Der blinde Fleck – Täter. Einzeltäter. Attentäter?
Deutschland 2013
Regie: Daniel Harrich
Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, August Zirner, Jörg Hartmann, Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Anna Grisebach, Simone Kabst, Wowo Habdank, Tessa Mittelstaedt, Isolde Barth
https://ssl.ofdb.de/film/247692,Der-Bli ... t%C3%A4ter
Deutschland 2013
Regie: Daniel Harrich
Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, August Zirner, Jörg Hartmann, Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Anna Grisebach, Simone Kabst, Wowo Habdank, Tessa Mittelstaedt, Isolde Barth
https://ssl.ofdb.de/film/247692,Der-Bli ... t%C3%A4ter
Als am 26. September 1980 eine Bombe am Eingang des Münchner Oktoberfests explodiert, ist es nach 2 Stunden bereits offiziell, dass Linksextreme dahinter stecken. Wenige Stunden später muss diese Meinung zwar revidiert werden, aber nachdem nicht sein kann was nicht sein darf, wird der als Attentäter identifizierte Gundolf Köhler kurzerhand zum Einzeltäter erklärt. Verbindungen zur erstarkenden rechtsextremen Szene und der aktiven und bekannten Wehrsportgruppe Hoffmann gibt es keine! Punkt.
Der Rundfunkjournalist Ulrich Chaussy kommt ein paar Jahre später darauf, dass Gundolf Köhler überhaut nicht so menschenfeindlich, bösartig und asozial war wie von der Presse und der Polizei dargestellt, sondern im Gegenteil 2 Wochen vor dem Attentat einen Bausparvertrag abgeschlossen und eine Woche später sogar eine Band gegründet hat. Beides Dinge, die Selbstmordattentäter eher selten tun. Chaussy stellt auch fest, dass an der Geschichte, die von der bayerischen Landesregierung verteilt, und vom Generalbundesanwalt Rebmann bestätigt wird, überhaupt nichts stimmt. Er scheint auf der Spur einer Verschwörung zu sein, und wähnt sich bereits als neuer Bob Woodward oder Carl Bernstein (die beiden Reporter hatten in den 70ern den Watergate-Skandal aufgedeckt). Selbst einen Deep Throat hat er als Informanten: Der persönliche Referent des obersten bayerischen Staatsschützers lässt Chaussy die kompletten und, für die Ermittlungsbehörden, ausgesprochen kompromittierenden Vernehmungsakten zukommen. Aber im Schlepptau dieser Akten kommt allmählich die Angst zu Chaussy: Drohbriefe im Briefkasten, Autos die nachts auf dem Heimweg hinter ihm herfahren ...
Anstatt einer Rezension: https://de.wikipedia.org/wiki/Oktoberfestattentat bzw.https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Chaussy. Aber nein, zum Film muss man dann schon auch ein wenig was sagen. Denn der hat es einigermaßen faustdick hinter den Ohren.
Prinzipiell kommt DER BLINDE FLECK ohne große Actionszenen aus. Die Originalaufnahmen vom Tatort hauen ziemlich rein, vor allem weil die Kamera der Tagesschau damals auch noch ziemlich auf die blutigen Leichen draufgehalten hatte. Und die einzige andere Sequenz, die kurze Verfolgungsjagd auf dem Heinweg, ist bewusst sehr vage gehalten, ist es doch zu keinem Zeitpunkt wirklich sicher, dass hinter Chaussy jemand her ist. Der Film gefällt sich mehr darin, eine Stimmung der Angst und der Paranoia zu erzeugen. Sicher nicht so grandios wie etwa in Damiano Damianis ICH HABE ANGST, aber unter Oberfläche lauert die ganze Zeit dieses Unterschwellige, dieser Gedanke das da gleich was passieren könnte. Das Damoklesschwert der rächenden Neonazis.
Und genau mit dieser Stimmung punktet DER BLINDE FLECK. Muss er auch, denn nach dem Film stellt man als Zuschauer erstmal fest, dass die Dynamik etwas ins Leere weht. Es gibt keine, in einer spannenden Verfolgungsjagd gestellten Attentäter, es gibt keine Verschwörung, es existiert überhaupt nichts Greifbares. Genauso wie in es in der Realität auch war (und in genügend Fällen auch immer wieder ist), verpufft das Komplott enfach irgendwie. Chaussy bekommt Angst und lässt die gefährlicher werdende Jagd sein. Zack aus. So wie es jeder normale Mensch tun würde. Warren Beatty in AUGENZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG mag vielleicht als Idol einer Reportergeneration dienen, aber in der Wirklichkeit gibt es solche Männer halt einfach nicht. Oder zumindest nicht so oft. Auf Rudolf Augstein und die Spiegel-Affäre 1962 möchte ich hier explizit hinweisen ...
Das heißt DER BLINDE FLECK bleibt recht nah an der Wirklichkeit, zumindest so wie ich es im Artikel der Wikipedia lese. Einiges ist aus dramaturgischen Gründen gestrafft, anderes wird fortgelassen, das ist nichts Neues. Aber dass Ulrich Chaussy am Drehbuch mitgearbeitet hat, dies ist deutlich zu merken. Ein unbedingter Wille zur Realität durchzieht den Film, und hinterlässt gerade duch die Abszenz von Höhepunkten viel mehr Eindruck, als wenn solche künstlich eingebaut worden wären. Die handelnden Figuren, vor allem der oberste Landesschützer Hans Langemann (Heiner Lauterbach) und sein Referent Meier (August Zirner), sind geradezu perfekte graue Eminenzen hinter den Kulissen. Keine exaltierten Fantasiegestalten, sondern Menschen, die allen Ernstes denken, dass sie ihrem Lande dienen indem sie Lügengeschichten erfinden, offensichtliche Staasfeinde schützen, und dies gegen alle Widerstände durchboxen. Ganz stark ist auch der Auftritt von Udo Wachtveitl als Quick-Reporter Werner Winter, der ohne großen Aufwand und ohne temperamentvolle Exzesse sehr überzeugend das andere, das hässliche Gesicht des Journalismus zeigt. Desjenigen Journalismus, der Wahrheiten über die Nicht-Existenz des Klimawandels, die Gefahr von Impfungen oder die latente Kriminalität von Nicht-Weißen verbreitet ...
So oder so kämpft(e) Chaussy in Film und Wirklichkeit gegen Windmühlen. Auf diese Windmühlen wird dann auch am Ende des Films in einem eleganten Schlenker Bezug genommen, wenn ein Verweis auf die NSU-Morde eingebaut wird, der belegt, dass das rechte Auge des Staates schon immer ein gutes Stück blinder war als das linke. Und dass Zeugen auch in den 80ern bereits eingeschüchtert, nicht ernstgenommen oder gar verunglimpft wurden, wenn gute und solide Zeugenaussagen dem Staat gerade nicht in dem Kram passen. Die sogenannten Pannen der NSU-Ermittlungen werden als alte Bekannte gezeigt, die sich durch die Geschichte der Bundesrepublik (und nicht nur der) ziehen, und ein schales Gefühl von Hilflosigkeit und verzweifelter Wut erzeugen. Geschichte wiederholt sich eben doch ...
Ein Polit-Thriller der ruhigen und gefassten Art, der nach seiner Veröffentlichung viel zu unbeachtet blieb. Was unbedingt geändert werden sollte ...
7/10