I WIE IKARUS - Henri Verneuil

Türkploitation, isländische Kannibalenfilme und alles andere aus Europa
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Prisma
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I WIE IKARUS - Henri Verneuil

Beitrag von Prisma »




Yves Montand

I WIE IKARUS


● I... COMME ICARE / I WIE IKARUS (F|1979)
mit Michel Albertini, Roland Amstutz, Jean-Pierre Bagot, Georges Beller, Maurice Benichou, André Falcon, Brigitte Lahaie, u.a.
eine Produktion der Antenne-2 | Société Française de Production | V Films | im Verleih der Neue Constantin Film
ein Film von Henri Verneuil

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»Ein Weltverbesserer bringt sich nicht selbst um!«


Staatspräsident Jarry (Gabriel Cattand) sieht seiner zweiten Amtszeit entgegen. Bei einem öffentlichen Auftritt wird er vor den Augen Tausender Anhänger in seinem Wagen von einem Unbekannten erschossen. Der Attentäter namens Daslow (Didier Sauvegrain) wird wenig später tot aufgefunden und man geht von Selbstmord aus. Nach einem Jahr soll die mit den Ermittlungen beauftragte Untersuchungskommission ihr Ergebnis vorlegen, allerdings kommt es zu einer spektakulären Wendung. Eines der Mitglieder, Generalstaatsanwalt Henri Volney (Yves Montand), verweigert die Unterschrift, sodass der Bericht der Kommission hinfällig wird. Die Ermittlungen werden nun unter der Leitung von Volney wieder aufgenommen, der aufgrund seiner Erkenntnisse nicht an die Tat eines Einzelnen glauben kann. Mit seinem Team rollt er skandalöse Hintergründe auf, doch die Zeit rennt davon, da bereits etliche Zeugen unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen...

Polit-Thriller, ganz gleich aus welcher Dekade sie auch stammen, lassen sich qualitativ zunächst einmal gut daran messen, ob rückblickend eine nicht endend wollende Brisanz und vor allem andauernde Aktualität ausfindig zu machen ist. Anhand der ersten Szenen von Henri Verneuils Film lässt sich gerade in der heutigen Zeit ein ziemlich unbequemer Realitätstransfer herleiten, außerdem verspürt man beim Großthema Politik naturgemäß die schwarzen, verborgenen und zerstörerischen Seiten, die von der Öffentlichkeit ferngehalten werden sollen. Sind es nur Märchen? Ernüchternderweise muss man sich sicherlich eingestehen, dass es zwischen Himmel und Hölle mehr konspirative politische Kraft gibt, als man vielleicht für möglich hält. Enthüllungen, Bloßstellungen, Wahrheiten, aber auch Kolportage, bringen die Masse seit jeher in Aufruhr. Bleibt man ganz schlicht bei diesem Beitrag, überträgt sich dieses Gefühl hundertprozentig auf den Zuschauer und die Geschichte hält einen mehr als unangenehmen Spiegel in einem Schachspiel, möglicherweise ohne Länderbindungen vor, in dem zahlreiche Bauern geopfert werden, damit es den Offizieren nicht an den Kragen geht. Wie zu sehen ist, kann ein solches Spiel auch außer Kontrolle geraten, denn hier wird gleich der Staatspräsident höchstpersönlich ermordet, was den Alltag, das politische Ehrgefühl und Gleichgewicht aus den Angeln hebt. Man braucht nicht zu denken, dass es zu chaotischen Zuständen kommt, diese spielen sich nämlich höchstens temporär ab, weil die Erfahrung lehrt, dass jeder ersetzbar ist und dass die Konkurrenz niemals schläft. Gleich von Beginn an geht es also Schlag auf Schlag. Eine Staats-Eskorte wird von der Polizei und der jubelnden Masse angetrieben, Tausende von Menschen und die Sicherheitskräfte werden schon einen gewissen Schutz garantieren - so denkt man zumindest. Als dann auch noch der lauernde Attentäter keinen Schuss abfeuern kann, wiegt man die Zielscheibe in Sicherheit.

