PSYCHO II - Richard Franklin

Slasher, Backwood, Grusel oder auch herber Splatter: der Platz für die dunkle Seite des amerikanischen Films
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Prisma
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PSYCHO II - Richard Franklin

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● PSYCHO II / PSYCHO 2 (US|1983)
mit Anthony Perkins, Vera Miles, Robert Loggia, Dennis Franz, Hugh Gillin, Claudia Bryar, Robert Alan Browne, Ben Hartigan und Meg Tilly
eine Produktion der Universal Pictures | Oak Industries | im Verleih der UIP
ein Film von Richard Franklin

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»Lass die kleine Hure nicht wieder in mein Haus!«


Nach 22 Jahren wird der siebenfache Mörder Norman Bates (Anthony Perkins) aus der Psychiatrie entlassen. Trotz heftiger Proteste und einer Kampagne von Lila Loomis (Vera Miles), der Schwester eines der Mordopfer, kann Norman ins normale Leben zurückkehren, da er aus klinischer Sicht als geheilt gilt. Obwohl er ein Motel besitzt, das allerdings in der Zwischenzeit von Geschäftsführer Toomey (Dennis Franz) zu einem gewöhnlichen Stundenhotel umfunktioniert wurde, beginnt er zunächst eine Arbeit in einem Schnellrestaurant, wo er die junge Kellnerin Mary (Meg Tilly) kennenlernt. Da sie von ihrem Freund den Laufpass bekam und momentan ohne Bleibe ist, lädt Norman sie ein, übergangsweise bei sich zu wohnen, doch das große, alte Haus samt Besitzer erscheinen ihr schnell ziemlich unheimlich. In den nächsten Tagen geschehen merkwürdige Dinge, denn Norman bekommt mysteriöse Telefonanrufe und Kurznotizen auf Zetteln. Das ungewöhnliche daran ist, dass sie von seiner, damals von ihm ermordeten Mutter zu sein scheinen...

Die einführenden Bilder zu "Psycho II" versprechen mehr, als nur ein Déjà-Vu für den Zuschauer zu werden, denn gleich zu Beginn wird man mit ungemütlichen Szenen konfrontiert, die aus Alfred Hitchcocks berühmten Klassiker von 1960 stammen, und den Mythos von "Psycho" aufgreifen. In Schwarz-Weiß-Bildern, die Filmgeschichte geschrieben haben, beobachtet man plötzlich Janet Leigh unter der Dusche im legendären Bates-Motel, bis sie von einer beängstigenden Gestalt mit mehreren Messerstichen niedergestreckt wird. Diese kleine Gedächtnisstütze wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen, kündigt aber selbstbewusst an, dass "Psycho II" nicht nur ein Abziehbild werden möchte. Szenen am Gericht führen sogleich zwei gute alte Bekannte ins Szenario ein, die bereits in der Urversion zu sehen waren, nämlich den wieder einmal irritierend ruhig wirkenden Norman Bates und Lila Loomis, die Schwester der damals ermordeten Marion Crane, die gleich als zu allem entschlossene Gegenspielerin aufgebaut wird und lautstark auf die tödlichen Gefahren einer Entlassung hinweist. Richard Franklins Film ist durchzogen mit Verknüpfungen zu Hitchcocks Klassiker, die nicht nur thematischer Art, sondern auch stilistischer und inszenatorischer Natur sind. Dennoch wird schnell deutlich, dass diese Fortsetzung versucht, vollkommen auf eigenen Beinen zu stehen und das auch eindrucksvoll unter Beweis stellen wird. So kommt man in den Genuss einer Geschichte, die angebrochene Gedanken weiterführt und dabei fährt die Regie eine beeindruckende Doppelstrategie, die Verlauf und Ausgang der Geschichte unberechenbar bleiben lassen, was sich letztlich komplett innerhalb bestehender Gesetze von Horror-Filmen gehobeneren Niveaus bewegt. Der neue Weg innerhalb vorhandener Rahmenbedingungen wird von einer sehr ansprechenden Besetzung geebnet, Bezüge zur 1960er-Version werden tatkräftig von Anthony Perkins und Vera Miles hergestellt, aber vor allem verfeinernd weitergeführt.

