BALDUIN DER SONNTAGSFAHRER - Serge Korber

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Maulwurf
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BALDUIN DER SONNTAGSFAHRER - Serge Korber

Beitrag von Maulwurf »

Balduin, der Sonntagsfahrer
Sur un arbre perché
Frankreich 1971
Regie: Serge Korber
Louis de Funès, Geraldine Chaplin, Olivier de Funès, Alice Sapritch, Paul Préboist, Roland Armontel, Franco Volpi, Hans Meyer, Jean Panisse, Daniel Bellus


Balduin, der Sonntagsfahrer.jpg

OFDB

Henri Roubier baut Autobahnen, das ist sein Geschäft. Dieses Geschäft beherrscht er mit allen sauberen und unsauberen Tricks. Alles was er als Großindustrieller darstellt hat er sich selber erarbeitet - „Aus eigener Kraft alles geschafft“, das ist sein Motto, ja er hat sogar ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht. Das nutzt ihm aber alles nichts, denn im Moment sitzt er in seinem Auto, zusammen mit einem jugendlichen Tramper (Olivier de Funès) und einer jungen Frau (Geraldine Chaplin), und dieses Auto steht auf der Spitze einer Pinie inmitten einer Steilwand über dem Meer.
Durst. Hunger. Wie herunterkommen? Oder sich bemerkbar machen um gerettet zu werden? Und um Himmels Willen nicht zu heftig bewegen, sonst bekommt das Auto Übergewicht oder der Baum reißt aus der Wand.

Ein fauler Sonntag Nachmittag, der geneigte Zuschauer möchte etwas zum Lachen und greift zu einem Louis de Funès-Streifen. Und auch noch ein ihm unbekannter Film, das wird bestimmt eine feine Sause.
Weit gefehlt! Der Zuschauer ist vollkommen irritiert ob der weitgehend fehlenden typischen de Funès-Komik, die Synchro lässt die Mundwinkel ein paar Mal leicht zucken, und ansonsten sind die Personen unsympathisch und die Handlung ist zäh. Was ist hier los?

Sur un abre perché, übersetzt etwa „Fest an einem Baum hängend“ teilt sich in 3 Teile auf: Das erste Drittel stellt die eher unangenehmen Zeitgenossen vor und macht klar, dass hier jedwede Identifikationsfigur fehlt. De Funès gibt den üblichen Stinkstiefel, sein Sohn Olivier spielt einen überheblichen Jungspund und Geraldine Chaplin die flippig-nervende Mme Muller. Nachdem aber Vater de Funès bekanntlich mit einer recht starken Ausstrahlung gesegnet ist bleiben de Funès jr. und Fr. Chaplin sehr blass, und haben keine Möglichkeiten aus ihren sowieso recht beschränkt angelegten Rollen viel herauszuholen.
Im zweiten Drittel hängt das Auto dann auf dem Baum und es werden so ziemlich alle Möglichkeiten durchgespielt die vorstellbar sind. De Funès bescheisst die anderen beiden mit den verfügbaren Nahrungsmitteln, Mme Muller flippt aus und fängt das Tanzen an, und die aufgesetzte Liebesgeschichte zwischen den beiden jungen Leuten ist so überflüssig wie nur was. Immerhin ist kurzzeitig ein wenig Spannung angesagt (beim Rettungsversuch über die Kleiderkette wird unweigerlich der Atem angehalten) und die Bilder der französischen Küste sind wirklich wunderschön geworden. Aber insgesamt gesehen ist dieser zweite Teil eher lässig und sorgt nicht für den Aufbau einer durchgehenden Spannungskurve oder für wachsendes Interesse an den Figuren.
Im letzten Drittel wird dann die Rettung organisiert, und hier fängt der Film tatsächlich an interessant und abwechslungsreich zu werden. Wo andere einen Seitenhieb auf den Klerus und die Presse loslassen, verteilt Korber entsprechende Tritte in die Fresse. Auch sind die Hauptdarsteller mit einem Schlag an den Rand des Geschehens gerückt, stattdessen wird jede Aktion von einem Reporter (Paul Préboist) mehr oder weniger sinnvoll kommentiert, der Fokus liegt komplett auf den Rettern. Zudem ist auch der Mann von Mme Muller vor Ort, der Eisenfresser Colonel Muller (Hans Meyer), der bei der offensichtlichen Untreue seiner Frau auch noch ein Wörtchen mitreden möchte. Szenen wie die Abseilaktion des Priesters oder die pointierten Sabotageakte des Colonels sind schräg und angenehm humorig und machen ordentlich Laune.

Dieses letzte Drittel rettet den Film dann auch vor der Unerträglichkeit beziehungsweise Seichtigkeit. Zumindest, und das ist ganz wichtig, wenn man mit der Erwartung eines „normalen“ de Funès-Streifens an die Sache herangeht. In Frankreich wurden zwischen etwa 1968 und 1975 viele schräge und satirische Filme gedreht, die das typische Verhalten der verschiedenen Gesellschaftsschichten aufs Korn nahmen. Der SONNTAGSFAHRER ist einer davon, bloß wenn man das nicht weiß tut man sich sehr schwer mit dem Film.
Somit dürfte dieser BALDUIN mit der Zweitsichtung um Welten besser werden, da die Erwartungshaltung eine andere ist. Da ich allerdings nun die Erstsichtung hatte bleibt es bei mageren 5 von 10 Flaschenpostsendungen. Vorerst, aber das ist bestimmt noch ausbaufähig.

Fazit: Als (typische) de Funès-Komödie ungenügend, aber als Satire zumindest im letzten Drittel wirklich ordentlich. Update folgt …

Als Trailer habe ich nur den französischen gefunden. Hier wurden die irrwitzigen Szenen geschickt zusammengefügt, dem Leerlauf der ersten zwei Drittel wird dieser Trailer entschieden nicht gerecht.


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