TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Der Tummelplatz für alle Serienjunkies und Binge-Watcher!
Von DALLAS bis DENVER, vom TATORT in die LINDENSTRASSE über BREAKING BAD bis hin zu GAME OF THRONES.
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Prisma
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

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● FOLGE 38: TATORT - PLAYBACK ODER DIE SHOW GEHT WEITER (D|1974)
mit Heinz Schimmelpfennig, Peter Bongartz, Frank Strecker, Johann Adam Oest und Werner Schumacher
Gäste: Heidi Brühl, Udo Vioff, Alexander Hegarth, Eckart Dux, Arthur Brauss, Nino Korda und Christiane Krüger
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem O.R.F | eine Sendung des SWF
Regie: Rolf von Sydow

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»Singt wie ein Engel!«


Am Stuttgarter Flughafen kommt es unmittelbar nach der Ankunft des Gesangsstars Heidi Brühl zu einem Zwischenfall. Ein Koffer stürzt von einer Empore und verletzt einen Mann schwer, der sich in der Nähe der Sängerin aufgehalten hat. Kommissar Lutz (Werner Schumacher) geht zunächst von einem Unfall aus, doch diese These wird schnell wieder ad acta gelegt, da Harry May (Alexander Hegarth) von einem Anschlag auf die Sängerin ausgeht. Heidi Brühl reist zu Vorbereitungen für einen Auftritt nach Baden-Baden, wo Kriminalhauptkommissar Gerber (Heinz Schimmelpfennig) den mysteriösen Fall übernimmt. Ein weiterer Anschlag lässt nicht lange auf sich warten. Für Gerber ist klar, dass der Attentäter im unmittelbaren Umfeld der Künstlerin zu suchen ist, doch die Ermittlungen erweisen sich als spröde, da die Entourage durch hohe Widerstände auffällt, um mögliche Motive zu verschleiern. Schließlich geht eine telefonische Geldforderung über 100.000 D-Mark ein, doch May macht die Angelegenheit in Eigenregie auf einer Pressekonferenz öffentlich, sehr zum Missfallen Gerbers. Was wird der Täter als Nächstes tun..?

Der schnelle Blick auf die Grundvoraussetzungen dieses achtunddreißigsten "Tatort" weckt schon alleine wegen der zunächst interessant klingenden Geschichte und der Stabsangaben recht hohe Erwartungen. Verfolgt man den Einstieg ins Szenario, fühlt man sich umgehend bestätigt, dass man etwas Besonderes zu sehen bekommen wird, denn nachdem die Lufthansa-Maschine gelandet ist, und man die Clique rund um Heidi Brühl zu Gesicht bekommt, steigt die Spannung, da man einen Unbekannten in abwechselnden Sequenzen begleiten kann, der reines Unbehagen provoziert. Man sieht ihn und Heidi Brühls Truppe in abwechselnden Sequenzen, wobei man den potentiellen Täter nicht erkennt, allerdings verheißt dieser zielstrebige Gang nichts Gutes, da er einen Gepäckwagen mit einem schweren Koffer vor sich her fährt, den er ganz offensichtlich als Waffe einsetzen möchte. Diese spannenden und hoch atmosphärischen Momente werden mit einer sehr guten Akustik untermalt, bis der erwartete Anschlag geschieht. Anschließend werden sich die Mitglieder der Gruppe bei dieser Gelegenheit in Kurzvorstellungen noch hemmungslos selbst charakterisieren. In dieser Manier darf es ruhig weiter gehen, denkt sich der interessierte Zuschauer, doch was dann der unmittelbar folgende Verlauf offeriert, ist ziemlich ernüchternd. Die Hauptkonzentration liegt plötzlich auf den Launen und Zicken einer nervösen Truppe, die sich dem Empfinden nach schon längst nicht mehr gegenseitig ertragen kann, und sich um einen Star versammelt hat, welcher sich als so normal wie möglich zu präsentieren versucht. Die Regie verzettelt sich mit dieser Strategie des Distanzierens ganz früh im Verlauf und scheitert an der eigenen Konstruktion, die man hier Heidi Brühl nennen muss. Es ist daher erstaunlich, dass Rolf von Sydow - bekannt als Routinier und Krimi-Spezialist - die Show einfach weitergehen lässt, um sie sich quasi selbst zu überlassen.

