EIN KLEINES LUDER - Jacques Doillon

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Prisma
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EIN KLEINES LUDER - Jacques Doillon

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Jane Birkin   Michel Piccoli   in

EIN KLEINES LUDER


● LA FILLE PRODIGUE / EIN KLEINES LUDER (F|1981)
mit Natasha Parry, René Féret, Audrey Matson und Eva Renzi
eine Produktion der Les Productions de la Guéville | Gaumont
ein Film von Jacques Doillon


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»Nimm deine Medikamente!«


Anne (Jane Birkin) flüchtet nach einem Streit mit ihrem Mann (René Féret) zu ihren Eltern (Michel Piccoli und Natasha Parry) ans Meer, um Abstand zu gewinnen. Annes Gemütszustand ist schwer angeschlagen und ihre Eltern stehen ihrer schlechten Konstitution und der kompletten Situation hilflos gegenüber. Als sie auch noch davon erfährt, dass sich ihr Vater in eine ehemalige Tänzerin (Eva Renzi) verliebt hat und ihre Mutter verlassen will, bricht Anne innerlich komplett zusammen. Fortan bettelt sie förmlich um Liebe und Anerkennung und versucht ihrem Vater mit allen Mitteln näher zu kommen, doch dieser hält die emotionalen Kapriolen seiner Tochter nicht mehr lange aus...

Jacques Doillon inszenierte im Jahr 1979 den Film "La drôlesse", der in Deutschland unter dem Namen "Ein kleines Luder" vermarktet wurde, daher kommt es zu einigen Irritationen, da dieser Beitrag von 1981, ebenfalls inszeniert von Doillon, kurzerhand den gleichen Titel verpasst bekam. Betrachtet man die französischen Originaltitel, so handelt es sich um weitgehend freie Übersetzungen, die höchstens den Themen nahekommen. Möglicherweise wollte man mit der identischen Namensgebung ein paar zusätzliche Zuschauer anlocken. Was die erneute Titelgebung betrifft, wurde die Sache zumindest im Kern getroffen, denn Jane Birkin leistet in dieser Beziehung sozusagen tatkräftige Unterstützung, die allerdings zwischen Überzeugung, sowie einer Art Gratwanderung, hin- und herpendelt. Interessant ist, dass es der Film in der Bundesrepublik anscheinend zu keiner Kino-Auswertung gebracht hat, aber man muss es sagen wie es ist, dass der überaus schwermütige Tenor und die lethargische Umsetzung der Geschichte nicht gerade massentauglich wirkt. Das soll allerdings nicht heißen, dass man es gleichzeitig mit einem vollkommen uninteressanten Beitrag zu tun bekommt. Das französische Kino muss man mit all seinen Reibungsflächen und Finessen global - oder vielleicht sogar bedingungslos - zu schätzen wissen, um sich auch mit einem derart schwerfälligen Vehikel anzufreunden, denn wie erwähnt, wird es phasenweise nämlich äußerst zäh und sogar anstrengend zugehen, insbesondere wenn die Dialoglastigkeit mal wieder abenteuerliche Formen annimmt. Wie könnte es anders sein, dass diese Eindrücke auch noch mit befremdlichen Handlungsweisen und Bildern ausgeschmückt werden und schließlich festigt sich der Eindruck, dass sich die Geschichte in sich selbst verfängt. Nichtsdestotrotz ist der Einstieg und der anfängliche Verlauf sehr anschaulich und man kann dem Geschehen interessiert folgen. Feine zynische Spitzen sorgen für die nötigen Momente, bis Jane Birkin alles daran setzen wird, das sichere Terrain des dramatischen Kinos mutwillig in Stücke zu spielen.

