ZEUGE GESUCHT - Robert Siodmak

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Percy Lister
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ZEUGE GESUCHT - Robert Siodmak

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"Zeuge gesucht" (Phantom Lady) (USA 1944)
mit: Ella Raines, Franchot Tone, Alan Curtis, Thomas Gomez, Fay Helm, Elisha Cook jr., Andrew Tombes, Aurora Miranda, Doris Lloyd, Victoria Horne, Regis Toomey, Virginia Brissac, Mildred Boyd, Harry Cording, Kay Harding u.a. | Drehbuch: Bernard C. Schoenfeld nach einem Roman von Cornell Woolrich | Regie: Robert Siodmak

Nach einem Streit mit seiner Frau verlässt der Ingenieur Scott Henderson die Wohnung, um eine Revue zu besuchen. Er ist in Gesellschaft einer Frau, die einen auffallenden Hut trägt und an diesem Abend ihren Kummer vergessen will. Als er nach der Vorstellung nach Hause kommt, erwartet ihn die Polizei: seine Ehefrau ist mit einer Krawatte erwürgt worden und man hält ihn für den Mörder. Da er weder den Namen, noch die Adresse seines Alibis kennt, kann er nicht beweisen, dass er unterwegs war und wird verurteilt, weil die wenigen Zeugen, die ihn sahen, leugnen, dass er in Begleitung war. Während er auf seine Hinrichtung wartet, setzt seine Privatsekretärin alle Hebel in Bewegung, um jene unbekannte Frau zu finden....

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Als der deutsche Regisseur Robert Siodmak in den Vereinigten Staaten von Amerika Fuß fasste, inszenierte er anfangs nur B-Pictures. Unverkennbar sind die Erfahrungen, die er aus Europa mitbrachte und deren markante Stilmittel er wie so viele seiner emigrierten Kollegen in seine Filme einfließen ließ. Mit seinen ersten Arbeiten für amerikanische Auftraggeber war er nicht sehr zufrieden, was sich jedoch mit seiner düsteren Phantom Lady änderte. Ungewöhnlich für einen Vertreter des Noir-Genres steht diesmal nicht ein männlicher Held im Mittelpunkt der Handlung, sondern eine patente junge Frau, die von der Sorge um ihren Vorgesetzten getrieben wird und sich an finstere New Yorker Schauplätze begibt, um die essentiell wichtige Entlastungszeugin zu finden. Sie erhält dabei dezente Unterstützung von dem Kriminalinspektor, der ebenfalls an die Unschuld des Verurteilten glaubt, offiziell aber nichts mehr für den Verdächtigen tun kann. Ella Raines ist die Leuchtfigur zwischen den düsteren, desillusionierten Männern, die insgesamt recht schlecht wegkommen. Sie lassen sich entweder kaufen, haben sich nicht unter Kontrolle oder stellen sich als wahnsinnig heraus. Die Tatsache, dass Joan Harrison - eine langjährige und verlässliche Mitarbeiterin des Briten Alfred Hitchcock - eine der wenigen Frauen ist, die damals als unabhängige Produzentin fungierten, unterstreicht einmal mehr den Aspekt, dass die Rolle der Frau in "Phantom Lady" zumindest vom klassischen Schema abweicht. Neben der aktiven Carol gibt es wenige weitere Frauen: das Mordopfer wird (wegen des immer noch gültigen Hays-Codes) nicht gezeigt, was die ersten Filmminuten einer dramatischen Nuance beraubt. Die Tote blickt auf einem schmeichelnden Gemälde von der Wand herab, was zur damaligen Zeit ein beliebter Kunstgriff war, um eine unnahbare Aura zu konstruieren und einen Menschen zu überhöhen. Die gesuchte Zeugin ist eine seelisch kranke Frau, deren Verlobter kurz vor der Hochzeit verstarb; die südamerikanische Künstlerin ist zwar temperamentvoll, aber auch eitel und uneinsichtig; während die Hutmacherin ihre fleißige Mitarbeiterin unfreundlich und vorwurfsvoll behandelt. So sehr der Film sich auf die Jagd nach dem vermeintlichen Phantom konzentriert, so unmerklich schleicht sich die Motivation des wahren Schuldigen in die Geschichte.

Ein Täter, der sich heroisierende Monumentalplastiken der faschistischen Kunst ins Wohnzimmer stellt und offensichtlich an der fixen Idee leidet, nicht gegen seinen Zwang zum Töten ankämpfen zu können, sondern sich damit rechtfertigt, disharmonische Persönlichkeiten zu eliminieren, weil sie seine Auffassung einer strukturierten Ordnung stören, reklamiert seine unabdingbare Daseinsberechtigung mit "Was ist irgendein Leben im Vergleich zu meinem?" Ein unberechenbarer, geistig abnormer Täter, der rationalen Überlegungen folgt und sich dabei von einer Ideologie leiten lässt, die Querverbindungen zu jenen Brandstiftern zieht, vor denen Regisseur Siodmak zunächst nach Frankreich und später in die USA geflohen ist. Franchot Tone, der optisch an den Demagogen Goebbels erinnert, zeigt einen eleganten Asketen, dessen distanziertes Auftreten ihn trotz seiner Freundschaft zum Angeklagten geheimnisvoll erscheinen und anteilnehmende Emotionen vermissen lässt. Sein lauerndes Spiel und die damit verbundene Gefahr für die Heldin würzen die zweite Hälfte des Films mit spannenden Elementen und sorgen für einige Höhepunkte, die unterstreichen, dass die Gewalt ihr hässliches Gesicht auch in den höchsten gesellschaftlichen Sphären zeigen kann. Die Milieustudie des Großstadtmolochs, der seine Unschuldigen zu verschlingen droht, wird von Siodmak facettenreich inszeniert. Die Beharrlichkeit, mit der Ella Raines in ihrer Suche nach der Kronzeugin vorgeht, lässt sie gefährlich nahe an der Klippe balancieren, die ihre eigene Unversehrtheit zerstören könnte und zeigt damit auf, wie schwer es ist, Verantwortung für einen Menschen zu übernehmen und sich nicht der Meinung der Mehrheit anzuschließen. Die stärkere Fokussierung auf den Täter in der zweiten Filmhälfte vertieft das Spiel mit hohem Einsatz und kehrt die guten darstellerischen Leistungen von Raines und Tone heraus, während sich Curtis in der undankbaren Rolle des Durchschnittsbürgers wiederfindet, der den Kampf gegen unüberwindbare Widerstände längst aufgegeben hat und die Schlussworte nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern via Diktaphon mitteilt. Der Reiz dieses ambitionierten Filmprojekts, das sowohl Joan Harrison, als auch dem deutschen Regisseur Robert Siodmak am Herzen lag, liegt in vielen Details und der faszinierenden Konstellation mit zwei Hauptdarstellern, zu denen der male love interest eben nicht dazugehört.

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