EARTHQUAKE - FLAMMENDES INFERNO IN TOKIO - Kenjiro Omori

Klirrende Klingen, fliegende Krieger und harte Handkantenkracher.
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DJANGOdzilla
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EARTHQUAKE - FLAMMENDES INFERNO IN TOKIO - Kenjiro Omori

Beitrag von DJANGOdzilla »

EARTHQUAKE - FLAMMENDES INFERNO IN TOKIO

(JISHIN RETTÔ)
(JAP)
(1980)

Bild

Regie: Kenjiro Omori
Darsteller: Hiroshi Katsuno, Toshiyuki Nagashima, Yumi Takigawa, Kayo Matsuo, Shuji Otaki, Eiji Okada, Shin Saburi, Norihei Miki, Tsutomu Yamazaki, Ted Fisher, Francis Smith, William Willms


Inhalt:

Der junge Seismologe Yoichi Kawazu [Hiroshi Katsuno] ist überzeugt davon, dass in Bälde ein verheerendes Erdbeben über Tokio hereinbrechen wird. Seine Vorgesetzten allerdings schenken ihm keinen Glauben und stempeln ihn als Schwarzmaler ab. Das Dumme daran: Yoichi hatte Recht. Als die Erde tatsächlich zu beben beginnt, trifft es Land und Leute wie aus dem Nichts. In einem Meer aus Flammen, Schutt und Asche versucht die verzweifelte Bevölkerung, ihr Leben zu retten.

Kritik:

Zack! So einfach können Inhaltsangaben sein, wenn man es mit der Kategorie Katastrophenfilm zu tun hat. In wohl keinem anderen Genre sind inhaltliche Innovationen so selten wie beim gemeinen Weltuntergangskino. Der unbestreitbare Vorteil für die Autoren- und Produzentenschaft: In der Regel erwartet der Kinogänger auch gar nichts Anderes als die altbekannten Zutaten. Hauptantrieb dafür, sich ein Ticket zu lösen, ist nicht etwa der Wunsch nach gewitzter Narration und überraschenden Konzepten, sondern die Lust an Zerstörung und Nervenkitzel, die durch ein Trommelfeuer an Spezialeffekten befriedigt werden möchte. Aufgrund des tricktechnischen Aufwands, der hierfür von Nöten ist, kam die Mehrzahl der Beiträge stets aus dem finanziell gut situierten Hollywood, das bereits in den 1970er Jahren alle möglichen Apokalypse-Szenarien durchexerziert hatte. Als das japanische Studio Toho sich dazu entschloss, die Erde ebenfalls mal so richtig durchzurütteln, war es damit vergleichsweise spät dran - das bis dahin ultimative Erschütterungs-Epos ERDBEBEN war zu diesem Zeitpunkt immerhin schon satte 6 Jahre alt. Aber das Publikumsinteresse am großen Untergang wurde wohl nach wie vor als hoch genug eingeschätzt, um damit die Kassen klingeln zu lassen, weswegen man Kaneto Shindô [→ ONIBABA] damit beauftragte, ein entsprechendes Skript zu verfassen.

Dass man für das Projekt einen für in erster Linie anspruchsvolle Werke bekannten Schreiber unter Vertrag nahm, mag von guten Absichten geprägt gewesen sein, letzten Endes jedoch warf man hier Perlen vor die Säue: Shindô orientierte sich fast schlafwandlerisch an den bekannten westlichen Vorbildern und lieferte eine durch und durch fantasielose Erzählung ab, die jeder Aushilfs-Autor ebenso gut hätte zu Papier bringen können (wobei natürlich zu vermuten ist, dass auch gar keine offenkundige Originalität verlangt gewesen war). Einmal mehr gibt es hier somit den gewissenhaften Mahner, der als Einziger das dräuende Desaster erkennt, aber fatalerweise von allen ignoriert wird. Wieder einmal liegen sich am Reißbrett entworfene Figuren aus verschiedensten Gründen miteinander in den Haaren, bevor die Katastrophe sich Bahn bricht und die Verhältnisse völlig neu ordnet. Und dass der zuvor so schmählich diskreditierte Unheilverkünder am Ende zum großen Helden aufsteigt und Tag, Land und Leute rettet, wird nun auch niemanden vor Überraschung vom Stuhl katapultieren. Warum dem jungen Seismologen Yoichi Kawazu, dem diese Rolle hier zukommt, zu Beginn nicht mal ein Mü an Glauben geschenkt wird, kann das Drehbuch indes nicht so wirklich plausibel erklären. Die empörte Ablehnung, die seiner Theorie entgegengebracht wird, wirkt jedenfalls arg übertrieben, was im gesteigerten Maße auch für die weiteren Folgen gilt: Kawazu wird für seine Hypothese auf die Straße gesetzt (obwohl sie ja völlig legitim ist und es zudem sein Job ist, Einschätzungen abzugeben), sein Eheglück gerät ins Wanken, sein Institut wird geschlossen.

