DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

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"Was der Bauer nicht kennt..."



Entgegen meiner Vermutung scheint der Film doch nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit des Regisseurs gewesen zu sein, denn im zweistündigen Audio-Interview, welches als Bonus auf der ICH, DIE NONNE UND DIE SCHWEINEHUNDE-DVD enthalten ist, wirkt Ernst Ritter von Theumer diesbezüglich doch etwas zu verhalten, um daraus eine persönliche Generalabrechnung mit dem xenophoben Landvolk zu generieren. Zwar bekräftigt er einerseits, dass er den Film eigentlich schätzt, andererseits teilt er aber auch mehrfach mit, dass er mit diesem unzufrieden sei. Am meisten hätten ihn die vielen Toten gestört, was ihn wiederum verunsichert hätte. Leider äußert er sich nicht konkret zur Thematik des Films, sondern beschreibt diese lediglich lapidar mit den folgenden Worten: "Die Idee des Films war, dass ein Mord weitere nach sich zieht."


Weiterhin gibt Ernst Ritter von Theumer im Interview an, dass der Film zunächst auf 16mm-Film aufgenommen wurde, bevor dieser dann auf 35mm aufgeblasen wurde. Die Dreharbeiten hätten in der Nähe von Kitzbühel stattgefunden und annähernd sechs Wochen angedauert. Außer William Berger und Herb Andress, die beide schon in Theumers ICH, DIE NONNE UND DIE SCHWEINEHUNDE mitwirkten, sollen ausschließlich Laiendarsteller an dem Film mitgewirkt haben. Eine der ersten Filmvorführungen soll zudem bei den alljährigen Filmfestspielen in Cannes stattgefunden haben, wobei die Resonanz des fachkundigen Publikums sehr positiv ausgefallen sei. Weiterhin erzählt Theumer im Interview, dass sich Atze Brauner mit 50.000 DM an den Produktionskosten beteiligt hätte, die sich im gesamten auf 600.000 DM belaufen haben sollen.



Prisma hat geschrieben:
Fr., 23.12.2022 22:02
Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 21.12.2022 12:07
So, nachdem ich mir den Film vor einigen Tagen nochmals angeschaute habe, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass der Film gerade in der heutigen Zeit erneut ausgestrahlt werden müsste.
Finde ich ganz bemerkenswert, dass Du das sagst. Ich sehe das ganz genauso, aber auch die mögliche Gefahr, dass ein Film wie dieser zur heutigen Zeit und im mittlerweile fast schon traditionell hochempfindlichen Diskurs völlig in den falschen Hals gekriegt werden könnte.

Hätte man in den letzten Jahrzehnten mehr solcher Filme gezeigt, dann wäre der heutige Diskurs bestimmt weniger vergiftet. 8-)


Prisma hat geschrieben:
Fr., 23.12.2022 22:02
Ich halte das Geschehen nämlich nicht für so unreflektiert, willkürlich oder unbedeutend, wie man nicht selten vernehmen konnte, sondern ganz im Gegenteil. Es werden ja schon mehrere Finger viele Wunden gelegt. Das Ganze wird am Ende nur von keiner moralischen Instanz geregelt.

Umso mehr erstaunt es mich, dass Ernst Ritter von Theumer im besagten Interview nicht näher auf die Beweggründe des Films eingeht, für den er auch noch selbst das Drehbuch verfasst hat. Gerade weil ich den Film auch als sehr reflektiert empfinde, muss doch eine gewisse Intention dahintergesteckt haben, sich dermaßen mit dem Thema Antiziganismus auseinderzusetzen.


Prisma hat geschrieben:
Fr., 23.12.2022 22:02
Daher bleibt die Thematik vom Grundprinzip her brandaktuell.

Leider aktueller denn je! :|


Percy Lister hat geschrieben:
So., 08.01.2023 17:15
In diesem Zusammenhang ist die Unschlüssigkeit, welche die Titelgebung betrifft, diskussionswürdig, weil sie je nach Art der Betrachtung eine Wertung des Publikums wiedergibt. "Das Tal der Gesetzlosen" trifft den Ton sehr genau, weil niemand jemandem Rechenschaft ablegen muss, einzig die göttliche Autorität scheint je nach Einstellung als Entschuldigung bzw. Absolution angesehen zu werden.

