EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Türkploitation, isländische Kannibalenfilme und alles andere aus Europa
Antworten
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3768
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Beitrag von Prisma »

EIN UNBEKANNTER RECHNET AB


● EIN UNBEKANNTER RECHNET AB / ...E POI , NON NE RIMASE NESSUNO / DIX PETITS NÈGRES / DIEZ NEGRITOS / AND THEN THERE WERE NONE (D|I|F|E|GB|1974)
mit Oliver Reed, Elke Sommer, Richard Attenborough, Maria Rohm, Stéphane Audran, Herbert Lom, Adolfo Celi, Alberto de Mendoza, Charles Aznavour und Gert Fröbe
eine Produktion der Corona | Coralta Cinematografica | Ozeania Produzioni Internationali Cinematografiche | COMECI | Talía Films | im Gloria Verleih
ein Film von Peter Collinson


BildBildBild
BildBildBild

»Hier spricht ihr Gastgeber!«


Ein Unbekannter, der sich U. N. Known nennt, lädt eine zehnköpfige Gesellschaft unter falschen Vorwänden in einen Palast in der iranischen Wüste ein. Die Herrschaften glauben zwar, sich im Klaren über ihre jeweilige Einladung zu sein, doch spätestens als sie die Stimme ihres Gastgebers von einem Tonband hören, ist das Entsetzen groß. Jeder Einzelne wird eines ungesühnten Verbrechens beschuldigt und es werden Anklagen wie vor Gericht erhoben. Zunächst wird der komplette Spuk nicht ganz ernst genommen, doch wenig später gibt es auch schon den ersten Toten und in unterschiedlichen Abständen werden weitere Todesurteile vollstreckt. Hat man es mit einem Wahnsinnigen zu tun und sind die Anklagen berechtigt? Die übrigen Personen sind im Kampf ums Überleben von nun an auf sich alleine gestellt und können niemandem mehr trauen. Doch wer von ihnen ist der todbringende Unbekannte..?

Bei Peter Collinsons "Ein Unbekannter rechnet ab" handelt es sich um eine weitere Adaption nach der bekannten Romanvorlage "Und dann gab's keines mehr" von Agatha Christie, die über Dekaden hinweg in zahlreichen Varianten in die Kinos gebracht wurde. Kennt man einige dieser Verfilmungen, so liegen Vergleiche bezüglich der Charaktere und natürlich bei der jeweiligen Besetzung nahe, was sich mitunter als sehr interessant erweist. Hier setzt die Regie gleich ab der ersten Sekunde auf eine geheimnisvolle Spannung und - wie es der Titel unmissverständlich ankündigt - eine unbekannte Komponente, die sorgsam entschlüsselt und ans Tageslicht befördert wird. Durchdenkt man die unterschiedlichen Adaptionen, wie beispielsweise George Pollocks 1965 verfilmten Krimi "Geheimnis im blauen Schloss", sind es natürlich die individuellen Herangehensweisen an den gleichen Stoff und jeder Zuschauer wird seinen Favoriten schnell ausfindig machen können. Bei "Ein Unbekannter rechnet ab" dürfte es sich zunächst einmal um die opulenteste Verfilmung handeln, die mit Extravaganz und Zeitgeist angereichert wurde. Ein Helikopter landet im Nirgendwo, zumindest stellt dieser Schauplatz dies für die Gäste dar, und die bestehenden Vorahnungen werden dadurch angefeuert, dass niemand den großen Unbekannten kennt. Praktischerweise stellen sich die Herrschaften nicht nur selbst vor und offerieren gleichzeitig eine bunte Mischung von Typen, sondern es wird das Phantom sein, das wenig später via Tonband die Anklagen und gleichzeitig die nicht genau formulierte Vollstreckung verlauten lassen wird. Die interessante Frage bleibt natürlich, ob es sich um gerechtfertigte Anschuldigungen handelt, doch der Verlauf lässt dies weitgehend offen, wobei man als Zuschauer selbstverständlich die heimliche Überlegung anstrengt, wer schuldig sein könnte oder wer eben nicht.

