SÜDWEST NACH SONORA - Sidney J. Furie

Schweigsame Männer, sprechende Colts und galopierende Gäule - Der traditionelle Western made in USA
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Maulwurf
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SÜDWEST NACH SONORA - Sidney J. Furie

Beitrag von Maulwurf »

Südwest nach Sonora
The Appaloosa
USA 1966
Regie: Sidney J. Furie
Marlon Brando, John Saxon, Anjanette Comer, Emilio Fernández, Alex Montoya, Miriam Colon, Rafael Campos, Frank Silvera, Larry D. Mann, Argentina Brunetti, Abel Fernandez


Südwest nach Sonora.jpg

OFDB

Nach vielen Jahren des Tötens kehrt Matt, genant Mateo, zurück zu seinem Halbbruder Paco und dessen kleiner Familie. Eine Ranch will er aufbauen, und den benötigten Zuchthengst hat er bereits unter seinem Arsch: Einen prachtvollen Appaloosa. So prachtvoll, dass er von Chuy Medina gestohlen wird. Denn Chuy Medina nimmt sich alles was ihm gefällt. Er hat die Macht dazu. Und den Willen. Und es stellt sich ihm auch keiner in den Weg. Fast keiner. Denn Mateo will ums Verrecken seinen Gaul zurückhaben, koste was es wolle. Auch das eigene Leben …

Filme sind für’s Kino gemacht. Und manche Filme sollte man nur im Kino sehen. APPALOOSA ist so ein Film. Diese großartigen und gigantischen Landschaften des Südwestens. Die Nahaufnahmen von Gesichtern, Augen, Händen, Werkzeugen. Das Spiel mit der Dunkelheit, sowohl im Bildaufbau wie auch in der Erzählung. Was auf dem Fernsehbildschirm als guter Western rüberkommt, wird auf der großen Leinwand zum Erlebnis, in der Wirkung vergleichbar mit der Horrorgeschichte am nächtlichen Lagerfeuer. Nur im Kino ist die Wüste so sinnlich erlebbar. Und nur im Kino, wenn das verschlossene Gesicht von Marlon Brando die gesamte Leinwand ausfüllt, während er selber im Zwielicht sitzt und von seinem Ziehvater erzählt, nur im Kino können Mythen entstehen, indem Licht und Schatten aufeinander treffen und ganz eigene Welten kreieren.

Mitte der 60er-Jahre war der US-Western unterwegs vom klassischen Edelwestern hin zum sogenannten Spätwestern. Die Zeit änderte sich, und mit ihr die Filmsprache. Statt heroischer Indianerschlächter und Büffeljäger, statt mutiger Kavallerieoffiziere und selbstloser Siedler/Trapper/wasauchimmer, bevölkerten jetzt gebrochene Charaktere die herabgekommenen Städtchen des Westens, vergleichbar mit der Generation Kriegsteilnehmer, die in den Jahren nach 1945 den Film Noir in qualitative Höhen und psychologische Tiefen führte. Hier ist der Held kein Held mehr sondern müde vom Töten, und er reagiert eher auf äußere Anreize anstatt selber zu handeln. Reaktion statt Aktion, für einen “klassischen“ Helden vom Schlage John Waynes ein Unding (wobei gerade der Duke mit EL DORADO eine mehr als gekonnte Replik gab). Marlon Brando schleppt sich müde durch die Wüste, lässt sich im Suff sein Pferd klauen und wirkt auf mexikanische Banditen und auf den Zuschauer wie jemand den man nicht ernst nehmen kann. Ein alter müder Mann, der bedenkenlos übers Ohr gehauen werden darf. Ein Anti-Held im eigentlichen Sinne, der nur aus eigennützigen Gründen agiert, wenn überhaupt. Entsprechend hat der Film nur eine “richtige“ längere Actionszene, wenn Mateo während des Pferdediebstahls von Chuy Medina auch noch gedemütigt wird. Die Schießereien, die für viele Zuschauer ja einen Western erst ausmachen, wirken hingegen seltsam ruhig und fast planlos. Die Gegner können sich oft gar nicht sehen sondern schießen ins Leere, in der bloßen Hoffnung den anderen zu treffen. Ein HIGH NOON-artiges Showdown, wie es der in der gleichen Zeit aufkommende Italo-Western genüsslich zelebrierte, findet nicht statt und scheint nur in einer anderen Welt zu existieren. Ob Furie hiermit auf den ersten, zeitgleich stattfindenden, Krieg der USA hinweisen wollte, in dem die Soldaten dem Feind nicht mehr ins Auge sehen (mussten? konnten?) sei dahingestellt. Auf jeden Fall wirkt der gezogene Colt aber oft fast überflüssig, wie eine hilflose Drohgebärde gegenüber einem übermächtigen Widersacher. Entsprechend wird die kurze Gewaltsequenz an der Hütte des alten Ramos auch nicht mit modernen Waffen eingeleitet, sondern es werden archaische Waffen eingesetzt, einer der Gegner wird mit Steinen erschlagen. Die Dekonstruktion des „klassischen“ Westerns ist im vollen Gange, und Brando, der Rebell, der in seinen Rollen und als Mensch immer anders sein wollte und versucht hat andere Wege zu gehen, Brando gibt dieser Zerstörung seine ganz persönliche Note. Darum ist es umso richtiger dass sein Charakter grauenhaft nuschelt, dass er ein grundlegend passiver Mensch ist, und dass er, auch wieder ein Unding im “klassischen“ Western, einen Armdrück-Wettbewerb über zwei Skorpionen verliert. Mateos Energie reicht nicht um sich vor dem sicheren Verderben zu retten, erst nach dem tödlichen Stich lodert sein Selbsterhaltungstrieb auf, aber da ist es, wie es scheint, zu spät …