Perkins gestaltet seine Rolle wieder einmal sehr facettenreich, sein Wesen wirkt nervös, gehemmt, zerbrechlich und eigentlich undurchschaubar. Nach seiner Entlassung aus der Haft läuft er dem Empfinden nach ins Leere, oder vielmehr gegen eine Wand, die Alltag heißt und den er schon vor mehr als über 20 Jahren nicht bewältigen konnte. Im Haus seiner Mutter kommt es ohne Umschweife zu Situationen, die mehrere Möglichkeiten offen halten und zunächst ist es nicht genau zu deuten, ob es sich um rezidivierende Wahnvorstellungen handelt, oder um die hässlichen Gesichter eines Komplotts. Perkins, der den Verlauf so gut wie zu jedem Zeitpunkt trägt, macht einen hervorragenden Eindruck und provoziert geschickt Eindrücke beim Zuschauer, die zwischen Zutrauen und Skepsis hin und her pendeln. Vera Miles fällt bereits bei ihrem ersten Erscheinen durch ihre aggressive, und Zweifel schürende Rhetorik auf, als sie die Gerichtsverhandlung und deren Urteil zu unterwandern versucht. Auch diese gerne gesehene Interpretin schafft es sehr nachhaltig, dem Zuschauer zwiespältige Empfindungen aufzuzwingen. Eigentlich müsste Lila Loomis in die Kategorie der Personen fallen, mit denen man weitgehend sympathisieren kann, aber das ist irritierenderweise nicht der Fall. Vielmehr nimmt man eine hartherzige und selbstgefällige Frau wahr, die zu allem entschlossen sein könnte. Auch sie ist es, die der ambivalenten Figur Norman Bates auf unbestimmte Art beim Thema Mitfiebern zuträglich ist. Die frisch aufspielende Meg Tilly wirkt einerseits wie das klassische Äquivalent zu ihrer Film-Tante Janet Leigh, doch andererseits liegt es auch in ihrer Macht, vollkommen konträre Züge anzunehmen. Abrundende Leistungen servieren Robert Loggia, Dennis Franz oder Claudia Bryar und insgesamt bleibt der Eindruck über weite Strecken bestehen, dass die Skizzierungen aller Beteiligten das verwirrende Element vorantreiben können, wenngleich manche Personen in voller Absicht Schablonen bedienen.

Naturgemäß steht eine derartige Geschichte unter keinem guten Stern für die meisten Beteiligten und man wittert von der ersten Minute an Blut, Spektakel und Wahnsinn in der Luft. Der Spannungsbogen funktioniert auch ohne frühe Kniffe dieser Sorte sehr gut, sodass ein vollkommen unbehagliches Element die Szenerie nach Belieben dominieren kann. Der erste Mord wirkt daher wie vorprogrammiert und überhaupt sind die Inszenierungen dieser Inhalte sehr atmosphärisch mithilfe extravaganter Kamera-Einstellungen und beißender Akustik festgehalten worden. Die Frage, ob Norman Bates nur Opfer eines perfiden, doppelten Spiels ist, oder er die Geschehnisse aus dem Hinterhalt selbst antreibt, wird nahezu in Whodunit-Manier zurückgehalten und später vorangetrieben. "Psycho II" funktioniert sehr eigenständig und überzeugend, ohne sich selbst mit halsbrecherischen Methoden zu überholen. Mysteriöse Anrufe und handgeschriebene Zettel mit der Unterschrift von Normans verstorbener Mutter heizen die ohnehin schon aufgeladene Stimmung mit psychologischem Gehalt an, Trugbilder und Stimmen werfen die Frage auf, ob es mit Bates wieder so weit ist, oder immer schon so weit war, nämlich dass es mit seinem Geisteszustand nicht zum Besten gestellt ist. Franklin nimmt sich schließlich den Luxus vieler Spielräume und lässt dabei so manches Hintertürchen offen, um ein überraschendes, sowie spektakuläres Finale anzubahnen, beziehungsweise zu präsentieren. Wenn der Spuk dann endlich leider vorbei ist, kann die Regie sogar noch buchstäblich eine ungemütliche Schippe draufsetzen und am bitteren Ende fühlt man sich verwirrt und leer, aber insgesamt auch aufgeklärt. "Psycho II" ist eine rundum gelungene Fortführung eines legendären Alptraums geworden, der mit neuem Schwung und eigenständigem Charakter mehr als überzeugend ausgefallen ist. Unterm Strich bleibt nach persönlicher Ansicht eine der formvollendetsten Brücken im Horrorfilm-Bereich. Immer wieder gerne gesehen, immer wieder begeisternd!