Die geistreiche Verknüpfung der Geschehnisse mit dem alten Kinderlied der "Zehn kleinen Negerlein" und dessen Strophen, die die Art des Mordes ankündigen, lässt eine todbringende, jedoch unsichtbare Hand in jedem Winkel des Palastes vermuten. Einfache aber wirkungsvolle Kniffe kommen bei den Ermordungsszenen zum Tragen und auch die Vielfalt der Methoden schmeichelt dem kaum nachlassenden Spannungsbogen. Interessant ist die Tatsache, dass man als Zuschauer kaum die Fragwürdigkeit der gesamten Angelegenheit anprangert, sondern mitunter selbst urteilt, da die Personen in klassische Fraktionen zwischen sympathisch und weniger angenehmen eingeteilt werden. Diese Klassifizierung macht selbst vor den eigentlichen Protagonisten nicht immer halt, was gleichzeitig das Misstrauen schürt und beinahe jeden in ein verdächtiges Licht rücken kann. Doch die Reihen lichten sich nach und nach, sodass prominente Namen ziemlich früh manch wirkungsvollen Abgang erfahren. Die hohe Dichte an international bekannten Stars zeichnet diese Produktion im Besonderen aus. Da jeder der zehn Gäste pauschal unter Anklage gestellt wurde, ist es insgesamt schwierig, sich mehrere Identifikationsfiguren herauszusuchen. Oliver Reed schlägt aus dieser Voraussetzung in bemerkenswerter Weise Profit und er ist in einer vollkommen gelösten Performance zu sehen, die entgegen einer empfunden launischen Darbietung in eine Art Improvisation übergeht, die insbesondere im Zusammenspiel mit Partnerin Elke Sommer sichtbar wird. Reed tritt einerseits wie ein klassischer Einzelgänger auf, andererseits ist es ihm in diesem Vakuum aber auch völlig klar, dass man alleine möglicherweise nicht überleben kann. Derartige Allianzen oder Grüppchenbildungen finden nahezu bei allen Personen statt, bevor sich die Reihen dezimieren. Zwischen Oliver Reed und Elke Sommer spielt sich zusätzlich ein spürbares Knistern ab.

Dieses lädt die ohnehin angespannte Atmosphäre mit einer angenehmen Prise Erotik auf, was angesichts der Tatsache, dass man eigentlich niemandem trauen kann, noch für zusätzlichen Zündstoff sorgen könnte. Elke Sommer hinterlässt einen sehr angenehmen Eindruck, ohne dabei gezielt in die Trickkiste der großen Schauspielkunst zu greifen. Ihre Eigenschaften lassen sich über ihren Beruf der Sekretärin herleiten. Sie führt Anordnungen aus, lässt sich leiten und ergreift nicht selbst die Initiative, sodass Oliver Reed gut mit seinem coolen Offensiv-Charme zum Zuge kommen darf. Im Szenario gibt es neben Sommer kaum weitere weibliche Parts, jedoch sind die wenigen als deutliche Pendants zueinander aufgebaut. Die stets so gerne gesehene Maria Rohm, in nahezu unmöglicher Aufmachung, präsentiert Züge einer schwarzen Seele; schlechte Voraussetzungen für das Überleben in einer solchen Geschichte. Die umwerfende und geheimnisvoll wirkende Stéphane Audran strotzt vor weiblichem Selbstbewusstsein, Eleganz und vereinnahmendem Charme und der Aufbau der Rollen sieht daher strikt vor, dass sich die drei Damen nicht um Berührungspunkte, sondern eher um Sicherheitsabstand bemühen werden. Im weiteren Verlauf kommt es zu Geständnissen auf einem brodelnden Vulkan, zumindest von den meisten Beteiligten. Hierbei bietet die Herrenriege ebenfalls sehr unterschiedliche Skizzierungen an. Es gibt die Kultivierten und die Ordinären, die Diskreten und die Nervösen, die fast Sympathischen und Unsympathischen, doch eines werden die meisten gemeinsam haben, nämlich einen gewaltsamen Tod. Letztlich lässt sich sagen, dass sich durch die Bank sehr stichhaltige Leistungen offenbaren, wie beispielsweise von Richard Attenborough als Richter, der sich zu keinem Zeitpunkt in die Karten blicken lässt und bei dem man selbst an der Mimik keine Regung ablesen kann, oder Herbert Lom, als nervöser Arzt mit Alkoholproblem.

