Das Handbuch des jungen Giftmischers (D)
Il manuale del giovane avvelenatore (IT)
Le manuel d'un jeune empoisonneur (F)
The Young Poisoner's Handbook (UK)
UK / D / F 1995
R: Benjamin Ross
D: Hugh O'Conor, Roger Lloyd Pack, Ruth Sheen, Tobias Arnold, Norman Caro, Dorothea Alexander u.a.
Deutsche Erstaufführung: 07.12.1995
Score
Filmportal
Synchronkartei
OFDb
"Ich hatte mein Metier entdeckt: THALLIUM sollte mein Lebenswerk werden. Geschmacklos, farblos, geruchlos, nicht nachzuweisen - ich würde der größte Giftmischer werden, den es je auf der Welt gegeben hat"
Anfang der 60er Jahre in London: Graham Young (Hugh O'Conor) ist ein jugendlicher Wissenschaftsnerd, der gemeinsam mit seinem Vater, seiner Stiefmutter und seiner Schwester in einer kleinen Londoner Arbeiterhaussiedlung lebt. Obendrein ist Graham ein Einzelgänger, der ein sehr geringes Interesse hinsichtlich der Teilnahme am kleinbürgerlichen Familienlebens aufzeigt. Er lebt komplett in seiner Scheinwelt, in der er sich selbst als einen der "nächsten, großen und erfolgreichen Wissenschaftler" sieht, "der mit einer bahnbrechenden Entdeckung die ganze Welt in Erstaunen versetzen wird", denn in seiner Freizeit beschäftigt sich der junge Tagträumer neben seinem Studium ausschließlich mit wissenschaftlichen Experimenten der toxischen Sorte.
"Und dann, eines Tages fand ich es, ein Experiment dass meine Fantasie wie noch nie zuvor beschäftigte, ANTIMON Sulfid, eine der flüchtigsten Verbindungen die es gibt. Wenn man unsachgemäß damit umgeht, kann ein tödliches Gift entstehen, aber Newton entdeckte auch, dass es umgewandelt werden kann, in einem Glaskolben. Es kann zu einer Kristallblüte von atemberaubender Schönheit werden, strahlend wie ein Diamant. In diesem Moment schwor ich mir, dass der Diamant irgendwann Mal mir gehören würde."
Gesagt, getan - aber das Experiment misslingt. Anstatt des erhofften Diamanten liegt ihm nun nicht nur das hochgiftige ANTIMON vor, sondern auch seine sowieso bereits strapazierte Psyche durchläuft ab diesem Zeitpunkt die nächsthöhere Wahnschubsstufe.
"Mir wurde klar, dass alles zu diesem Augenblick hingeführt hatte. Ich habe mich entschieden, welche Richtung meine wissenschaftliche Laufbahn nehmen sollte - es gab kein zurück mehr"
Als seine Stiefmutter tags darauf mit heftigen Magenbeschwerden im Bett festliegt und von ihrem Hausarzt die tägliche Einnahme einer bestimmten Magenmedikaments verordnet bekommt, ist es Graham, der ihr dieses von da an täglich verabreichen soll. Und genau diese Aufgabe nimmt Grahan dann auch äußerst ernst, so dass sich der Krankheitsverlauf seiner Stiefmutter planmäßig rapide verschlechtert. Was folgt, ist Misstrauen, welches sich langsam unter den restlichen Familienmitgliedern ihm gegenüber breitmacht.
"Misstrauen wurde zum Ausdruck gebracht; es wurde Zeit ihr den Todesstoß zu versetzen... und dann eines Tages bot sich die Lösung an. Sie verbarg sich in einer wahren Geschichte die ich gerade las: Holländische Widerstandskämpfer hatten die Wasservorräte der Nazis mit einer Substanz namens THALLIUM vergiftet. Innerhalb weniger Tage fielen die Nazis tot um, einer nach dem anderen, jeder von ihnen anscheinend aufgrund einer anderen Ursache, nur ein Symptom wiesen sie alle gemeinsam auf: Sämtliche Haare fielen ihnen aus.... Ich beschloss den Stoff gründlicher zu erforschen".
Somit führte er seine bereits mit ANTIMON begonnene Versuchsreihe an seiner Stiefmutter ungehindert fort, aber ab diesem Zeitpunkt eben mit dem weit potenteren Gift THALLIUM.
"Das THALLIUM war wirkungsvoller als ich es mir in meinen kühnsten Träumen erwartet hatte. Und als sie dann endlich tot war, konnten wir uns nicht entscheiden, ob wir sie in einem Sarg aus Walnussholz oder Formosa Teak beerdigen sollten. Schließlich einigten wir uns auf Walnuss... Walnüsse hat sie immer gerne gegessen."
