DAS LETZTE WOCHENENDE - René Clair

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Percy Lister
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DAS LETZTE WOCHENENDE - René Clair

Beitrag von Percy Lister »

"Das letzte Wochenende" (And then there were none) (USA 1945)
mit: Barry Fitzgerald, Walter Houston, June Duprez, Louis Hayward, Roland Young, Judith Anderson, C. Aubrey Smith, Richard Haydn, Queenie Leonard, Mischa Auer, Harry Thurston | Drehbuch: Dudley Nichols nach dem Kriminalroman "Und dann gab's keines mehr" von Agatha Christie | Regie: René Clair

Mit einem Fischerboot werden acht Personen auf die sogenannte Negerinsel, ein Eiland vor der Küste der englischen Grafschaft Devon, gebracht. Die zwei Frauen und sechs Männer folgen der Einladung eines gewissen U. N. Owen, haben den Mann zuvor jedoch noch nie gesehen, sondern wurden durch gemeinsame Freunde oder eine Agentur zu dem verlängerten Wochenende auf sein Landhaus gebeten. Bald stellt sich heraus, dass der Eigentümer selbst gar nicht anwesend ist und die Gruppe zu einem ganz bestimmten Zweck auf die Insel bestellt wurde: Jeder der Gäste hat in der Vergangenheit den Tod eines oder mehrerer Menschen verschuldet und soll nun zur Rechenschaft gezogen werden. Kurz darauf ist ein Mann tot und weitere werden folgen....

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Sechs Jahre nachdem ein englischer Buchverlag den Roman von Mrs. Christie zum ersten Mal herausbrachte, inszenierte der französische Filmregisseur René Clair eine atmosphärische Interpretation des makabren Selbstjustiz-Plots, der noch diverse weitere Umsetzungen erfahren sollte. Kontroverse Diskussionen um die Charaktere und ihr finales Schicksal verdrängen mittlerweile die Frage nach der Güte der Filmproduktion, die im jeweiligen zeitlichen Kontext eingebettet und den Zensurvorschriften verhaftet ist, was dem Ausgang der Geschichte je nach persönlichem Geschmack zum Vor- oder Nachteil gereichen kann. Zwei Jahre vor der Erstverfilmung des Stoffes, fand "Und dann gab's keines mehr" seine Uraufführung auf der Bühne. Das Medium Film ist angehalten, über die engen Grenzen der Theaterkulissen hinauszudenken und dem Geschehen durch den Einsatz der Schauplätze, einer stimmigen Ton- und Musikuntermalung sowie zündender Effekte den nötigen Esprit zu verleihen, um die Handlung lebendig werden zu lassen. Die Schlüsselfigur in Agatha Christies Romanen - das Opfer - wird oft am wenigsten beachtet und präsentiert sich sehr zur Freude des Publikums in "Das letzte Wochenende" in geradezu verschwenderischer Weise. Leichen sind inflationär in diesem Schauerstück, das sich auf begrenztem Boden abspielt und von Mord zu Mord eilt, ohne die originellen Begleitumstände gebührend auszukosten. Vor allem die ersten Todesfälle werden rasch abgehandelt, weil es sich um diejenigen aus dem Kreis der Geladenen handelt, die am leichtesten entbehrlich sind, stellen sich doch keine übermäßig intellektuellen oder charismatischen Persönlichkeiten dar.

