DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

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DIE TOTENSCHMECKER


● DIE TOTENSCHMECKER / DER IRRE VOM ZOMBIEHOF / DAS MÄDCHEN VOM HOF / DAS TAL DER GESETZLOSEN (D|1978)
mit Herb Andress, William Berger, Peter Jacob, Lore Graf, Claus Fuchs, Claudia Bethge, Günter Geiermann, Wolfgang Breiden,
Sony Kaikoni, Nipso Brantner, Georg Segar, Cäzilia Brantner, Ramona Blum, Hedwig Blum, Monica Teuber sowie Maria Beck
eine Produktion der Cine-Tele Team | Alfa Film | im Nobis Filmverleih
ein Film von Ernst Ritter von Theumer

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»Ihr habt den Teufel im Leib!«


Zwischen den Brüdern Felix (William Berger) und Kurt (Herb Andress) schwelt ein immer währender Streit um die Position auf dem Großbauernhof ihres Vaters (Peter Jacob) im Tiroler Alpenland. Als sich eines Tages auf der Durchreise befindende »Zigeuner« in ihrer Nähe niederlassen, geraten die Bewohner des Hofes in Aufruhr, da sie von Vorurteilen, Fremdenhass und diffusen Ängsten beherrscht sind. Lediglich die 15jährige Anna (Maria Beck) freundet sich mit Joschi (Sony Kaikoni) an. Als zwei der kampierenden Frauen eines Tages zum Bauernhof kommen, um Milch und Eier zu kaufen, kommt es zu einem entsetzlichen Zwischenfall mit dem dritten Sohn des Hauses (Claus Fuchs), der aufgrund seiner geistigen Retardierung immer isoliert wurde...

Pressebericht vom 11. Februar 1977 hat geschrieben:
Am 5. November 1972 schoss ein Bauer auf flüchtende Zigeunerfrauen, die in seinen Hof eingedrungen waren. Mit Schüssen in den Rücken starb eine hochschwangere Frau und eine zweite wurde lebensgefährlich verletzt. Die Bevölkerung des Ortes gab dem Bauer recht und die Verteidigung appellierte an das Schwurgericht: Das Strafgericht sollte Verbrecher treffen, aber nicht einen anständigen Bürger, der sich und seine Familie verteidigt! Schützen Sie durch ihr Urteil die Landbevölkerung, indem sie nicht einen anständigen Bürger in das Gefängnis schicken!

Der Name Ernst Ritter von Theumer steht in der Regel für eine besondere Art der Unterhaltung in genreübergreifender Manier, was sich auch in diesem Beitrag zeigen wird. Inszeniert unter dem Pseudonym Richard Jackson, kommt es zu einer sehr speziellen Geschichte, die sich nicht immer an bestehende Gesetze der Erwartungshaltung hält. Der Titel "Die Totenschmecker" suggeriert Verderben, Tod und Gemetzel, genau wie es der spätere Video-Titel "Der Irre vom Zombiehof" tut, doch diese Varianten können genau wie die Alternativen "Das Mädchen vom Hof" oder "Tal der Gesetzlosen" nur vordergründig in die Irre leiten und dem Ganzen darüber hinaus nicht gerecht werden. Ernst Ritter von Theumer bietet also zunächst einmal die große Ungewissheit an, was sich im Vorfeld insofern negativ auswirkt, da man möglicherweise nicht das bekommt, was erwartet wurde, egal von welcher Seite man den Film betrachtet. Als Pendant zur Kitzbüheler Umgebung bekommt man eine Geschichte serviert, die schlimmer als eine griechische Tragödie aber dennoch nicht so weit hergeholt zu sein scheint, wie lange angenommen. Da sich eine familiäre Zwietracht mit einer unbeschreiblichen Xenophobie vermischt, ist die Katastrophe vorprogrammiert und aufgrund ihrer vielen Akteure auch unausweichlich. Ein weit verbreiteter Mythos, dass Fremde einem irgendetwas wegnehmen wollen, war und ist bis heute leider präsent, sodass diejenigen, die sich bedroht fühlen, zu unverhältnismäßigen Mitteln greifen können. Hier tut dies fast eine komplette Familie, die aus ihrem gedanklichen Tunnel nicht mehr herauskommt. Patriarchalische Verhältnisse, die sich seit Urzeiten aufrecht erhalten haben, sichern die vakuumierten Ansichten für Generationen. Bestehend aus dem Altbauer und seinen zwei Söhnen⁺, der Magd, die ihm ein Enkelkind schenkte aber keine Schwiegertochter wurde, und seiner gottesfürchtigen Frau, die gemessen an den kommenden Geschehnissen wie ein düsteres Orakel wirkt.