Die vermeintlichen Stärken der Produktion entwickeln sich nun relativ zügig zu massiven Hemmschuhen; allen voran und um nicht zu sagen groteskerweise, ist leider tatsächlich Heidi Brühl zu nennen. Zunächst wird man Zeuge davon, dass es eben doch ein gewaltiger Unterschied ist, eine andere Person oder sich selbst zu interpretieren. Die Dramaturgie lässt der so überaus geschätzten und gerne gesehenen Heidi Brühl effektiv keine andere Wahl, als sich zu entscheiden: In dieser ungelenk wirkenden Geschichte bekommt sie nicht pauschal die Möglichkeiten eingeräumt, natürlich oder befreit zu wirken, also bleibt ihr augenscheinlich nur übrig, Heidi Brühl gleich im doppelten Sinn zu spielen. Diese exzellente Schauspielerin, die jede Anforderung mühelos lösen konnte, scheitert an der vermeintlich einfachsten Bedingung, sie selbst zu sein. Regelrecht eingeschnürt in ein Korsett aus dumpfen Klischees und stumpfsinnigen Dialogen, hat sie sichtlich Mühe, sich gegen ihre Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen, die von der Geschichte die Absolution erteilt bekommen, im zügellosen Gebrauch einfach das zu tun, was sie wollen. Weitaus angenehmer wirken hier Brühls Gesangsnummern, die den Verlauf allerdings in überaus repetetiver Weise strecken müssen. So kann schließlich nicht geleugnet werden, dass diese Folge mit ihrem Elixier, ihrer Basis, ihrem Zugpferd, ihrem Aufhänger leider überhaupt nichts anzufangen weiß. Bei dieser verschenkten Chance betrachtet man sich die anderen Darsteller umso intensiver, und bekannte Namen sind auch sehr schnell ausfindig gemacht. Christiane Krüger, die übrigens zusammen mit Heidi Brühl ungewöhnlicherweise im Abspann zuerst, also noch vor den ermittelnden Personen, namentlich erwähnt wird, wirkt solide und überrascht mit mehr Temperament als üblich. Dem Empfinden nach wirkt sie gelöster und möglicherweise handelt es sich dabei aber nur um den Versuch, sich von den mäßigen Voraussetzungen freizuspielen.

Udo Vioff, Arthur Brauss und insbesondere Alexander Hegarth zeigen ihre verlässliche Routine in jeder einzelnen Szene, sodass die Darbietungen nicht nur angemessen, sondern auch förderlich erscheinen. Trotzdem ist es hier so, dass man quasi mit umgekehrten Voraussetzungen konfrontiert wird, denn die Hauptfigur wird vom Verlauf merklich geschwächt, die Nebenfiguren gestärkt, obwohl einige von ihnen nur oberflächliche Parts zugeteilt bekommen. So liegen alle Hoffnungen auf den ermittelnden Personen - doch was geschieht, wenn eigentlich nur in Belanglosigkeiten herumgestochert wird? "Playback oder die Show geht weiter" wird es jedenfalls dokumentieren und insbesondere Heinz Schimmelpfennig als recht beliebig in seiner Arbeit und farblos im Erscheinen zurücklassen, obwohl er hin und wieder mit seiner ungeduldigen Art und subtilem Humor aufzutrumpfen versucht. Die Tatsache, dass dieses »oder« aus dem Titel der Folge eigentlich nicht existiert, lässt diesen Fall doppelt zäh erscheinen, da nicht nur die aufgesetzte Show weitergehen, sondern es darüber hinaus auch noch genügend Playback zu hören geben wird. Der Verlauf büßt mit jeder weiteren Minute an Spannung ein, und das, obwohl sich die Situation immer mehr zuspitzt, allerdings ist es das fadenscheinige Motiv in einem von Ziellosigkeit oder Beliebigkeit strotzenden Fall, welches einen relativ ratlos zurücklassen kann, falls man sich einfach wesentlich mehr erwartet hat. Leider untermauert das Finale und die damit aufgetischte Auflösung diesen Eindruck zusätzlich, und man wundert sich spätestens ab diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr, dass aus dieser Folge nichts Besonderes geworden ist, günstige Voraussetzungen hin oder her. Abschließend bleibt daher nur zu sagen, dass Rolf von Sydow mit "Playback oder die Show geht weiter" leider einen Beitrag im Fahrwasser des Durchschnitts inszeniert hat. Um das eindeutige Fazit letztlich noch halbwegs mit Shakespeare aufzupolieren: Der Rest ist... Ein Ohrwurm.

