise, auch temperamentvolle Zustände, die sich eine Frau in ihrer Position eigentlich nicht leisten kann, tragen im Rahmen der außerordentlichen Vorkommnisse zur hohen Glaubwürdigkeit bei. Das Lehrerkollegium ist gespickt mit kuriosen Gestalten und hier fällt besonders Herbert Bötticher positiv auf. Als Kielings Mutter sieht man die großartig aufspielende Lina Carstens, die sich in einem Vakuum aus Schweigen und Angst, Verzweiflung, Gewissen und Rechtfertigung wieder findet und unheimliche Qualen über sich ergehen lassen muss. Falls sie ihr Schweigen bricht, weiß der Zuschauer genau, dass für diese tragische Figur die Qual erst so richtig beginnen wird. Die gemeinsamen Szenen mit ihrem TV-Sohn sind hervorragend, denkwürdig und erschreckend zugleich. Sehr angenehm bei Folge 1 ist, dass sie nicht mit Geschützen der schweren Kindheit und Hausfrauenpsychologie auffährt. Der Mörder wird mit Hilfe eines Tricks gestellt, die Frage nach dem "Warum?" bleibt natürlich bestehen, wird dem Zuseher aber nicht distanzlos aufgezwungen. Die Empfindungen gegenüber den beteiligten Personen variieren und etablieren sich nur schwerfällig, es ist von Mitleid bis grenzenloser Verachtung alles gegeben. Ein fulminanter Einstieg!

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Prisma
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Derrick2 (350x264).jpg (67.82 KiB) 5967 mal betrachtet

● FOLGE 02: JOHANNA (D|1974)
mit Horst Tappert und Fritz Wepper
Gäste: Lilli Palmer, Helmuth Lohner, Josef Dahmen, Isolde Zimmermann und Helga Anders
hergestellt durch die Telenova Film- und Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF | ORF | SRG
Regie: Leopold Lindtberg



Oberinspektor Derrick sieht sich mit einem Fall konfrontiert, der zur Abwechslung ziemlich eindeutig erscheint. Die wohlhabende Geschäftsfrau Martha Balke wird in ihrem Wochenendhaus tot aufgefunden. Sie wurde ermordet. Ihr wesentlich jüngerer Ehemann Alfred wird schnell zum Hauptverdächtigen, da er nicht nur Alleinerbe des gesamten Vermögens sein wird, sondern sich nachweislich mit seiner jüngeren, attraktiven Geliebten die Zeit am vertreiben ist. Das Mordmotiv liegt somit auf einem Silbertablett, jedoch fehlen Derrick jegliche Beweise, die den lustigen Witwer überführen könnten. So kommt ihm der Zufall zur Hilfe, als Johanna, die Schwester der Ermordeten, aus den Vereinigten Staaten anreist. Es handelt sich nämlich um Zwillinge und dieser Umstand veranlasst Derrick zu einem recht unkonventionellen Plan. Mit Hilfe von Johanna will er den mutmaßlichen Täter unter Druck setzen, um somit an ein Geständnis zu gelangen. Doch zuerst müssen dafür einige optische Veränderungen bei Johanna durchgeführt werden...

Der zweiten "Derrick"-Folge eilen hier und da sehr unterschiedliche Einschätzungen voraus, zumal mit Leopold Lindtberg auch ein recht unbeschriebenes Blatt auf dem Regiestuhl Platz nahm. Nichtsdestotrotz schafft der Wieder Regisseur einen nahtlosen Übergang im Rahmen abgestimmter Krimi-Unterhaltung und es handelt sich nach persönlichem Ermessen um einen Favoriten der Reihe, wofür Lilli Palmer in nicht unerheblichem Maß mitverantwortlich ist. Die frühen Episoden beweisen anhand ihrer hochkarätigen Gäste eindeutig, dass man auf Zuschauer-Fischzug gehen wollte, wobei kein Zweifel besteht, dass sich das Format auch so durchgesetzt hätte. Die Story rund um das Beseitigen der älteren und natürlich wohlhabenden Ehefrau durch ihren Mann, der eine anspruchsvolle Geliebte auszuhalten hat, erscheint zunächst mehr als bekannt zu sein, bekommt hier jedoch einen bemerkenswerten Schauspieler-Schliff verpasst. Lilli Palmer zeigte in ihrer Doppelrolle der Schwestern Martha und Johanna eine Interpretation, die in frappanter Manier an ihre Stargast-Rolle als Dr. Viorne in dem 1971 entstandenen Spielfilm "Diabolisch" erinnert. Dieser Quervergleich entsteht nicht wegen der Anlegung ihrer Rolle und der dargestellten Person(en), sondern wegen ihrer Art, mit dem jeweiligen Gegenüber umzugehen. Die Strategie der Psychologin Dr. Viorne wirkt dort nämlich genau so, wie sie von Martha/Johanna angewandt wird, sodass sie auf Helmuth Lohner einen indirekten Psycho-Terror ausübt, wenn man es so nennen möchte. Sie erzwingt impulsive Reaktionen, sie will Widerstände durchbrechen und hat nur das Ziel mürbe zu machen. Auch hier kommt man sich vor, als würde man Zeuge eines Kreuzverhörs sein. Lilli Palmer konnte diese eiskalte Berechnung stets gut transportieren und einen Würgegriff anwenden, ihre Stiche wirken in der beinahe mütterlich-ermahnenden Fasson wie Torpedos, wobei ihre Johanna dabei selbst über die Grenzen ihrer Kräfte gehen muss. Martha behandelt ihren Mann wie einen unmündigen, ungehorsamen Knaben, der in richtige Bahnen gelenkt werden muss und ohne ihre Strukturvorgaben nicht funktionieren, ihrer Ansicht nach wahrscheinlich überhaupt nicht existieren kann. Die Verbindung der beiden steht daher kaum unter dem Nimbus einer Liebeshochzeit; eher bekommt man den Eindruck, dass Martha ihrem Helfersyndrom aufgesessen ist.

