DIE GELIEBTE DES ANDEREN - Léonard Keigel

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Prisma
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DIE GELIEBTE DES ANDEREN - Léonard Keigel

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Romy Schneider   Maurice Ronet   in

DIE GELIEBTE DES ANDEREN


● OUI? / IL CADAVERE DAGLI ARTIGLI D'ACCIAIO / DIE GELIEBTE DES ANDEREN (F|I|1970)
mit Simone Bach, Jaques Duby, Jean-Jacques Bourgeois, Anne-Marie Coffinet, Suzy Hannier und Gabriele Tinti
eine Produktion der Lira Films | Fida Cinematografica | im Constantin Filmverleih
ein Film von Léonard Keigel


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»Wenn man ein Vorbild wie dich hat, dann wird man ordinär!«


Der Ausflug des Paares Claude (Gabriele Tinti) und Marina (Romy Schneider) in die Bretagne endet mit einer Katastrophe. Die Beziehung der beiden steht vor dem Aus und ein erneuter Streit treibt den impulsiven Claude zur Weißglut. Er schlägt seine Freundin, steckt sie in sein Cabriolet und fährt wie ein Wahnsinniger los. Wenig später ist ein lauter Schrei zu hören und das Auto stürzt über eine Klippe ins Meer, Marina konnte sich durch einen Sprung aus dem Fahrzeug in letzter Sekunde retten. Sie informiert die Polizei doch die Ermittlungen bringen kein Licht ins Dunkel, denn es ist keine Leiche zu finden. Wenig später taucht Claudes Bruder Serge (Maurice Ronet) auf, der sich um Marina kümmert und sie bei sich aufnimmt. Er fühlt sich zu der attraktiven Frau hingezogen, doch gleichzeitig misstraut er ihr auch, denn sie verstrickt sich immer wieder in unglaubwürdige Aussagen, beteuert aber auch, dass sie sich verfolgt fühle und Angst habe. Als Serge in ihrer Handtasche dann noch ein Revolvermagazin findet, kommt er nur zu einer Schlussfolgerung. Marina hat seinen Bruder ermordet. Serge entschließt sich, den Unfall zu rekonstruieren und als er im versunkenen Autowrack auch noch einen Revolver findet, scheint sich sein Verdacht zu bestätigen. Tage des Psycho-Terrors vergehen bis Serge von der Polizei vorgeladen wird. Eine unkenntliche Leiche wurde angespült...

Nach eigenen Angaben plante der französische Regisseur Léonard Keigel einen Thriller in Hitchcock-Manier zu inszenieren, was sich ja schon einmal äußerst ambitioniert anhört, aber erst bewahrheiten muss. Der Film kam beim Publikum und bei der Kritik jedoch eher verhalten an und lag mit etwa 500000 Besuchern in Frankreich weit hinter den Erwartungen. Dies lag einerseits ganz ohne jeden Zweifel am fertigen Produkt, andererseits aber bestimmt auch an der Tatsache, dass er unmittelbar auf Claude Sautets Großerfolg "Les choses de la vie" folgte, und sich Romy Schneider mit direkten Vergleichen auseinandersetzen musste. Der France Soir schrieb beispielsweise 1970: »Bleibt für den Film nur zu hoffen, dass die Zuschauer ihren Sinn für Logik zu Hause lassen.« Tatsächlich gibt es einige Ungereimtheiten in diesem französisch-italienischen Spielfilm, dennoch ist er insgesamt sehr spannend ausgefallen und verfügt über viele hervorragende Schauspieler, die ein mysteriöses Element verbreiten. "Die Geliebte des Anderen" präsentiert sich insgesamt undurchsichtig, sowohl für die Beteiligten der Handlung, als auch für den Zuschauer, bis sich das Mosaik schließlich zufriedenstellend zusammengefügt und in ein sehr packend inszeniertes Finale mündet.

»Der große Trumpf dieser Produktion ist Romy Schneider.« verkündete damals L'aurore, und dieser Einschätzung kann man sich uneingeschränkt anschließen, denn sie wertet das ohnehin unterhaltsame Geschehen mit beachtlicher Präsenz und atemberaubender Schönheit auf. Romy Schneider verleiht ihrer Marina ein doppeltes Gesicht und es bleibt bis zum Ende nicht klar abzusehen, wer diese undurchsichtige Frau eigentlich ist, wann ihre Maske fällt. Stimmt es was sie sagt oder hat sie etwas zu verbergen, verfolgt sie nur einen Plan oder ist sie tatsächlich Opfer eines Komplotts? Es werden viele unterschiedliche Facetten von Marina dargestellt. Sie kann zynisch und genauso gemein werden, unempfindlich und gleichgültig erscheinen, aber genau so liebevoll reagieren, abgebrüht und stark, ängstlich und zerbrechlich wirken. Sobald diese Frau einen sichtbaren Angriffspunk offenbart, folgt schnellstens eine Kehrtwendung. Die Kameraeinstellungen konzentrieren sich auf ihr Gesicht, Romy Schneider dokumentiert jede Geste und jedes Gefühl mit Bravour, sie stellt sich mühelos auf jede Anforderung ein. Erstaunlich an dieser Person ist, dass sie zwar erhebliche Zweifel schüren kann, aber den Zuschauer auch stets dazu verleitet, ihr zu in irgend einer Weise zu vertrauen. Die komplette Konstruktion der Geschichte läuft somit ausschließlich über die Hauptdarstellerin. Eine wie immer verlässliche Angelegenheit.

