BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Slasher, Backwood, Grusel oder auch herber Splatter: der Platz für die dunkle Seite des amerikanischen Films
Antworten
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3765
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von Prisma »




Bild

● THE HAUNTING / BIS DAS BLUT GEFRIERT (US|GB|1963)
mit Julie Harris, Claire Bloom, Richard Johnson, Russ Tamblyn, Fay Compton, Diane Clare und Lois Maxwell
eine Produktion der Argyle Enterprises | im Verleih der Metro-Goldwyn-Mayer
ein Film von Robert Wise

»Es starrt mich an!«


In der alten Villa namens Hill House geschehen seit nun mehr 90 Jahren merkwürdige Dinge, und das Unglückshaus, wie es die Leute nennen, soll verflucht und durch und durch böse sein. Immer wieder kam es dort im Lauf der Jahre zu mysteriösen Todesfällen, die nicht restlos aufzuklären waren. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung hat es sich Doktor John Markway (Richard Johnson) nun zur Aufgabe gemacht, die übernatürlichen Phänomene dieses angeblich unbewohnten Spukhauses zu untersuchen, und möglicherweise aufzuklären, da ihm die Erbin des alten Gemäuers das Anwesen für eine bestimmte Zeit zur Verfügung stellt. Dazu wählt er sich drei weitere Personen aus, die ihm bei der ungewöhnlichen Aufgabe behilflich sein sollen, und die gewisse Kriterien erfüllen. Eleanor (Julie Harris) ist eine von ihnen und fühlt sich bereits beim Anblick des Hauses bedroht. Die anfängliche Euphorie der Beteiligten schlägt schnell in Angst und Hysterie um, denn Nachts geschehen dort unglaubliche Dinge, die nicht logisch zu erklären sind. Hat Hill House tatsächlich ein Eigenleben..?

"Bis das Blut gefriert" gilt als stiller Klassiker seiner Gattung, und zieht in vielerlei Hinsicht sehr ungewöhnliche Register. Zunächst kann diesem Film von Regisseur Robert Wise einmal bescheinigt werden, dass er wirklich in jeder Hinsicht blendend funktioniert, da er ganz klassische Elemente mit einer innovativen Herangehensweise verbindet, die vor allem im handwerklichen Bereich zu finden sind. Allerdings überrascht diese Produktion auch mit einer nicht gerade alltäglichen Sparsamkeit angesichts typischer Horror- und Gruselelemente, die allerdings andernorts kaum zu finden ist, und hauptsächlich im Spektrum der Psyche beunruhigende, aber vor allem anspruchsvolle Register zieht. Das Einzige, was leicht übertrieben oder vielleicht sogar etwas reißerisch wirkt, ist zweifellos der deutsche Verleih-Titel, da er sich trotz eines gewissen Wohlklangs nicht im Entferntesten bewahrheitet, falls man sich als Zuschauer angesprochen fühlt. Eine weitere große und angenehme Überraschung stellt die Hierarchie der beteiligten Personen dar, denn hier sind die Rollenverteilungen begrüßenswerterweise einfach umgekehrt worden, was für damalige Verhältnisse nicht nur innovativ, sondern gleichzeitig gewagt erscheint, sodass die Herren, üblicherweise im Fokus stehend, der Dominanz der Damen unausweichlich bis ausschließlich untergeordnet sind. Hinsichtlich des Themas wird dadurch zusätzlich Verwirrung gestiftet, da analytische Sachlichkeit gegen Emotionen und Temperament arbeitet, und somit die großartige Interpretation von Julie Harris nochmals begünstigt. Der Film lebt von seiner schweren, unbehaglichen Atmosphäre, seinen stilsicheren Typisierungen und kitzelt die Nerven mit elegant verstreuten Effekten. Außerdem hält die Geschichte es im Endeffekt für überhaupt nicht notwendig, für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen und spricht somit die Fantasie, aber auch die Offenheit der Zuschauergemeinde an, um auch nach Beendigung noch weitere Kreise ziehen zu können.