Wenig später findet man sich in den abgeschirmten Räumen einer Untersuchungskommission wieder, der schnelle Abschluss ist oberste Priorität, sozusagen die Königsdisziplin, vor allem da man den Massen einen Täter zum Fraß vorwerfen kann. Das suggerierte Motiv bewegt sich vollkommen seöbstbewusst und konstruiert zwischen geistiger Verwirrtheit und dissozialer Persönlichkeitsstörung eines Einzelgängers, man kann daher zu einem Abschluss kommen und die sechs Mitglieder der Kommission müssen die Berge von Akten nur noch mit einer Unterschrift absegnen, damit sie der Öffentlichkeit präsentiert werden können. Die Zeit ist nun gekommen, um die Sinnhaftigkeit eines bekannten Sprichworts hautnah mitzuerleben, nämlich dass die Rechnung ohne den Wirt gemacht wurde. Generalstaatsanwalt Volney verweigert seine Absolution aufgrund vieler ungeklärter Fragen. Der Mann mit der prägnanten Stimme und dem selbstbewussten Auftreten wird vom Zuschauer schnell als diplomatischer Analytiker und intelligenter Rhetoriker mit glasklarem Verstand identifiziert, der es sich aber auch nicht nehmen lässt, unter hohen Einsätzen zu pokern. Ab diesem Zeitpunkt kann das brisante Politikum seine Orientierung zum Detail und dem Zusammentragen von Informationen forcieren. Die entscheidende Frage, wie die Hintergründe aussehen mögen, sorgt dabei für ausgiebige Spannung. Die Regie scheut sich fortan nicht, ein unüberschaubares Mosaik in Kleinstarbeit mühsam zusammenzufügen, was sich zur großen Stärke entwickeln wird, die man bereits im frühen Stadium wahrnehmen kann. Nicht gerade überraschend, aber relativ plötzlich, gibt es auffällige Brüche in der strategischen Kontinuität des Verlaufs und man wittert die Gefahr von Liquidierung und Mord an allen Ecken und Enden. Längst ist ein Komplott von einzelnen Personen oder kleinen Gruppierungen nicht mehr auszuschließen, sodass sich der Verdacht verstärkt, dass man es mit weitverzweigtem und bis ins kleinste Detail organisiertem Verbrechen zu tun hat.

Der Kampf gegen ein Phantom ist von Rückschlägen und Ohnmacht geprägt, der Mann, der sich gegen die Maschinerie stellt, wird exzellent von Yves Montand dargestellt. Sicherlich darf von einer Leistung gesprochen werden, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt, da eine auffällige Mischung von Ausstrahlung und Vehemenz im Krieg gegen subversive Mächte zusammenkommt. Bereits der Vorspann deutet die Ausnahmestellung des Franzosen im Film an, der logischerweise vor dem Titel genannt wird, damit alle anderen Darsteller in alphabetischer Reihenfolge abgespult werden können. Dies soll nicht heißen, dass sich nicht auch hier besondere Leistungen ausfindig machen lassen würden, allerdings ist der Film vollkommen auf das Profil von Montand zugeschnitten worden. Was ist unter der unbequemen Grundvoraussetzung zu tun, falls die Sicherheit von Zeugen und Kollegen längst nicht mehr gewährleistet werden kann? Angesichts dieser Tatsache geht ein stets präsentes Gespenst um, dass sich Tod und Mord nennt, und dessen Opfer - wie sollte es auch anders sein - schleunigst horizontale Gestalt mit Blei im Hirn annehmen werden. Im Sinne von Präzisionsleistungen darf in Henri Verneuils Beitrag definitiv umfassend, oder besser gesagt global gedacht werden, denn die handwerkliche Qualität lässt in keinem Bereich irgend welche Wünsche offen. Mit den Beispielen Ausstattung, Schauplätze, Komparserie, Dialogarbeit oder Musik, erschließen sich höchste Qualitätsebenen und es wird ein Gesamtbild vermittelt, das runder nicht sein könnte. Als I wie I-Tüpfelchen darf man auf ein besonderes Finale und eine noch spektakulärere Auflösung dieses verzwickten Falles hoffen, aber der Verlauf garantiert über die gesamte Spiellänge ohnehin besondere Eindrücke. "I wie Ikarus" ist ein umwerfender Polit-Thriller mit spürbarer Brisanz, psychologischer Dichte und außergewöhnlicher Intensität geworden, bei dem der Zuschauer in der stark dezimierten Gruppe der Augenzeugen übrig bleiben wird. Erstklassig!

ugo-piazza
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Registriert: Mi., 25.11.2020 17:00

Re: I WIE IKARUS - Henri Verneuil

Beitrag von ugo-piazza »

Prisma hat geschrieben:
Sa., 20.03.2021 11:51
"I wie Ikarus" ist ein umwerfender Polit-Thriller mit spürbarer Brisanz, psychologischer Dichte und außergewöhnlicher Intensität geworden, bei dem der Zuschauer in der stark dezimierten Gruppe der Augenzeugen übrig bleiben wird. Erstklassig![/align]
Definitiv! :hut:

:historic_burns:
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