An dieser Stelle wird einem schlagartig wieder bewusst, dass man es mit einer japanischen Produktion zu tun hat, die eine Gesellschaft abbildet, in welcher der Gesichtsverlust ein Unglück darstellt, das einem Beben durchaus gleichkommt. Kawazu hat durch seine als Quatsch abgetane Behauptung nicht nur sich selbst entehrt, sondern im selben Atemzug auch seine Familie und seinen ganzen Berufszweig. Hier liegt dann auch der gravierende Unterschied zu den Genre-Kollegen aus den USA, bei denen solche Momente vermutlich zu Unverständnis führen würden. Dennoch verzichtete man auf eine simple Einteilung in Gut und Böse: Kawazus Kollegen und die politischen Instanzen ignorieren seine Warnungen nicht aus unlauteren Motiven, sondern aus persönlicher Überzeugung (wobei die Motive, wie bereits erwähnt, insgesamt doch schwammig bleiben); seine Familie wendet sich nicht aus Bosheit von ihm ab, sondern aufgrund gesellschaftlicher Normen (hier darf man durchaus zarte Kritik an konservativer Borniertheit attestieren). Selbst Kawazus Nebenbuhler um die Gunst einer attraktiven Instituts-Mitarbeiterin, der Reporter Masayuki Hashizume (in der deutschen Fasung: Sato Katzumi), ist nicht negativ gezeichnet, sondern im Gegenteil der einzige, der Kawazus Worten Glauben schenkt. An diese von Toshiyuki Nagashima [→ GODZILLA AGAINST MECHAGODZILLA] einnehmend verkörperte Figur (die in einem amerikanischen Pendant gewiss als Bösewicht fungiert hätte) gehen später, nach Hereinbrechen der Katastrophe, dann auch ein paar unerwartet intensive Momente, als er mit der Frau, in die er heimlich verliebt ist, gemeinsam ums Überleben kämpfen muss und sie ihn, aufgrund der traumatischen Ereignisse im fortwährenden Schockzustand, stets nur mit „Yoishi“, dem Namen seines Opponenten, anspricht und er schmerzlich begreift, dass es für ihn niemals die Chance einer gemeinsamen Zukunft geben wird.

In solchen Augenblicken gelingt es EARTHQUAKE (der deutsche Verleih nutzte zur Vermarktung frecherweise den originalen Titel des amerikanischen Vorbilds ERDBEBEN) tatsächlich, kurzzeitig Publikums-Emotionen zu wecken, die über simple Schaulust hinausgehen. In hauptsächlicher Erinnerung bleiben nichtsdestotrotz natürlich primär die Momente ausufernder Materialschlachten. Denn vor allem diesbezüglich kann die von Kenjirô Ohmori [→ GODZILLA – DER URGIGANT] inszenierte Endzeit-Vision tüchtig auftrumpfen. Wahnsinnig überraschend ist das nicht, denn wie man Großstädte effektiv pulverisiert, übte das Toho-Studio bereits mit bis dahin 16 GODZILLA-Präsentationen. Doch während beim atomaren Super-Monster (das sich zu jenem Zeitpunkt übrigens gerade in gut 10jähriger Produktionspause befand) in der Regel naive Unbekümmertheit im Vordergrund stand (das düstere Debüt freilich ausgenommen), ging man hier auffallend anders an die Sache heran. Die Mittel der technischen Umsetzung mögen die gleichen sein, deren Wirkung jedoch ist grundlegend verschieden. Die Effekt-Spezialisten entfachten hier eine alles plattwalzende, mit sichtbarem Tod und Leid gespickte Destruktionsorgie, in der die Menschen wie die Fliegen sterben – in Flammen aufgehen, zerquetscht werden, in die Tiefe stürzen. Sind die dafür verwendeten Modell-Bauten auch nach wie vor als solche erkennbar, so mindert das in keiner Weise die ungeheure Schlagkraft, die hier heraufbeschworen wird und Freunde zünftiger Zerstörungsszenarien in einen wahren Freudentaumel versetzt. „Alles, was explodieren kann, fliegt in die Luft“, heißt es dazu an einer Stelle sehr richtig. Wobei man gedanklich hinzufügen möchte: 'Eigentlich sogar noch sehr viel mehr'. Dass man wirklich jede zufällig herumstehende Milchkanne ebenfalls imposant in Flammen aufgehen ließ (ob das nun Sinn ergab oder nicht), ist allerdings eindeutig dem beabsichtigen optischen Spektakel geschuldet und somit postwendend verziehen.