Veranschaulicht wird eine Konstellation, die prinzipiell nicht funktionieren kann, aber immer wieder scharenweise zu Stande kommt, da der starke, dominante Charakter die Schwäche sucht und unfehlbar aufspürt, wie das Schwein die Trüffel. Der weichere Charakter strebt eher nach Bequemlichkeit, was er jedoch als Sicherheit definiert. Martha wirkt durch ihr mütterliches und herrschsüchtiges Auftreten alles andere als sympathisch. Sie gibt Anweisungen, die in Befehlen gipfeln; diese Frau begehrt die Kontrolle. Als sie erfasst, dass ihr Mann sie umbringen will, hat sie ihn in Windeseile wieder zur Raison gebracht, unterschreibt jedoch ihr eigenes Todesurteil, da ihr die subtilen Mittel fehlen, sie nicht spontan oder clever umdenken kann, ihn schlussendlich der Polizei ausliefern möchte. Gut, wie subtil sollte könnte die Reaktion aussehen, wenn man begreift, dass man Mordopfer werden soll? Das beschäftigende an dieser Angelegenheit ist nicht mehr die Tat an sich, sondern dass Martha hätte leben können. Johanna, die Zwillingsschwester aus den USA taucht später auf und Derrick wittert sofort seine Chance. Sie soll ihm behilflich sein, den Mörder mit fragwürdigem Alibi zu stellen, muss dafür zunächst eine optische Veränderung durchmachen, damit sie ihrer Schwester haargenau ähnelt. Bald schon nimmt sie ihren Schwager nicht nur durch ihre Präsenz, sondern auch verbal in die Zange. Sie quartiert sich bei ihm ein, wirft kurzerhand seine Freundin hinaus und will einen Zusammenbruch provozieren, muss dabei aber gegen ihren eigenen, fast bevorstehenden Kollaps ankämpfen. Lilli Palmer ist wie immer elegant, sie gefällt sich in großen Gesten und schafft es, den Schwestern unterschiedliche Profile zu geben. Die am deutlichsten herausgearbeiteten Charakterunterschiede offenbaren sich vor der Ermordung Marthas, die unerbittlich und hart bleibt, sowie im Finale mit Johanna und ihrem Schwager, als sie sich trotz dieser unmenschlichen Prozedur ganz kurz berührt zeigt, was sie offenbar selbst erschreckt und den Zuschauer reichlich verwirrt. Helmuth Lohner gibt die Rolle von Marthas fünfzehn Jahre jüngerem Ehemann Alfred, der in seiner Frau die einmalige Chance gewittert hat, ein bequemeres Leben führen zu können. Schnell hat er mit seiner jungen Geliebten Roswitha ein Komplott ausgeheckt, sich der unbequemen Dame zu entledigen.

Noch bevor Johanna einen Brief ihrer Schwester über die Charaktereigenschaften ihres Mannes vorliest, kommt man auf den gleichen Gedanken eines ungefestigten, weichen und zerrissenen Charakters. Lohner spielt diese Rolle ganz ausgezeichnet, seine Berechenbarkeit und Unselbstständigkeit hat richtiggehend Methode und man ertappt sich selbst bei einigen mitleidigen Blicken. Die stets willkommene Bereicherung Helga Anders ist die eigentliche treibende Kraft hinter diesem Mordkomplott. Sie animiert Alfred, der nicht zu wissen scheint, wie er den Mut zu dieser Tat zusammensuchen soll und nach Art des Hauses lieber wieder ausweichen würde, indem sie widerborstig reagiert und ihm entschlossen Zuneigung verweigert. Helga Anders spielte ihr komplettes, kurzes Schauspielleben sehr oft identisch angelegte Rollen, und deswegen wirkt sie auch so überzeugend. Auch hier ist sie die personifizierte Verführung mit aufforderndem Blick und halboffenem Mund; eine junge Frau aus bürgerlichem Milieu, die sich Besseres erträumt und diesbezüglich Mittel und Wege sieht. Roswitha ist oberflächlich und gewöhnlich, aber mit einer beachtenswerten Attraktivität ausgestattet, die nahezu unberechenbar wirkt. Ihr Liebhaber weiß genau, dass seine Freundin auf einen besseren Zug aufspringen wird, falls er die Situation nicht signifikant verändert - wenn nicht heute dann morgen. Horst Tappert und Fritz Wepper zeigen sich erneut in glänzender Form und sie knüpfen unmittelbar an den Vorgänger an. Wieder wird mit unkonventionellen Methoden gepokert, Derricks Instinkt scheint fast unfehlbar zu sein, er demonstriert den Verdächtigen, dass er sie für schuldig hält und sie daher todsicher überführen wird. Trotzdem wirken Derrick und Klein nicht wie Überermittler vom anderen Stern, denn sie zeigen Ecken und Kanten und es besteht insgesamt eine perfekte Symbiose zwischen den beiden. Die augenscheinlich simple oder sozusagen doppelte Dreieckskonstellation erhält von ihren Schauspielern den Brillantschliff. Dabei ist die Geschichte gewiss nicht neu, bekommt allerdings durch die sorgsame Umsetzung Stringenz, eine spannende Note und ein hässliches Gesicht zugleich, da man Mord, Verbrechen und Verschleierung wieder als Komplize miterleben kann. Eine interessante Schauspieler-Episode mit progressiver Verlässlichkeit, die es sich aufspart, mit übermäßigen Wertungen zu jonglieren.