Beinahe alles in diesem Film ist der exzellenten Darbietung der US-Amerikanerin Julie Harris untergeordnet. Eleanor, die ihre besten Jahre der kranken Mutter opferte, hatte bislang nichts vom Leben. Bis zur Selbstaufgabe pflegte und betreute sie sie bis zu deren Tode, und lebte bei ihrer Schwester, auf deren Couch schlafen durfte, aber nie Anerkennung oder Wertschätzung erfuhr. Trotz großer Schuldgefühle nimmt sie das ungewöhnliche Angebot zu diesem Experiment an, da sie sich in ihrer Vorstellung daraus einen euphorischen Neuanfang geformt hat. Glänzend wirken die Sequenzen, wenn Eleanor innere Monologe führt, das Für und Wider gegeneinander abwägen, sie sich in schwierigen Situationen zum Durchhalten animiert und in hysterischen Momenten selbst beruhigt, sich Gegebenheiten schön redet oder sich falsche Tatsachen glaubhaft versichert. Neben dem Spukhaus ist sie die Schlüsselfigur der Geschichte, bei der sich der Zuschauer zusehends fragen muss, ob es sich tatsächlich um übernatürliche Vorkommnisse im Haus, oder um eine schwerwiegende schizoaffektive Störung der Protagonistin handelt, und sich alles nur in ihrer verzerrten Fantasie abspielt. Eine hochinteressante Variation, die in diesem Genre damals noch eher in den Kinderschuhen steckte, dann später ausgiebig, leider meistens primitiv und selten überzeugend ausgeschlachtet wurde. Subtile Spannungsmomente sind jedenfalls vorprogrammiert, und "Bis das Blut gefriert" hat keine hysterischen Rundumschläge und Effekthascherei nötig. Als Gegenstück zu Eleanor fungiert Claire Bloom als Thea, die angeblich mit telepathischen Fähigkeiten ausgestattet sein soll. Sie repräsentiert die selbstbewusste, bodenständige und moderne Frau ihrer Zeit und ist somit alles, was Eleanor nicht ist. Claire Bloom spielt ihre kühle Distanz zu den Dingen klassisch aus, sie überzeugt mit zynischen Attacken und leuchtet schwarz in einer mysteriösen Aura. Ob sie schließlich nur der Spiegel, oder das Sprachrohr gewisser Einbildungen ist, entscheidet der Zuschauer. Überhaupt ist jede einzelne Einführung und die Entwicklung der unterschiedlichen Charaktere bemerkenswert dicht, das kompetente Zusammenspiel wirkt hochklassig. Richard Johnson als Initiator des Ganzen trumpft in einigen Momenten groß auf, doch immer wirkt es so, als würde er von den Damen in die zweite Reihe verwiesen, was bei Russ Tamblyn noch auffälliger in Erscheinung tritt.

