DER REST IST SCHWEIGEN - Helmut Käutner

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DER REST IST SCHWEIGEN - Helmut Käutner

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Hardy Krüger   Peter van Eyck   Ingrid Andree   Adelheid Seeck   Rudolf Forster   in

DER REST IST SCHWEIGEN


● DER REST IST SCHWEIGEN (D|1959)
mit Boy Gobert, Rainer Penkert, Heinz Drache, Charles Regnier, Siegfried Schürenberg, Richard Allan, Josef Sieber, u.a.
eine Freie Film-Produktion | Real Film | im Europa Filmverleih
ein Film von Helmut Käutner

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»Meine Mutter. Das Wort hat kein Echo mehr!«


John Claudius (Hardy Krüger) kehrt aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurück, wo sich im Ruhrgebiet das Werk seines verstorbenen Vaters (Siegfried Schürenberg) befindet. Als Alleinerbe der Claudius-Stahlhütte sorgt er bei vielen der übrigen Familienmitglieder für eine überaus angespannte Stimmung, zumal man sich über den Grund seiner Wiederkehr im Klaren ist. John ist nämlich der festen Überzeugung, dass sein Vater nicht wie behauptet bei einem Bombenangriff ums Leben kam, sondern einem perfiden Mordkomplott zum Opfer fiel. Unter seinen Verdacht fällt sein Onkel Paul (Peter van Eyck), der mittlerweile mit seiner eigenen Mutter Gertrud (Adelheid Seeck) verheiratet ist. John ist dazu entschlossen, den Bruder seines Vaters zu überführen und er provoziert einen Eklat, der in einer Katastrophe gipfelt...

Eine deutsche "Hamlet"-Verfilmung war dem Vernehmen nach ein lange bestehender Wunsch des Regisseurs Helmut Käutner, wohl wissend, dass es nicht einfach werden würde, diesen morbiden Stoff auch an den herkömmlichen Kinogänger bringen zu können. Betrachtet man die Produktion, so handelt es sich um eine vom Prinzip her nahe Variation des Theaterstücks von William Shakespeare und vieles wurde gar nicht so uninteressant eingedeutscht. Dass die Geschichte ein Stück weit auf dem Altar des deutschen Kriminalfilms geopfert wurde, wirkt im Endeffekt wie eine Rückversicherung, den Interessentenkreis so groß wie möglich zu halten, aber dieser Film, der seinerzeit mit dem Prädikat »wertvoll« versehen wurde, ist mehr als nur ein bemühter Versuch, denn die Balance zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und Zugeständnissen an bestehende Sehgewohnheiten wurde in "Der Rest ist Schweigen" nicht nur berücksichtigt, sondern optimiert. Der Film gewinnt sein Profil letztlich nicht nur durch den weltliterarischen Nährboden, sondern durch den Zeitsprung in eine Ära, die schwer gezeichnet und tief gespalten war. Einen Versuch, die Geschehnisse an sich zu relativieren, sucht man in Käutners Film glücklicherweise vergeblich. Eher zeigt der Verlauf wenig Scheu, zu reflektieren, um im selben Moment die mangelhafte Aufarbeitung Einzelner offenzulegen. Dennoch biedert sich das Stück nicht als Richter an. Ausgewählte Personen repräsentieren sicherlich einige der Bürden einer sich gerade wieder aufrappelnden Nachkriegsgesellschaft, die sich teilweise aus Leugnen, Verdrängen und aus dem Festhalten an alten Mustern zusammensetzt, aber auch das Gegenteil wird aufgezeigt. Dies wird durch eine Familie erzählt, die jedoch nicht als isolierter Fall dargestellt wird. Wo sich die einen distanzieren, bekennen sich andere. Wo sich der eine erholen kann, wird jemand anders von der Realität kaputt gemacht. Mancher findet sich, die nächsten entfernen sich unüberwindbar voneinander.