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● HELGA ANDERS als ROSWITHA MEINECKE in
DERRICK - JOHANNA (D|1974)



Eine junge, hübsche Frau steht an der Music Box. Alles um sie herum scheint sie nicht zu interessieren, solange sie die nächste Münze zum Einwerfen und den nächsten Drink hat. Als ihr wesentlich älterer Freund auftaucht, bleibt ihre Stimmung jedoch im Keller, denn offensichtlich hat er erneut nicht so funktioniert, wie sie es von ihm verlangt. Schnell wird klar, dass es sich um ein Mordkomplott handelt, welches beiden ermöglichen würde, ein Leben zu führen, wie sie es sich vorstellen. Ohne finanzielle Nöte in den Tag hineinleben, auf bürgerliche Konventionen pfeifen, oder einfach nur die Sau rauslassen können. Roswitha Meinecke hat alles, was Männer anlockt. Ihre dem empfinden nach leichtfertige Art lädt zu dem Gedanken ein, dass Phantasien Wirklichkeit werden könnten, doch alles hat seinen Preis. Auch sie. Helga Anders spielt in der zweiten Episode der Kriminalserie "Derrick" eine Figur, die sie vom Prinzip her schon häufiger interpretiert hat und bei der Mitte 20jährigen wurde dramaturgisch wieder eine Verjüngungskur vollzogen, der man die zwanzig Jahre aufgrund ihres Aussehens auch durchaus noch abnimmt. Man betrachtet eine Frau, die mit der modernen und unbefangenen Einstellung einer neuen Generation kokettiert, doch ihr Kalkül erlaubt es ihr nicht, sich mit kleinen Fischen abzugeben. Ihr Liebhaber, ein Habe- und Taugenichts aus dem Bilderbuch, nennt eine gute Partie sein eigen, da er jüngst reich geheiratet hat und mittlerweile in einem gut ausstaffierten Käfig lebt. Doch die Frau, die Roswithas Mutter sein könnte, stört bei der geheimen Zweisamkeit und dem ausgelassenen Begriff der freien Libido. Helga Anders wählt für diese Rolle wieder einmal ihren speziellen Weg der schwer erreichbaren Emotionen. Sie gewährt dem Zuschauer kein einziges Lächeln, keinen Raum für Sympathien, und präsentiert sich als Wurzel allen Übels - dies sogar aus vollster Überzeugung.

Man ahnt, dass sie ihren labilen und überaus ungefestigt wirkenden Freund ohne Mittelpunkt lange genug bearbeitet haben wird, bis er zu spuren anfing, doch dummerweise scheint eine Nebensächlichkeit wie sein Gewissen im Weg zu stehen, um in letzter Konsequenz vorzugehen. Der Mordplan entspricht in seiner Einfältigkeit und dilettantischen Stilrichtung vollkommen der Einstellung von Roswitha Meinecke, eine junge Dame, die sich hauptsächlich auf Instinkte und Intuition zu verlassen scheint. Funktioniert ihr Liebhaber nicht in verlangter Art und Weise, weiß sie ganz genau, wie sie vorzugehen hat. Nicht nur Umgang und Wortwahl verdunkeln sich merklich, sondern viel wirkungsvoller ist, dass sie sich im Zweifelsfall offensichtlich sexuell verweigern wird. Ihr Freund Alfred lässt sich mit dieser Sex-Klemme erpressen und manipulieren, sodass das anvisierte Ziel immer näher vor Augen rückt. Helga Anders spielt sehr glaubhaft und unheimlich authentisch. Es sieht erneut so aus, als könne sie alles zwischen Klischee und komplexer Mehrfachanforderung auf den Punkt bringen. Blickt man auf die Serie im Ganzen und auf Anders' sieben Rollen innerhalb von 10 Jahren, lassen sich insgesamt ganz außergewöhnliche Darbietungen ausfindig machen, von denen einige zurecht einen gewissen Klassiker-Status erlangen konnten. Was man nicht vergessen darf, ist, dass sie in dieser zweiten Folge zusätzlich gegen einen unglaublich starken Helmuth Lohner, vor allem aber gegen die Übermacht Lilli Palmer in gleich doppelter Potenz anzuspielen hatte, und dennoch einen ebenbürtigen Eindruck angesichts einer Rolle hinterlässt, die formal gesehen eigentlich eine untergeordnete Funktion hat. Um es also nochmals zu betonen: Wer Helga Anders in ihren Spielfilmen schätzt, darf auch ruhig einmal einen gezielten Blick in Richtung ihrer Darbietungen im Feld der Kriminalserien richten, denn es dürfte höchstwahrscheinlich zu zusätzlichen Offenbarungen kommen.



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Derrick3.1 (350x271).jpg (69.23 KiB) 5526 mal betrachtet

● FOLGE 03: STIFTUNGSFEST (D|1974)
mit Horst Tappert und Fritz Wepper
Gäste: Siegfried Lowitz, Andrea Rau, Bruno Dietrich, Herbert Fleischmann, Ulrich Haupt, Claudia Butenuth, u.a.
hergestellt durch die Telenova Film- und Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF | ORF | SRG
Regie: Helmut Käutner



Eine Liedertafel feiert in einem Gasthaus ein großes Jubiläum. Nachdem einige Lieder zum Besten gegeben wurden, wird die Stimmung wesentlich ausgelassener und die Familien und Freunde der Jubilare fangen an, zum gemütlichen Teil der Veranstaltung überzugehen. Es wird getrunken, gealbert und getanzt. Einer unter ihnen namens August Bark zeigt sich in besonderer Feierlaune, als er mit der attraktiven Irene, der Freundin seines Sohnes, sogar ein Tänzchen wagt. Doch die Stimmung kippt schlagartig um, denn wenig später wird Irene leblos in ihrem Zimmer aufgefunden. Für Oberinspektor Derrick beginnt nun Routine, aber der Fall lässt sich doch nicht so einfach rekonstruieren, wie zu Beginn gedacht. Allerdings ahnt er, dass der Täter unter den Gästen sein muss und schon bald ergeben sich begründete Verdachtsmomente gegen eine gewisse Person...