Maurice Ronet und Romy Schneider, die in vier Filmen gemeinsam vor der Kamera standen, bilden ein eingespieltes Team. Serge scheint generell eigentlich wenig über seinen verschwundenen Bruder zu wissen und seine Betroffenheit bleibt zweifelhaft, zumal er auch noch eine Affäre mit Marina beginnt. Seine Skepsis und sein Misstrauen wirken zwar berechtigt, hinterlassen aber einen relativ unmotivierten Eindruck. Doch die Faszination um Marina lässt ihn keinen klaren Gedanken fassen, sie wird zur gefährlichen Versuchung. Maurice Ronet arbeitet dieses permanente Hin und Her selbstsicher heraus. Die Finessen entstehen in den Anlegungen der Rollen, da auch der Zuschauer zwischen Sympathie und Zweifeln abwägen muss. Serge setzt Marina, die vermeintliche Sympathieträgerin, immer massiver unter Druck, stößt dabei allerdings auch auf Verständnis. Als seinen Bruder sieht man Gabriele Tinti in einer kurzen Rolle, die er aber beim Herausarbeiten seiner niederen Charakterzüge prägnant in Szene setzen konnte. Und da wäre noch die oberflächlich, aber sympathisch wirkende Simone Bach, die die Verflossene von Maurice Ronet spielt. Ihr größtes Vergnügen besteht eigentlich darin, Serge zu ärgern und ihm leichte Stiche zu versetzen. Außerdem nimmt sie sich der mysteriösen Geliebten des Anderen an. In dieser Dreiecks-Konstellation entstehen ansatzweise auch die einzigen Passagen, die mit Humor angereichert wurden.

Insgesamt hat die Regie es schon geschafft, sich eingehend mit dem "Qui?" auseinanderzusetzen, dabei entstanden ist jedoch bestimmt kein Meilenstein des Genre-Kinos. "Die Geliebte des Anderen" verlässt sich ungünstigerweise viel zu häufig auf eine Art Zufalls-Prinzip und viele dieser Zufälle sind einfach nicht besonders wahrscheinlich, geschweige denn logisch. Daher wirkt die zugegebenermaßen recht spannende Handlung streckenweise viel zu konstruiert und diese Kritik muss sich ein angeblicher Hitchcock-Anwärter schon gefallen lassen. Handwerklich gesehen ist der Film sehr gut gelungen, und der hauptsächlich einstimmigen Meinung, dass Romy Schneider hier die optimale Lösung vieler Probleme darstellt, ist zuzustimmen. Besonders hochwertig sind zum Beispiel die hervorragend gefilmten Verfolgungsszenen, als Kontrast zu langsamer geratenen Passagen steht ansehnliche Action. Auch das Geheimnisvolle wurde berücksichtigt und schön in Szene gesetzt. Plötzlich auftauchende Schatten, die genau so schnell wieder verschwinden, oder ein Auge, das durch Marinas Schlüsselloch sieht und sie in Angst versetzt. Diese gelungenen Finessen (und Grundvoraussetzungen für einen derartigen Film) tun dem Geschehen sehr gut. Trotzdem bleibt ein empfunden unentschlossenes Profil, welches vom Finale nochmals deutlich charakterisiert wird. Als große Leckerbissen sind noch die Musik von Claude Bolling und die schönen Unterwasseraufnahmen zu erwähnen. Mich persönlich lässt dieser solide aufgebaute Thriller weniger unentschlossen zurück, einige raffiniert gestrickte Inhalte, und das beachtliche Schauspiel haben mich äußerst gut unterhalten.

Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: DIE GELIEBTE DES ANDEREN - Léonard Keigel

Beitrag von Percy Lister »

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"Die Geliebte des Anderen" (Originaltitel: "Qui?") (Frankreich / Italien 1970)
mit: Romy Schneider, Maurice Ronet, Simone Bach, Gabriele Tinti, Jacques Duby, Eric Simon, Marie Dabadi, Suzy Hannier, Anne-Marie Coffinet, Jean Berger, Jean-Paul Blonday u.a. | Drehbuch und Regie: Léonard Keigel

An einer bretonischen Klippe stürzt das Cabrio von Claude und Marina ins Meer. Die Frau kann noch rechtzeitig aus dem Wagen springen, ihr Partner jedoch versinkt in den Fluten. Serge, der Bruder von Claude, eilt zur Unglücksstelle und nimmt Marina für ein paar Tage bei sich auf. Er verliebt sich in sie, hegt jedoch einen schlimmen Verdacht: Wurde sein Bruder ermordet? Als er in Marinas Handtasche Patronen findet, fühlt er sich in seiner Annahme bestätigt....

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Temporeich und temperamentvoll beginnt der Psychokrimi mit dem enigmatischen Titel "Qui?", was sowohl im Französischen, als auch im Italienischen eine Bedeutung hat. Im ersten Fall fragt es "wer oder wen, welcher?", im zweiten Fall hat es eine lokale Bedeutung: "hier?". Marina ist nach dem Tod ihres Geliebten eine Gehetzte; sie flüchtet vor inneren Dämonen und einer unbestimmten Bedrohung, die sich zunächst in Kleinigkeiten äußert. Von Beginn an zweifelt das Publikum an der Unfalltheorie, zögert jedoch mit einer Schuldzuweisung an die hintergründig lächelnde Frau, deren Leben durch den Verstorbenen psychisch und physisch bedroht war. Die Dreieckskonstellation der Geschichte - zwei Brüder lieben die gleiche Frau - erhält dadurch eine pikante Note, weil sich der zweite Bruder erst nach seines Bruders Tod in sie verliebt und sich darüber im Klaren ist, dass sie sein Ableben verschuldet haben könnte. Dass er sich nicht mit seinem Bruder verstand, ändert nichts daran, dass er Marina schwere Vorwürfe macht und abseits der polizeilichen Ermittlungen aktiv wird. Romy Schneider verleiht dem Film jene Attribute, die ihn nicht nur aufwerten, sondern essentiell für seinen Erfolg sind: Eleganz, Geheimnis, Tiefe und jene Unberechenbarkeit, von denen Personen ihres Umfelds häufig berichteten: "Oui, so war Romy Schneider. Grundsätzlich lieb und liebebedürftig, großzügig, unerhört launisch, wetterwendisch, übersensibel, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt [...]" So äußerte sich der Journalist Billy Kocian über die Schauspielerin und betonte, dass alle Regisseure, mit denen sie arbeitete, sie als Wunder lobten, das mit einem Zauber behaftet war. Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln, ist ihr stärkster Trumpf und verleiht ihr Souveränität.

Sie amüsiert sich über ihr Umfeld, scheint den Menschen ihrer Umgebung eines Wissensvorsprung zu haben und kostet ein geheimes Vergnügen aus, an dem sie niemanden teilhaben lässt. Ihr Egoismus macht sie attraktiv, weil sie momentanen Launen nachgibt, sorgt aber auch dafür, dass sie in eine Falle läuft, wenn sie die Reaktionen ihrer Mitmenschen unterschätzt. Die ungestüme Wildnis der Bretagne und das pulsierende Leben der französischen Hauptstadt werden in opulenten Landschaftsaufnahmen eingefangen. Stets bilden sie den passenden Rahmen für die Gefühlswelt ihrer Protagonisten, die aufgewühlt am Rande der Klippen manövrieren. Die Unterwasserwelt als gedämpfter Schauplatz einer Indiziensuche, die Pariser Metro als Zufluchtsort vor einem Verfolger und das Kaufhaus Lafayette, das mit seinen Treppen und Gängen die perfekte Kulisse für eine anonyme Gefahr bietet. Die eleganten Wohnungen, in denen sich Pflichtabendessen ebenso abspielen wie gelangweilte Einsamkeit, kontrastieren mit der Gelöstheit auf Capri, das sonnendurchflutet einen Neubeginn verheißt. Trotz aller Stringenz gibt es im Übergang zum dramatischen Finale einen Durchhänger, der verspielt und albern auf die Hilflosigkeit hinweist, mit der sich Personen konfrontiert sehen, die Misstrauen spüren und Sicherheit erhoffen. Wie auf einem Schiff, das kurz ins Schlingern gerät, reißt der Kapitän das Steuer wieder herum und belohnt die Zuschauer mit der Ironie des Schicksals, das einmal mehr ungeschminkt und gnadenlos zuschlägt. Der spannende Thriller lebt von seiner Hauptdarstellerin und der optisch und akustisch stimmigen Allianz, die kleine Drehbuchschwächen überspielt und manche Logikfrage in den Hintergrund stellt.

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