DAS BIEST MUSS STERBEN - Claude Chabrol

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Prisma
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DAS BIEST MUSS STERBEN - Claude Chabrol

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DAS BIEST MUSS STERBEN


● QUE LA BÊTE MEURE / UCCIDERÒ UN UOMO / DAS BIEST MUSS STERBEN (F|I|1969)
mit Michel Duchaussoy, Caroline Cellier, Jean Yanne, Anouk Ferjac, Marc Di Napoli, Louise Chevalier Guy Marly, u.a.
eine Produktion der Les Films de la Boétie | Rizzoli Film | im Materna Filmverleih
ein Film von Claude Chabrol


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»Der Gesang der Vögel kommt mir wie ein tristes Geleiere vor...«


Nach dem Tod seiner Frau lebt der Kinderbuchautor Charles Thénier (Michel Duchaussoy) zurückgezogen mit seinem 9-jährigen Sohn auf dem Land. Eines Tages ereilt den alleinerziehenden Vater ein schwerer Schicksalsschlag, denn sein Junge wird auf offener Straße von einem Auto überfahren und stirbt. Der Verursacher des Unfalls begeht Fahrerflucht und die ermittelnde Polizei legt den Fall schon bald als bedauerlichen Unfall zu den Akten. Fortan hat Charles mit starken Rachegefühlen zu kämpfen und begibt sich schließlich selbst auf die Suche nach dem Täter. In einem Tagebuch schreibt er seine Gedanken und Gefühle nieder, die sich zu immer mehr zu dem Plan formieren, den flüchtigen Unfallverursacher zur Rechenschaft zu ziehen. Charles baut jedoch nicht auf die Hilfe der Justiz, sondern sinnt auf Blutrache...

Wer sich ein wenig mit dem Schaffen Claude Chabrols auseinandergesetzt hat, weiß, dass die aufgezeigte Idylle in den meisten Fällen nur ein Trugbild darstellt. In "Das Biest muss sterben" kommt es gleich zu Beginn zu derartigen Eindrücken, die kurz ein unbeschwertes Leben skizzieren, bis es sich schon bald dem Ende zuneigt. Dieser schwere Schicksalsschlag, der im Allgemeinen wohl als einer der schlimmsten angesehen werden dürfte, beendet gleichzeitig das Dasein eines zurückgebliebenen Vaters, der sich fortan einem diffusen Hass, nicht zu überbietendem Pessimismus und destruktiven Eigen-Ermittlungen hingibt, die aber sowohl bei Scheitern als auch Erfolg nichts mehr ändern würden. Lediglich sein eigenes Leben wäre betroffen, welches er aber ohnehin als beendet sieht. Der verzweifelte Vater foltert sich mit Super 8-Filmen, folglich Szenen der Vergangenheit, die seinen Jungen in unschuldiger Unbeschwertheit zeigen, aber vor allem lebendig. Chabrol kreuzt einen Kriminalfall mit dramatischen Elementen, die in Windeseile überhand nehmen, zumal es auch zu entgegengesetzten Grundvoraussetzungen kommt. Die Ermittler der Polizei werden in die zweite Reihe gezwungen, da ihre Arbeit dem Vernehmen nach ergebnislos geblieben ist und im Grunde genommen als tragischer Unfall zu den Akten gelegt wird. Die vakante Rolle wird somit von einem von Hass erfüllten Vater übernommen, der trotz seiner ruhigen Maske für den Zuschauer vollkommen unberechenbar wirkt. Man kann ihn verstehen; man will es sogar, aber dennoch stellt sich keine bedingungslose Loyalität ein, da alles um ihn herum ausgeblendet wird. Der kalte Hass stellt unter Claude Chabrol ein ergiebiges, wenn auch vergiftetes Elixier für diesen Verlauf dar, der aufgrund seiner strikten Determination trostlos erscheint. Da man die immer wiederkehrenden Notizen von Charles Thénier vor Augen geführt bekommt und prägnante Sätze im Ohr behalten hat, scheint der Tod unausweichlich zu sein.