Was die verschiedenen Filmtitel angeht, sollen diese laut Theumer folgendermaßen entstanden sein: Nachdem der Film zunächst unter dem Arbeitstitel BLUTRAUSCH geführt wurde, startete dieser im Rahmen der Erstaufführung unter dem Titel DIE TOTSCHMECKER in den deutschen Kinos. Infolge des zu geringen Erfolgs an der Kinokasse wurde der Film kurz darauf zurückgezogen, bevor er später wieder unter dem Titel DAS TAL DER HOFFNUNGSLOSEN wiederaufgeführt wurde. Aber auch dieser Titel wurde wegen Erfolglosigkeit wieder zurückgezogen, bis ihn ein Berliner Filmverleiher unter dem Titel DER IRRE VOM ZOMBIEHOF ein drittes Mal in die hiesigen Lichtspielhäuser brachte. Was die ZDF-Ausstrahlung angeht, sagt Theumer, dass der Film ursprünglich als Kinofilm konzipiert war, aber als der Mainzer TV-Sender auf ihn zugetreten sei, habe er diesen die Ausstrahlungsrechte verkauft.


Deutsche Erstaufführung (Kino): 22.02.1979

Deutsche TV-Ausstrahlung (ZDF): 29.06.1984


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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

Tja, schade, selbst nach 10 Jahren gibt es keine Neuauflage der Schweinehunde-DVD und so kannte ich dieses Audio-Interview gar nicht.
Theumer müsste jetzt 96 sein, es ist nichts bekannt dass er inzwischen verstorben ist

Subkultur
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Subkultur »

Dschallogucker hat geschrieben:
Mo., 09.01.2023 20:34
Theumer müsste jetzt 96 sein, es ist nichts bekannt dass er inzwischen verstorben ist
Ernst Ritter von Theumer verstarb am 19. November 2019.

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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

Danke für die Info.
Wikipedia und ofdb wussten das auch noch nicht (hatte da ja schon nachgeschaut)

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

Subkultur hat geschrieben:
Di., 10.01.2023 19:43
Ernst Ritter von Theumer verstarb am 19. November 2019.

Danke für die Info.
Werde mir später zum Gedenken an Ernst Ritter von Theumer den zweiten Teil des Audio-Interviews zu Gemüte führen.

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Prisma
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Percy Lister hat geschrieben:
So., 08.01.2023 17:15
"Das Tal der Gesetzlosen" trifft den Ton sehr genau, weil niemand jemandem Rechenschaft ablegen muss, einzig die göttliche Autorität scheint je nach Einstellung als Entschuldigung bzw. Absolution angesehen zu werden.

Im reichhaltigen Titel-Angebot finde ich "Tal der Gesetzlosen" auch am meisten gelungen und aussagekräftig, zumal die Frage aufgeworfen wird, ob es sich nur auf die Hauptpersonen im Film beschränken würde. Vielleicht ist sogar davon auszugehen, dass die Tradition oder die religiöse Erziehung mehrere Familien völlig abgehängt hat und toxische Hierarchien florieren. Im Film sind ja überall religiöse Gesten und Worte zu finden oder auch Heiligenbilder, und es scheint, als handle es sich hierbei tatsächlich um eine Absolution in sich. Jemand wird abgeknallt, aber das Kreuz am Essenstisch darf nicht fehlen, die Mutter stirbt, aber erst müssen die Leichen weggeschafft werden, die Magd betet vordergründig zu Gott, aber eigentlich dafür, dass sie irgendwann doch noch zur Herrin auf dem Hof gemacht wird. Dies alles wird in einer Mechanik dargeboten, die nahezu beängstigend ist. Es wirkt so, als sagten sich die Leute, solange weiter gemacht wird wie bisher und die pseudohafte Ehrfurcht vor einer höheren Instanz nicht verloren geht, wie der nie hinterfragte Glaube an sich, ist alles gut und richtig, und es kommt zu dem Gefühl, dass einem ohnehin nichts passieren könne. Gleichzeitig degradiert dieses Vakuum gerade Fremde zu Gefahren und die Hauptakteure zu unmündigen Personen, die alles tun werden, um die Zustände so zu halten, wie sie seit 1000 Jahren Brauch sind. Der Film gibt am Ende viel mehr her, als die Titel zu suggerieren versuchen.