In diesem Zusammenhang ist auch interessant wie Furie mit den Erwartungshaltungen des (Western-) Zuschauers spielt. Der Film beginnt mit einem einsamen Reiter, der ausschaut als ob ihm nichts und niemand etwas zu sagen hat. Der sich erlauben kann in einer Kirche seine Waffe abzulegen, weil seine physische Ausstrahlung alle anderen in die Schranken weist. Bereits die Eröffnungssequenz deutet darauf hin, dass er stärker ist als alle anderen, nämlich wenn der nervige Kläffer, der ihn auf dem Ritt durch den Ort begleitet, sich nach einem intensiven Blick aus den Brando’schen Augen verpisst. Dann kommt eine Frau hinzu, die sich schnell als hinterlistig und intrigant erweist, und deren einzige Vorliebe das Vernichten anderer Menschen zu sein scheint. Und zwar durch die dritte Hauptperson des Films, einen gut angezogenen und aussehenden Mexikaner, der vor Eifersucht schier platzt, und nur für seine Querida zu leben scheint. Der nach “Hübsch und dumm“ geradezu schreit und nur Wachs in den Händen der Frau ist. So scheint es zumindest …

Aber ach, die ganzen liebgewonnenen Westernklischees purzeln schon nach kurzer Zeit durcheinander wie Bausteine die ein Kind durcheinander wirft. Der harte und charismatische Einsame entpuppt sich als Mann mit Familienwunsch, der sich im Suff sein Pferd stehlen lässt und sich nicht einmal richtig wehren kann. Und die schöne intrigante Frau spielt nur die Harte, ist sie doch in Wirklichkeit viel verwundbarer als es in dieser Umgebung gut ist. Ihr einziger Wunsch ist es, von dem Mann, der sie als Jugendliche gekauft hat, fortzukommen, und dafür nimmt sie absolut alles in Kauf. Aber hart? Nein, hart ist sie nicht. Furie inszeniert sie als rote und solitäre Blume in der Wüste des Hasses und des Kampfes, und erhebt sie in ihrer Schönheit über all den Dreck ihrer Umgebung. Und dabei riskiert sie doch nur geköpft zu werden.