»Die bösen Dämonen sind alle unterwegs. Sie feiern ein Fest in meinem Kopf. Den Gedanken akzeptieren, dass ich verrückt bin, verwirrt, erschöpft von meiner eigenen Nichtigkeit.« Derartige Monologe und Dialoge wird man zuhauf um die Ohren gehauen bekommen und alle Wege führen in diesem Verlauf zu der diffusen psychischen Erkrankung, die alle Beteiligten, so auch den Zuschauer, im Würgegriff halten wird. Die Regie ist weniger an Thematisierung und Aufklärung als an großspurig klingenden Worthülsen interessiert, die nach dem ersten Drittel plötzlich und ungehindert auftreten. Es wird schwer. Es wird ungemütlich. Es könnte unerträglich werden. Das Verhältnis zwischen Tochter und Vater wird hier zum Mittelpunkt hochstilisiert und Dank Jane Birkin fragt man sich etwa nach einer halben Stunde permanent, mit was für einem zutiefst zerrütteten Geschöpf man es denn eigentlich zu tun hat. Doillon, der zu dieser Zeit mit seiner Hauptdarstellerin liiert war, spielt zwar gezielt mit Befremdlichkeiten, dies allerdings vollkommen verzerrt und schließlich unverhältnismäßig. In Verbindung mit Michel Piccoli entstehen Vater-Tochter-Sequenzen, die auf ihrer verschachtelten bis unterschwellig sexualisierten Basis weniger erschrecken und zum Nachdenken anregen, als dass sie einfach nur vollkommen widerwärtig wirken. »Dass einem zwei Brüste wachsen geschieht nur, um die Väter abzustoßen!« Als Zuschauer sollte man sich besser weitere Fragen ersparen, um zu versuchen, den Film nicht voreilig und komplett abzuschreiben. Ein Vater erlebt seinen, na ja, dritten Frühling. Seine Frau reagiert mit hinnehmender Zurückhaltung und die Tochter konspiriert im Hintergrund, indem sie ihre Erkrankung als perfide Waffe einsetzt. In diesem Zusammenhang springen einem die Allüren der angriffslustigen Protagonistin äußerst negativ ins Auge, ihre unberechenbaren Kehrtwendungen entwaffnen sogar eine sonst so über die Maßen schlagfertige Eva Renzi. Die Regie und die Hauptdarstellerin arbeiten mit Hochdruck daran, den Zuschauer empfindlich zu treffen, doch leider geschieht dies nicht im Sinne von konstruktivem Fordern, sondern in Form eines unüberwindbaren Distanzaufbaus, der den Film schlussendlich zu dem degradiert, was er eigentlich ist: Ein über weite Strecken dramatisierter und überstilisierter Versuch, Alternativen zu bündeln, Schockmomente in der menschlichen Psyche zu präsentieren und verkrampft anders auszusehen, als es normalerweise üblich ist. So helfen auch die idyllischen Bilder, das pittoresk und beinahe familiär wirkende Setting nicht über die Querelen der verlorenen, um Aufmerksamkeit buhlenden Tochter hinweg. Ganz im Stil großer französischer Beiträge bleibt also nur folgender Alternativtitel: "Les téléspectateurs perdus".

Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: EIN KLEINES LUDER - Jacques Doillon

Beitrag von Percy Lister »

"Ein kleines Luder" (La fille prodigue) (Frankreich 1980)
mit: Jane Birkin, Michel Piccoli, Eva Renzi, Natasha Perry, René Féret, Audrey Matson | Drehbuch und Regie: Jacques Doillon

Die Fotografin Anne leidet seit geraumer Zeit an einer Nervenkrise. Sie vernachlässigt ihren Beruf und distanziert sich von ihrem Mann. Als ihre Eltern davon erfahren, holen sie Anne zu sich in ihr Haus am Meer, wo sie gesund werden soll. Doch der Vater hat sich in eine Tänzerin verliebt, die er seit langem beim Tennis bewundert. Annes Mutter fährt zu ihrer zweiten Tochter, um Abstand zu gewinnen und eine Entscheidung zu treffen. Nun bleibt Anne mit ihrem Vater allein im Haus und versucht alles, um seine exklusive Aufmerksamkeit und Zuneigung zu erlangen. Hilflos versucht der Vater, seine Tochter zu verstehen, ist aber bald mit ihren Gefühlsausbrüchen überfordert....