Bereits innerhalb von gerade einmal drei Folgen wurden bei "Derrick" die unterschiedlichsten Motive und Facetten des Verbrechens vorgestellt: pathologische Sexualdelikte, Mord aus Berechnung und gewöhnliches Kalkül. In der Episode "Stiftungsfest" bekommt man schließlich Totschlag in einer überaus alltagstauglichen Situation mit einer fatalen Kettenreaktion angeboten, und es wird das Ambiente sein, das für ein unübersichtliches Flair sorgt. Die Stärke der Folge zeigt sich nicht zuletzt anhand der Tatsache, dass sie bis auf den Mord im Rahmen der ausgelassenen Feierlaune einen hohen Alltagstransfer herstellen kann und man sich vielleicht hier und da unter den feiernden Gästen wiederfindet. Es wird sehr gut dargestellt, wie die allgegenwärtige Ausgelassenheit und Freude plötzlich das Gesicht des schlimmsten Alptraums annimmt, wie aus langjährigen Freunden Gegner und sogar Feinde werden und wie das Leben innerhalb einer einzigen Minute nicht nur für das Opfer, sondern auch für den Täter vorbei sein kann. Verfeinert ist das Ganze erneut mit einer Besetzung der A-Kategorie. Die Tragödie nach Zufalls- oder Schicksalsprinzip spielt sich in einem abgelegenen, dem empfinden nach bürgerlichen Gasthof vor unscheinbarer winterlicher Kulisse ab. Was könnte dort schon Außergewöhnliches passieren? Die Sangeskollegen haben mit ihren Familien und Freunden einen unbeschwerten, heiteren Abend geplant, die Bier- und Schnapslaune transportiert Ausgelassenheit, alle Sorgen und Probleme wurden an der Garderobe abgegeben. Es wird herumgealbert, gesungen, getanzt und vor allem getrunken, es verspricht eine unvergessliche Nacht zu werden, was sich letztlich auch bewahrheiten wird, doch leider in einer fatalen Umkehrreaktion.

Siegfried Lowitz als August Bark steht ganz im Mittelpunkt dieser Folge. Wo er nur kann, heizt er die Stimmung dynamisch an und man bekommt den Eindruck, dass nicht nur er sich an diesem Abend gut 25 Jahre jünger fühlt, sondern auch einige seiner Freunde. Für den Höhepunkt der Feierlaune sorgt schließlich die reizende Andrea Rau mit ihrem anheizenden Tanz auf dem Vulkan, bis die Luft schließlich brennt. Ihre Irene, die mit Barks Sohn liiert ist, erweist sich als perfekte Projektionsfläche für die hemmungslos freigelassenen Fantasien bei den anwesenden Herren, die sich mittlerweile bis unter die Decke stapeln. Andrea Rau vereint das Bild der Heiligen, der Unschuldigen sowie der Verführerin und des Objekts wie keine Zweite, ihre Attraktivität und die auffällige Unbekümmertheit lassen Bark für einen kurzen Moment zu sehr den Verstand verlieren. Die Nacht findet ihr entsetzliches Ende mit einer unplanmäßigen Toten. Fortan sieht man die Stimmung in einem anderen Extremum, in dem Siegfried Lowitz bemerkenswert aufspielt. Der alte Bark verliert an Haltung, trotzdem sucht er verzweifelt nach Mitteln und Wegen, um sich aus diesem immer enger werdenden Schraubstock zu befreien. Es ist ihm förmlich anzusehen, dass er bis zuletzt daran glaubt, einen Ausweg zu finden, um an einen normalen Alltag anknüpfen zu können, was allerdings vollkommen ausgeschlossen sein wird. Als schließlich auch noch sein Sohn verdächtigt und belastet wird, der von Bruno Dietrich sehr griffig interpretiert wird, erscheint die Zwickmühle, in der er sich mittlerweile befindet, aussichtslos zu sein. So wird ganz erstaunlich verdeutlicht, dass in einer solchen Dramatik immer noch eine gute Portion mehr Druck hinzukommen kann, die gewisse Personen aushöhlt.

Die eigene Haut retten, den eigenen Sohn beschützen, das Gesicht vor Familie und Freunden wahren, und gegenüber einem resoluten Derrick nicht noch auffälliger erscheinen - Siegfried Lowitz vermittelt die hochgradige Verzweiflung hier ausgezeichnet. Als dann auch noch Irenes Vater auftaucht, der von Ulrich Haupt gespielt wird, und der die Beteiligten über jeden Verdacht erhebt, sieht man ihn immer wieder kurz vor dem Zusammenbruch, und darauf setzt auch Derrick. Er wartet ab, da seine Erfahrung ihm sagt, dass einem Täter, der kein Mörder ist, irgendwann die Luft ausgehen wird. Die Gespräche zwischen Ermittler und Täter wirken mit ihren indirekten Angeboten sehr interessant, das Finale überzeugt in der Verdeutlichung des naheliegenden Endes einer ausweglosen Situation. In dieser Folge ist das Publikum unmittelbar am Geschehen beteiligt, da das Setting nicht in so sehr weiter Ferne liegt. Dichte Aufnahmen lassen einen buchstäblich den Schnaps, den Rauch und das Parfum von Andrea Rau riechen, ebenso wie die eiskalte Luft außerhalb. Die Emotionen sind greifbar und regen weitgehend zur Reflexion an; dieses Katz-und-Maus-Spiel wird mit fortlaufender Zeit nicht nur für Bark, sondern auch für den Zuseher immer unerträglicher, sodass man förmlich auf eine Lösung wartet und hofft, egal wie diese letztlich aussehen mag. Außerdem bleibt man auch ein wenig nachdenklich zurück, wenn man sich die Konsequenzen und die unausweichlichen Reaktionen der Familie, der Freunde und Bekannten ausmalt. Besonders gelungen war die Präsentation der Ermittlungsarbeit, die einige subtile Komponenten veranschaulicht. Insgesamt ist dieses unkontrollierbare "Stiftungsfest" von Regisseur Helmut Käutner mit einer bemerkenswerten Kontrolle ausgestattet worden.

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● FOLGE 04: MITTERNACHTSBUS (D|1975)
mit Horst Tappert und Fritz Wepper
Gäste: Werner Kreindl, Christiane Schröder, Hartmut Becker, Bruni Löbel, Rudolf Platte, Hans Quest, u.a.
hergestellt durch die Telenova Film- und Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF | ORF | SRG
Regie: Theodor Grädler



Der letzte Bus aus München fährt in einer ländlichen Ortschaft vor, mit dem Helga Landau zurück gekommen ist, die als Kellnerin im ansässigen Gasthaus beschäftigt ist. Sie wirkt sehr bedrückt, denn von ihrem Arzt hat sie soeben von ihrer Schwangerschaft erfahren. Der Vater ihres Kindes ist Erich Holler, der gleichzeitig Sohn ihres Arbeitgebers ist, Helga aber niemals heiraten würde. Dennoch möchte sie ihr Kind unter allen Umständen austragen, was sie Erich auch eröffnet, doch von diesem ernsten Gespräch kommt Helga nicht mehr zurück. Am nächsten Tag wird sie tot aufgefunden. Oberinspektor Derrick leitet die Ermittlungen in diesem Mordfall und er sieht sich schnell mit kleinbürgerlichen Vorurteilen und einem seltsamen Zusammenhalt der Dorfbewohner konfrontiert, was die Aufklärung des Falles deutlich erschwert...