Und zu guter Letzt der gutaussehende und wölfisch lächelnde Mexikaner, dem ein ganzer Landstrich auf ein Fingerschnipsen gehorcht. Zumindest scheint es so, aber auch hier sieht die Wahrheit anders aus als man denkt. In einer Welt großkotziger Machos ist Chuy Medina der großkotzigste Obermacho, und in dieser Welt hat er gelernt sich durchzusetzen. Aber er ist intelligenter als seine Männer und weiß dass seine Zeit nur geborgt ist. Schwäche wird hier mit Feigheit gleichgesetzt, und Medina zeigt Schwäche als er dem Gringo eine Chance lässt am Leben zu bleiben. Weswegen ihm seine Männer vor dem Schlusskampf ganz klar bedeuten, dass er seine Geschäfte gefälligst alleine auszufechten hat. Auch wenn Chuy Medina nicht die schmierig-bösartige Ausstrahlung eines Ramón Rojo hat, und sich garantiert niemals in einer schlammigen Kleinstadt an der Grenze durchsetzen könnte (und schon gar nicht gegen einen sargschleppenden Fremden), so gibt John Saxon der Figur doch auf jeden Fall genügend Ausstrahlung und Tiefe, um zumindest nicht als das vermeintliche Weichei wahrgenommen zu werden, welches er bei seinem ersten Auftritt zu sein scheint. Trotzdem ist Medina die eindimensionalste Figur unter den Hauptfiguren, die nur durch Saxons Spiel zum Leben erwacht, aber doch dem Klischee des gutangezogenen, hintertriebenen und gewaltbereiten Mexikaners so nahe kommt, dass der Charakter schnell uninteressant wird. Medina ist der Chico-Antagonist, und hat als solcher keine besondere Erläuterung verdient. Der einzige wirkliche Schwachpunkt dieses Filmes …

Anstelle von Marlon Brando, mit dem ich noch nie viel anfangen konnte, und der mir auch hier nichts sagt, hätte ich mir beim Sehen manchmal Paul Newman gewünscht. Newmans blaue Augen, sein stählerner Blick, wären hier das Sahnehäubchen gewesen. Könnte man meinen. Ein Jahr später wird Newman mit Martin Ritt MAN NANNTE IHN HOMBRE drehen, und seine blauen Augen werden aus einem sehr guten Western einen außerordentlich starken Western machen. Hier aber wären sie fehl am Platze gewesen, signalisieren sie doch eine Aufgewecktheit und Widerstandskraft, die in APPALOOSA nicht gepasst hätte. Brando ist eben nicht der starke Alleskönner wie Clint Eastwood, der im gleichen Jahr in Europa ZWEI GLORREICHE HALUNKEN drehte und damit seinen Starruhm einleitete, und er ist aber auch nicht der coole und unnahbare wie Paul Newman. Fast wirkt es, als ob der Straßenköter zu Beginn des Films in ihm einen Gleichgesinnten entdeckt und deswegen aufhört zu bellen. Einen Zweibeiner, der struppig ist, und zäh, der will dass man (auf) ihn achtet und ihn berücksichtigt, aber eigentlich will er nur in Ruhe gelassen werden und ein kleines Stückchen vom Kuchen haben. Erst wenn man ihm auch dieses nicht gönnt bellt er, und muckt auf, und macht dabei zuerst doch nur den mickrigen Eindruck, den ein kleiner kläffender Köter auf einer staubigen Dorfstraße hinterlässt. Das lakonische und müde wirkende Spiel Brandos passt perfekt zu diesem Kriegsrelikt. Brando gibt seinem Charakter genau die Intensität die so ein Mensch hat. Ein Mann, der es müde ist für andere zu kämpfen und einen Platz am wärmenden Feuer haben möchte.

Ein guter Western. Ein psychologisch und narrativ spannender und dramatischer Film, exzellent inszeniert. Wie sein Hauptdarsteller ein Grenzgänger zwischen den Welten, zwischen dem Western klassischer Prägung und dem sogenannten Spätwestern einerseits, und zwischen den US-amerikanischen Breitwand-Landschaftsaufnahmen und den Großaufnahmen Leone’scher Prägung andererseits. Ein Film, der viel mehr bietet als man auf den ersten Blick vermutet. Aber eben nur im Kino!

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