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Jane Birkin steht im unverrückbaren Mittelpunkt dieser Produktion, sie dominiert nicht nur die Handlung, sondern spricht auch neunzig Prozent des Dialogs. Unter der Regie ihres damaligen Lebensgefährten Jacques Doillon verausgabt sie sich bis zur mentalen Erschöpfung. Anne setzt zunächst alles daran, den Vater für sich zu gewinnen und ist dabei nicht gerade zimperlich. Sie attackiert ihn körperlich, versetzt ihm Tritte und Schläge und gibt sich launisch, pathetisch und gebieterisch. Ihr Credo, dass ein Kranker bei anderen Schuldgefühle auslöst, setzt sie mit Berechnung ein, um ihre Umgebung für sich einzuspannen und den Widerstand auf ein Minimum zu reduzieren. Anne glaubt, durch eine Negierung der Zeitspanne zwischen ihrer Pubertät und der Gegenwart, wieder in die unbeschwerten Tage ihrer Kindheit eintauchen zu können. Sie entfernt physisch alle Personen, die sie in ihrem selbstgewählten Exil stören, obwohl deren Anwesenheit in ihrer Psyche noch länger nachhallt. Sie legt dabei eine beachtliche Tatkraft an den Tag, auch wenn sie immer wieder von destabilisierenden Gedanken in ihrem Vorhaben, alles unter ihre Kontrolle zu bringen, zurückgeworfen wird. Die Abreise der Mutter, die Abschreckung der "Tänzerin" und die Vereinnahmung des Vaters geschehen fast fließend und lassen Anne immer mehr fordern und letztendlich auch bekommen. Der Vater ist verstummt, hat mit Worten kapituliert, auch wenn er sich körperlich noch gegen die aggressive Fixierung von Anne auf seine Person wehrt. Anfangs sucht er nach Situationen, in denen sich Anne wohl fühlen könnte und will ihr ein Gefühl der Behaglichkeit und Geborgenheit verschaffen. Als Anne keinen Appetit zeigt, reanimiert er ein Spiel aus ihrer Kindheit, um ihr das Essen löffelweise eingeben zu können. Er kümmert sich um die Einnahme ihrer Medikamente, unternimmt mit ihr Spaziergänge an der See, damit ihr die frische Meeresbrise um die Nase wehen kann und achtet darauf, dass sie genügend Schlaf bekommt, damit ihr fiebriger Geist wenigstens für ein paar Stunden Ruhe erhält und sich ihre Gedanken regenerieren können.

Eva Renzi ist im besten Sinne der Gaststar der französischen Produktion. Sie zeigt sich entspannt, bewegt sich gelassen auf dem beschaulichen Terrain und betont mit jeder ihrer Gesten, dass sie über Souveränität, Großzügigkeit und eine gesunde Distanz zu den Dingen verfügt. Das Aufeinandertreffen mit Jane Birkin gestaltet sich deshalb zu einem ungleichen Kräftemessen, weil Renzi klug genug ist, sich auf das berechnende Spiel gar nicht erst einzulassen, obwohl man nach einigen besonders heftigen Kommentaren merkt, dass es ihr schwerfällt, sich nicht zu äußern. Ihre Stärke ist ihre Schlagfertigkeit; mit Worten hinter dem Berg zu halten, ist nicht ihre Sache, aber eine Diskussion mit einer psychisch labilen Frau ist dann doch nicht das, was Renzi schätzt. Vielmehr beobachtet sie, sammelt Eindrücke und wartet, was da noch folgen wird. Das Interesse an Annes Vater hält sich in Grenzen und wird durch die Einladung zum Abendessen zu einer peinlichen Tatsache hochstilisiert, bei der die Anwesenden unter der Regie einer einzigen Person zu agieren haben. Man glaubt Mitleid aus Renzis Augen herauslesen zu können, Bedauern über die offen gezeigten Seelenqualen einer jungen Frau, die ebenso wie sie ein aktives Leben führen könnte. Obwohl einige Bemerkungen bei Tisch nicht gerade dazu anregen, die Vorfreude auf die kredenzten Speisen zu steigern, lässt sich Renzi ihren Unmut nicht anmerken. Niemals würde sie den "sanften Herrn" brüskieren und die Tafel vorzeitig verlassen. Ebenso lehnt sie ein gemeinsames Foto mit der Tochter des Hauses nicht ab, setzt sich aber den Umständen entsprechend förmlich und distanziert neben Anne aufs Sofa. Sie verabschiedet sich sogar noch persönlich von Anne, nachdem sich diese mit einer Entschuldigung auf ihr Zimmer zurückgezogen hat. Eva Renzi bekleidet in "Ein kleines Luder" eine weitgehend passive Rolle, sie lässt das Gehörte auf sich wirken und hält sich ansonsten über ihre wahren Gedanken bedeckt. Im Gegensatz zur blassen, verhärmten Jane Birkin sieht die zwei Jahre ältere Eva Renzi wie das blühende Leben aus. Die Sonnenbräune kommt durch ihre sahneweiße Kleidung noch besser zur Geltung und unterstreicht ihre Aktivitäten im Freien.

