DUNKLE TRIEBE - Philippe Grandrieux

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Maulwurf
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DUNKLE TRIEBE - Philippe Grandrieux

Beitrag von Maulwurf »

Dunkle Triebe
Sombre
Frankreich 1998
Regie: Philippe Grandrieux
Marc Barbé, Elina Löwensohn, Géraldine Voillat, Coralie, Maxime Mazzolini, Alexandra Noël, Annick Lemonnier, Tony Baillargeat


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OFDB

Alone in a darkened room …

Ein Mann fährt durch Frankreich. Er ermordet Frauen, weil dies für ihn der einzige Weg ist, Nähe zu spüren. Wahrscheinlich auch, sich selbst zu spüren. Das einzige Mal, dass ein Liebesakt nicht zum Tod der Frau führt, endet mit seiner Flucht in die Nacht. Der Mann, Jean, nimmt irgendwann die beiden Schwestern Claire und Christine im Auto mit. Warum? Warum nicht. Christine sucht das Abenteuer, will ihren Hunger nach Aufregung und ihren Trieb ausleben. Durch das Land fahren, frei sein, Unfug treiben. THELMA & LOUISE, und so. Claire hingegen fühlt sich zu Jean tatsächlich hingezogen. Sie erkennt in ihm eine Art Seelenverwandten, auch und gerade nachdem sie gemerkt hat dass Jean Frauen ermordet. Dass er damit seine ganz private Einsamkeit versucht zu füllen. Aber Mensch, die so einsam sind wie Jean und Claire, die können diese Einsamkeit auch nicht mal eben so überwinden.

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1994 erschien der Roman Ausweitung der Kampfzone von Michel Houellebecq, und auch wenn dieser Roman 1999 auch unter diesem Titel verfilmt wurde, die meines Erachtens vom Roman tatsächlich inspirierte Verfilmung, die den Geist des Romans auch trifft, ist SOMBRE. Ein Mann, fast namenlos und fast ohne Eigenschaften, und somit ein alltäglicher Mann, mordet, um die Leere in seinem Inneren zu füllen. Um das Leben erträglicher zu machen. Um sich zu spüren.

Wer wissen will, wie sich Leere anfühlt, der sollte SOMBRE seine Aufmerksamkeit schenken. Durch assoziative Bilder, durch Kameratechniken, die ich eher in der Malerei verortet hätte, durch wackelige Handkamera und übergroße Nähe zu seinen Schauspielern schafft Regisseur Grandrieux das Kunststück, seelische Leere für den Zuschauer sichtbar zu machen. Erfahrbar. Wir, das heißt die Kamera, sitzen mit Jean im Auto und fahren über monotone Autobahnen. Durch öde Landschaften. Das, was seitlich an uns vorbeihuscht, verwischt mit zunehmendem Tempo, und wird zu einem Hintergrundrauschen der Aufmerksamkeit. Zu einer visuellen und rezeptiven Begleitmusik des Augenblicks. Nichts ist mehr wichtig. Leben und Gefühle, so beides überhaupt noch existiert, werden in einem Reigen aus Alkohol und Tod dahingewischt. Die Fortführung eines, sagen wir, ASPHALTRENNEN in den materialistischen 90ern. Eine Vakuumisierung des Lebens. Das, was RP Kahl in seinem unsagbaren A THOUGHT OF ECSTASY nicht einmal ansatzweise ausdrücken konnte, und darum versuchte mit provokativen Sexszenen die vorhandene Bedeutungslosigkeit zu übertünchen, das schafft Grandrieux hier mit ganz einfachen technischen Mitteln: Die Farben Grau und Schwarz als grundsätzliche Bestandteile des Lebens zu manifestieren. Gefühle sichtbar zu machen, die die allermeisten Menschen tief in ihrem Inneren begraben. Dem Wort Leere Bilder zuzuordnen.

SOMBRE ist definitiv kein Film für einen gemütlichen Sonntagnachmittag mit der Liebsten, und er ist auch entschieden etwas zu lang geraten. Aber die Gefühlswelt, die hier auf den Zuschauer einstürzt, sowie das Vergnügen, die großartige Elina Löwensohn bei einer Reise in ihr tiefstes Inneres zu begleiten, diese Dinge machen SOMBRE zu einem kleinen Juwel des ultra-depressiven Arthouse-Kinos. Und so ganz nebenbei übertrifft der Einsatz von Bauhaus‘ Bela Lugosi’s dead den in Tony Scotts BEGIERDE ganz locker …

6/10

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