DER HERR DER RINGE - Ralph Bakshi

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Maulwurf
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DER HERR DER RINGE - Ralph Bakshi

Beitrag von Maulwurf »

Der Herr der Ringe
The lord of the rings
USA 1978
Regie: Ralph Bakshi


Bild

https://ssl.ofdb.de/film/1907,Der-Herr-der-Ringe

Fünfmal habe ich den Herrn der Ringe in meinem Leben gelesen, das erste Mal Ende der 70er-Jahre, als meine Eltern mir das Buch zu Weihnachten geschenkt haben. Die Filme, die Peter Jackson dann in den Nuller-Jahren drehte, schienen die Eindrücke direkt aus meinem Kopf zu holen: Ab dem ersten Bild des ersten Films versank ich in einer Traumwelt, meiner persönlichen Traumwelt, tauchte einmal kurz auf um festzustellen, dass ich den Soundtrack besitzen muss, und tauchte wieder ab. Jackson schaffte das unerhörte Kunststück, die Bilder aus meinem Kopf direkt auf die Leinwand zu projizieren. Bilder, die heute, Ende der 10-er Jahre, längst zur aktuellen Popkultur gehören …

Völlig verdrängt wird dabei, dass es Ende der 70er- Jahre noch diesen schier unglaublichen Versuch gab, das gigantische Werk Tolkiens in einen Zeichentrickfilm zu pressen. An eine Realverfilmung war aus technischen Gründen damals noch lange nicht zu denken, und auch wenn Filme wie John Boormans EXCALIBUR schon mächtig was hermachten, so konnte das gut durchdachte Mittelerde zu der Zeit einfach noch nicht adäquat dargestellt werden.
Die Lösung hieß stattdessen Zeichentrick. Wobei, nicht ganz Zeichentrick – es gibt das sogenannte Rotoskopie-Verfahren: Hier werden die Szenen einmal mit echten Schauspielern gedreht, und dann als Zeichentrick über die Schauspieler-Szenen drüber gelegt. DER HERR DER RINGE wurde teilweise in diesem sehr aufwendigen Verfahren erarbeitet, was ihm gerade in diesen Szenen eine intensive und dynamische Düsternis verleiht.

Tolle Bilder also, aber kann dieses Tolkiensche “Frühwerk“ heute, also 2019, wirklich noch mit “großartigen Bildern“, also der gigantomanischen Bilderflut Peter Jacksons, mithalten? Oder ist diese quasi kleine Fassung, schlichtweg langweilig, wie meine Frau meint? Dem ich dann ein eigentlich gemeintes lächerlich entnehme …

Das ist nicht so einfach zu beantworten, und vor allem sehr individuell. Natürlich ist in Ralph Bakshis Version alles ein klein wenig einfacher gehalten, etwas unüberwältigender, etwas … altmodischer. Nicht die Szenen kämpfender oder rennender Orks, oder die Schlacht von Helms Klamm, diese Szenen wirken durch das erwähnte Rotoskopie-Verfahren wie aus einer anderen Welt. Diese Eindrücke sind ungemein düster und wirken in ihrer Stimmung oft brutal. Allerdings, und das muss klar gesagt werden, hier und da auch geradezu lachhaft: Die Kamera schwenkt langsam über eine absolut unbewegliche Masse von Orks, und das einzige was sich bewegt sind irgendwelche Faschingsvampirgebisse oder Speere, die hoch und runter rutschen. Was schnell mal zum Kichern oder, ja nach Temperament, zum Kopfschütteln führt.

Nein, die anderen Szenen sind es, die altmodisch wirken. Das Auenland, der Abend in der Schankstube in Bree, die Bilder von Bruchtal – da ist ganz deutlich zu erkennen, dass hier eben kein Mega-Konzern wie Disney dahinter steht, sondern “nur“ Bakshi Productions und Saul Zaentz, die zwar schon einiges an Geld in die Produktion gesteckt haben, aber die großen Animationskünstler saßen zu der Zeit halt einfach bei Disney. BERNHARD UND BIANCA war im Jahr zuvor einer der erfolgreichsten Filme des Jahres, und die Unterschiede zwischen den Gesichtern oder den Dekors sind halt einfach deutlich zu sehen. Was heute, im Zeitalter des hirn- und substanzlosen Blockbusters und den mittlerweile üblichen Sehgewohnheiten umso mehr auffällt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Ralph Bakshi aus dem filmischen Underground kam, und mit Werken wie FRITZ THE CAT eine ganz andere Klientel bediente als die Mitbewerber aus dem Mainstream. Das galt damals, und das gilt heute.

