● DIE TOTENSCHMECKER / DER IRRE VOM ZOMBIEHOF / DAS MÄDCHEN VOM HOF / DAS TAL DER GESETZLOSEN (D|1978)
mit Herb Andress, William Berger, Peter Jacob, Lore Graf, Claus Fuchs, Claudia Bethge, Günter Geiermann, Wolfgang Breiden,
Sony Kaikoni, Nipso Brantner, Georg Segar, Cäzilia Brantner, Ramona Blum, Hedwig Blum, Monica Teuber sowie Maria Beck
eine Produktion der Cine-Tele Team | Alfa Film | im Nobis Filmverleih
ein Film von Ernst Ritter von Theumer
Pressebericht vom 11. Februar 1977 hat geschrieben:Am 5. November 1972 schoss ein Bauer auf flüchtende Zigeunerfrauen, die in seinen Hof eingedrungen waren. Mit Schüssen in den Rücken starb eine hochschwangere Frau und eine zweite wurde lebensgefährlich verletzt. Die Bevölkerung des Ortes gab dem Bauer recht und die Verteidigung appellierte an das Schwurgericht: Das Strafgericht sollte Verbrecher treffen, aber nicht einen anständigen Bürger, der sich und seine Familie verteidigt! Schützen Sie durch ihr Urteil die Landbevölkerung, indem sie nicht einen anständigen Bürger in das Gefängnis schicken!
Gedeckelt von einer Kolportage-Frömmigkeit, die sich seit Jahrhunderten weitergetragen hat, aber praktisch nicht existiert, entstehen denkwürdige Momente, wie etwa solche, dass erst einmal das Kreuz geschlagen wird, um die warme Suppe bei Tisch löffeln zu können, nachdem jemand völlig unsentimental abgeknallt wurde. Das Szenario schaukelt sich unscheinbar aber sicher hoch, da innerhalb der ansässigen Familie ohnehin genügend Konflikte brodeln. Versehen mit einem Sohn, den man lieber verstecken möchte und einem unehelichen Kind, ist die Reputation im Tal ohnehin am Arsch, was zur latenten Aggressivität führt, da man sich über diese Realitäten im Klaren ist. Bebildert mit landschaftlicher Schönheit und Idylle, beruhigenden Heiligenbildern und vergebenden Kruzifixen, zeigen sich im harten Kontrast dazu tiefste menschliche Abgründe, die durch das Auftauchen der »Zigeuner« Gestalt annehmen. Bei genauer Überlegung ist dieser Zusammenhang nichts als absurd, allerdings fühlen sich die Bewohner des Großbauernhofs bedroht. Zwischenzeitlich geht es in "Die Totenschmecker" ziemlich gemächlich zu, bis es zu Höhepunkten in Form affektiver Bilder kommt, die publikumswirksam platziert sind. Gesprochen wird im Dialekt, gedacht im Dreieck. Das Umfeld erhält einen traditionellen Touch, wofür natürlich auch das Ambiente mit verantwortlich ist. Im Grunde genommen ist die Geschichte wie eine Kettenreaktion aufgebaut, sodass eins zum anderen kommen muss. Zuerst waren Vorurteile da: »Zigeuner« stehlen dem Vernehmen nach nicht nur materielle Dinge, sondern auch Herzen, führen ohnehin nur Schlechtes im Schilde und man sollte sich von ihnen fern halten. Nachdem Anna sich selbst ein altes Lied mit derartigen Inhalten vorgesungen hatte, trifft sie auf Sony, der ihr auf seiner Geige vorspielt und sie zu seinen Leuten einlädt. Anna fühlt sich sehr wohl und geborgen, sodass die alt eingepflanzten Vorurteile mit einem Schlag weggewischt sind.