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

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In Treue fest für Gott, Heimat und Vaterland!


oder doch eher


"Gott mit uns" ?
(Parole der Gruppe Ludwig -- #)


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"Es ist alles nicht mehr, wie es früher war. Es gibt keine Moral mehr und auch keine Sittlichkeit. Es geht alles drunter und drüber. Amen."


Da mich sowohl der Film als auch das Interview mit Ernst Ritter von Theumer nicht mehr loslassen, habe ich mir das Ganze nochmals etwas genauer durch den Kopf gehen lassen. Zum einen bin ich der Meinung, dass der Regisseur mit seinem Film in erster Linie die unaufhaltsamen Folgen einer in Gang gesetzten Gewaltspirale aufzeigen wollte. Zumindest lieferte das Interview keine konkreten Anhaltspunkte für meine zuvor getätigte Vermutung einer bewusst inszenierten Generalabrechnung mit Teilen der autoritären Landbevölkerung, wobei dies aber aus filmwissenschaftlicher Sicht nicht ausschließt, dass sein Film dennoch die Folgen eines toxischen Rechtskonservatismus aufzeigt - denn genau das tut das filmische Endprodukt, wenn auch unbewusst. Zum anderen kann ich kein 'konkret' rassistisches Motiv als Auslöser für die jeweiligen Mordtaten erkennen, denn in keinem der Fälle ist der direkte Hass auf Sinti und Roma der Auslöser, sondern vielmehr Folgen eines autoritär-nationalistischen Konservatismus mit fundamental religiösem sowie ethnozentristischem Einschlag. Dennoch stellt der Film bereits am Anfang des Handlungsverlaufs eindeutig das rassistische Weltbild der reaktionären Bauernfamilie heraus, was wiederum den fehlenden Skrupel zur Begehung solcher Taten vermutlich begünstigt:


"Was, bei uns treiben sich Zigeuner um? Das Gesindel ist doch nur zum Stehlen unterwegs. [...] Dass man diese Zigeuner frei herumlaufen lässt. Eingesperrt gehören sie, oder besser gleich ausgerottet. Lichtscheues Gesindel. Nichts arbeiten tun sie und katholisch sind sie auch nicht."


Angesichts dieses verheerenden Menschenbilds ist es auch kaum verwunderlich, dass Tochter Anna eben genau mit diesem sozialisiert wurde, was wiederum ihr unreflektiertes Trällern von hochrassistem Liedgut aufzeigt. Doch spätestens als sie auf Joschi trifft, lösen sich ihre familiär eingeprägten Ressentiments gegenüber den Sintis und Romas in Wohlgefallen auf. Nicht so beim Rest ihrer Familie, denn diese verharren weiterhin unbeirrt in ihrem rechten Denken, welches durch solch elementare Merkmale wie beispielsweise Autoritarismus, völkisches Denken, Ablehnung von Fremden, Widerstand gegen Migration, ein patriachales Weltbild oder dem Widerstand gegen eine demokratisierte Gesellschaft bestimmt wird.


"Liebet Euren Nächsten so wie auch ihr geliebt werden wollt. Tut nichts Böses sowie auch ihr nicht wollt, dass man euch Böses tut. Achtet die Gebote Gottes, denn nur dann werdet ihr frei sein, denn nur dann werdet ihr das Paradies erblicken."

Was den im Film propagierten Glauben an Gott angeht, so wird dieser meines Erachtens hauptsächlich dazu genutzt, um sich von seinen begangenen Sünden reinzuwaschen, wobei eine echte Reue hinsichtlich der abscheulichen Taten bei den Tätern offensichtlich nicht besteht. Die einzige aus der Sippschaft, die augenscheinlich überzeugend ihren göttlichen Glauben lebt, scheint die Großmutter zu sein, denn alle anderen lassen an der ein oder anderen Stelle durchschimmern, dass es mit ihrer vermeintlichen Gläubigkeit eigentlich gar nicht so weit her ist. Und wie ernst es den Familienmitgliedern mit der letztlich für den Film zutreffende Losung "In Treue fest für Gott, Heimat und Vaterland" ist, zeigt dann das traurige Ende des Streifens.


"Kurt, wir haben etwas zu feiern. Geh, hol was zum Saufen."



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