Auch Gert Fröbe erlaubt sich eine seiner berüchtigten Performances rund um ungeduldige Anwandlungen und lautes Lospoltern. Adolfo Celi verbreitet seinen weltmännischen Touch und Charles Aznavour und Alberto de Mendoza runden das Geschehen gekonnt als Stichwortgeber ab. Die Allianzen untereinander werden schließlich mit dem Tod quittiert, sodass es in diesem prunkvollen aber abgelegenen Palast in der Wüste effektiv nur Einzelgänger geben kann - ausgenommen man steht zu Unrecht unter Anklage. Die atemberaubende Kulisse liefert übrigens die Hotelanlage des Shah Abbas Hotels, das heute Abbasi Hotel heißt, in der iranischen Stadt Isfahan. Peter Collinson schafft es insgesamt sehr gut, dem Stoff von Agatha Christie neuen Schwung und Glanz zu verleihen und auch für den Fall, dass man die Geschichte bereits als Roman oder aus einem Film kennt, kommt es zu einem durch und durch interessanten und weitgehend spannenden Sehvergnügen. In Kombination mit Carlo Rustichellis hervorragender Musik und auf die Seheindrücke abgestimmten Arrangements, die insbesondere bei den Ermordungsszenen so wirken, als spiele ein gesamtes Streichorchester auf den Nerven des Zuschauers, kommt man in den Genuss eines sehr unterhaltsamen und vielmehr schonungsloser vorgehenden Films, der innerhalb des durchaus bestehenden Korsetts eigene Wege gehen wird. Im Endeffekt hat jede Adaption dieses Christie-Stoffes ihre Qualitäten und deutliche Vorzüge, aber auch Schwächen bei der Umsetzung zu bieten und ob der Flick nun "Das letzte Wochenende", "Geheimnis im blauen Schloss", "Ein Unbekannter rechnet ab" oder "Tödliche Safari" heißen mag, die starke Vorlage stellt bei jeder der Verfilmungen schon einmal die halbe Miete dar. Peter Collinsons Werk ist und bleibt nach persönlichem Geschmack jedenfalls die stärkste und ansprechendste Version im Rahmen des "Zehn kleine Negerlein"-Prinzips und daher immer wieder gerne gesehen.

Benutzeravatar
Richie Pistilli
Beiträge: 3554
Registriert: Sa., 31.10.2020 17:25
Wohnort: Provinzmetropole an Rhein und Mosel
Kontaktdaten:

Re: EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Beitrag von Richie Pistilli »

Bild

deutscher Kinostart: 24. September 1974

Bild Bild Bild Bild
Bild Bild Bild Bild


EIN UNBEKANNTER RECHNET AB stellt auch für mich unter den Agatha Christies 'Da waren es nur noch neun...'-Verfilmungen sowohl aufgrund der tollen Darstellerriege als auch des bildstarken Inszenierungsstils meinen persönlichen Favorit dar, welcher dann aber gleich vom GEHEIMNIS IM BLAUEN SCHLOß gefolgt wird, den ich mir zufälligerweise gerade erst vor ein paar Tagen mal wieder angeschaut habe.

Peter Collinsons Verfilmung verbreitet nicht nur durchwegs eine fantastische Atmosphäre, sondern besticht auch aufgrund seiner brillanten Bildkompositionen. Obendrein zählt dieser Film zu denen, die aufgrund ihres sehr hohen Wohlfühlfaktors mindestens einmal pro Jahr in meinem BD-Player rotieren. Ein Fest für die Augen!