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Richie Pistilli
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Richie Pistilli »

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Folge 1173: Borowski und der gute Mensch NDR 2021


Gestern wurde der dritte Teil des 'STILLEN GASTES' ausgestrahlt, der ebenso stark wie die beiden vorausgegangen Teile ausfiel. EMPFEHLUNG!
Schade, dass Jimmy Stewart seit November 20 nicht mehr online war, denn der hätte auch die dritte Wahnsinns-Darbietung von Lars Eidinger total abgefeiert. Hoffentlich geht es ihm gut...



Passend dazu bietet die ARD aktuell alle drei Teile in ihrer Mediathek an:


Folge 0842: Borowski und der stille Gast (2012)
https://www.ardmediathek.de/video/tator ... Y3Mjg4MWU/

Folge 0964: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes (2015)
https://www.ardmediathek.de/video/tator ... k3ZGMxYjU/

Folge 1173: Borowski und der gute Mensch (2021)
https://www.ardmediathek.de/video/tator ... MzNjMwMjg/




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Richie Pistilli
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Richie Pistilli »

Schimanski in HD!


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schimi.jpg (9 KiB) 3337 mal betrachtet


In der ARD-Mediathek stehen zum 40. Sendejubiläum in HD abgetastete und digital restaurierte Tatort-Folgen zur Verfügung:

https://www.ardmediathek.de/sendung/sch ... mllcnRoZA/

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Prisma
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 08.12.2021 20:02
Schimanski in HD!


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GG.jpg (9 KiB) 3336 mal betrachtet


In der ARD-Mediathek stehen zum 40. Sendejubiläum in HD abgetastete und digital restaurierte Tatort-Folgen zur Verfügung:

https://www.ardmediathek.de/sendung/sch ... mllcnRoZA/

Danke für den Hinweis! Schimanski ist bei mir immer noch so gut wie Neuland, von daher werde ich mal versuchen, mir mal was Schönes herauspicken.
Gibts eigentlich irgendwelche Empfehlungen für besonders gute Folgen, die man gesehen haben müsste?
Falls nicht, fällt meine Wahl natürlich auf "Kuscheltiere", da sehe ich nämlich einen schönen Ford Granada! 8-)

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Dschallogucker
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Dschallogucker »

Ich glaube von ihm kenne ich auch nur 2 Folgen. War einfach nicht mein Geschmack. Seine 1. Folge hab ich in irgendeiner Tatort-Box
Und dann kenne ich noch "Moltke" (ziemlich langweiliger Krimi, finde ich) weil Dieter Bohlen mitspielte.
https://www.daserste.de/unterhaltung/kr ... 8-100.html

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Richie Pistilli
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Richie Pistilli »

Dschallogucker hat geschrieben:
Mi., 08.12.2021 22:27
Ich glaube von ihm kenne ich auch nur 2 Folgen. War einfach nicht mein Geschmack. Seine 1. Folge hab ich in irgendeiner Tatort-Box
Und dann kenne ich noch "Moltke" (ziemlich langweiliger Krimi, finde ich) weil Dieter Bohlen mitspielte.
https://www.daserste.de/unterhaltung/kr ... 8-100.html
Prisma hat geschrieben:
Mi., 08.12.2021 20:31
Danke für den Hinweis! Schimanski ist bei mir immer noch so gut wie Neuland, von daher werde ich mal versuchen, mir mal was Schönes herauspicken.
Gibts eigentlich irgendwelche Empfehlungen für besonders gute Folgen, die man gesehen haben müsste?
Falls nicht, fällt meine Wahl natürlich auf "Kuscheltiere", da sehe ich nämlich einen schönen Ford Granada! 8-)


Muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich mit den Schimanski-Folgen ebenfalls weniger gut auskenne. Muss mich da ebenfalls erst einsehen. :oops:
Aber wenn ich mich recht entsinne, kennt sich Sid Vicious mit den Schimanski-Folgen aus. Vielleicht kann er uns ein paar Empfehlungen vorschlagen? :)

Der Hexer
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Der Hexer »

Ich mag "Der unsichtbare Gegner" und "Schwarzes Wochenende", letzterer ist von Dominik Graf. "Duisburg-Ruhrort" ist als Milieustudie auch nicht uninteressant, aber ansonsten hauen mich die mir bekannten Folgen nicht um. Gerade den erwähnten "Kuscheltiere" fand ich eher weniger spannend, vor allem wird da der Betroffenheitskitsch der Tatorte der 90er/2000er schon vorweggenommen und diese ewige "Harte Schale, weicher Kern"-Nummer wird auch schnell alt. "Moltke" fand ich so mittel, okayer Krimi, aber die Klänge aus Tötensen sind ziemlich streitbar.
Da gab es sowohl in den 70ern als auch in jüngerer Zeit für mich deutlich interessantere Tatorte.