Schließlich ist "Bis das Blut gefriert" in erster Linie der geglückte Versuch, in die Untiefen der menschlichem Psyche blicken zu können. Das Grusel-Element kommt selbstverständlich aussagekräftig zum Tragen, da »Es«, wie es von allen nur genannt wird, allgegenwärtig zu sein scheint. Das Haus als Verkörperung des Bösen, und vor allem dessen Inszenierung, wurde exzellent im Bild festgehalten. Nach diversen filmischen Horror- und Grusel-Ungeheuerlichkeiten- und Volltreffern animiert Robert Wise dazu, sich neu zu orientieren, auch wenn man zugegebenermaßen ein paar herkömmliche Effekte oder eine alternative Auflösung vermisst. Die Mischung, die man in dieser Produktion geboten bekommt, wirkt letztlich jedoch nicht nur interessant, sondern hinsichtlich des Versuches, mehrere Fragmente im Film zu vereinen, fesselnd und intelligent. Der hohe Anspruch der Geschichte wirkt manchmal etwas (Genre-)fremd, aber warum sollte man sich immer nur passiv berieseln lassen? Das langsame Tempo schürt Spannungszustände, die durch halluzinatorisch wirkende und oftmals Schwindel erregende Kamerafahrten plötzlich forciert werden. Die akustischen Finessen wie Poltern, Klopfen, Rufen oder Atmen, sorgen für klassische Gänsehaut-Momente. Vollkommen faszinierend ist die elegante Bildkomposition, die mit Hilfe von raffiniertem Licht- und Schattenspiel für ein Gefühl der Vollkommenheit sorgt, wozu der glasklare Aufbau, angefangen mit der Erklärung, wie alles begann, bis hin zu einem denkwürdigen Finale, sein Übriges tut. Insgesamt kommt es in diesem Beitrag nur zu wenigen Längen, und es besteht kein Zweifel, dass dieser Film unbedingt einmal gesehen werden sollte, wenn man sich für das Spektrum der Angst, oder blendende schauspielerische Leistungen interessiert. Es ist daher schön, einen Beitrag gesehen zu haben, der sich in aller Konsequenz von einheitlichen Produktionen abheben wollte und dies schließlich auch konnte. Ursprünglich wollte ich diesem Beitrag vorwerfen, dass er es eigentlich kaum schafft, einen das Fürchten zu lehren. Wenn sich die komplexe Handlung aber gesetzt, und die Gier nach primitiven Effekten gelegt hat, sollte man verstehen, dass dieser Film den Zuschauer auf einer ganz anderen Ebene ansprechen will und nach alternativen Berührungspunkten sucht. Es bleibt ein auf seine Weise sehr beunruhigender Klassiker des Genres.

Benutzeravatar
alan_cunningham
Beiträge: 111
Registriert: Mo., 02.11.2020 19:18
Wohnort: Arkham

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von alan_cunningham »

Ich hatte als Kind zunächst den Film gesehen, und viele Jahre später dann das Buch gelesen (plus Hörspiele). Für mich neben "Schloss des Schreckens" der beste Spukhausfilm überhaupt :)

Achtung: Spoiler zu beiden Filmen!!
► Text zeigen
Das Buch ist noch genialer, aber die Verfilmung kommt nahe ran :)

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3765
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von Prisma »

Ich lasse mich da generell eher lieber passiv berieseln. :mrgreen:

Percy Lister
Beiträge: 348
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von Percy Lister »

alan_cunningham hat geschrieben:
Do., 26.11.2020 00:40


Achtung: Spoiler zu beiden Filmen!!
► Text zeigen
► Text zeigen

Benutzeravatar
alan_cunningham
Beiträge: 111
Registriert: Mo., 02.11.2020 19:18
Wohnort: Arkham

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von alan_cunningham »

► Text zeigen

Percy Lister
Beiträge: 348
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von Percy Lister »

► Text zeigen

Benutzeravatar
alan_cunningham
Beiträge: 111
Registriert: Mo., 02.11.2020 19:18
Wohnort: Arkham

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von alan_cunningham »

► Text zeigen

Percy Lister
Beiträge: 348
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von Percy Lister »

Das ist eine interessante Anschauung und ich kann Dir - je nach Genre - in Teilen Recht geben. Mein Schwerpunkt liegt ebenso auf Produktionen älteren Datums, obwohl gerade gegen Ende der Achtziger Jahre noch viele lohnenswerte Filmprojekte realisiert worden sind. Die BBC-Adaption des Klassikers machte mich neugierig, weil es sich bei solchen Umsetzungen zumeist um hochwertige Filme handelt. Dennoch blieb es bei einer Sichtung, da ich die Version von 1961 vorziehe. Was "Bis das Blut gefriert" anbelangt, kann man feststellen, dass es vor allem die Akustik ist, die den Zuschauer bis ins Mark erschüttert, ebenso wie man die lebenden Schatten mit Anspannung beobachtet. Welche traditionellen Spukhaus-Filme aus der Schwarzweiß-Ära magst Du sonst noch?

Benutzeravatar
alan_cunningham
Beiträge: 111
Registriert: Mo., 02.11.2020 19:18
Wohnort: Arkham

Re: BIS DAS BLUT GEFRIERT - Robert Wise

Beitrag von alan_cunningham »

"Tanz der Totenköpfe" fällt mir spontan ein :) Und "Landhaus der toten Seelen" ...

Antworten