Zwar fiel mir bereits bei meiner ersten Sichtung auch gleich auf Anhieb die gialloeske Atmosphäre des Films auf, dafür entging mir im Finale ein kleines Detail, wodurch das Ende einen völlig anderen Sinn ergab:
► Text zeigen

Ein wenig verwunderte mich auch der deutsche Vorspann, da in diesem weder Großbritannien als Co-Produktionspartner, noch Harry Alan Towers als Produzent genannt wird. Dafür irritierte mich beim englischen Vorspann die Namensnennungen der beiden Darsteller 'Teresa Gimpera' und 'Rik Battaglia', welche scheinbar nur in der spanischen Langfassung (105 min.!) im Rahmen eines nachgedrehten Nebenhandlungsstrangs zu sehen sind. In dieser erweiterten Fassung wird zusätzlich auch noch die Ankunft der eingeladenen Gäste am Flughafen gezeigt, wo dann aber auch sogleich die besagte zusätzliche Rahmenhandlung beginnt. Gimpera und Battaglia werden darin ständig von einem unbekannten Kommissar ('Naser Malek Motiee') verfolgt. Leider erschloss sich mir der Sinn dieser nachgedrehten Rahmenhandlung in keinster Weise, da mir zum Vergleich lediglich eine spanische Fassung von YT (ohne UTs) zur Verfügung stand.

Hier ein paar Eindrücke der zusätzlich gedrehten Szenen:
► Text zeigen

Abschließend sollte auch noch auf das Fassungswirrwarr hingewiesen werden, denn laut dem Eintrag in der IMDB existieren von diesem Film zahlreiche unterschiedlich lange Schnittfassungen:

1 hr 32 min (92 min) (Germany)
1 hr 45 min (105 min) (Spain)
1 hr 38 min (98 min) (USA)
1 hr 40 min (100 min) (Japan)
1 hr 35 min (95 min) (video) (Belgium)
1 hr 35 min (95 min) (home cinema) (Italy)
1 hr 38 min (98 min) (original)



Bild Bild Bild Bild
Bild Bild Bild Bild
Bild Bild Bild Bild
Bild Bild Bild Bild


Trailer:




Am 14.09. veröffentlicht FILMJUWELEN dieses filmische Prachtstück übrigens erneut als BD, wobei ich davon ausgehe, dass es sich um die gleiche Schnittfassung wie auf der vorausgegangenen DVD handeln wird. Dass neben der deutschen Tonspur auch noch die Albanische enthalten sein soll, kann ich mir aber irgendwie nicht richtig vorstellen...
(vermutlich ein Schreibfehler?)



Normalerweise assoziiere ich Filmtitel mit den dazugehörigen Filmplakaten, aber sobald der Titel des vorliegenden Films fällt, kommt mir seit meiner ersten Sichtung immer nur die folgende Szene in den Sinn:

Bild

Keine Ahnung warum?

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3768
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben: 1 hr 32 min (92 min) (Germany)
1 hr 45 min (105 min) (Spain)
1 hr 38 min (98 min) (USA)
1 hr 40 min (100 min) (Japan)
1 hr 35 min (95 min) (video) (Belgium)
1 hr 35 min (95 min) (home cinema) (Italy)
1 hr 38 min (98 min) (original)

Ich hatte mich schon immer gefragt, wo denn eigentlich Rik Battaglia und Teresa Gimpera abgeblieben sind, da sie ja häufig aufgeführt werden.
Daher ist diese Liste sehr interessant und gibt Aufschluss darüber, dass nicht Mr. U. N. Known dafür verantwortlich ist, dass sie fehlen. :lol:
Und die deusche Version ist natürlich mal wieder die kürzeste...

Richie Pistilli hat geschrieben:Normalerweise assoziiere ich Filmtitel mit den dazugehörigen Filmplakaten, aber sobald der Titel des vorliegenden Films fällt, kommt mir seit meiner Premierensichtung immer nur die folgende Szene in den Sinn:

Bild

Bis auf einen kleinen Unterschied ist das bei mir ganz ähnlich, aber die Maria Rohm hat in Gedanken schon längst eine Schlinge um den Hals. :mrgreen:
Wenn ich an den Film denke, kommt mir immer Maria Rohm zuerst in den Sinn. Ich glaube es hängt mit ihrer unorthodoxen Aufmachung zusammen.
Da habe ich mich schon immer gewundert, was da eigentlich passiert ist...

