PASSION - Brian De Palma

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Maulwurf
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PASSION - Brian De Palma

Beitrag von Maulwurf »

Passion
Passion
Deutschland / Frankreich 2012
Regie: Brian De Palma
Noomi Rapace, Rachel MacAdams, Karoline Herfurth, Paul Anderson, Dominik Raacke, Rainer Bock, Benjamin Sadler, Michael Rotschopf


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OFDB

Isabelle (Noomi Rapace) ist eine Kreative in der Berliner Niederlassung einer internationalen Werbeagentur. Ihre Chefin ist die eiskalte Christine (Rachel MacAdams). Eigentlich scheinen die beiden Frauen sehr gut zusammen zu arbeiten, aber eines Tages gibt Christine eine geniale Idee von Isabelle als ihre eigene aus – Isabelle erkennt was für ein Mensch Christine wirklich ist und rächt sich, indem sie Christines Liebhaber Dirk (Paul Anderson) ins Bett schleppt. Aber Christine ist noch nicht fertig und demütigt Isabelle vor versammelter Mannschaft. Daraufhin verfällt Isabelle zunehmend – sie nimmt Tabletten, ist immer häufiger geistig abwesend, und baut zunehmend ab. Bis Christine ermordet wird, und Isabelle von der Polizei verhaftet wird. Aber ist sie wirklich die Mörderin?

Dieser Film, das Remake des französischen Films LIEBE UND INTRIGEN, macht es dem Zuschauer definitiv nicht einfach. Während der erste Teil unter der Überschrift „Zickenterror in der Werbebranche“ manchmal eher an Büro Büro-Folgen erinnert, ist der zweite Teil Thriller-Kino vom Allerfeinsten. Diese beiden Hälften zusammen zu bekommen, das fällt mir gerade nicht einfach.

Prinzipiell halte ich De Palma erstmal für völlig überschätzt. Wo viele seine Filme als Meisterwerke für die Ewigkeit preisen, frage ich mich meistens wo bitteschön Aufbau und Spannung waren. 2 seiner Filme konnten mich bisher erst überzeugen (BLOW OUT und REDACTED), aber ich gebe nicht auf und probiere es immer wieder. Heute war PASSION an der Reihe. Ich gebe zu, dass ich Noomi Rapace sehr gerne sehe, und mit Rachel MacAdams einmal schick Essen gehen, das ist einer der letzten großen Träume in meinem Leben. Somit haben mich die beiden Damen zu PASSION gebracht, und diese beiden haben mir auch die erste Hälfte in sehr hohem Maße versüßt. Der erwähnte Zickenterror, assistiert von Karoline Herfurth als Isabelles Assi Dani, läuft mit vollen Touren, und kann dank der drei Schauspielerinnen auch bestens genossen werden.

Doch dann kommt irgendwann, und zwar recht schlagartig, der Punkt, wo die Atmosphäre düster wird. Die Büros wirken plötzlich wie Verliese, die Beziehungen zwischen den Menschen, auch den an der Handlung nicht direkt Beteiligten, haben die Konsistenz von gefrorenem Schleim, und um alles und jeden scheint sich ein unsichtbarer Kokon zu legen. Und ab diesem Punkt läuft auch De Palma endlich zu Hochform auf. Die Bilder und Farben werden immer suggestiver, die Musik von Pino Donaggio untermalt ein Höllentheater wie einst der Score Bernard Hermanns, und die Handlung kann nicht mehr klar unterschieden werden zwischen Traum und Wirklichkeit. So träumt Isabelle an einer Stelle, dass sie ins Gefängnis gekommen ist und dort den blanken Horror erlebt. Schweissgebadet wacht sie auf – und erkennt, dass sie tatsächlich im Gefängnis ist. Oder das erste Verhör beim Staatsanwalt, das definitiv ein Alptraum ist – findet es wirklich statt? Als Zuschauer weiss ich nicht mehr, ob ich Zeuge eines Traums oder der Realität bin – De Palma zieht mir sehr konsequent den Boden unter den Füßen weg, und ich befinde mich im freien Fall zwischen den Bildern.

Diese Bilder. Die Ballettaufführung und der Mord werden als Splitscreen gezeigt. Wobei allein die Kamerafahrt der Mordsequenz zwischen Argento und Hitchcock anzusiedeln ist (und auch genauso spannend ist), aber zusammen mit dem Splitscreen der Tänzer ergibt sich ein ungeheures Spannungsfeld. Irre ich mich, oder sind die Bewegungen des betrunkenen Dirk im rechten Bild und diejenigen der Tänzer im linken Bild fast gleich? Wahnsinn … Der Mord selber ist in Giallo-Tradition dargestellt und macht jeden Italo-Kino-Fan glücklich, versprochen! Insgesamt neige ich dazu, die Bilder (teilweise auch die der ersten Hälfte) mit Lucio Fulci zu vergleichen – jedes Bild ein Tableau, das einen auffordert die Pausentaste zu drücken und zu Staunen. Die Wohnung sind exquisit eingerichtet, die Büros sehr schick, und der Production Designer hat auf jeden Fall ganze Arbeit geleistet.

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Soweit ist das ja auch alles noch in Ordnung, und auch die Auflösung des Mordes stellt vor allem Giallo-Fans auf jeden Fall zufrieden. Aber dann dreht De Palma in den letzten Minuten noch mal die Schraube so richtig an, und in Ermanglung besserer Worte möchte ich Alexander Karpisek aus der Splatting Image zitieren: „Schließlich geht jemand durchs Treppenhaus, und die Bilder drehen durch. Was De Palma zusammen mit seinem Komponisten Pino Donaggio in den letzten Minuten zaubert, gehört zweifellos zum Besten, was dieses Team jemals zustande gebracht hat. Zwar kann der Kopf die richtigen Antworten noch nicht geben, aber der Mund steht offen. Endlich mal wieder.“
Dem kann nichts hinzugefügt werden, außer einer kleinen Änderung meinerseits: Die letzten Minuten gehören zum Besten was ich überhaupt jemals in diesem Genre gesehen habe!

Was bleibt? Eine erste Hälfte, wo ich kurz davor war vorwärts zu spulen, und eine zweite Hälfte, die ich gerne noch mal zurückspulen und erneut genießen möchte. Während ich diesen Text schreibe stelle ich fest, dass die beiden Hälften doch mehr Einheit ergeben als ich zu Beginn dachte. Und De Palma seinen dritten Volltreffer bei mir gelandet hat. Mit der sehr winzigen Einschränkung, dass PASSION seine Stärken vermutlich bei der Zweit- und Drittsichtung erst so richtig ausspielt. Wie so manch guter Giallo eben auch …

9 von 10 Seidenschals und eine klare Empfehlung für alle Fans des italienischen Thriller-Kinos

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