DAS HANDBUCH DES JUNGEN GIFTMISCHERS entpuppt sich nicht nur als eine exquisit inszenierte 'schwarzhumorige Geschichte' made in Britain, die zwar gemeinsam mit Deutschland und Frankreich koproduziert wurde, aber im Gesamten doch eindeutig britisch wirkt, sondern auch um das Regiedebüt des englischen Drehbuchautors Benjamin Ross. Gegliedert in drei Akte erzählt uns Ross die Geschichte des zwar äußerst intelligenten, aber auch empathielosen Graham Young, der infolge von tödlichen Giftexperimenten lebenslang in eine forensische Klinik einfährt. Dabei ist die Handlung lose an den wahren Fall des 'Teacup Poisoners' Graham Young angelehnt, der in den 1970er-Jahren zwei seiner Arbeitskollegen mit Gift umbrachte (*). Als Hauptdarsteller wurde der britische Schauspieler Hugh O'Conor verpflichtet, der den psychopatisch veranlagten Protagonisten glänzend verkörpert. Einerseits handelt es sich bei Graham um einen hochintelligenten sowie wissenschaftsbegeisterten Nerd der besonderen Art, dem aber weder Einfühlungsvermögen, noch Empathiefähigkeit in die Wiege gelegt wurden. Zu alledem besitzt er auch noch eine dermaßen geringe Frustrationstoleranz, so dass ihn bereits kleinste Niederlagen im Alltag als auch vermeintliche Kränkungen zu unlauteren Methoden greifen lassen, die abseits jeglicher Ethik verortet sind.
Nachdem der erste Akt bereits im Rahmen der vorausgegangenen Inhaltsangabe beschrieben wurde, dreht sich der zweite Akt um Grahams Aufenthalt in der psychiatrischen Haftanstalt, wo ihm eines schönen Tages rein zufällig der renommierte Psychologe Dr. Zeigler über den Weg läuft. Zeigler, eine wahre Koryphäe seines Fachs, ist nämlich bekannt dafür, auserwählte Insassen mit der Diagnose 'unheilbar krank' in ein Therapieprogramm aufzunehmen, an dessen Ende unter Umständen eine vorzeitige Entlassung im Status 'geheilt' steht. Nachdem es Graham letztlich gelungen war, sich einen der heiß umkämpften Therapieplätze zu ergattern, erhält er von Dr. Zeigler den Therapieauftrag, tagtäglich mit ihm über seine nächtlichen Alpträume zu sprechen. Da Graham aber infolge seines psychischen Knacks traumfrei lebt, nötigt er seinen bereits schwer gebeutelteten Bettnachbarn damit, ihm Nacht für Nacht den Inhalt seiner belastenden Alpträume zu erzählen, die er am nächsten Tag Dr. Zeigler gegenüber als seine eigenen ausgibt. Doch leider verkraftet sein Bettnachbar die nächtlichen Auseinandersetzungen mit seinem Leid nur eine kurze Zeit, bevor er sich eines Nachts völlig unverhofft im gemeinschaftlichen Waschraum mit einem Bettlaken aufknöpft. Als Dr. Zeigler daraufhin die Therapie aufgrund der fehlenden Träume abbricht, geschieht ein bis dato unverhofftes Wunder, das Graham die weitere Teilnahme an den therapeutischen Sitzungen ermöglicht.
Der dritte Akt behandelt Grahams Resozialisationsversuch, nachdem er einige Jahre später vorzeitig als vermeintlich geheilt aus der Haftanstalt entlassen wurde. Nach einem kurzen Intermezzo bei seiner Schwester, das aber leider nicht wie erhofft verläuft, erhält Graham ein lukratives Jobangebot, dem er auch sogleich freudig zustimmt. Bleibt letztendlich nur die Frage, ob Graham seine psychopathologischen Auffälligkeiten tatsächlich überwunden hat?
Der Vorspann dieses grandiosen "tiefschwarzen" Films beginnt direkt mit dem Titelthema von CLOCKWORK ORGANGE, das im weiteren Filmverlauf auch noch mehrfach erklingt. Eine weitere Parallele zu Kubricks Meisterwerk besteht in der zugrunde gelegten Thematik "Heilung von Kriminellen durch Einsatz fragwürdiger Mittel". Erzählt wird das Ganze übrigens aus der "Ich-Perspektive", denn je tiefer sich Graham in seine krankhafte Wahnwelt hinein manövriert, um so vordergründiger agiert die "Ich-Stimme". In den gesundheitlich stabileren Phasen tritt diese dann wiederum wieder weiter in den Hintergrund. Die Dialoge tangieren zwar zwischen tiefschwarz bis hin zu bissig derbe, ohne dabei in Richtung Geschmacklosigkeit abzudriften. Obendrein bewies Benjamin Ross nicht nur bei der Wahl seines Hauptdarstellers ein gutes Händchen, sondern auch bei den markanten Nebendarsteller*innen, von denen jeder für sich in seiner jeweiligen Rolle überzeugt.
Noch eine kleine Anekdote: Nachdem ich im Oktober 1997 rein zufällig über die Vorschau der ARD-Erstausstrahlung gestolpert bin, bat ich einen Bekannten ganz lieb um einen VHS-Mitschnitt, da mir die gezeigten Ausschnitte mächtig imponierten. Ergebnis: Das Tape zog jahrelang im Bekanntenkreis seine Kreise, denn fast jeder war von dieser schwarzhumorigen Filmperle vollauf begeistert, wodurch der Giftmischer wiederum zu einem kleinen Kult Film avancierte. Leider wurde der Film hierzulande bis zum heutigen Tage nicht digital ausgewertet, so dass dieser auch weiterhin den Status eines empfehlenswerten Geheimtipps trägt. Dabei klingt die deutsche Synchro nicht nur erstklassig, sondern lässt auch noch die britische Humornote äußerst originalgetreu wirken.
Fazit: Absolut empfehlenswert!
Score:
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Trailer:
(Überarbeiteter Beitrag aus 2014)