Percy Lister
Beiträge: 348
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Beitrag von Percy Lister »

"Ein Unbekannter rechnet ab" (Deutschland / Spanien / Italien / Frankreich 1974)
mit: Oliver Reed, Richard Attenborough, Elke Sommer, Gert Fröbe, Stéphane Audran, Adolfo Celi, Herbert Lom, Maria Rohm, Alberto de Mendoza, Charles Aznavour | Drehbuch: Peter Welbeck, Erich Kröhnke und Enrique Llovet nach dem Roman von Agatha Christie | Regie: Peter Collinson

Zehn Fremde treffen zu einem vorher vereinbarten Zeitpunkt in einem persischen Palast in der Wüste ein. Sie folgen der Einladung eines gewissen U. N. Owen, den keiner von ihnen zuvor gesehen hat. Am ersten Abend stellt sich heraus, dass sie in eine Falle gelockt wurden: ihr unbekannter Gastgeber beschuldigt sie per Tonband ungesühnter Verbrechen und verspricht, jeden von ihnen zur Rechenschaft zu ziehen. Spätestens nach dem zweiten Todesfall wird der Gruppe klar, dass sich der Täter unter ihnen befindet. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem jeder dem anderen misstraut. Wird es gelingen, den Rächer zu entlarven? Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor das Rätsel gelöst wird?

Das Staraufgebot ist - wie immer, wenn Agatha Christie ruft - beträchtlich. Die Garantie internationaler Beachtung und Dreharbeiten in edlem Ambiente locken stets die großen Namen vor die Kamera, um eines der kniffligen Mörderrätsel umzusetzen, das die englische Schriftstellerin so vorzüglich zu Papier zu bringen pflegte. Jeder machte gerne mit, obwohl er sich gerade im Fall des düsteren "Zehn kleine Negerlein" bewusst sein musste, dass seiner Figur bald das Lebenslicht ausgeblasen wird. So stirbt die uninteressanteste Person zuerst - der Sänger Michael Raven, dessen Chansons schlecht zu dem wortlosen Morden gepasst hätten. Nach und nach scheiden alle Figuren aus, die von der Autorin für entbehrlich gehalten wurden, während sich die übrigen stärker profilieren können, was vor allem durch Geständnisse persönlicher Art und eine Fokussierung auf Emotionen gelingt. Das Kombinationstalent der Anwesenden wird leider in immer kürzeren Abständen im Keim erstickt, weil Gedanken nicht zu Ende gedacht und Spuren nicht bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden. Glaubwürdig wirkt die ablehnende Haltung der Personen zueinander; es werden kaum Bande geknüpft oder Allianzen geschmiedet, selbst die sonst so klassische Liebesgeschichte zwischen Vera Clyde und Hugh Lombard bleibt steril und leidet gerade in den letzten Minuten unter dem abrupten Ende, das keine Erklärung für die Pointe abliefert, sondern sich halb verschämt, halb arrogant mit dem Schlussbild des Hubschraubers verabschiedet.
Das Agatha Christie Lesebuch, Scherz Verlag hat geschrieben:Warum weckt die Ungerechtigkeit ihres Todes bei uns kein Mitleid? Warum vergessen wir die armen Leute so schnell (...)? Vielleicht gibt es dafür eine sehr einfache Erklärung: Wir werden nicht gern daran erinnert, dass wir keine besseren Garantien für Sicherheit und Gesundheit haben als die Opfer. In unserer Verwundbarkeit sind wir alle gleich. (...) Es macht keinen Spaß, sich mit Verlierern zu identifizieren.
Einzelne Stars beeindrucken mehr als ihre Kollegen. Bei den Herren sind es vor allem Gert Fröbe, Adolfo Celi und Herbert Lom, die Akzente setzen und ihre Figuren unverwechselbar machen. Neben der Physiognomie und Entschlossenheit ihrer Darsteller liegt das vor allem an den dankbaren Figurenzeichnungen, welche diese Männer mit prägnanten Eigenschaften ausstatten, während andere blass bleiben. Leider gilt dies auch für die wichtige Rolle des Richters, den Richard Attenborough mit einer stoischen Farblosigkeit darstellt, die seine Interpretation leider zu einer der schwächsten aller Verfilmungen des Stoffes werden lässt. Sein Arthur Cannon entbehrt jeglichen Esprit und macht einen verkniffenen, faden Eindruck. Die bösen Taten, welche den Personen vorgeworfen werden, sind glaubhaft. Anders als im cosy little whodunit "Das Geheimnis im blauen Schloss" wirken die Charaktere teilweise verkommen und abgehalftert und nehmen ihr Schicksal fast gleichmütig auf. Das wunderbare Shah Abbas Hotel in Isfahan bildet eine Kulisse wie aus dem Märchen, liefert aber zugleich eine klinische Umgebung ohne Gruselatmosphäre. Im Gegensatz zu dem Alpenschloss, dessen Schwarzweiß von Licht und Schatten profitiert, fühlt man die Bedrohung in den eleganten, fließenden Räumen nie wirklich. Ein Pluspunkt ist das Gewitter, das die Wohlfühlatmosphäre in den freundlich ausgeleuchteten Sälen jedoch noch steigert. Momente der Gefahr drohen höchstens in der Szene im Maschinenraum, wo vor allem Gert Fröbe für eine Steigerung des Adrenalinspiegels sorgt.