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Prisma
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

Beitrag von Prisma »



Dann schon einmal vielen Dank für die Einschätzungen! Damit lässt sich doch auf jeden Fall was anfangen.
Am besten wäre es wohl, sich gleich alle Folgen anzuschauen. :D

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Prisma
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

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● FOLGE 50: TATORT - WODKA BITTER-LEMON (D|1975)
mit Hansjörg Felmy, Karin Eickelbaum, Willy Semmelrogge und Gustl Bayrhammer
Gäste: Claudia Amm, Heinz Bennent, Sky du Mont, Sabine von Maydell, Katharina Seyferth und Margot Trooger sowie Lil Dagover
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem O.R.F | eine Sendung des NDR
Regie: Franz Peter Wirth

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»Wir können ja auch übers Wetter reden!«


Der Fabrikant Martin Koenen (Heinz Bennent) nimmt ein junges Mädchen (Sabine von Maydell) nach deren Disco-Besuch auf einen Drink zu sich mit nach Hause. Es stellt sich heraus, dass sie eine Auszubildende in seinem Betrieb ist. Koenen nimmt diese Nachricht unter Schock auf, da er an seine Reputation denken muss. Um sich zu sammeln, verlässt er den Raum, doch wenig später ist die junge Frau tot. Er verliert die Nerven, alarmiert nicht die Polizei, und er schafft die Leiche weg. Die Untersuchungen von Kommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy) ergeben schließlich, dass es sich um einen Giftmord handelt und die Spur führt zunächst in den Betrieb und unmittelbar danach in die Koenen-Villa. Dort sieht sich Haferkamp mit einer eigenartigen Familien-Dynastie konfrontiert, bei der sich insbesondere die Schwester (Margot Trooger) des mittlerweile mordverdächtigen Martin Koenen als schwierige Kontrahentin bei den Erhebungen herausstellt. Auch seine Frau Petra (Claudia Amm) hinterlässt einen merkwürdig abgeklärten Eindruck, doch ist das Motiv tatsächlich Eifersucht? Dies erscheint Kommissar Haferkamp der Erfahrung nach zu einfach zu sein...

Diese 1975 unter der Regie von Franz Peter Wirth entstandene fünfzigste Folge gilt als stiller Klassiker der "Tatort"-Reihe. Wo die Besetzung ohnehin für sich selbst spricht, hat man es darüber hinaus mit einem sehr raffinierten Kriminalfall zu tun, bei dem vor allem das mühsame Aufschlüsseln sehr interessant dargestellt wird. Einen besonderen Charme erhält "Wodka Bitter-Lemon" durch die interessanten Schauplätze, wie beispielsweise die Koenen-Villa, die Firma oder die Anlaufstellen für die bessere Gesellschaft, aber vor allem das letzte Drittel auf Sylt wird zum großen Genuss. Wieder einmal gibt es ein Crossover und in einer kurzen Sequenz ist der Münchner Kollegen Veigl zu sehen, der Auskünfte bei der Überprüfung eines Alibis erteilt. Die kluge Inszenierung lässt trotz einer ruhigen Herangehensweise keine signifikanten Längen oder Leerlauf aufkommen, und für das Gelingen ist über weite Strecken Hansjörg Felmy mit verantwortlich. Es ist als großes Glück anzusehen, dass man mit ihm einen sehr prägnanten "Tatort"-Kommissar zur Verfügung hatte, dessen Strategie stets transparent für den Zuschauer vermittelt wird, und dessen Kraft in der Ruhe liegt. Er hört zu, beobachtet, filtert wichtige Informationen intuitiv aus Gesprächen heraus, zieht seine Schlüsse mit glasklarem Verstand sowie gesundem Verständnis, und dabei ist er kein Freund irgendwelcher fragwürdigen Tricks. Er wirkt souverän und fair. Die Privatperson Haferkamp wird im Zusammensein mit Karin Eickelbaum, seiner geschiedenen Frau, die spontan und sympathisch wirkt, sehr gut gezeichnet, und insgesamt wirken Geschichte und Personen sehr ausgewogen und greifbar. Die erweiterte Besetzung ist hier eine wahre Pracht. Wo soll man bei diesem Aufgebot bloß anfangen und wer hinterlässt den bemerkenswertesten Eindruck?