Die Folge "Mitternachtsbus" schildert eine weitere grausame Tat im Rahmen des bürgerlichen Milieus, dieses Mal in der Kategorie: Beseitigen von unbequemen Problemfällen. Bemerkenswert ist, dass es eine leichte Abkehr von Effekten gibt und man das Szenario mit befremdlicher Tragik ausgestattet wahrnimmt. Es wäre zu viel gesagt, dass es anderenorts nicht ebenso war, doch hier wird dem Publikum eine ganz erschreckende Facette geboten. Vorab ist wieder einmal zu bekennen, dass die Vielfältigkeit der Hintergründe und der Mordmotive dieser Serie ein unverwechselbares und spannendes Gesicht geben konnte, und es kommt ein leichtes Gefühl von zurückhaltender Extravaganz auf. Trotzdem sieht man grundsolide Ermittlungsarbeiten. Was hier in der Ermordungssequenz gezeigt wird ist sicherlich optisch gesehen nicht schockierender als die beunruhigenden Momente mit Wolfgang Kieling in der Pilotfolge, allerdings entstehen erschreckende Abfolgen von Szenen, die einen schwer zu verbalisierenden Charakter hinterlassen und daher wesentlich brutaler wirken, als die vorhergegangenen Konzepte: Ein Opfer, das um sein Leben betteln wird, aber nichts gegen Selbstzweck ausrichten kann. Als persönlicher Verstärker fungiert hierbei Christiane Schröder in außerordentlicher Art und Weise, da ihr bemitleidenswertes privates Schicksal sich mit ihrer Rolle zu vermischen scheint. Die Episode verteilt insgesamt einen schmerzlichen Seitenhieb an über- oder unterschätzte Gefühle, an überbewertete oder wertlose Beziehungen und den zweifelhaften Zusammenhalt, außerdem spielt sie gekonnt mit Verhältnislosigkeiten, die bei Mord und Verbrechen zwar an der Tagesordnung sind, aber oftmals zu sehr im Hintergrund abgehandelt werden. Das Verbrechen ereignet sich in einem unscheinbaren Dorf, in dem sich Fuchs und Hase scheinbar gute Nacht zu sagen pflegen, bis in jener Nacht der Mitternachtsbus vorfährt.

Schnell bekommt man Christiane Schröder als Helga zu Gesicht, die trotz Nervosität und offensichtlicher Hektik noch ein paar gute Worte und Gesten für den wartenden Bruno hat, der sie stets vom Bus abholt um ihren Koffer zu tragen. Die Figur des Bruno ist für das Gesamtgeschehen alles andere als unwichtig und Lambert Hamel stattet diese Figur mit viel Tiefe aus. Helga jedenfalls scheint in der kleinen Gemeinde kein unbeschriebenes Blatt zu sein und pflegt diverse Bekanntschaften. Der Hinweis, dass selbst oder gerade auf dem Land Standesunterschiede sehr streng berücksichtigt werden, lässt erahnen, wie das Gerede der Leute ausgesehen haben muss, und ohne ihren Tod hätte aussehen können. In diesen Fällen ist es angeblich stets die Frau, die alle zur Verfügung stehenden Verführungskünste einsetzen wird, um eine gute Partie in ihre gierigen Krallen zu bekommen. Christiane Schröder verkörpert hier alles andere als rücksichtsloses Kalkül und eiskalte Berechnung, ganz im Gegenteil: sie wirkt nämlich fast schon zu gutgläubig oder einfältig mit ihrer naiven Sicht auf die Dinge. Helga erwartet ein Kind vom Sohn ihres Chefs Holler, in dessen Gasthof sie Kellnerin ist. Sie stellt für viele also ein geheimes und gerne in Anspruch genommenes Vergnügen dar. Wenn das so bleiben würde, wäre die Welt auch morgen noch in Ordnung. Da dies aber nicht mehr der Fall ist, muss also schnellstens gehandelt werden. Die Angebote in Form von Geld und Abtreibung werden von der jungen Frau jedoch ausgeschlagen und somit unterschreibt sie ihr Todesurteil, denn sie provoziert eine Affekthandlung ohne es zu begreifen. Hartmut Becker interpretiert einen unsicheren und weichen Charakter, den Schürzenjäger der kleinen Verhältnisse. Was das Verhältnis zu Frauen angeht, spielte er eine sehr ähnliche Rolle bereits in der Malpass-Verfilmung "Als Mutter streikte" und er passt sehr gut in derartige Rollen, wenngleich seine Darbietung auch nicht besonders außergewöhnlich erscheint.

Von seinem Vater wird er zwar an der langen Leine gehalten, hat jedoch immer zu spuren wenn dieser pfeift. Wie könnte es anders sein, dass ihm auch dieses Mal der Vater zur Hilfe eilen muss? Werner Kreindl zeichnet die Figur des Oscar Holler überaus glaubhaft und hochklassig, denn der schmierige und gerissene Wirt fällt mit nahezu widerwärtiger Aura auf. Er wird schließlich alles tun, um die Karre aus dem Dreck zu ziehen und ist zu jedem Bauernopfer bereit, welches sich auch schnell ausfindig machen lässt. Dabei setzt er unerbittlich auf Abhängigkeiten und Schwächen anderer Leute. Der ungebetene Gast in seinem Haus namens Wollweber, den Rudolf Platte bemerkenswert formt, wird mit Vergünstigungen in Form von Alkohol angelockt. Zuvor wurde er stets in eindeutiger Manier des Hauses verwiesen und wie ein Aussätziger behandelt. Auf dessen minderbemittelten Sohn Bruno soll die Tat einfach aber sicher abgeschoben werden. Holler legt falsche Fährten und schmiedet Pläne, er spielt seine Überredungskünste aus und biedert sich Derrick förmlich an. Sein Plan könnte gelingen, wenn es sich tatsächlich um ein Dorf ohne Gewissen und die Initiative Einzelner handeln würde. Mit "Mitternachtsbus" schickte Theodor Grädler eine beeindruckende Episode ins Rennen, die besonders durch ihre Hinterhältigkeit und eine eigenartige Hilflosigkeit hervor sticht. Besonders bestürzend erscheint hier nicht nur die perfide Tat, sondern auch die Ausweglosigkeit der Situationen, in denen sich viele Beteiligte befinden. Zurück bleibt eine unbehagliche und nachdenkliche Grundstimmung. Im Tauziehen zwischen Not und Tugenden scheint Erstgenanntes die große Übermacht zu sein, doch Derrick setzt schließlich auf menschliche oder empathische Kompetenzen und lässt die Falle unerbittlich zuschnappen. Die Gerechtigkeit wird schließlich auch in Folge vier siegen, weil der Wirt die Rechnung ohne Derrick gemacht hat.

