DIE FRAU AUS DEM NICHTS - Joseph Losey

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Prisma
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DIE FRAU AUS DEM NICHTS - Joseph Losey

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Elizabeth Taylor   Mia Farrow  in

DIE FRAU AUS DEM NICHTS


● SECRET CEREMONY / DIE FRAU AUS DEM NICHTS (GB|1968)
mit Robert Mitchum, Peggy Ashcroft, Robert Douglas, Michael Strong und Pamela Brown
eine Produktion der World Film Services | Universal Pictures | im Universal Verleih
ein Film von Joseph Losey

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»Crazy people never look their age!«


Die Prostituierte Leoneora (Elizabeth Taylor) hat eine seltsame Begegnung. Im Bus trifft sie auf Cenci (Mia Farrow), die psychisch sehr instabil wirkt und Leonora fortan mit ihren Blicken fixiert. Beim Anblick der jungen Frau fühlt sie sich jedoch eigenartig berührt, da sie ihrer einst ertrunkenen Tochter sehr ähnelt. Auch für Cenci ist dieses Aufeinandertreffen sehr bedeutsam, da Leonora ihrer verstorbenen Mutter zum Verwechseln ähnlich sieht. Cenci nimmt die Unbekannte mit in ihr großes Haus und es entsteht eine Art Symbiose. Immer wieder flüchten sich beide Frauen in ihre Illusionen und gemeinsam entsteht ein sehr vertrauter Umgang, bis der Zustand der unterdrückten Konfrontationen durch Cencis Stiefvater Albert (Robert Mitchum) gestört wird, der einst aus dem Haus hinaus geworfen wurde. Es dauert nicht lange, bis die junge Frau schwere Vorwürfe gegen ihn erhebt und die Situation zum eskalieren bringt...

Der US-amerikanische Regisseur Joseph Losey inszenierte mit "Die Frau aus dem Nichts" einen unorthodoxen, aber nicht minder interessanten Film, der sich nur äußerst schwer in ein bestimmte Genre zwängen lässt. Global gesehen trifft man mit der Bezeichnung Psycho-Drama den Nagel vielleicht am besten auf den Kopf, wobei sich auch viele genreübergreifende Verschmelzungen ergeben. Das Hauptaugenmerk ist selbstverständlich auf die Psyche der wenigen verfügbaren Protagonisten gelegt, die nahezu spektakulär darlegen, wie man dem Schicksal einen Streich spielen kann. Allerdings wird dieser Preis hoch sein und bereits der frühe Verlauf lässt keinerlei Zweifel entstehen, dass die Geschichte die Gestalt eines Bumerangs annehmen wird, oder besser gesagt annehmen muss. Hinzu kommt, dass sich in Windeseile der Verdacht verdichtet, dass man es nur mit ultimativ Gestörten zu tun haben wird. Hilfreich hierbei ist, dass es permanent zu befremdlichen Verhaltensmustern kommt, die durch abstoßende Zugaben in Wort und Tat unterstützt werden. Loseys Komplex-Maßnahme lässt den Zuschauer gewollt im Unklaren, sodass die Konstruktion insgesamt beinahe unmotiviert wirkt. Die Symbiose von Cenci und Leonora kann eigentlich eher als Zustand bezeichnet werden, denn beide benutzen sich gegenseitig, um wieder ein Stück weiter weg vom Alltag und vom Abgrund zu kommen. Dabei kommt ein sehr intensivierendes Stilmittel zum Tragen, da die Kamera die Beteiligten förmlich mustert, um die besagten Abgründe genüsslich hervorzuheben und das die Psyche ansatzweise bloßzustellen.

