BERLIN EXPRESS - Jacques Tourneur

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Percy Lister
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BERLIN EXPRESS - Jacques Tourneur

Beitrag von Percy Lister »

"Berlin Express" (USA 1948)
mit: Merle Oberon, Robert Ryan, Paul Lukas, Charles Korvin, Roman Toporow, Robert Coote, Reinhold Schünzel, Peter von Zerneck, Otto Waldis, Fritz Kortner, Michael Harvey, Richard Powers, Charles McGraw, Marle Hayden u.a. | Drehbuch: Harold Medford nach einer Story von Carl Siodmak | Regie: Jacques Tourneur

Der deutsche Friedensaktivist Dr. Heinrich Bernhardt und seine französische Sekretärin Lucienne Mirabeau werden in Berlin erwartet, wo eine Konferenz zum Thema der Wiedervereinigung Deutschlands stattfindet. Um zu vermeiden, dass der Wissenschaftler dort abstimmt, verübt eine demokratiefeindliche Gruppe einen Anschlag auf das Eisenbahnabteil, das Dr. Bernhardt im "Berlin Express" belegt. Ein anderer Mann stirbt statt seiner, doch beim Zwischenhalt in Frankfurt am Main, gelingt es den Gangstern, den Wissenschaftler zu entführen. Lucienne und einige Männer aus dem Zug verfolgen seine Spur, die sie durch ausgebombte Häuser und illegale Nachtlokale führt....

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"Berlin Express" von RKO Pictures erlebte seine deutsche Erstaufführung im Jahr 1954. Wie so oft, wurde der Hintergrund der Handlung in der Synchronfassung geändert und die politische Aussage zu einem Schmugglerdrama umgearbeitet. Mittlerweile liegt der erste amerikanische Spielfilm, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedreht wurde, dank einer neuen Synchronisation wieder in der richtigen Dialogfassung vor. Seine Premiere erlebte der Film am 1. Mai 1948 in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Dreharbeiten hatten von Winter 1946 bis Herbst 1947 angedauert. Deutschland, das damals in vier Besatzungszonen unterteilt war, präsentiert die Weltkriegstrümmer der Großstädte Frankfurt am Main und Berlin, wo die Kamera von Lucien Ballard u.a. den nicht bombardierten Hauptsitz der I. G. Farben und die Reichskanzlei einfängt. Die Eisenbahnfahrt führt die Reisenden unterschiedlicher Nationalität vom Ostbahnhof in Paris, über Frankfurt am Main bis nach Berlin Wannsee. Für die Lokomotiven wurden französische Maschinen verwendet. Der Charme der Dampfloks und der schlichten, aber doch eleganten Garnituren verknüpft sich mit den stimmigen Schwarzweißaufnahmen zu einer Film Noir-Atmosphäre, von welcher der Thriller vor allem in klassischen Szenen profitiert.

Der Film nimmt sich die Zeit, die Figuren knapp, aber präzise einzuführen und bemüht sich dabei, vorurteilsfrei zu kommentieren, ohne auf nationale Eigenheiten und ihren durch die jüngste Vergangenheit entstandenen Leumund verzichten zu müssen. Die Grundaussage, gemeinsam gegen die Feinde der Freiheit und einer demokratischen Gesellschaftsordnung auftreten zu müssen, wird als lohnenswertes Projekt skizziert, das seine Vollendung durch das Bemühen aller finden kann, wenn der Weg dahin auch lang und beschwerlich sein wird. Freilich betrachtet die amerikanische Produktionsfirma die Lage in Nachkriegseuropa distanzierter als dies bei einer Filmgesellschaft vom Kontinent der Fall gewesen wäre. Trotz des Einsatzes der Darsteller für ihre Figuren, bleibt die Beobachterposition sichtbar, was ihr Agieren zwischen den Trümmern ebenso nüchtern und abgeklärt wirken lässt, als streiften sie durch die finsteren Großstadtstraßen von New York oder Chicago. Reinhold Schünzel, dem deutschen Emigranten, gelingt es in einem seltenen Moment, an das Leid zu erinnern, das nach dem Schweigen der Waffen weiterhin präsent ist und die Menschen noch lange traumatisieren wird, auch, wenn die Verdrängung bereits begonnen hat. Der Friedhof als neue ständige Wohnadresse setzte einen Schlussstrich unter so manches Leben.

Merle Oberon und Robert Ryan führen die kleine Gruppe überzeugend an und stehen für die Repräsentanten einer freien, gerechten Welt, deren wohlmeinende Gesinnung von niemandem angezweifelt wird. Charles Korvin, Roman Toporow und Robert Coote werden hingegen immer wieder mit nationalen Alleingängen, Eigennützigkeit und Unberechenbarkeit in Verbindung gebracht, weil sie Länder repräsentieren, denen man trotz ihrer Zugehörigkeit zu den Siegermächten nicht gänzlich vertraut. Das Ensemble fügt sich im Laufe der Handlung zu einer mehrstimmigen Allianz zusammen und entwirft damit das Modell einer Staatenunion, die durch gemeinsame Werte und Ziele erfolgreich sein kann. Paul Lukas stattet den Wissenschaftler mit Tugenden aus, die für die Traditionen des alten Kontinents stehen und gleichzeitig die Bürde der Vergangenheit zum Anlass nehmen, nach neuen Lösungen zu suchen. Formidabel ausgeleuchtet und fotografiert, präsentiert sich "Berlin Express" als spannende und zeitgeschichtlich wertvolle Momentaufnahme einer Umbruchphase. Der Thriller profitiert von den Schauplätzen ebenso wie von der Eigendynamik, die sich zwangsläufig daraus entwickelt. Ein atmosphärisch und stilistisch sicherer Ausflug in die Blütezeit der "Schwarzen Serie".

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