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● CHRISTIANE SCHRÖDER als HELGA in
DERRICK - MITTERNACHTSBUS (D|1975)



Der Mitternachtsbus scheint kurz vor seinem Zielort zu sein. Die wenigen Passagiere sind um diese Uhrzeit üblicherweise müde und verschlafen, mit geschlossenen Augen zu sehen, was aber nicht auf Helga zutrifft. Sie schaut starr ins Leere, scheint befallen von immer wiederkehrenden und unlösbaren Gedanken zu sein. An der Haltestelle wird sie von ihrem minderbemittelten Verehrer Bruno abgeholt, mit dem sie höflich und geduldig umgeht, was der offensichtlich bis über beide Ohren verliebte junge Mann nicht von den Bewohnern des Dorfes gewöhnt sein dürfte. Im Wirtshaus, in dem sie kellnert und dem Hörensagen nach auch andere Dienste verrichtet, lässt sie die Katze bei Erich, dem Sohn des Hauses, vorwurfsvoll und unsentimental aus dem Sack: Sie erwartet ein Kind von ihm. Erich rennt schnellstmöglich zu seinem Vater, der seine Angestellte Helga ebenso in- und auswendig kennen dürfte wie sein Sohn, und wartet wie üblich auf Instruktionen. Christiane Schröder ist in der gerade angelaufenen Serie in ihrer letzten Rolle zu sehen, die hier sehr kurz aber ebenso eindringlich ausgefallen ist. Geschildert wird eines der wohl ältesten Probleme der Welt, wenn die Verantwortung das Vergnügen zum Duell fordert. Schröder ist in dieser vierten Folge ungewöhnlich minimalistisch in ihren Emotionen wahrzunehmen; ein Eindruck, den der Vergleich vor allem zu anderen Kriminalserien hergibt. Unbeteiligt steigt sie ins Tagesgeschäft ein, um ihren Liebhaber zwischen Tür und Angel über die neuen Umstände aufzuklären. Sie sei schwanger, das obendrein von ihm. Während dieses kurzen Gesprächs kristallisiert sich sehr genau aber unausgesprochen heraus, dass sie ihr Kind austragen möchte. Diese Tatsache lässt den werdenden Vater nervös werden, was sich auch vom designierten Großvater - der ebenso gut der Vater sein könnte - sagen lässt. Die Geschichte geht trotz der Vermutung, es mit einer im Dorf bekannten Freundenspenderin zu tun zu haben, glimpflich mit der attraktiven Blondine um.

Dieser Kniff ist darüber hinaus auch vollkommen notwendig gewesen, da Helga wenig später ein schreckliches Schicksal ereilen wird, und den Täter bei dieser Gelegenheit zum Abschaum der Veranstaltung werden lässt. Er versucht die unbequeme Sache mit Geld, oder besser gesagt dem Geld seines Alten, aus der Welt zu schaffen. Sie bleibt in seinen Augen stur und will nicht abtreiben. Schließlich sieht sie im Mondschein die Bereitschaft in seinen Augen, bis zum Äußersten zu gehen. Es kommt zu unappetitlichen und ergreifenden Szenen, da eine werdende Mutter um ihr Leben und das ihres Kindes betteln wird. Hier muss gesagt werden, dass man Christiane Schröder schon intensiver im Rahmen ihrer initialen Gefühlsausbrüche gesehen hat, wobei sich die Frage stellt, wie eine solche Reaktion überhaupt aussehen möge. Helga zieht breit angelegtes Bedauern auf sich und das uneingeschränkte Mitgefühl des Publikums, sodass man die Hintergründe oder sie als Person überhaupt nicht erst zu hinterfragen beginnt. Der Rest wird Schweigen sein, was im Dunstkreis der grassierenden Kneipen-Intrigen und der Kaltblütigkeit der Tat und des dafür erforderlichen Komplotts aufwühlend und bedrückend zugleich wirkt. Man wünscht sich Gerechtigkeit, zumal man den Mord live miterleben musste. Christiane Schröder bleibt trotz der kurzen Auftrittsdauer wie eine Anklage über dem Szenario stehen, außerdem liefert sie eine unterm Strich passable Leistung, da sie wie ein Schnittmuster wirkt. Schröder hatte sich bislang noch immer als Expertin für Rollen mit schwierigem Hintergrund empfohlen, was ihr auch hier gelingt. Vielleicht hätte man sich noch die ein oder andere Szene mit Erichs Vater gewünscht, zumal ein fieser Werner Kreindl sich hier selbst übertrifft, oder ein, zwei Rückblenden, die die Person der Helga noch etwas transparenter hätten erscheinen lassen. Christiane Schröder zog sich nach dieser Episode aus dem Filmgeschäft zurück und erlebte privat ein Schicksal, welches dem der Helga in Sachen Tragik leider in nichts nachsteht.