Percy Lister
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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Percy Lister »

"Psycho II" (Original: Psycho II) (USA 1983)
mit: Anthony Perkins, Vera Miles, Meg Tilly, Robert Loggia, Hugh Gillin, Dennis Franz, Claudia Bryar, Ben Hartigan, Robert Alan Browne, Lee Garlington, Tim Maier, Jill Carroll, Chris Hendrie u.a. | Drehbuch: Tom Holland basierend auf den Romanmotiven von Robert Bloch | Regie: Richard Franklin

Norman Bates wurde vor zweiundzwanzig Jahren des siebenfachen Mordes schuldig gesprochen und in eine Anstalt eingeliefert. Nun befindet das Gericht, dass er nach einer intensiven Therapie als geheilt entlassen werden kann. Lila Loomis, die Schwester des Mordopfers Marion Krane, versucht mithilfe einer Petition zu erreichen, dass Norman Bates weiterhin in Gewahrsam bleibt. Ihr Antrag wird jedoch abgelehnt. Bei seiner Arbeit in einem Schnellimbiss lernt Norman die junge Mary kennen und bietet ihr an, bei ihm zu wohnen. Bald darauf erhält er seltsame Telefonanrufe und Zettel mit Drohungen seiner verstorbenen Mutter tauchen überall auf. Es dauert nicht lange und Mary wird durch ein Loch in der Wand beim Duschen beobachtet....

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Melancholische Klänge rücken das Haus der heimlichen Sehnsucht ins Zentrum der visuellen Wahrnehmung, wobei sich der viktorianische Kasten vom bedrohlichen schwarzen Schatten zu einem realen Objekt im Sonnenlicht wandelt, wodurch seine Fassade fast greifbar wird. Wie oft hat sich der Filmfreund an jenen Ort zurückversetzt, an dem Unheimliches geschah, ohne dass es die Außenwelt mitbekam. Die Räume blieben weitgehend unter Verschluss und lösten den Wunsch aus, sie noch einmal erkunden zu können, um jene Atmosphäre zu spüren, die zu den furchtbaren Ereignissen führten, die in Alfred Hitchcocks Low-Budget-Film von 1960 auf nachhaltige Weise gezeigt wurden. Vielversprechend ist der Auftakt, der die hohen Erwartungen, die das Publikum an die Fortsetzung des zeitlos eleganten Schwarzweiß-Klassikers stellt, noch zusätzlich steigert. In wenigen Minuten wird der Boden für Entwicklungen bereitet, die sich wie selbstverständlich aus den Erfahrungen der Vergangenheit ergeben und dort ansetzen, wo die Handlung vor mehr als zwei Jahrzehnten endete. Das nüchterne Ambiente des Gerichtssaals wird durch vehemente Einwände jener Frau in Agitation versetzt, die sich zur Anwältin der Mordopfer ernannte und nun Sühne fordert, die weit über die Buchstaben des Gesetzes hinausgeht. Merkwürdigerweise empfindet der Zuseher keine Solidarität mit der aufgebrachten Frau, sondern wünscht sich Ruhe und Normalität für Bates, was zu einem Widerspruch führt, denn das Publikum hofft natürlich, dass die unheilvolle Atmosphäre des Herrenhauses weitere blutige Taten begünstigt. Wenige Filme dieser Art schaffen es, den Zuschauer in einen solchen Zwiespalt zu treiben; die Grenzen zwischen Opfer und Täter sind in den meisten Fällen wie mit dem Lineal gezogen und Sympathien und Antipathien klar verteilt. Bei Norman Bates verhielt es sich schon in "Psycho" (1960) anders, seine Ausstrahlung und die spärlichen Informationen, die über sein restriktives Leben bekannt wurden, führten dazu, zu hoffen, er könnte sich aus seiner schwierigen Lage befreien und sich vom Gängelband seiner Mutter lösen. Die berechtigten Argumente von Lila Loomis erscheinen in diesem Zusammenhang kleinlich und nachtragend, obwohl die Furcht bzw. die Hoffnung, dass sich der Wahnsinn erneut seinen Weg bahnen könnte, omnipräsent ist. Die Frage, wie sehr das Publikum bereits in der Welt von Norman Bates gefangen ist, erfordert eine Suche nach den Gründen für den andauernden Erfolg der Marke "Psycho", die durch die beiden Fortsetzungen weder beschmutzt, noch verwässert wurde, sondern einen nachvollziehbaren, logischen Pfad einschlagen konnte.