Dem Inferno folgt obligatorisch der Überlebenskampf der zuvor vorgestellten Figuren. Hauptschauplätze sind dabei ein brennendes Hochhaus, in dem Reporter Hashizume und Kawazus Kollegin Tomiko Ashida (in der deutschen Fassung: Mia Oshida) mehrmals ihre heile Haut retten müssen, sowie ein U-Bahn-Tunnel, der, von Wassermassen geflutet, für Kawazu, dessen Frau und noch einige andere Unglückliche zur Todesfalle wird. Eine voranschreitende Handlung im klassischen Sinne existiert ab hier nicht mehr; stattdessen regiert die Dramatik, wenn man sich aus Fahrstuhlschächten in Sicherheit bringen oder gefährliche Tauchgänge absolvieren muss. Unterbrochen werden diese Szenen nur noch von Bildern fassungsloser Politiker, die wie vom Donner gerührt die nicht enden wollenden Schadensberichte entgegen nehmen, in Verzweiflung versinken und sich fragen, warum sie nicht auf die Warnungen des geschassten Wissenschaftlers gehört haben. Oder sich zumindest einen der zahlreichen Hollywood-Katastrophenfilme angesehen haben, dann wäre nämlich ebenfalls klar gewesen, wie der Hase laufen wird. EARTHQUAKE überträgt die Vorbilder zwar behutsam ins asiatische Selbstverständnis, feuert aber im Großen und Ganzen die volle Breitseite an Berechenbarkeit ab. Die Miniatur-Effekte (manche Sets wurden sogar im Maßstab 1:1 errichtet, um maximal authentisch zu wirken) sind dabei großartig und angenehm brachial (brennende Autos segeln von einstürzenden Brücken, landende Flugzeuge werden atomisiert, Wassermassen wälzen sich durch Straßenschluchten), die Dramaturgie passt und die (überwiegend unbekannten) Darsteller liefern gekonnt ab (wobei das hemmungslose Herumwälzen in Schmutz und Schlamm einen Heidenspaß gemacht haben muss).

Angemerkt sei, dass hier die deutsche Kinofassung besprochen wurde, die im Vergleich zur Originalfassung satte 30 Minuten an Handlung vermissen lässt. Funktionieren tut das trotzdem – vielleicht sogar besser. Denn wo ausländische Rezipienten oft zu Protokoll geben, es dauere viel zu lang, bis endlich die Erde bebt, legt die deutsche Version schon nach 30 kurzweiligen Minuten los. Dazu kommt eine Synchronfassung, die dem Ohre durchaus schmeichelt und nach großem Kino klingt (so wird Hauptdarsteller Katsuno von Frank Glaubrecht vertont, den man sonst aus dem Munde von Pierce Brosnan oder Kevin Costner kennt). Da verzeiht man es dann auch, dass sich zumindest ein eindeutiger Übersetzungsfehler eingeschlichen hat, wenn immer und immer wieder vom „Schwimmen“ die Rede ist, obwohl allzu offenkundig „Tauchen“ gemeint war. Und dass nach ausuferndem Unterwasseraufenthalt Feuerzeuge noch funktionstüchtig und handgeschriebene Briefe noch lesbar sind, glaubt man dem Drehbuch jetzt auch einfach mal. Denn EARTHQUAKE - FLAMMENDES INFERNO IN TOKIO (so der herrlich krawallige deutsche Gesamt-Titel) ist durch und durch gelungene Unterhaltung nach bekannten Mustern und für alle Freunde japanischen Trick-Handwerks ohnehin ein Fest.

s. auch: EARTHQUAKE - FLAMMENDES INFERNO IN TOKIO

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