Die Modernisierung einer klassischen Tragödie, gekreuzt mit einem alternativ angehauchten Kriminalstück, hört sich zunächst nicht gerade nach der perfekten Symbiose an, doch überraschenderweise geschieht in "Der Rest ist Schweigen" eine gesunde Umkehr von Gesetzmäßigkeiten und die Stärken ergeben sich aus der Variation, sowie den freien Entfaltungsmöglichkeiten der wichtigen Charaktere. Der Täter ist von Beginn an vom Protagonisten und dem Zuschauer verurteilt, daher resultiert die spannende Frage daraus, wie die unausweichliche Hinrichtung aussehen wird. In Gang gesetzt wird die Aufklärung und gleichzeitig Katastrophe durch den Protagonisten John Claudius. Ein quasi Abgeschobener kehrt heim, was konkret heißt, er kommt zurück in sein nominelles Zuhause. Die nervöse Spannung ist allseits zu spüren, da man nicht nur Unberechenbarkeit erwartet, sondern einen regelrechten Kulturschock. Hardy Krüger interpretiert den Außenseiter; eine Rolle die er häufig glaubhaft gezeichnet hat und noch zeichnen sollte, da er wie geschaffen für solche Anforderungen erscheint. Seine kühle, unaufgeregte und teilweise sogar labile Art wirkt für die Schlangen, die geistreicherweise vor dem Kaninchen erstarren, besonders gefährlich und wie das buchstäbliche rote Tuch. Wenn sich jedoch die Puzzlestücke der 15 Jahre alten Vergangenheit zusammenfügen, wird er seine höfliche Diskretion gegen eine existenzielle Bedrohung durch Aggression austauschen. Ein perfekter Nährboden für große und kleine Tragödien, auf dem sich Hardy Krüger hier mit höchster Präzision bewegt. Sein Gegenspieler und Bruder seines Vaters wird in der gleichen Liga exzellent dargestellt von Peter van Eyck. Bei dem bereits zehn Jahre nach dieser Produktion verstorbenen Schauspieler handelt es sich um eines der wenigen wirklichen Phänomene des deutschen Nachkriegsfilms, wenn man sich das Spektrum seiner vielschichtigen Rollen anschaut.

Peter van Eyck war es stets aus dem Stand, aber vor allem in generell möglich, beide Seiten, sprich Gut und Böse, aber auch alles dazwischen, absolut überzeugend darzustellen. Paul Claudius' perfides Gesicht entsteht nicht nur durch die Tatsache, dass er sich durch das Ausschalten eines Kontrahenten ein unbeschwertes Leben ermöglicht und sich dazu alles genommen hat, sondern dass er den Beweis erbringt, dass er weder mit Blut noch Wasser etwas anzufangen weiß. Eine derartige Skrupellosigkeit und Kaltblütigkeit bildet ein Paar der wirkungsvollen Zutaten, die bei der Zuschauergemeinde leichte Schockzustände verursachen können. Rudolf Forster, als Überbleibsel der alten Garde, der in ambivalenter Weise ebenso für Treue, als auch Verrat steht, bereichert das Geschehen mit einer hoch konzentrierten Leistung, genau wie die gerne gesehenen Interpreten Siegfried Schürenberg, Rainer Penkert oder Charles Regnier, in sehr unterschiedlichen Rollen. Überraschend dicht fällt des Weiteren Heinz Draches Darbietung aus, da er nicht geneigt ist, um irgendwelche Sympathien zu buhlen und ihn die hochgradig vorhandene Überheblichkeit hier sehr gut kleidet. Bevor der erwartete Besuch die Schwelle auch nur betritt, konspiriert er bereits mit kritischen und abschätzigen Bemerkungen im Hintergrund, bis er sich ihm persönlich als ehemaliger Nazi vorstellt und letztlich eine der wenigen Instanzen darstellt, die in ihrer Arroganz zeitweise zwar nur schwer auszuhalten, aber wenigstens ehrlich ist. Lediglich Boy Gobert fällt schließlich ein wenig aus der Reihe, der dem Anschein nach sein ganzes Leben die gleiche Rolle zu spielen hatte und sich in "Der Rest ist Schweigen" wieder einmal selbst karikiert. Die Damen stehen der guten Spiellaune der Kollegen in nichts nach und bieten Vorstellungen der unterschiedlichsten Art an, können dabei für ebenfalls große Momente und problematische Verstrickungen sorgen.