Wenn Jane Birkin als Anne dem Publikum Unbehagen bereitet, so regen der französische Filmtitel und seine deutsche Übersetzung mindestens zur Hinterfragung der Bedeutung desselben an. Inwiefern ist Anne verschwenderisch? In ihrer Gefühlswelt, die sich rücksichtslos einen Kanal sucht, der bald gefüllt ist mit Phrasen, Vorwürfen, Drohungen, Geständnissen und Lügen, sodass er überläuft, als breche das Wasser in einer Sturzflut herein? Oder ist es die Verschwendung eines Lebens, das durch eine selbst auferlegte Restriktion - im Banne der geistigen Dämonen - im wahrsten Sinn des Wortes vergeudet wird, weil ihm die Normalität entzogen wurde? Die deutsche Übersetzung spielt wieder einmal mit Attributen, die Frauen so gern verliehen werden, wenn sie aus der Reihe tanzen. Anne ist berechnend, sie weiß genau, wie sie Leute manipulieren kann und zwingt ihnen ihre Sicht der Dinge auf. Also muss sie ein Luder sein, ein liederliches Weib, das sich nicht fügt, sondern nach eigenen Gesetzen funktioniert. Wie einfach es sich deutsche Filmverleihfirmen doch oft mit der Wahl angeblich zugkräftiger Titelvorschläge machen! Freilich ist "Ein kleines Luder" nicht für die Multiplexsäle gedacht, der Film ist in einem kleinen Programm- oder Arthouse-Kino weitaus besser aufgehoben, spricht er doch eine Thematik an, die sich nicht zur beiläufigen Zerstreuung eignet, sondern nach einer grundsätzlichen Bereitschaft verlangt, sich mit den unbequemen Thesen und Theorien einer Frau auseinander zu setzen, deren Alltag bestimmt ist von der Bewältigung ihrer ganz persönlichen Krise. Michel Piccoli und Natasha Perry nehmen sich in ihrem Spiel zurück und setzen durch Blicke, die Andeutung eines Lächelns oder subtile Gesten Akzente, ohne der Sturmflut Birkin viel entgegen zu setzen. Die Rollen von René Féret und Audrey Matson ergänzen die Szenerie durch ihr Unverständnis bzw. ihre absolute Ahnungslosigkeit, weil sie zu sehr in ihrem Leben verankert sind, als dass sie sich mit Störungen der Psyche zu beschäftigen hätten. Diese Aufgabe wird an das Publikum delegiert, das zur Reflexion aufgerufen ist und das Geschehen von einer sicheren Warte aus betrachtet - als neutraler Zuschauer.

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Prisma
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Re: EIN KLEINES LUDER - Jacques Doillon

Beitrag von Prisma »



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● EVA RENZI als DIE VERLOBTE in
EIN KLEINES LUDER (F|1981)