Dennoch sollte niemand zu Hause erfahren, mit wem sie sich herumgetrieben hat, da es sonst etwas setzen würde. Als Zuschauer weiß man, dass der Tod überall lauern könnte und man wartet nur auf den ersten Gewaltexzess, für den regelrechte Experten bereit stehen. Es ist nur die Frage, wer zuerst ausrasten wird, aber jede noch so große Abscheulichkeit wird gerechtfertigt und in einer abstoßenden Absolutionsrunde abgenommen. Sicher verfügt die Geschichte über einige völlig verzerrte Charaktere, aber was hätte es gebracht, die Realität realer als real darzustellen. Dass gewisse Herrschaften so agieren, bis es vielleicht surreal wirkt, erspart dem Film lediglich den Zusatz, dass die Personen frei erfunden seien, zumal als Horsd’œuvre auf einen tatsächlichen Zusammenhang verwiesen wird. Die aus dem Ruder laufende Aggression fängt irgendwann an, die Vorstellungskraft zu übersteigen, was den Film unterm Strich so brutal und bedrückend wirken lässt, obwohl sich wie erwähnt viel zu gediegene Phasen eingeschlichen haben. Im Gros ist die Geschichte bis auf Herb Andress und William Berger anscheinend laienhaft besetzt, wobei sich die jeweiligen Leistungen dem Geschehen erstaunlich gut anpassen und für atmosphärische Dichte sorgen. Berger und Andress als zwei Kampfhähne suggerieren gleich zu Beginn, dass es mit ihnen nur eine Frage der Zeit sein wird, bis die Emotionen hochkochen und explodieren. Angestachelt von deren eigenem Vater, einem schlechteren Befehlshaber, und der Magd, die trotz der familiären Verstrickung keine offizielle Anerkennung durch eine Heirat bekommt, sucht man vergeblich nach Figuren, von denen irgendetwas Positives zu erwarten wäre. Lediglich Maria Beck wirkt wie eine Exotin in diesem von Traditionen und Engstirnigkeiten beladenen Haus, und sie mach darstellerisch eine erstaunlich gute Figur, was übrigens auch für viele andere Interpreten gilt. Der Verlauf setzt allerdings auf ein rapides Dezimierungsprinzip, dessen Mechanik oft verstört und völlig wahllos wirkt.
"Die Totenschmecker" machen ihrem reißerischen und leider etwas deplatziert wirkenden Titel alle Ehre. Im Endeffekt ist es schade, dass die vielen nicht passgenauen Titel den durchaus ernsten und nachdenklichen Tenor des Films verwässern, der eben nicht nur dazu hergestellt zu sein scheint, zu schockieren und abzustoßen. Es wird zwar schwierig, gangbare Brücken zur Realität zu bauen, aber im Endeffekt handelt es sich bei den Basis-Inhalten um keine von Ernst Ritter von Theumer erfundenen Märchen, wobei der gezielte und empfindliche Blick gerade durch seine Federführung und Präsenz in die menschliche Psyche fehlt. Abgründe sind deutlich erkennbar, doch hin und wieder wäre ein konkreter Entwurf der persönlichen Intentionen hilfreich gewesen. Handelt es sich um komplett psychisch Gestörte, religiöse Fanatiker, gebrochene Einsiedler, oder doch relativ normale Menschen, denen die falsche Zeit und der falsche Ort zum Verhängnis wurden? Weiterhin ist es natürlich fraglich, in wieweit dieser Beitrag mit seiner provokanten Ruhe vor dem Sturm überhaupt in diese Richtung führen möchte. So sollte man dieses angebotene Hybrid bestenfalls dankend annehmen und in den richtigen Momenten staunen. Zwischenzeitlich fragt man sich tatsächlich aufrichtig, wie alles überhaupt so weit kommen konnte, da sich die Hauptpersonen vollkommen aus rationalen Gefilden verabschiedet haben. Eines ist jedenfalls klar: Die Brüder Felix und Kurt hätten sich auch ohne den von ihrem dritten Bruder provozierten Zwischenfall die Köpfe eingeschlagen. Irgendwann. Irgendwo. Wegen irgendetwas. Unterm Strich bleibt "Die Totenschmecker" ein Vertreter mit überaus reißerischen aber nicht minder nachdenklichen Tendenzen, der seine unsentimentale Unterhaltungsmission mehr als ernst nimmt und das Publikum schockiert wo es nur geht. Dies geschieht bevorzugt in den persönlichen Komfortzonen der Zuschauer, die durch die aufwühlenden Bilder inklusive zahlreicher Tabubrüche ausgehebelt werden. Im Nachgang beachtlich.