Oberinspektor Derrick sieht sich mit einem Fall konfrontiert, der zur Abwechslung ziemlich eindeutig erscheint. Die wohlhabende Geschäftsfrau Martha Balke wird in ihrem Wochenendhaus tot aufgefunden. Sie wurde ermordet. Ihr wesentlich jüngerer Ehemann Alfred wird schnell zum Hauptverdächtigen, da er nicht nur Alleinerbe des gesamten Vermögens sein wird, sondern sich nachweislich mit seiner jüngeren, attraktiven Geliebten die Zeit am vertreiben ist. Das Mordmotiv liegt somit auf einem Silbertablett, jedoch fehlen Derrick jegliche Beweise, die den lustigen Witwer überführen könnten. So kommt ihm der Zufall zur Hilfe, als Johanna, die Schwester der Ermordeten, aus den Vereinigten Staaten anreist. Es handelt sich nämlich um Zwillinge und dieser Umstand veranlasst Derrick zu einem recht unkonventionellen Plan. Mit Hilfe von Johanna will er den mutmaßlichen Täter unter Druck setzen, um somit an ein Geständnis zu gelangen. Doch zuerst müssen dafür einige optische Veränderungen bei Johanna durchgeführt werden...
Der zweiten
"Derrick"-Folge eilen hier und da sehr unterschiedliche Einschätzungen voraus, zumal mit Leopold Lindtberg auch ein recht unbeschriebenes Blatt auf dem Regiestuhl Platz nahm. Nichtsdestotrotz schafft der Wieder Regisseur einen nahtlosen Übergang im Rahmen abgestimmter Krimi-Unterhaltung und es handelt sich nach persönlichem Ermessen um einen Favoriten der Reihe, wofür Lilli Palmer in nicht unerheblichem Maß mitverantwortlich ist. Die frühen Episoden beweisen anhand ihrer hochkarätigen Gäste eindeutig, dass man auf Zuschauer-Fischzug gehen wollte, wobei kein Zweifel besteht, dass sich das Format auch so durchgesetzt hätte. Die Story rund um das Beseitigen der älteren und natürlich wohlhabenden Ehefrau durch ihren Mann, der eine anspruchsvolle Geliebte auszuhalten hat, erscheint zunächst mehr als bekannt zu sein, bekommt hier jedoch einen bemerkenswerten Schauspieler-Schliff verpasst. Lilli Palmer zeigte in ihrer Doppelrolle der Schwestern Martha und Johanna eine Interpretation, die in frappanter Manier an ihre Stargast-Rolle als Dr. Viorne in dem 1971 entstandenen Spielfilm
"Diabolisch" erinnert. Dieser Quervergleich entsteht nicht wegen der Anlegung ihrer Rolle und der dargestellten Person(en), sondern wegen ihrer Art, mit dem jeweiligen Gegenüber umzugehen. Die Strategie der Psychologin Dr. Viorne wirkt dort nämlich genau so, wie sie von Martha/Johanna angewandt wird, sodass sie auf Helmuth Lohner einen indirekten
Psycho-Terror ausübt, wenn man es so nennen möchte. Sie erzwingt impulsive Reaktionen, sie will Widerstände durchbrechen und hat nur das Ziel mürbe zu machen. Auch hier kommt man sich vor, als würde man Zeuge eines Kreuzverhörs sein. Lilli Palmer konnte diese eiskalte Berechnung stets gut transportieren und einen Würgegriff anwenden, ihre Stiche wirken in der beinahe mütterlich-ermahnenden Fasson wie Torpedos, wobei ihre Johanna dabei selbst über die Grenzen ihrer Kräfte gehen muss. Martha behandelt ihren Mann wie einen unmündigen, ungehorsamen Knaben, der in richtige Bahnen gelenkt werden muss und ohne ihre Strukturvorgaben nicht funktionieren, ihrer Ansicht nach wahrscheinlich überhaupt nicht existieren kann. Die Verbindung der beiden steht daher kaum unter dem Nimbus einer Liebeshochzeit; eher bekommt man den Eindruck, dass Martha ihrem
Helfersyndrom aufgesessen ist.