Anthony Perkins ist das Aushängeschild des Kultfilms, ohne ihn "würde das Feuer im Haus ausgehen und alles würde kalt und feucht wie im Grab". Noch immer wirkt er jugendlich, sein Charisma ist unverbrüchlich und lässt ihn schnell zum potentiellen Opfer in einer unbeherrschten Umgebung werden, wo jeder auf den eigenen Vorteil achtet. Der Schauspieler konnte 1959, als er zusagte, den Mörder in Hitchcocks nächstem Film zu spielen, nicht ahnen, wie weitreichend die Folgen für seine berufliche Laufbahn sein würden. Dennoch bereute er es nicht, den berühmtesten Psychopathen der amerikanischen Populärkultur verkörpert zu haben, weil ihm sehr daran gelegen war, der Rolle gerecht zu werden und lieber mit einem Film eine bleibende Wirkung erzielen wollte als bei anderen Produktionen halbherzig angelegte Rollen zu übernehmen. Niemand kannte Norman Bates besser als er, weswegen er die Spielleitung in "Psycho III" selbst in die Hand nahm und sogar bereit war, noch einen vierten Teil zu drehen, der sich mit der Vorgeschichte befasste. Meg Tilly als Mary bringt nicht nur Norman in Verlegenheit, sondern auch das Publikum. Einerseits wünscht man sich, dass Norman endlich Vertrauen zu einem Menschen fasst und eine Verbündete findet, die ihm zuhört und ermutigt, andererseits fürchtet man, dass alte Wunden aufgerissen werden, wenn die pure Anwesenheit einer Frau die Renaissance der böswilligen Mutter verursacht. Das einnehmende Spiel von Meg Tilly transportiert Ambivalenz in nahezu allen Bereichen. Wie eine Zwiebel schält sich ihre Persönlichkeit aus den Lagen und verhindert damit eine klischeehafte Überzeichnung der Figur, die der Zuseher allzu schnell in einer Schublade einsortiert, um dann erfreut festzustellen, dass ihr Charakter und ihre Beweggründe doch nicht so vorhersehbar sind. Weitaus eindeutiger gestaltet sich das aggressive Spiel von Vera Miles, die hier aus dem Schatten von Janet Leigh tritt und mit Feuereifer bei der Sache ist. Es tut ihr gut, dass sie sich von allen verlassen wähnt, so gewinnt ihre Darstellung an Kraft und Nachdruck. John Gavin stand wegen seiner Verpflichtung als Botschafter der Vereinigten Staaten in Mexiko nicht mehr zur Verfügung, so kommt Robert Loggia als Psychiater die männliche Kontrastrolle zu. Er fungiert ein wenig als Kontrollorgan und hat die besten Absichten, allerdings liegt es nicht in seiner Macht, die Abläufe zu steuern oder gar regulierend einzugreifen. So entwickelt sich bald ein Klima der latenten Bedrohung und zunehmenden Angst, das von mehreren Seiten gefördert wird und die dunklen Vorahnungen nur zu bestätigen scheint.

Erfreulicherweise kann man feststellen, dass es sich bei dem von Hilton Green produzierten Film um eine schlüssige und ansprechende Fortsetzung handelt, die sich nicht nur auf die Strahlkraft des Originals verlässt, sondern dem "Fall Norman Bates" neue Facetten hinzufügt, ohne den Bogen unglaubwürdig zu überspannen. Die Schockmomente werden dosiert und mit ausgesuchter Sorgfalt in Szene gesetzt, um zu verhindern, dass "Psycho II" zu einem beliebigen Horror-Spektakel ausartet. Das Messer wird zwar wieder aus der Küchenschublade geholt, sein Einsatz erfolgt jedoch nicht wahllos, sondern nach den klassischen Tötungsmotiven "Sühne für Kränkungen" und "Strafe für moralische Verfehlungen". Norman Bates bemüht sich, die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen, doch sein Seelenleben ist immer noch fragil genug, um auf jedes Zeichen einer Anwesenheit seiner Mutter zu reagieren. Das perfide Spiel mit dem Feuer verunsichert auch den Zuschauer, der nach logischen Erklärungen sucht und mit ansehen muss, wie Norman mehr und mehr in alte Verhaltensmuster zurückfällt. "Psycho II" zieht seine Anziehungskraft aus der soliden Basis, auf der der Film aufbaut und der sensibel durchdachten Konsequenz, die jene Ereignisse deutet, die das Leben von Norman aus der Bahn geworfen und insgesamt sieben Menschen das Leben gekostet haben. Wie kleine Mosaikteile greifen Elemente aus dem Original und neue Interpretationen in sich und ermöglichen einen fließenden Übergang zu "Psycho III", der drei Jahre später entstehen sollte. Als sich der Film dem Finale nähert und es für kurze Zeit so aussieht, als hätte er sich in eine Sackgasse manövriert, schafft er es mithilfe eines unerwarteten und überraschenden Endes noch, einen eleganten Twist zu gestalten, der selbst Logikfanatiker zufrieden stellt und dem Plot ein neues Geheimnis hinzufügt. Die Kamera liefert memorable Augenblicke der Reminiszenz und Verbeugungen vor dem Hitchcock-Klassiker, indem sie unterstreicht, wie wegweisend die damaligen Einstellungen für den Spannungserhalt waren. Der Zuschauer wird zum Komplizen und Insider, was seine Verbundenheit mit Norman und dessen Schicksal noch erhöht. Auf geschickte Weise rechtfertigt der Film damit Vieles, was das Publikum in einem weniger charismatischen Ambiente nicht akzeptieren würde. Wer klassische Horrorfilme mit Substanz einem inhaltsleeren "Report aus dem Schlachthaus" vorzieht, bekommt mit "Psycho II" einen atmosphärisch dichten Film mit Nostalgie-Bonus und einem überzeugend aufspielenden Anthony Perkins präsentiert.