Das Ensemble setzt sich aus Schauspielveteranen aus "good old England" zusammen wie beispielsweise C. Aubrey Smith, aber auch aus jungen hoffnungsvollen Darstellern wie June Duprez und Louis Hayward, deren solides Spiel auf die Sympathie des Publikums zielt, das mit ihrem Jahrgang mehr Solidarität zeigt als mit den älteren Kalibern, vor allem, wenn sie starrköpfig und teilweise in seniler Selbstüberschätzung auf den Plan treten wie Walter Houston und Richard Haydn, deren Charaktere in entscheidenden Momenten überzeichnet wirken und der durchaus vorhandenen Gruselatmosphäre damit einen Teil ihres Potenzials rauben. Die Rücksichtnahme auf die Vorgaben der Filmprüfstelle, wird von humorigen Momenten begleitet, die einige Figuren jedoch für diesen zweifelhaften Zweck opfern, was man deutlich am Beispiel des Butlers Rogers und stellenweise auch am Arzt Dr. Armstrong sieht. Der Fehler, Agatha Christies Romane für ein Familienpublikum freizugeben, kann mehrfach in den filmischen Umsetzungen ihrer Kriminalstoffe beobachtet werden und korrigiert ihre ungerührten, oft grausam ausgeführten Morde im Grad ihrer Explizitheit nach unten, was viele Filme zur harmlosen Unterhaltung verkommen lässt. Gerade im Fall des nach einem Kinderreim mordenden geheimnisvollen Täters betrachtet das Ensemble den Verlauf als sportliche Herausforderung ohne große Tragödie. Dabei kündet die Bildsprache von René Clair von einer anderen Wirklichkeit; der Tatsache, dass zehn Menschen ungeschützt einem selbsternannten Rächer ausgeliefert sind, der sie gegeneinander ausspielt und sie mental quälen will, indem er ihre Schuldgefühle - ob verdrängt oder gar nicht vorhanden - ans Licht zerrt und zur prämortalen Marter werden lässt.

Die Voraussetzungen einer zermürbenden Wartezeit auf den Tod sind gegeben, auch Möglichkeiten einer Deduktion sind vorhanden, nur liegt es am beabsichtigten Grad einer populären Inszenierung, Spannungsmomente zugunsten auflockernden Humors oder einer Reduzierung der Schauwerte aufzugeben. Im letzten Drittel holt der Film an Tempo auf und konzentriert sich vermehrt auf originelle Facetten wie dem Seetang im Dunkeln, dem Schlüssel zu Veras Zimmer oder den Vorgängen am Strand. Allerdings bedauert man, dass vorhandene Kapazitäten ungenutzt bleiben, wie im Fall von Judith Anderson, die weitaus unheimlicher wirken kann, wie man spätestens seit "Rebecca" (1939) weiß. In der deutschen Synchronfassung verstärkt zudem die unpassende Stimme von Ursula Krieg den schwachen Eindruck. Barry Fitzgerald als Richter Quinncannon kommt an spätere Interpretationen der Figur aufgrund seiner Physiognomie nicht heran, obwohl er durchaus maliziös und schadenfroh wirken kann. Die Kamera freilich leistet gute Arbeit, indem sie wichtige Szenen wie jene im nächtlichen Treppenhaus, am Strand beim Auffinden einer Leiche in den Dünen oder das Finale mit dem Galgen so einfängt, dass der Zuschauer ganz nah am Geschehen ist und den Schrecken auf dem gleichen Niveau betrachten kann wie die Protagonisten im Film. In diesen visuellen Inszenierungen zeigt die Produktion ihre Stärken, wobei der heutige Zuschauer, der mehr als eine Variante des Plots kennt, berücksichtigen sollte, dass es sich hier um die erste Verfilmung handelt, die zudem darauf bedacht ist, jeden Bezug zur Kriegsgegenwart zu meiden und einmal mehr in den USA ein englisches Ambiente nachzustellen versucht, was gar nicht mal so schlecht gelungen ist.

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Prisma
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Re: DAS LETZTE WOCHENENDE - René Clair

Beitrag von Prisma »



Diese Version von 1945 kenne ich schon seit Kindesalter und habe sie als erste von einigen anderen Verfilmungen des Stoffs gesehen und fand den Film und vor allem die raffinierte Vorlage damals gleich sehr gut. Meine Lieblingsversion stellt allerdings "Ein Unbekannter rechnet ab" dar, den ich wesentlich später zu Gesicht bekam. Aber die beiden Versionen sind außer der Story auch schlecht miteinander zu vergleichen, vor allem örtlich und zeitlich gesehen.

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