Veranschaulicht wird eine Konstellation, die prinzipiell nicht funktionieren kann, aber immer wieder scharenweise zu Stande kommt, da der starke, dominante Charakter die Schwäche sucht und unfehlbar aufspürt, wie das Schwein die Trüffel. Der weichere Charakter strebt eher nach Bequemlichkeit, was er jedoch als Sicherheit definiert. Martha wirkt durch ihr mütterliches und herrschsüchtiges Auftreten alles andere als sympathisch. Sie gibt Anweisungen, die in Befehlen gipfeln; diese Frau begehrt die Kontrolle. Als sie erfasst, dass ihr Mann sie umbringen will, hat sie ihn in Windeseile wieder zur Raison gebracht, unterschreibt jedoch ihr eigenes Todesurteil, da ihr die subtilen Mittel fehlen, sie nicht spontan oder clever umdenken kann, ihn schlussendlich der Polizei ausliefern möchte. Gut, wie subtil sollte könnte die Reaktion aussehen, wenn man begreift, dass man Mordopfer werden soll? Das beschäftigende an dieser Angelegenheit ist nicht mehr die Tat an sich, sondern dass Martha hätte leben können. Johanna, die Zwillingsschwester aus den USA taucht später auf und Derrick wittert sofort seine Chance. Sie soll ihm behilflich sein, den Mörder mit fragwürdigem Alibi zu stellen, muss dafür zunächst eine optische Veränderung durchmachen, damit sie ihrer Schwester haargenau ähnelt. Bald schon nimmt sie ihren Schwager nicht nur durch ihre Präsenz, sondern auch verbal in die Zange. Sie quartiert sich bei ihm ein, wirft kurzerhand seine Freundin hinaus und will einen Zusammenbruch provozieren, muss dabei aber gegen ihren eigenen, fast bevorstehenden Kollaps ankämpfen. Lilli Palmer ist wie immer elegant, sie gefällt sich in großen Gesten und schafft es, den Schwestern unterschiedliche Profile zu geben. Die am deutlichsten herausgearbeiteten Charakterunterschiede offenbaren sich vor der Ermordung Marthas, die unerbittlich und hart bleibt, sowie im Finale mit Johanna und ihrem Schwager, als sie sich trotz dieser unmenschlichen Prozedur ganz kurz berührt zeigt, was sie offenbar selbst erschreckt und den Zuschauer reichlich verwirrt. Helmuth Lohner gibt die Rolle von Marthas fünfzehn Jahre jüngerem Ehemann Alfred, der in seiner Frau die einmalige Chance gewittert hat, ein bequemeres Leben führen zu können. Schnell hat er mit seiner jungen Geliebten Roswitha ein Komplott ausgeheckt, sich der unbequemen Dame zu entledigen.
Noch bevor Johanna einen Brief ihrer Schwester über die Charaktereigenschaften ihres Mannes vorliest, kommt man auf den gleichen Gedanken eines ungefestigten, weichen und zerrissenen Charakters. Lohner spielt diese Rolle ganz ausgezeichnet, seine Berechenbarkeit und Unselbstständigkeit hat richtiggehend Methode und man ertappt sich selbst bei einigen mitleidigen Blicken. Die stets willkommene Bereicherung Helga Anders ist die eigentliche treibende Kraft hinter diesem Mordkomplott. Sie animiert Alfred, der nicht zu wissen scheint, wie er den Mut zu dieser Tat zusammensuchen soll und nach Art des Hauses lieber wieder ausweichen würde, indem sie widerborstig reagiert und ihm entschlossen Zuneigung verweigert. Helga Anders spielte ihr komplettes, kurzes Schauspielleben sehr oft identisch angelegte Rollen, und deswegen wirkt sie auch so überzeugend. Auch hier ist sie die personifizierte Verführung mit aufforderndem Blick und halboffenem Mund; eine junge Frau aus bürgerlichem Milieu, die sich Besseres erträumt und diesbezüglich Mittel und Wege sieht. Roswitha ist oberflächlich und gewöhnlich, aber mit einer beachtenswerten Attraktivität ausgestattet, die nahezu unberechenbar wirkt. Ihr Liebhaber weiß genau, dass seine Freundin auf einen besseren Zug aufspringen wird, falls er die Situation nicht signifikant verändert - wenn nicht heute dann morgen. Horst Tappert und Fritz Wepper zeigen sich erneut in glänzender Form und sie knüpfen unmittelbar an den Vorgänger an. Wieder wird mit unkonventionellen Methoden gepokert, Derricks Instinkt scheint fast unfehlbar zu sein, er demonstriert den Verdächtigen, dass er sie für schuldig hält und sie daher todsicher überführen wird. Trotzdem wirken Derrick und Klein nicht wie Überermittler vom anderen Stern, denn sie zeigen Ecken und Kanten und es besteht insgesamt eine perfekte Symbiose zwischen den beiden. Die augenscheinlich simple oder sozusagen doppelte Dreieckskonstellation erhält von ihren Schauspielern den Brillantschliff. Dabei ist die Geschichte gewiss nicht neu, bekommt allerdings durch die sorgsame Umsetzung Stringenz, eine spannende Note und ein hässliches Gesicht zugleich, da man Mord, Verbrechen und Verschleierung wieder als Komplize miterleben kann. Eine interessante Schauspieler-Episode mit progressiver Verlässlichkeit, die es sich aufspart, mit übermäßigen Wertungen zu jonglieren.