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Man muss, vor allem als Fan älterer Filme, einfach etwas Nachsicht mitbringen, um den HERRN DER RINGE goutieren zu können. Trotzdem drängt sich der Vergleich mit den Jackson-Filmen ganz von selbst auf. Man sitzt da, schaut sich den Film an, und denkt immer wieder daran, wie Jackson diese oder jene Szene umgesetzt hat. Wie der Kampf an der Furt hier aussieht, und wie er dort wirkt. Wie der Nazgul im gezeichneten Auenland die Hobbits wittert, und wie er dies im Stadtpark von Wellington tut. Und spätestens an der Stelle fällt auch auf, wie viel eigene Ideen Peter Jackson in den Film eingebracht hat. In Bruchtal gibt es diesen ganz kurzen Moment, wenn Bilbo den Ring mal wieder sehen möchte, und Frodo sich der Bitte verweigert. Jeder, der den Jackson-Film gesehen hat, weiß welche Stelle ich meine: Aus Bilbo wird für den Bruchteil einer Sekunde ein dämonisches Wesen, ein Untier aus der tiefsten Hölle Mordors. Und bei Bakshi, der ja im Zeichentrick ganz andere Mittel zur Verfügung gehabt hätte? Nichts. Der Moment wird nicht genutzt, und obwohl im Buch eine entsprechende Andeutung gemacht wird, hat nur Jackson seine Phantasie hier spielen lassen und eine immens intensive Szene geschaffen, die in Erinnerung bleibt.

Es ist freilich nicht fair, die beiden Filme zu vergleichen, das ist mir schon klar. Bakshi hat versucht die Bände eins, zwei, drei (zu etwa zwei Dritteln) und vier (etwa die Hälfte) in zwei Stunden Film zu pressen, während Peter Jackson gleich mit dem ganz großen Atem dran gegangen ist und dreimal drei Stunden erschaffen hat. Selbstverständlich ist das nicht vergleichbar, aber dummerweise hat man den Jackson halt im Kopf - Der Vergleich kommt von selber, und der Bakshi schaut irgendwie … alt aus.

Letzen Endes war ich eigentlich trotzdem recht angetan vom HERRN DER RINGE. Damals, wie ich ihn im Kino gesehen habe (und später dann auf VHS), war ich fasziniert. Begeistert davon, Mittelerde umgesetzt zu sehen. Den Balrog im Kampf mit Gandalf, die Reiter Rohans, und Gwaihir, den Herrn der Adler. So schön …!! Heute, mit Peter Jackson im Kopf, konnte mich Ralph Bakshi tatsächlich immer noch in eine andere Welt entführen, und das rechne ich ihm ganz hoch an. Aber leider sind mir die Unsauberkeiten (wie zum Beispiel die erwähnten Gebisse der Orks) stark aufgefallen, und so etwas kostet leider ein wenig Sympathiepunkte. Vor allem die erwähnten Rotoskopie-Szenen sind es, die in Erinnerung bleiben, und die den Film letzten Endes ausmachen: Die Schlacht von Rohan, die Schlacht an Helms Klamm (die auch nicht so unendlich ausgewalzt wurde wie bei Peter Jackson), die Orks im Gasthaus Zum tänzelnden Pony. Oder auch die durch Rohan rennenden Orks, mit den Hobbits im Schlepptau. Hier hat Bakshi oft mit zusätzlichen Verfremdungen gearbeitet, was zu einer alptraumhaften Atmosphäre führt. Der Kampf auf der Wetterspitze findet, sobald Frodo erstmal den Ring am Finger hat, komplett in einer Welt außerhalb der unsrigen statt. Es gibt keine realistischen Hintergründe mehr, sondern nur noch Farben und Geräusche. Sinneseindrücke. Etwas, was im Kino der 70er- Jahre noch gut funktioniert hat, was aber heute einfach nicht mehr geht (außer bei Gaspar Noé, aber der filmt eh in einer anderen Liga). Oder kann jemand eine Stelle zum Beispiel in den AVENGERS-Filme nennen, an denen während eines Kampfes der Hintergrund unrealistisch wird? Eben …

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Mir hat es gefallen, aber ich habe auch einen Hang zu alt(modisch)en Filmen. Und da Film für mich sehr viel mit Eskapismus zu tun hat, dürfte dies ein weiterer Aspekt sein, warum ich DER HERR DER RINGE in meinem Leben sicher noch einmal sehen werde. Aber eine generelle Empfehlung kann ich einfach nicht aussprechen, zu individuell scheinen mir hier der persönliche Geschmack und die Erinnerungen, die ich mit diesem Film verbinde. Aber trotzdem: Gerade für Filmfans eine interessante Erfahrung, dieser Vorher/Nachher-Vergleich …

6/10

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