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● FOLGE 05: TOD AM BAHNGLEIS (D|1975)
mit Horst Tappert, Fritz Wepper, Günther Stoll, Hermann Lenschau
Gäste: Peter Kuiper, Mascha Gonska, Günter Strack, Arthur Brauss, Ulli Kinalzik, Erica Schramm, u.a.
hergestellt durch die Telenova Film- und Fernsehproduktion | im Auftrag des ZDF | ORF | SRG
Regie: Alfred Weidenmann



Innerhalb vweniger Wochen ist es bereits zu drei Morden an jungen, gut aussehenden Frauen gekommen, die von München aus auf dem Nachhauseweg waren. Da die Leichen stets neben den S-Bahngleisen gefunden wurden, geht die Polizei von dem gleichen Täter aus, da der Fundort nicht gleichzeitig der Tatort ist. Die Frauen wurden jeweils dort hin getragen, doch das Motiv ist vollkommen unklar. Nach dem letzten Mord berichten Augenzeugen von einem Mann, der sich auffällig verhalten haben soll, was die einzige greifbare Spur für Oberinspektor Derrick und seinen Assistenten Klein darstellt. Durch mühevolle Kleinstarbeit kann das Phantom skizziert werden und man setzt zum entscheidenden Schlag an, allerdings lässt es sich nicht so einfach fassen, wie zunächst angenommen, da es schon sein nächstes Opfer im Visier hat...

Der fünften "Derrick"-Folge "Tod am Bahngleis" liegt ein psychologisches Motiv fernab von Habgier und Bereicherung zugrunde. Unter Routinier Alfred Weidenmann dient die Projektionsfläche Frau mit all ihren Attributen als treibende Kraft für das bestehende Motiv, wenngleich es im Rahmen der begrenzten Spielzeit nicht zu ausufernden Erklärungen kommen kann. Erfahrungsgemäß basiert das Hauptaugenmerk im Unterhaltungssektor aber (glücklicherweise) auch nicht vollkommen auf Freud'schen Erkenntnissen, und es kommen recht herkömmliche Kniffe zum Tragen, die vor allem für den Zuschauer greifbar wirken. Ein Mann tötet Frauen aus einem diffusen Hass heraus und bei den Morden müssen gewisse Grundvoraussetzungen gegeben sein. Sie haben attraktiv und vollkommen alleine zu sein, damit der Täter im Schutz der Abgelegenheit und Dunkelheit zuschlagen kann. Um die Perversion seiner Taten zu unterstreichen, bahrt er die leblosen Hüllen am Bahndamm auf, dem Ort seiner täglichen Arbeit. Weidenmann stützt sich auf viele Eindrücke aus dem Arbeitermilieu, in dem zahlreiche bürgerliche Schablonen skizziert werden, was letztlich zur empfundenen Glaubwürdigkeit beitragen und letztlich an die Qualitätsvorgaben der vier vorhergegangenen Folgen anknüpfen kann. Die Regie setzt dabei auf ganz gewisse Charakteristika, was erneut etwas an das Servieren auf einem Silbertablett erinnert, sodass eine Art Diktat zustande kommt, welches in seiner Auffälligkeit eigentlich nicht hätte sein müssen. Einerseits zeigen sich daher ein paar ungünstig konstruierte und peinlich wirkende Momente, die andererseits durch viele günstige Einfälle auf der Habenseite ausgeglichen werden. Zu nennen ist die besonders erdrückende Atmosphäre, in der der Mörder zuschlägt, beziehungsweise zuschlagen will; auch dessen Zeichnung ist durch Peter Kuipers besonderes Ausdrucksvermögen sehr gelungen.

Bei ihm handelt es sich um einen Einzelgänger, der nicht auseinander halten kann, ob die Leute seiner Umgebung mit ihm oder über ihn lachen. Leider ist es die zweite Variante, die in der Regel Anwendung findet, sodass sich Frustration und zusätzlicher Hass anstaut. Seine Kollegen suhlen sich in anzüglichen Kommentaren und deklarieren ihn scherzhaft gerne zum Sexprotz, der allerdings weit davon entfernt ist. In Bars und Nachtlokalen sieht man ihn als klassischen Voyeur, der sich naturgemäß nicht in den Radius von unerreichbaren Frauen traut. Falls er es tut, besteht die Gefahr, dass sie den nächsten Tag nicht erleben. In Andeutungen bekommt der Zuschauer das Motiv der schweren Kindheit vor die Füße geworfen, denn seine eigene Mutter ist offensichtlich eine alte Nutte, die ihre Bekanntschaften ebenfalls in Bars aufzutreiben versucht. Im Gespräch mit dem späteren Mordopfer kommt es zu vielen Eindrücken, die unangenehm und peinlich berühren, und es ist Peter Kuiper zuzuschreiben, dass die Figur des Hugo Hase so ausgezeichnet funktioniert. Als er die Tochter seines Vorarbeiters kennenlernt, scheint alles anders zu sein. Die von Mascha Gonska gespielte Kumpel-Type nimmt ihn offen so an, wie er ist, ohne Vorbehalte und ohne Vorurteile. Eine Paraderolle für die sympathische Schauspielerin, die noch in potentielle Gefahr geraten wird. Weitere stichhaltige Auftritte liefern Art Brauss oder Günter Strack, und die Interpreten tragen einen Löwenanteil dazu bei, dass die Skizze des Milieus so hervorragend funktioniert. Hugo wird trotz seines eigenartigen Verhaltens akzeptiert, denn er profiliert sich über Stärken, die gut ankommen, wenn er beispielsweise beim Kegeln zum Top-Scorer wird oder als Spaßvogel herhält. Der Zuschauer ahnt allerdings, dass es sich nur um eine tickende Zeitbombe handelt, was man in Kuipers Augen ablesen kann, und weil eine Umarmung und ein Kuss alles schlagartig verändert.