Percy Lister
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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

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Prisma hat geschrieben:Eigentlich müsste Lila Loomis in die Kategorie der Personen fallen, mit denen man weitgehend sympathisieren kann, aber das ist irritierenderweise nicht der Fall.
Du beschreibst den Zwiespalt sehr treffend, in dem sich der Zuschauer befindet. Vom Rechtsempfinden her müsste man mit Lila Loomis mitfühlen, wenn sie die Wunde beklagt, die ihr mit dem gewaltsamen Tod ihrer Schwester zugefügt wurde. Allerdings hat man von Anfang an das Gefühl, als müsste Norman beschützt werden. Er ist in Gefahr, den Verstand zu verlieren, bedroht zu werden und sich in Situationen wiederzufinden, die finstere Erinnerungen wecken. Aus dem Täter wurde ein Opfer und die Sympathien liegen deshalb bei Norman, dem ein Neubeginn verwehrt bleibt und dem ein ruhiges Leben in seiner Abgeschiedenheit nicht gegönnt wird. Diese Manipulation des Zuschauers ist natürlich diskussionswürdig, weil sich die Frage stellt, inwieweit ein Mordopfer in der Erinnerung präsent bleibt, wenn nur mehr der Täter übrig ist und die Identifikation auf ihn überspringt, wie es bei dem schüchternen und offensichtlich traumatisierten Norman der Fall ist.

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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Prisma »

Percy Lister hat geschrieben:
So., 25.04.2021 21:38
Allerdings hat man von Anfang an das Gefühl, als müsste Norman beschützt werden.

Hierbei handelt es sich um eine ebenso große Stärke der Geschichte, da konventionelle Rollenverteilungen eine eigentlich bizarre Umkehr erfahren. Die Person, die die Sympathien alleine aufgrund ihrer tragischen Vergangenheit auf ihrer Seite haben müsste, weist das Publikum bereits in einem besonders frühen Stadium des Verlaufs zurück, noch bevor man überhaupt die wichtigsten Hintergründe erfährt. Norman hingegen müsste normalerweise breites Misstrauen schüren und Abscheu hervorrufen, doch er entwickelt sich schnell zum Protagonisten der Geschichte, was aber auch an der selbstbewussten Produktion liegt, die sich so weit es geht vom ersten Teil abkoppelt und auf klassischste Form des Verwirrspiels setzt.

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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Prisma »



Ich bin überhaupt auch immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie gut diese Fortsetzung gelungen ist. Ich persönlich ziehe Richard Franklins Beitrag dem übermächtigen Original ja sogar aus verschiedenen Gründen vor, weil er mich unterm Strich am meisten packt. Da es hier zu einer nahtlosen Verknüpfung mit den Geschehnissen von vor über zwanzig Jahren kommt, man aber dennoch eine sehr eigenständige und frisch wirkende Geschichte wahrnimmt, kann "Psycho II" von Anfang bis Ende überzeugen, bestenfalls sogar begeistern. Besonders interessant finde ich, dass die hier erneut auftretenden Schauspieler von damals in keinem Korsett stecken und sich im Rahmen der Vorgaben ein Stück weit neu erfinden dürfen. Anthony Perkins spielt außergewöhnlich gut auf, ebenso wie Vera Miles. Ein wirklich hervorragender Film, der sich keinesfalls vor Klassikern verstecken muss und meines Erachtens viel zu unterbewertet ist.