Die drei Damen Maria Rohm, Elke Sommer und Stéphane Audran sind sehr unterschiedlich und während man von der ersten leider kaum etwas sieht - sie trägt nicht nur eine Sonnenbrille, sondern erfährt ein rasches Ende - können die Deutsche und die Französin deutlich markanter aufspielen. Es dauert ein wenig, bis Sommer ihr Potential zeigen kann, weil sie zu Beginn recht bieder inszeniert wird. Ihre Anhänglichkeit an den bad boy Oliver Reed ist deutlich unharmonischer als in den übrigen Verfilmungen und sie schwingt sich erst zu vollen Höhen auf, als sie aus dem Klischeebild der bedrohten Schönheit ausbrechen darf. Stéphane Audran hat es leichter. Ihre Figur ist von Beginn an von zweifelhafter Natur; der Zuschauer muss sich fragen, ob sie eine berechnende Lügnerin und rücksichtslose Intrigantin ist oder einfach nur Pech in ihrem früheren Leben hatte. Sie ist die Frau mit Vergangenheit und dient allein von der Optik her als Gegengewicht zu der braven Vera Clyde. Trotz der erlebten Enttäuschungen jammert sie nicht, sondern erhebt ihren Kopf über die Stolpersteine des Lebens, dem sie nach wie vor die Stirn bietet. Sie ist eine der wenigen Figuren, die Verdachtsmomente auf sich lädt und von der Bühne abtritt, bevor man ausreichend über sie erfahren hat. Maria Rohm steht diese Möglichkeit der Entfaltung mangels Spielzeit nicht zur Verfügung. Standesunterschiede wie in "Das Geheimnis im blauen Schloss" spielen hier keine Rolle, weil die Damen und Herren der Gesellschaft im selben Boot sitzen und sich auch dementsprechend benehmen.

FAZIT: Opulente Interieurs, imposante antike Säulen und die Wärme des Wüstensands sorgen für das von Agatha Christie so geliebte exotische Ambiente. Abstriche müssen leider teilweise bei der Spannung und einigen Schauspielern (Attenborough, Aznavour und streckenweise Reed) gemacht werden, ebenso zeigt die Produktion beim Schnitt oft wenig Feingefühl.

Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 3768
Registriert: Sa., 31.10.2020 18:11

Re: EIN UNBEKANNTER RECHNET AB - Peter Collinson

Beitrag von Prisma »



MariaRohmUnbekannter1.jpg
MariaRohmUnbekannter2.jpg
MariaRohmUnbekannter3.jpg

● MARIA ROHM als ELSA MARTINO in
EIN UNBEKANNTER RECHNET AB (D|I|F|E|GB|1974)