Es ist Vorweg zu nehmen, dass die Riege der Darsteller auf höchstem Niveau funktioniert. Ganz ausgezeichnet präsentiert sich Claudia Amm als Petra Koenen, die jüngere Ehefrau des Mordverdächtigen. Sie, die sich angeblich zur Tatzeit in München befand, kommt zurück in ein Haus, in dem sie seit jeher nur als Fremdkörper angesehen wird. Sie erträgt diesen fast klaustrophobischen Zustand seit geraumer Zeit und quittiert dies mit einer offensiven Unempfindlichkeit gegenüber allen Rahmenbedingungen. Claudia Amm wirkt besonders in den Gesprächen mit Hansjörg Felmy sehr kühl und distanziert und lässt dabei auch Raum für nachdenkliche Tendenzen. Sie wirkt geheimnisvoll. Oftmals betont sie, dass sie mit ihren Aufgaben und Pflichten vertraut sei, funktioniert daher auch wie es von ihr verlangt wird. Ihre Schwägerin Adele meistert die wie immer großartige Margot Trooger, hier leider in ihrer vorletzten Rolle. Als Haferkamp anmerkt, ob man in gewissen Angelegenheiten nicht zuerst Frau Koenen fragen solle, erwidert sie in bissiger Selbstverständlichkeit: »Ich bin Frau Koenen!« Innerhalb der Familie hält sie alle Fäden in der Hand und sie richtet alles so aus, dass Dinge nach ihren Wünschen geschehen. Ihren Bruder Martin hält sie - obwohl er das Unternehmen leitet - für schwach, und sie selbst würde es anscheinend gerne selbst übernehmen, was sich allerdings für eine Frau von Format nicht schickt. So operiert sie aus dem Hinterhalt und torpediert die Ehe ihres Bruders, der sich nicht durchzusetzen vermag. Als Mutter Koenen sieht man die damals fast 90-jährige Lil Dagover in einer ihrer obligatorischsten Rollen. Die dem Anschein nach bereits etwas vergessliche alte Dame zelebriert allerdings noch das, was sie vermutlich ihr ganzes Leben getan hat: Sie legt größten Wert auf Etikette und verliert ich in Oberflächlichkeiten, verabscheut daher direkte Worte.

Wie immer gestikuliert Lil Dagover mit nahezu hoheitsvollen Bewegungen, an ihrer Interpretation sieht man allerdings auch, dass es wohl schon eine größere Anstrengung dargestellt haben muss. Bei den Herren fällt insbesondere Heinz Bennent sehr positiv auf. Warum nahm er gerade in dieser Nacht ein unbekanntes Mädchen mit zu sich nach Hause? Das fragt sich auch Kommissar Haferkamp, und von Martin Koenen bekommt er darauf eine Antwort, die zum Nachdenken verleitet. Dieses Mädchen habe ihn nämlich daran erinnert, wie seine jetzige Frau früher einmal gewesen sei. Die Rahmenbedingungen in der Familie höhlen jeden Beteiligten langsam aber stetig aus, und das schwächste Glied in dieser Kette hat nun einen fatalen Fehler begangen. Doch wo liegt das Motiv? Heinz Bennent zeichnet diese Figur mit Bravour, er wirkt unterjocht, zerbrechlich, aber vor allem aber völlig resigniert und gefangen in ewigen Mustern. Das klassische Pendant zu ihm stellt Sky du Mont dar. Ein Lebemann, ein Playboy der rücksichtslosesten Art, der betuchte Frauen lediglich als temporär gewinnbringende Werkzeuge ansieht. In Besetzungsfragen ist dieser "Tatort" definitiv eine der überzeugenderen Episoden, die man sich vorstellen kann. Fernab dessen ist "Wodka Bitter-Lemon" insgesamt als sehr gut aufgebaut, dabei gekonnt und logisch verschachtelt, und recht aufwendig inszeniert zu bezeichnen. Das Katz-und-Maus-Spiel nimmt in richtigen Momenten ganz klassische Formen an und versucht sich nicht durch unnötige Effekte interessant zu machen. Ein Puzzle-Spiel der perfideren Sorte, das in Verbindung mit einem sehr bitteren und fatalen Denkfehler zu einem grandiosen Finale führt. Als Jubiläumsfolge ist "Wodka Bitter-Lemon" schließlich gelungen, da er sein Augenmerk nicht nur auf ausgesprochene Fans der Reihe richtet.