Die Regie legt den Fokus beinahe vollkommen auf seine Hauptfigur, durchleuchtet die Gründe für Mord und Verbrechen vage, aber stützt sich vornehmlich auf gegenwärtige Geschehnisse und entgleisende Emotionen. Bei Hugo kann man buchstäblich den Moment des Austickens miterleben, sodass man es im "Derrick"-Orbit mit einer Figur der beunruhigenderen Sorte zu tun bekommt. Da die Serie in ihren Anfängen noch nicht auf Whodunit angelegt war, erlebt man die Einzelheiten mit. Hierbei kommt es zu sehr atmosphärischen und eindringlichen Schilderungen vor und während des Mordes; Weidenmann gelingt es, alptraumhafte Strecken zu fabrizieren. Es entsteht eine latent vorhandene Spannung, da permanent der Eindruck vermittelt wird, dass jederzeit etwas passieren könnte, und man fängt förmlich an darauf zu warten. Überraschend ist das Finale der fünften Episode, da es in einem tödlichen Befreiungsschlag gipfelt, der nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre. Die Ermittlungsarbeit gestaltet sich klassisch, teilweise rasant und nachvollziehbar, Horst Tappert und Fritz Wepper legen bereits eine Routine und Souveränität an den Tag, die recht beeindruckend wirkt. Mühsam werden Bruchstücke des Falles zusammen getragen, bis es zu ersten Ergebnissen kommen kann. Der Zuschauer fiebert natürlich mit den ermittelnden Figuren mit, da das Gespür verbreitet wird, dass es sich um einen klassischen Wettlauf gegen sie Zeit handelt. Zu viele unschuldige oder sympathische Personen könnten die potentiellen Opfer sein, daher ist eine merkliche Spannung vorhanden, die der fünften Folge sehr gut steht und man es im Endeffekt mit einer gelungenen Arbeit zu tun bekommt. "Tod am Bahngleis" bietet schlussendlich ein packendes Gesamtpaket zwischen populären bis klassischen Themen, in welchem vor allem die fulminante Darbietung eines überaus ungemütlich wirkenden Peter Kuiper hervorsticht.

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MASCHA GONSKA als HANNELORE GREISER in
DERRICK - TOD AM BAHNGLEIS (D|1975)



Zwischen 1975 und 1978 brachte es Mascha Gonska auf vier Auftritte in der beliebten Krimiserie "Derrick" und der Grundstein wurde mit "Tod am Bahngleis"< gelegt. Die Schauspielerin war dabei in sehr unterschiedlich angelegten Rollen zu sehen und hier erlebt man sie so, wie sie hauptsächlich in Erinnerung geblieben ist. Einerseits kann sie als sympathischer Kumpel-Typ wahrgenommen werden, andererseits allerdings auch als junge Frau, die aufgrund ihrer unkomplizierten Attitüde und der Natürlichkeit noch verführerischer wirkt. Als Hannelore Greiser spielt sie eine Person des bürgerlichen Milieus. Es ist auffällig, dass sie ganz offensichtlich keinerlei Berührungsängste kennt und somit offen und unvoreingenommen auf jeden zugeht. Hierbei lässt sich jedoch überhaupt keine Leichtfertigkeit erkennen, sondern die Basis stellt sich ganz einfach aus Vertrauen und einer gewissen - normalerweise gesunden - Naivität zusammen, die Männer noch mehr reizt, vor allem aber den gespenstisch wirkenden Mörder des Szenarios, Peter Kuiper. Ihr gerne gegebenes Lächeln verzaubert den von Zwängen zerfressenen Mann und es scheint, als ob er überhaupt nicht wüsste, wie ihm geschieht. Die Freundlichkeit und der aufrichtige, normale Umgang, der ausnahmsweise einmal nicht auf seine Schwächen ausgelegt ist, lassen sie in einem hellen Licht erstrahlen, doch eben aus diesen Gründen wird Hannelore schnell in einer Art und Weise glorifiziert, die sie entgegen ihrer Natur unerreichbar werden lässt. Mascha Gonska spielt hier ihre besonderen Fähigkeiten klassisch aus und die Sympathieträgerin der ersten Wahl manövriert sich unwissentlich in große Gefahr, da sie es einfach mit einem Geisteskranken zu tun bekommen wird. Dies wird deutlich, als sie in einer Szene ihren Freund mit einer Umarmung und einem Kuss begrüßt. Der Blick von Kuiper verrät, dass sie nun ihr Todesurteil unterschrieben hat, falls die Polizei ihn nicht vorher dingfest machen kann.

Dies versetzt den Zuschauer zusätzlich in eine erhöhte Alarmbereitschaft. Generell stellte es sich ja stets als gut greifendes Stilmittel heraus, wenn besonders charmante Protagonisten und Personen plötzlich in tödliche Gefahren geraten und Mascha Gonska arbeitet die Ursache zum bedingungslosen Mitfiebern besonders akribisch heraus. Sie lässt Nähe zu, man bemerkt nicht eine einzige niedere Charaktereigenschaft, was im Endeffekt vielleicht ein wenig ungeschliffen klingen mag, hier aber wie ein Motor wirkt. Der Mörder nimmt sie schließlich ins Visier und diese Szenen, bei der Verfolgung auf dem dunklen Waldweg, sorgen für sehr atmosphärische und unbehagliche Momente und Hochspannung. Plötzlich kommt die bereits erwähnte Naivität zum Vorschein, da sie erleichtert reagiert, als sie ihrem potentiellen Mörder gegenübersteht. Zuvor hat man etliche Szenen wahrnehmen können, in denen ihre Ausgelassenheit sehr anziehend gewirkt hat. Ob in der Kneipe, beim Kegeln oder beim Tanzen, Mascha Gonska wirkt so unheimlich natürlich und lebensfroh, dass es eine wahre Pracht ist, ihr dabei zuzuschauen. Optisch gesehen sieht man die aparte Darstellerin eigentlich so, wie man sie kennt. Ihre Kleidung vermittelt hier beispielsweise wenig Extravaganz, sodass gleichzeitig verraten wird, dass sich die sehr bodenständig wirkende Frau generell mit keinen Kapriolen oder Selbstinszenierungen interessant zu machen versucht, denn sie ist es ja ohnehin. Das leichtfüßige und unaufgeregte Spiel von Mascha Gonska bereichert diese Folge in vielerlei Hinsicht und stellt daher ein wichtiges Bindeglied zwischen gespielter Realität und Wahnsinn dar. Durch sie kommt die Frage schließlich erst auf, ob sich der Mörder quasi kurieren lässt, oder weiter seinem tödlichen Impuls nachgehen wird. Insgesamt handelt es sich unterm Strich um eine der interessantesten Interpretationen von Mascha Gonska bei "Derrick", was die Vorfreude auf weitere Auftritte hier und da selbstverständlich erheblich steigert.



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