Für Maria Rohm war ihr Auftritt in "Ein Unbekannter rechnet ab" quasi die letzte Etappe in ihrer aktiven Schauspielkarriere, denn es sollten nur noch drei Produktionen folgen, bevor die gebürtige Österreicherin im Jahr 1976 den Vorhang fallen ließ. Bekanntermaßen war Rohm mit Produzent Harry Alan Towers verheiratet, der hier unter Anderem als Produzent agierte, und seiner Ehefrau über die Jahre zahlreiche Engagements ermöglichte. Ab den 70er Jahren wurden ihre Auftritte nicht nur sporadischer, sondern die jeweilige Screentime zeigte sich auch deutlich reduziert, so auch in Peter Collinsons schrillen Kriminalfilm. Häufig in den Credits vieler Filme trotz Hauptrollen durchgereicht, kommt Maria Rohm hier zu einer Nennung an zweiter Stelle, da der Abspann sich die geistreiche Variante erlaubt, seine InterpretInnen in "order of their disappearance" zu nennen. Die Rolle der stets gerne gesehenen Schauspielerin bleibt aus mehreren Gründen in lebhafter Erinnerung. Zum einen ist es nicht nur ihr schneller Abgang aus dem Szenario, sondern erinnerungswürdig bleibt auch die Art und Weise der eindringlichen Inszenierung. Zum anderen ist es die beinahe grotesk wirkende Aufmachung, in der man die sonst so attraktiv wirkende Darstellerin zu sehen bekommt. Als Elsa Martino nimmt man als Zuschauer eine gleichermaßen bieder und leichtfertig erscheinende Dame wahr, die mit unmöglicher Brille, unvorteilhaftem Ensemble und eigenwilliger Frisur wahrzunehmen ist, von ihren Gebärden und Verhaltensweisen ganz zu schweigen. Bei so viel eigentümlicher Körpersprache liegt es von vorne herein auf der Hand, dass diese Frau etwas zu verbergen hat, genau wie ihr Ehemann. Ungeduldig nimmt Elsa Martino die ankommenden Gäste vor dem palastartigen Gebäude in Empfang und ahnt noch nicht, dass sie lauter Todgeweihte zu bedienen hat, zumindest so lange, wie sie es selbst noch kann.

Maria Rohm wird dem Zuschauer schnell als dubios wirkende und recht unsympathische Person vorgestellt, sodass es ebenso früh klar wird, dass sie eine der ersten Personen der Abschussliste sein wird. Vor den Gästen bewahrt sie so gut es eben möglich ist zwar Haltung, aber in den Gesprächen mit ihrem Mann zeigt sich eine äußerst nervöse Anspannung. Die Hausangestellte aus Zürich scheint ein dunkles Geheimnis mit sich herum zu tragen, und der Versuch sie in den Kreis der möglicherweise Unschuldigen zu rücken, wird erst gar nicht in Betracht gezogen. Als schließlich das Tonband läuft, von dem aus der Gastgeber seine Anklagen und die dazu passenden Todesurteile verkündet, verliert sie endgültig die Nerven und läuft später davon, dem Mörder somit genau in die Arme. In "Ein Unbekannter rechnet ab" ist Maria Rohms Auftrittsdauer denkbar knapp ausgefallen, daher bestehen naturgemäß keine großen Möglichkeiten, sich prominent in den Fokus zu spielen. Dennoch ist ihre spannend angelegte Ermordungsszene eine der eindringlichsten des Films geworden, da man alles hautnah über eine unbarmherzige Mechanik miterleben kann. Kurz, sozusagen schmerzvoll, geht dieser Auftritt ohne größere Ausrufezeichen zu Ende, und es ist unterm Strich schade, dass man nicht ein paar mehr Informationen über die Hintergründe und das vermeintliche Verbrechen des Ehepaars Martino geboten bekommt. Aber wie es nach diesem Dezimierungsprinzip eben ist, müssen es ganz bestimmte Personen sein, die schnell abzutreten haben. Letztlich bleibt ein nettes, wenn auch wenig spektakuläres Wiedersehen mit der talentierten Dame aus Österreich, die schon alleine wegen ihrer auffälligen Art der Maskerade in Erinnerung bleiben wird. Für das Geschehen bleibt Maria Rohm kaum relevant, und wenn man so will, kann sie als klassisches Kanonenfutter für diese rundum unterhaltsame Produktion beschrieben werden.


Antworten