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Prisma
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Re: TATORT & POLIZEIRUF 110 - Deutschtümelei in Serie

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● FOLGE 31: TATORT - KRESSIN UND DIE ZWEI DAMEN AUS JADE (D|1973)
mit Sieghardt Rupp, Hermann Lenschau, Dieter Eppler, Manfred Heidmann, Norbert Hansing und Ivan Desny
Gäste: Krista Keller, Francisca Tu, Ilona Grübel, Ernst Fritz Fürbringer, Gert Haucke, Hans Hass jr., Peter Neusser, u.a.
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem O.R.F | eine Sendung des WDR
Regie: Rolf von Sydow

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»Es wäre mir auch höchst peinlich, Ihre Erwartungen zu erfüllen!«


Gerade mit einer Maschine aus Istanbul eingetroffen, wartet Zolloberinspektor Kressin (Sieghardt Rupp) auf sein Gepäck. Zu jedermanns Entsetzen befindet sich auf dem Band jedoch ein Toter. Der Ermordete namens Bender (Hans Hass jr.) befand sich in der gleichen Maschine, genau wie die attraktive Lyn (Francisca Tu), Kressins Sitznachbarin aus dem Flugzeug, die nach dem Zwischenfall aber plötzlich spurlos verschwunden ist. Bei dem Toten findet die Polizei einen Koffer, in dem sich die hohe Summe von 350.000 D-Mark befindet. Kressin geht davon aus, dass es sich um einem Fall für sein Ressort handeln dürfte, kommt dabei allerdings der Mordkommission ins Gehege...

Zwischen 1971 und 1973 brachte es Zolloberinspektor Kressin auf sieben Einsätze in der beliebten "Tatort"-Reihe und es ist nicht zuletzt Sieghardt Rupps völlig unkonventioneller Art zu verdanken, dass es bis heute stets ein Vergnügen ist, ihm bei seinen teils fragwürdigen Methoden zuzuschauen. Verfolgt man die Serie stetig, wird die Wahrscheinlichkeit bei Kressins letztem Fall wohl sehr hoch sein, auch hier mit seinem Dauerrivalen, dem kriminellen Gentleman Sievers konfrontiert zu werden, aber es gab in so vielen unterschiedlichen Fällen auch andere ernstzunehmende Widersacher. Bei Kressins beinahe chauvinistischem und bestenfalls smartem Hang im Umgang mit dem sogenannten schwachen Geschlecht kann das Publikum auf eine lange Liste von Damen zurückblicken, die ihm wie auch immer zu schaffen machten, auch wenn sich am Ende herausgestellt hat, dass er einfach alle schafft, egal au welchem Blickwinkel man die Angelegenheiten betrachtet. Ob Sabine Sinjen oder Eva Renzi, Heidi Stroh und Brigitte Skay, Kerstin de Ahna, Uta Levka, Katrin Schaake oder Stéphane Audran; sie alle waren auf ihre Art und Weise hilfreiche Zubringer, attraktive Staffage oder eine große Behinderung bei den Ermittlungen. Der Titel "Kressin und die zwei Damen aus Jade" kündigt zwar direkt feminine Fragestellungen und schwierig zu lösende Probleme an, doch bei einem Blick auf den Cast fällt dem Zuschauer gleich eine beinahe unbezwingbare Endgegnerin auf: Krista Keller. Bereits im Vorfeld stellt sich aufgrund zahlreicher Vergleichsmöglichkeiten und wahrhaft unberechenbarer Expertisen die spannende Frage, ob der Zollfahnder nicht erstmals auf Granit oder besser gesagt Jade beißen wird. Zur allgemeinen Verwunderung erlebt man die von Keller dargestellte Millionärin Mona Capell in kultivierter Zurückhaltung und fast gelangweilter Anteilnahme, was nicht zuletzt deswegen auffällig ist, da ihr jüngerer Liebhaber immerhin einem Mord zum Opfer gefallen ist.