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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Prisma »



Der gut komprimierte deutsche Kino-Trailer, der die Nächstansicht bestimmt wieder beschleunigt :



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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Prisma »

Percy Lister hat geschrieben:
So., 10.01.2021 21:33
Weitaus eindeutiger gestaltet sich das aggressive Spiel von Vera Miles, die hier aus dem Schatten von Janet Leigh tritt und mit Feuereifer bei der Sache ist. Es tut ihr gut, dass sie sich von allen verlassen wähnt, so gewinnt ihre Darstellung an Kraft und Nachdruck.

Dem kann ich nur zustimmen. So weit man sie in diesem zweiten Teil lässt, kann Vera Miles innerhalb dieses unmissverständlich angelegten Schauspiels doch sehr überzeugen, die ich im Übrigen als ebenso tragische Figur der Geschichte ansehe, wie Anthony Perkins selbst. Vergleicht man die hier angebotene Lila Loomis mit dem Charakter aus Hitchcocks Debütanten, ist eine eindeutige Wandlung wahrzunehmen. Die Frau, die niemals über die Geschehnisse weggekommen ist und von Hass und Rachegefühlen zerfressen ist, kann eigentlich nicht als sonderlich sympathisch identifiziert werden, doch ihr Schicksal lässt Mitgefühl aufkommen, was in ihren finalen Szenen nur verstärkt wird. Vera Miles habe ich erst durch diesen zweiten Teil besonders schätzen gelernt, die ich wirklich stets gerne sehe, vor allem in Horrorfilmen und Psycho-Thrillern. Sie bietet häufig Charaktere an, die nicht immer leicht zu lesen sind und schert sich am Ende nicht darum, um die Gunst des Publikums zu buhlen.

Ansonsten kann ich nur wieder sagen, dass ich "Psycho II" von allen Teilen am liebsten sehe, denn es handelt sich um eine intelligent ausgearbeitete und vor allem spektakuläre Fortsetzung, eines - das muss man zugeben - Über-Klassikers. Wie sich die Vorkommnisse hier überschlagen wirkt nicht nur clever und überraschend, sondern auch denkwürdig, vor allem, was die Figur des Norman Bates angeht.

Percy Lister
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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Percy Lister »

Die Fortsetzung ist ein wahrgewordener Traum, weil man als Zuschauer endlich in jene Bereiche blicken kann, die im ersten Teil verborgen blieben. Viele Settings sind einsehbar und man erfährt Details, die sich sehr gut an die Originalgeschichte anpassen. Es werden Gedanken weitergesponnen, die 1960 in der Luft hingen. Aus Andeutungen wurden Tatsachen, z.B. die Verbindung zwischen Lila Crane und Sam Loomis. Vera Miles scheint über den Altmeister Hitchcock zu triumphieren, war sie doch in Teil 1 "nur" in einer Nebenrolle zu sehen, weil sie ihn wegen ihrer Absage für "Vertigo - Aus dem Reich der Toten" enttäuscht hatte. Der gebürtige Engländer war sehr nachtragend.

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Re: PSYCHO II - Richard Franklin

Beitrag von Prisma »

Percy Lister hat geschrieben:
Sa., 18.11.2023 20:37
Vera Miles scheint über den Altmeister Hitchcock zu triumphieren, war sie doch in Teil 1 "nur" in einer Nebenrolle zu sehen, weil sie ihn wegen ihrer Absage für "Vertigo - Aus dem Reich der Toten" enttäuscht hatte. Der gebürtige Engländer war sehr nachtragend.

Das ist ein interessanter Ansatz mit Vera Miles' Triumph über Alfred Hitchcock! Ich kenne die Hintergründe auch und fand sie sehr überraschend, obwohl es viele ähnlich klingende Geschichten gibt, aber immerhin hatte Miles noch die nominelle weibliche Hauptrolle inne, zumal sie an zweiter Stelle in den Credits genannt wird. Allerdings stimmt es schon, dass ihre Rolle betont stiefmütterlich in ein Finale zu münden hat, das ihr naturgemäß die Show stehlen muss. Profiliert hat sie sich im zweiten Teil, da sie hier auch die Möglichkeiten bekommen hat. Ich glaube, Hitchcock hat das weibliche Äquivalent für seinen Anspruch der Perfektion trotz Verfügbarkeit nie gefunden.

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