Bei "La fille prodigue" handelt es sich um den letzten Auftritt Eva Renzis in ihrer kurzen französischen Phase, die einen Kurzfilm, eine coproduzierte deutsche und eine französische Serie, sowie diesen 1981 entstandenen Spielfilm umfasst. Wie so oft in ihrer Karriere war anschließend erst einmal wieder Sendepause, zumindest was Rollen in Kino und Fernsehen betrifft. Ihr nächster TV-Film steht somit erst im Jahr 1987 zu Buche. Diese langgezogenen Intervalle der schauspielerischen Abstinenz sind sowohl verwunderlich, als auch sehr bedauerlich, da sie gerade in diesem Zeitfenster sehr interessante Charakterzeichnungen angeboten hat. In "Ein kleines Luder" interpretierte Eva Renzi eine für ihre Verhältnisse recht ungewöhnliche Rolle, da sie einen weitgehend untergeordneten Part übernimmt, vor allem im Sinne von auffälliger Besonnenheit, Rücksichtnahme und Verständnis. Man lässt sie mit Jane Birkin in den Ring steigen, einer in Melancholie und Lethargie gefangenen jungen Frau, die ihre letzte Kraft offensichtlich dafür zusammenrafft, um die Personen ihres unmittelbaren Umfeldes anzugreifen. Eva Renzi ist in diesem Film quasi die Namenlose. Von Birkin wird sie wahlweise nur »die Verlobte« oder »die Tänzerin« genannt, allerdings in betont despektierlicher Weise. Beide Umschreibungen spiegeln deutliche Verachtung wider, gleichzeitig beschreiben sie aber auch die empfundene Unberechenbarkeit dieser Person, die den Familienfrieden und altbekannte Strukturen bedroht. Die erste Begegnung mit Eva Renzi findet auf einem idyllischen Tennisplatz statt - eine doppelte Augenweise für Tennis-Cracks und Renzi-Fans. Wohlwollend dürfen die Tennisspieler unter den Zuschauern zur Kenntnis nehmen, dass die Schauspielerin ganz offensichtlich nicht nur ein Racket in die Hand gedrückt bekommen hatte, um ein paar Ballwechsel zu simulieren, was in Filmen ja allzu häufig schlecht nachgestellt wurde. Anhand ihrer Bewegungsabläufe lässt sich stark vermuten, dass sie nicht zum ersten Mal einen Schläger in der Hand hatte. Als die unruhige Tochter auf dem Court auftaucht, weil ihr Vater gerne beim Tennis zuschaut und sie die Neue einmal sehen möchte, wird man sofort Zeuge, wie sie die Krallen ausfahren kann.

»Die Tänzerin«, die privaten Unterricht gibt, wird von ihr zum Abendessen eingeladen, oder vielmehr genötigt, ihr Gesellschaft zu leisten. Bei Tisch nimmt man ein unangenehmes Vakuum wahr, in dem sich die Beteiligten inklusive Zuschauer sehr peinlich berührt fühlen, da versteckte Torpedos im Umlauf sind, die unter die Gürtellinie abzielen. »Gehen Sie noch nicht gleich, sonst erwürge ich sie. Ich bin ein krankes Kind, das ist mein Abend, Sie müssen mir gehorchen!« Verwirrt schaut Eva Renzi drein, was man sicherlich nicht alle Tage zu sehen bekommen hat, und sie wird vollkommen in die passive Rolle gedrängt. Ihr Blick verrät Mitleid mit diesem von Komplexen zerfressenen Geschöpf, welches den diffusen Angriff gewählt hat, um eventuell zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Als sie sich verabschieden möchte, bekommt sie noch einige abfällige Bemerkungen mit auf den Nachhauseweg: »Ihr Körper ist schön, sehr schön sogar. Ich werde vielleicht einen Gymnastik-Kurs bei Ihnen machen. Entschuldigen Sie, ich meine natürlich Tanz, was für mich dasselbe ist!« Die sanfte Miene der Renzi verdunkelt sich unkontrolliert für einen kurzen Augenblick, sie kneift ihre Augen leicht zusammen, doch sie erspart es ihrem Gegenüber, diese plumpe Steilvorlage aufzugreifen und sie in der Luft zu zerreißen. Eine ungewohnte Position bezüglich der Rollenverteilungen bei der Schauspielerin, die man dadurch allerdings umso interessierter beobachtet, wobei man die typischen Merkmale wie Bodenständigkeit und moderne Auffassungen stets wahrnehmen kann. Dass sich die brüskierte »Verlobte« das letzte Wort nicht nehmen lässt, wirkt zusätzlich typisch, und damit endet dieser rundum gelungene Auftritt mit gleichzeitig angedeutetem Clash auch schon. Insgesamt sieht man eine facettenreiche, gut durchdachte und präzise aufgebaute Nebenrolle, die viel mehr hergibt, als der erste Blick vielleicht zeigen mag. Übrigens übernahm Eva Renzi hier die Synchronisation ins Deutsche erfreulicherweise wieder einmal selbst, und sie wirkt in vielerlei Hinsicht gereift und nochmals interessanter, als es ohnehin schon der Fall war. Schön, dass ihr breites Repertoire auch in "Ein kleines Luder" ganz deutlich zum Vorschein kommt und diesen unwirsch erzählten Film etwas aufwertet.



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