DAS DRITTE GESCHLECHT - Veit Harlan

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DAS DRITTE GESCHLECHT - Veit Harlan

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● DAS DRITTE GESCHLECHT / ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) (D|1957)
mit Paula Wessely, Christian Wolff, Paul Dahlke, Hans Nielsen, Ingrid Stenn, Friedrich Joloff,
Herbert Hübner, Kurt Vespermann, Siegfried Schürenberg, Hilde Körber, Günther Theil, u.a.
eine Produkton der Arca Filmgesellschaft | im Constantin Filmverleih
ein Film von Veit Harlan

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»Ich weiß, du hörst das Wort nicht gern, aber es muss ja einmal gesagt werden!«


Christa Teichmann (Paula Wessely), die Mutter des Abiturienten Klaus (Christian Wolff), macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Sohnes, da der sich nicht für die Dinge interessiert, die ihr und anderen altersgemäß erscheinen. Dazu scheinen auch Mädchen zu gehören, und er verbringt die Zeit lieber mit seinem Schulfreund Manfred (Günther Theil), der Kontakt zu dem homosexuellen Antiquitätenhändler Dr. Winkler (Friedrich Joloff) herstellt. Von nun an verbringt er seine Zeit lieber in diesem unkonventionellen und für ihn spannenden Rahmen, bis die Justiz auf seine Mutter aufmerksam wird, der man am Ende schwere Kuppelei vorwirft...

Sogenannte Skandalfilme, für die es von der zeitgenössischen Kritik Verrisse in Hülle und Fülle gab, können ihre Qualitäten oder tatsächlichen Intentionen oft erst Jahrzehnte lang später preisgeben, da sich Blickwinkel und gesellschaftliche Normen ändern, beziehungsweise anpassen. Die oftmals recht verlockende Faustregel, dass vernichtende Premieren-Kritiken retrospektiv sehr häufig umgekehrt werden können - sowohl für positive als auch negative Eindrücke - erweist sich als nicht besonders verlässlich, da man es wie hier mit einer Geschichte zu tun bekommt, die sich uneindeutig im Selbstzweck zu verlieren droht. »Ein spätes Abfallprodukt faschistischer Gesinnung.«, war nur eines der vielen vernichtenden Urteile, die der Film in einer regelrechten Kaltfront von Protesten übergestülpt bekam, da sich die Geschichte mit einem Thema befasst, das die Gemüter erhitzt, vor allem diejenigen, die möglicherweise am weitesten davon entfernt sind. Bei der kritischen oder vielmehr gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität konnte Veit Harlan schon seinerzeit nicht grundlegend weiterhelfen, da er seine Vorstellungen isoliert und keine Äquivalente erkennen lässt. Im Grunde genommen wird das Großthema der Verführung angerissen, bei dem es sich in diesem Zusammenhang noch effektiv um einen Straftatbestand handelte, doch der prominente Anklagepunkt lautet schwere Kuppelei, da schließlich eine wohl zu ahnungslose aber mindestens einmal liberal eingestellte Mutter auf der Anklagebank landet. Es ist schwierig Veit Harlans Geschichte mit einem Blick zurück nach vorn zu ordnen, zumal auch das Gezeigte in gängige Klischees abdriftet und es am Ende nicht unbestreitbar klar wird, für wen der Film eigentlich ein Plädoyer hält, und welches Fazit er mitzugeben bereit ist. Interessiert man sich für den deutschen Film, ist "Das dritte Geschlecht" als mutiges und gewiss nicht alltägliches Zeitkolorit sicherlich einen gezielten oder auch nur losen Blick wert.

Es bleibt bei sogenanntem spekulativen Sex im Sinne des Hauptthemas, wenngleich sich die Produktion für das Jahr 1957 recht zeigefreudig präsentiert. Dies bezieht sich allerdings paradoxerweise auf das Zeigen von weiblichen Attributen, denn die paar nackten männlichen Oberkörper kennt man in ihrem hier dargestellten Wettkampfmodus bereits aus der griechischen Antike. Um bei der hier wesentlich stärker und vor allem wichtiger inszenierten Weiblichkeit zu bleiben, gerät das Hauptthema ins Hintertreffen, vor allem wenn dem Publikum eine alte Bauernregel aufgetischt wird, dass es nur genügend weibliche Reize braucht, um den Homosexuellen zu kurieren, der hier übrigens überhaupt nicht, wie von vielen behauptet, so veranlagt ist. Die Geschichte ist gesegnet mit hervorragenden Interpreten, dich sicherlich das Beste aus der zugegeben schwierigen Anforderung herausholen, wobei an den hier an den Pranger gestellten Rändern zu viele Karikaturen angeboten werden. So scheint es zumindest. Für Veit Harlan hagelte es Kritik über die Sache hinaus, da er und seine Inszenierung mit dessen Arbeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht wurden. Hinter viele Charaktere wird leider pauschal ein = gesetzt, sodass man es mit DEN Homosexuellen, DEN Spießern, DEN Abartigen, DEN Kupplern, DEN Guten und DEN Bösen zu tun bekommt, was keiner Geschichte hilft, von der man Weitblick und Fingerspitzengefühl erwarten würde. Hier muss man als Zuschauer viel der liegen gelassenen Arbeit selbst übernehmen, um zu einem lohnenswerten Abschluss und dem verkapselten guten Willen der Gesamt-Produktion zu kommen. Vieles wirkt unterm Strich zu konträr, zu überspitzt skizziert, zu undeutlich dechiffriert, zu vorsichtig angepackt, zu sehr an Nebenschauplätzen interessiert. Zwischenzeitlich befindet man sich dem Empfinden nach sogar in einem handelsüblichen Kriminalfilm mit Szenen am Gericht wieder, der allerdings nur leidlich spannend wirkt.