Obwohl sich bei Chabrol sehr häufig eine gelenkte Vorhersehbarkeit abzeichnet, die hier allerdings diffuse Konturen beibehält, sind es die unterschiedlichen Wege zum Ziel, die für Überraschungen sorgen. Der Täter, der gleichzeitig Opfer werden soll, ist schnell gefunden, doch wie Charles selbst erwähnte, soll die Hinrichtung langsam und qualvoll vonstatten gehen. Ausfindig macht er zu seiner eigenen Überraschung eine Frau, die er normalerweise anziehend finden würde, doch unter diesen speziellen Umständen abstoßend finden muss. Mit Hélène Lanson beginnt eine perfide Liaison dangereuse, die viele Informationen für den potentiellen Henker und irritierten Zuschauer zutage bringen wird. Naturgemäß ist es so, dass die besten oder in diesem Fall schlechtesten Vorsätze eben nur solche bleiben werden, wenn die Hemmschwelle zur Praxis unüberwindbar ist. Eigenartigerweise entstehen intime Momente, in denen sich Aggressivität und Sentimentalität abwechseln, dementsprechend einen vollkommen dynamischen Verlauf suggerieren. Die Kehrtwendungen entstehen blitzartig, und zwar, wenn die anvisierte Zielscheibe ausfindig gemacht ist. In diesem Zusammenhang wirft die Szenerie allen Beteiligten einen ordinären, cholerischen und grenzenlos egoistischen Herrn zum Fraß vor, der dem Empfinden nach tatsächlich das Schlimmste verdient hätte, wenn äußere Umstände nicht permanent für eine Verzögerung der eigentlichen Verwirklichung des Filmtitels sorgen würden. Die Frage, ob der tragische Protagonist der Geschichte letztlich auch den Mut haben wird, seine Rache umzusetzen, bleibt eine spannende Angelegenheit, zumal die anfängliche Vehemenz immer wieder durch ungewöhnlich deutliche Sentimentalitäten und Eigenkorrekturen aufgeweicht wird, die sich mit der breiten Hoffnung decken, dass es eben nicht zum Äußersten kommen möge, immerhin scheint es bereits genug zu sein, dass ein Leben beendet wurde.

Insgesamt bleibt es schließlich sehr spannend, ob Claude Chabrol im Sinne der Gerechtigkeit oder der Schockstarre weiter inszenieren wird. Zur Verfügung stehen diesem Beitrag, der auffällige Wechselspiele zwischen Lethargie und Optimismus eingeht, besonders stichhaltige Interpreten, unter denen vor allem Michel Duchaussoy hervorzustechen weiß. Obwohl man sich als Zuschauer naturgemäß sträubt, sein Vorhaben verstehen zu wollen, kommt man trotz natürlicher Abwehrmechanismen immer wieder zu dem schwachen Punkt, mit ihm zu sympathisieren. Im Grunde genommen setzt er der Polizei zunächst Hörner auf, die seinerzeit keine weitere Veranlassung gesehen hatte, den Unfalltod seines Sohnes Michel effektiv zu durchleuchten. Unter falschem Namen nistet sich der Schriftsteller von Kinderliteratur im Leben der anderen ein, um wie eine Spinne auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Doch wird die Falle genauso zuschnappen können wie anvisiert? Sein Gegenspieler und Auslöser dieser destruktiven Kettenreaktion hält naturgemäß dagegen, erfährt in diesem Zusammenhang eine hervorragende Zeichnung durch Jean Yanne, der sich in vielen Situationen selbst übertrifft, indem er auf Konventionen und Sentiments aller anderen pfeift. Caroline Cellier reiht sich sicher in dieses ungleiche Trio ein und fällt nicht zuletzt wegen ihrer auffälligen Attraktivität auf. "Das Biest muss sterben" verfolgt einen verkopften Verlauf und breitet seine nachdenklichen Tendenzen zu den richtigen Zeitpunkten aus. Ein netter Twist gegen Ende der Veranstaltung verleiht der Geschichte ihre zusätzliche Brisanz, die angesichts der behandelten Thematik äußerst zynisch wirkt. Claude Chabrols Marschroute, die Gedanken und Gefühle seiner Protagonisten auf einem Seziertisch zu zerlegen, geht erneut vollkommen auf, und der ruhige Verlauf - der geprägt ist von Leere und Kalkül – führt den Titel des Films immer wieder unterschwellig vor Augen, der sich nicht vor Kehrtwendungen scheut, außerdem interessante Manipulationen zulässt.

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