Ingrid Andree vereint schwere Melancholie, auffällige Labilität, die unerträgliche Schwierigkeit des Seins und verheißungsvolle Poesie miteinander und bietet keinen greifbaren Charakter an, zumindest nicht auf den ersten Blick. Ihre Gemütskrankheit ist nicht nur ein übrig gebliebenes Resultat aus der Vergangenheit, sprich aus Kriegstagen, sondern vor allem der Gegenwart, die ihre Familie und das engste Umfeld darstellt. Da sich die Herrschaften hemmungslos selbst vorgestellt haben, wird es zu einer interessanten Frage, wer oder was sie eigentlich am meisten krank gemacht hat. Nur im Zusammensein mit John entstehen lichte Momente, doch durch Andrees vehementen Versuch, eine pechschwarze Prognose zu zeichnen, wird immer mehr klar, dass ein vages, aufblitzendes Licht am Ende des Tunnels nur ein entgegenkommender Zug sein kann. Zu guter Letzt gibt sich noch die großartige Adelheid Seeck in ihrer Paraderolle die Ehre. Es ist einfach spannend zu sehen, wenn im Rahmen derartig besonderer schauspielerischer Kompetenzen die Contenance zahlreichen fallenden Masken weichen muss, und sich herausstellen kann, ob sich die große Dame von Welt in diesem unerbittlichen Schachspiel selbst opfern muss. Alleine Schauspieler und Stab tragen schon zum überdurchschnittlichen Charakter dieses Films bei, aber auch die morbide Stimmung, die sich unmissverständlich durch das Szenario windet. Großartige Bildeindrücke, ein klarer Aufbau und eine zeitweise fordernde Regie bilden die großen Stärken von "Der Rest ist Schweigen", dem seine teils herkömmlichen Tendenzen durch den zeitgenössischen Krimi-Einschlag weniger schaden, als dass sie ihm zugute kommen. Helmut Käutners Beitrag, der 1959 ohne Auszeichnung am Wettbewerb der Berlinale teilnahm, stellt unterm Strich keine betont leichte Kost dar, versucht sich allerdings auch nicht in überdimensional hohe Sphären zu hieven. Unterm Strich ein wirklich sehenswertes, wenngleich schwermütiges Stück Zeitkolorit.

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Prisma
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Re: DER REST IST SCHWEIGEN - Helmut Käutner

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Helmut Käutners "Der Rest ist Schweigen" kann unter den anspruchsvolleren Geschichten dieser Zeit verbucht werden. Dabei durchaus als aufarbeitendes Drama, leichten Thriller oder Kriminalfilm geeignet, versucht die Hauptperson den anscheinend undurchdringlichen Schleier zu entfernen, in dem sich einige Personen verfangen haben oder sich gleich hinter ihm verstecken. 15 Jahre der Abstinenz und amerikanischen Lebensweise werden schon keine unangenehmen Fragen aufkommen lassen, so glaubt oder spekuliert zumindest die Familie, die sich nach dem Tod des Vaters gleich entscheidend modifiziert hat. Der Unterhaltungswert dieser mit Tragik und Schuld ausgestatteten Geschichte wird von Interpreten getragen und geformt, die sich in seichten Gefilden des Geschäfts oft nicht wohlfühlten, beziehungsweise in ausgesprochener Weise profilieren konnten, was insbesondere für Hardy Krüger, Ingrid Andree und die großartige Adelheid Seeck gilt. Nach Schuld folgt Sühne - so will es jedenfalls das Gesetz der Serie - doch bis es so weit ist, wird noch eine Menge Meissener Porzellan zerschlagen. Käutner bemüht sich, seine Geschichte bestimmend genug aber auch unterschwellig emotional aufgeladen zu präsentieren, was ihm sehr gut gelingt, bis sich der Filmtitel am Ende erfüllen kann - mit Ansage sozusagen. Die angebotenen Wege und Lösungen lassen das Geschehen spannend und sehenswert erscheinen, sodass man von einem sehr gelungenen Beitrag sprechen kann, der seinerzeit nicht alle Tage angeboten wurde.

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Re: DER REST IST SCHWEIGEN - Helmut Käutner

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Soeben noch einmal angeschaut und erneut beeindruckt vom fast schwermütigen Tiefgang der Produktion:


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