Die ausgewiesene Hauptrolle bleibt mit Paula Wessely leider nur ein Name, denn ihre Präsenz wird weitgehend vernachlässigt. Gefangen in einem gesellschaftlichen Korsett, erahnt man nur die liberalen Ansichten einer Mutter und Frau, der man es aufgrund der ungenauen dramaturgischen Richtung allerdings gerne als Naivität auslegen würde, was Wessely am Ende aber zu verhindern weiß. Die sicherlich besten Leistungen liefern Christian Wolff und Friedrich Joloff, deren folgenschwere Verbindung das Ganze erst ins Rollen bringt. Bekannte Gesichter wie Paul Dahlke, Hans Nielsen oder Siegfried Schürenberg lassen das Gefühl entstehen, dass sie Schwachstellen durch individuelle Finessen auszutauschen wissen. "Das dritte Geschlecht" fiel am Ende der FSK zum Opfer und wurde gerissen wie das Schaf von einem Wolf, sodass es nicht nur zu Kürzungen, sondern auch zu unterschiedlichen Montagen und nachsynchronisierten Passsagen kam. Selbst der Originaltitel musste am Ende weichen und der Film wirkt im Sinne der vielleicht einmal dagewesenen Intention wie der klassische gute Wille, der schlecht ausgeführt wurde. Im Rahmen der Dialoge lassen sich des Weiteren noch viele erhobene Zeigefinger ausfindig machen, die aber überhaupt kein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung haben. Gesetz und Justiz erweisen sich zudem als unerbittliche Helfershelfer für Moralvorstellungen, deren panischste Angst der Prüfstand ist. Außerdem hört man Belehrungen und teils abstruse Zusammenhänge, die den Film leider in die Ecke der Nachhilfeschüler rücken, die an komplexen Themen gescheitert sind. Anzuerkennen bleibt jedoch wie erwähnt der Mut, einen Film herauszubringen, der selbst vielleicht 10 Jahre später noch zu früh an gewesen wäre. "Das dritte Geschlecht" ist aus mancherlei Gründen sehenswert und animiert dazu, das Ganze aus eigener Kraft in ein individuell-versöhnliches Licht zu rücken, aber im Sinne der eigentlichen Intention und der defensiven Abhandlung ist dieses Harlan'sche Experiment wohl gescheitert.

ugo-piazza
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Re: DAS DRITTE GESCHLECHT - Veit Harlan

Beitrag von ugo-piazza »

Ich bin bis heute noch verärgert, dass die "Edition Filmmuseum" vom ursprünglichen Plan abgerückt ist, eine Doppel-DVD mit beiden Versionen, also der verstümmelten deutschen Fassung sowie der in Österreich veröffentlichten, herauszubringen.

Auf meine Anfrage wurde mir mitgeteilt, dass die Austria-Fassung mit Gerdas Nacktszenen wohl eher dem Wunsch des Produzenten entsprungen sei.

Auch wenn die einzelnen Szenen ja auf der Disc mit drauf sind, hat man hier völlig ohne Not die große Chance vertan, den Film zumindest teilweise zu rehabilitieren. So hat man weiterhin nur die massakrierte Fassung zur Hand.
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Prisma
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Re: DAS DRITTE GESCHLECHT - Veit Harlan

Beitrag von Prisma »

ugo-piazza hat geschrieben:
So., 15.01.2023 12:07
Auch wenn die einzelnen Szenen ja auf der Disc mit drauf sind, hat man hier völlig ohne Not die große Chance vertan, den Film zumindest teilweise zu rehabilitieren.

Das stimmt leider, ich hätte die fehlenden Szenen auch gerne im laufenden Film gesehen. Schön und gut, wenn die wenigstens noch in den Extras zu finden sind, aber mir geht es oft so, dass ich das Material dann gedanklich nicht richtig verbucht bekomme, der Gesamteindruck somit auf der gekürzten oder umgeschnittenen Fassung hängen bleibt. Also wären zwei Fassungen wohl die beste Alternative gewesen. Mir ist die Veranlassung allerdings nicht klar, warum das final so gehandhabt wurde.

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