Die Inszenierung macht sich eines gerne verwendeten Filmklischees habhaft, denn der Mörder platziert die Leiche als Demonstration auf dem Gepäckband am Flughafen, um all diejenigen zu warnen, die es etwas angeht. Obwohl das Ambiente Flughafen klassische Vergehen für den Zoll hergeben würden, hat man es zunächst mit einem Mordfall und einem Toten zu tun, der zwar schnell identifiziert ist, aber dennoch aus dem Nichts auftaucht. Also handelt es sich auch nicht um Kressins Zuständigkeitsbereich, der aber aufgrund seines unwiderstehlichen Charmes und seiner Spürnase in diesen Fall hinein gezogen wird, oder umgekehrt. Er heftet sich an die Geliebte des Ermordeten, die wie versteinert am Ort des Geschehens zu finden war, und man kommt ins Gespräch, das sich nie wie ein richtiges Verhör entwickelt, sondern eher wie eine Sitzung beim Psychiater. Mona Capell hat nach eigenen Angaben Angst, alleine zu sein, sodass sie und Kressin sich immer wieder über den Weg laufen. Dies geschieht sehr zum Unmut der ermittelnden Kollegen der Mordkommission, die alleine durch dessen Anwesenheit aussieht, als sei der Lack schon seit Ewigkeiten ab. Da der Zollfahnder auch stets einen entscheidenden Schritt bei den Ermittlungen voraus ist, lässt er seine Kollegen inkompetent aussehen, obwohl es für lange Zeit keine klare Sicht im Nebel der Geschichte gibt. Der Mann vom Zoll setzt auf die Damen dieses Schachspiels und bekommt es ausschließlich mit betont unscheinbaren Kontrahentinnen zu tun, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt welche sind, oder werden. Krista Keller arbeitet förmlich in Mitleid erregender Art und Weise heraus, dass ihr Leben sie völlig langweilt und sie nicht weiß, wohin mit all ihrem Geld. Da klagende Millionärinnen naturgemäß Misstrauen erwecken, blickt man skeptisch auf diese Dame, die sich trotz allem bemerkenswert gut im Griff zu haben scheint. In die Riege der undurchsichtigen Damen reihen sich Francisca Tu und Ilona Grübel ein.

Die geballte Weiblichkeit wirkt wie eine unüberwindbare Wand, zumal man jeden der völlig unterschiedlichen Charaktere nicht zu packen bekommt und alle scheinbar nichts miteinander zu tun haben; zu groß sind die gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede. Es ist alleine Kressins Hartnäckigkeit zu verdanken, dass der Zuschauer mit lösenden Informationen in einem Fall versorgt wird, der eigentlich über die komplette Spielzeit zaghaft und vage wirkt. Doch die Kräfte sammeln sich unter Rolf von Sydows routinierter Regie und cleverer Handhabe, die zunächst wie ein Schnipsel-Sammelsurium wirkende Geschichte auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können, sodass die Überraschungsmomente noch deutlicher anerkannt werden, als vielleicht üblich. "Kressin und die zwei Damen aus Jade" ist und bleibt vielleicht kein Klassiker oder Überflieger der unausschöpflich wirkenden Reihe, punktet jedoch durch einen intelligenten Aufbau, dem ein paar mehr Tropfen Blut vielleicht ganz gut getan hätten. Schade ist und bleibt, dass es sich bereits um den letzten Fall des unkonventionellen Zolloberinspektors handelt, der immer für gewisse Farbtupfer gut war, die andere nicht so hätten zeichnen können. Bei der Erstausstrahlung erreichte dieser letzte Kressin-Fall übrigens gute 59% Marktanteil, auch wenn die Rolle der Polizei hier besonders untergeordnet erscheint und sie nicht maßgeblich zur Lösung aller Probleme beitragen kann. Kressin hingegen betreibt im Verlauf lange Zeit nur Schattenboxen, denn die Gegner sind unbekannt, wenn auch vorhanden, aber es handelt sich um ein in 1000 Stücke zerfallenes Mosaik, das erst in Kleinstarbeit zusammengesetzt werden muss. Am Ende kristallisiert sich speziell für eine Abschlussfolge Resignation heraus, sogar ein kleines bisschen Sentimentalität, aber der Wendung nach tut jeder Abschied irgendwie weh. Es bleibt ein kognitiver und zurückhaltender "Tatort" mit intelligenter Inszenierung, dessen Entourage die Kirsche auf der Torte darstellt.

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