Die Inszenierung gleicht also immer mehr einem Servierteller - oder wenn man so will - einem Mikrokosmos der angeschlagenen Psyche, in dem das eindringliche Schauspiel von Elizabeth Taylor und Mia Farrow für beeindruckende Konturen sorgt. Hierbei entsteht noch nicht einmal primär ein mitleidiger Blick, sondern man würde ihn häufig eher lieber von den Beteiligten weg richten, da ein bitterer Beigeschmack allgegenwärtig ist. Joseph Losley verkauft seinen Film im Endeffekt nicht als Realität, sondern bedient sich überspitzter Elemente. Als Expertin und zuverlässigstes Werkzeug für diese Strategie erweist sich erneut Elizabeth Taylor, die mit ihrem legendären Overacting für Aufsehen erregende Momente sorgen kann. Dem Vernehmen nach war ihre Verpflichtung mit einer sagenhaften 1 Millionen Dollar Gage verbunden, einer Summe, die die Honorare der Co-Stars wie gut gemeinte Trinkgelder aussehen lässt. Mit Regisseur Losey drehte Elizabeth Taylor noch im gleichen Jahr "Brandung", und in beiden Filmen sieht man deutlich, dass alles auf die Hauptdarstellerin ausgerichtet und zugeschnitten war. In beiden Produktionen wurde besonderer Wert darauf gelegt, die gebürtige Britin vornehmlich vulgär zu zeigen, eine Anforderung, die die Hauptdarstellerin sehr glaubhaft transportieren konnte. Dabei vermischt sie die großen Gesten einer Dame von Welt und leicht hoheitsvolles Gehabe sehr gekonnt mit gewöhnlich wirkenden Verhaltensweisen, sodass ihr erneut ein ansprechender Spagat innerhalb einer komplexen Herausforderung gelingt. Gleiches gilt übrigens auch für Mia Farrow, deren Darbietung nahezu beunruhigend ausgefallen ist. Sie schildert das Leben in einer abgeschirmten Traumwelt absolut glaubhaft und lässt tief in den Irrgarten ihres Gemütszustandes blicken.

Da man hauptsächlich sie und Taylor zu sehen bekommt, entsteht eine Art Vakuum, eine Starre und Unbeweglichkeit, obwohl beide Schauspielerinnen äußerst unberechenbar agieren. Robert Mitchum steht hier eher unscheinbar neben dem Geschehen und sorgt für die wenigen klaren Momente im Dickicht der verzerrten Emotionen, dabei stattet er seine Rolle mit begrüßenswertem Zynismus und einer ordentlichen Portion Halsstarrigkeit aus. Man könnte denken, dass der Film im ausschließlichen Sinne eine große Abhandlung über die beteiligten Darsteller geworden ist, aber es kommt immer wieder sehr deutlich zum Vorschein, dass auch stilistisch alles erdenkliche Potential genutzt wurde. Die Bildkomposition ist beeindruckend, Details werden in den Fokus gerückt, um ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen. Die musikalische Begleitung vermittelt Unbehagen und die Geschichte an sich weiß schließlich irgendwie zu überzeugen. Die Dialoge sind dabei nicht nur gut aufgebaut, sondern wirken obendrein gut durchdacht. Hinzu kommen eigenartige Anflüge von Humor, die dem Publikum einen imaginären Galgen vor Augen führen, und über das Finale lässt sich schlussendlich nur sagen, dass es vermutlich einfach so kommen musste. Es bleibt ein Film mit eher hoffnungslosem Verlauf, dessen Elemente provokant sexualisiert wirken, und unterm Strich gewährt das Ganze einen sehr interessanten, ja nahezu kontinentalen Blick auf die Insel. "Die Frau aus dem Nichts" kann daher vermutlich alles sein: Ein Hauch von Nichts, im Sinne eines misslungenen Flops, dessen hoher Distanzaufbau sicherlich nicht jeden Geschmack treffen dürfte, oder ein Stückchen beeindruckendes Kino, das sich mutig gegen den Hausgebrauch und Konventionen stellt. Der eigene Geschmack wurde mit dieser kruden Geschichte allerdings vollkommen getroffen.

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