Gedeckelt von einer Kolportage-Frömmigkeit, die sich seit Jahrhunderten weitergetragen hat, aber praktisch nicht existiert, entstehen denkwürdige Momente, wie etwa solche, dass erst einmal das Kreuz geschlagen wird, um die warme Suppe bei Tisch löffeln zu können, nachdem jemand völlig unsentimental abgeknallt wurde. Das Szenario schaukelt sich unscheinbar aber sicher hoch, da innerhalb der ansässigen Familie ohnehin genügend Konflikte brodeln. Versehen mit einem Sohn, den man lieber verstecken möchte und einem unehelichen Kind, ist die Reputation im Tal ohnehin am Arsch, was zur latenten Aggressivität führt, da man sich über diese Realitäten im Klaren ist. Bebildert mit landschaftlicher Schönheit und Idylle, beruhigenden Heiligenbildern und vergebenden Kruzifixen, zeigen sich im harten Kontrast dazu tiefste menschliche Abgründe, die durch das Auftauchen der »Zigeuner« Gestalt annehmen. Bei genauer Überlegung ist dieser Zusammenhang nichts als absurd, allerdings fühlen sich die Bewohner des Großbauernhofs bedroht. Zwischenzeitlich geht es in "Die Totenschmecker" ziemlich gemächlich zu, bis es zu Höhepunkten in Form affektiver Bilder kommt, die publikumswirksam platziert sind. Gesprochen wird im Dialekt, gedacht im Dreieck. Das Umfeld erhält einen traditionellen Touch, wofür natürlich auch das Ambiente mit verantwortlich ist. Im Grunde genommen ist die Geschichte wie eine Kettenreaktion aufgebaut, sodass eins zum anderen kommen muss. Zuerst waren Vorurteile da: »Zigeuner« stehlen dem Vernehmen nach nicht nur materielle Dinge, sondern auch Herzen, führen ohnehin nur Schlechtes im Schilde und man sollte sich von ihnen fern halten. Nachdem Anna sich selbst ein altes Lied mit derartigen Inhalten vorgesungen hatte, trifft sie auf Sony, der ihr auf seiner Geige vorspielt und sie zu seinen Leuten einlädt. Anna fühlt sich sehr wohl und geborgen, sodass die alt eingepflanzten Vorurteile mit einem Schlag weggewischt sind.

Dennoch sollte niemand zu Hause erfahren, mit wem sie sich herumgetrieben hat, da es sonst etwas setzen würde. Als Zuschauer weiß man, dass der Tod überall lauern könnte und man wartet nur auf den ersten Gewaltexzess, für den regelrechte Experten bereit stehen. Es ist nur die Frage, wer zuerst ausrasten wird, aber jede noch so große Abscheulichkeit wird gerechtfertigt und in einer abstoßenden Absolutionsrunde abgenommen. Sicher verfügt die Geschichte über einige völlig verzerrte Charaktere, aber was hätte es gebracht, die Realität realer als real darzustellen. Dass gewisse Herrschaften so agieren, bis es vielleicht surreal wirkt, erspart dem Film lediglich den Zusatz, dass die Personen frei erfunden seien, zumal als Horsd’œuvre auf einen tatsächlichen Zusammenhang verwiesen wird. Die aus dem Ruder laufende Aggression fängt irgendwann an, die Vorstellungskraft zu übersteigen, was den Film unterm Strich so brutal und bedrückend wirken lässt, obwohl sich wie erwähnt viel zu gediegene Phasen eingeschlichen haben. Im Gros ist die Geschichte bis auf Herb Andress und William Berger anscheinend laienhaft besetzt, wobei sich die jeweiligen Leistungen dem Geschehen erstaunlich gut anpassen und für atmosphärische Dichte sorgen. Berger und Andress als zwei Kampfhähne suggerieren gleich zu Beginn, dass es mit ihnen nur eine Frage der Zeit sein wird, bis die Emotionen hochkochen und explodieren. Angestachelt von deren eigenem Vater, einem schlechteren Befehlshaber, und der Magd, die trotz der familiären Verstrickung keine offizielle Anerkennung durch eine Heirat bekommt, sucht man vergeblich nach Figuren, von denen irgendetwas Positives zu erwarten wäre. Lediglich Maria Beck wirkt wie eine Exotin in diesem von Traditionen und Engstirnigkeiten beladenen Haus, und sie mach darstellerisch eine erstaunlich gute Figur, was übrigens auch für viele andere Interpreten gilt. Der Verlauf setzt allerdings auf ein rapides Dezimierungsprinzip, dessen Mechanik oft verstört und völlig wahllos wirkt.

"Die Totenschmecker" machen ihrem reißerischen und leider etwas deplatziert wirkenden Titel alle Ehre. Im Endeffekt ist es schade, dass die vielen nicht passgenauen Titel den durchaus ernsten und nachdenklichen Tenor des Films verwässern, der eben nicht nur dazu hergestellt zu sein scheint, zu schockieren und abzustoßen. Es wird zwar schwierig, gangbare Brücken zur Realität zu bauen, aber im Endeffekt handelt es sich bei den Basis-Inhalten um keine von Ernst Ritter von Theumer erfundenen Märchen, wobei der gezielte und empfindliche Blick gerade durch seine Federführung und Präsenz in die menschliche Psyche fehlt. Abgründe sind deutlich erkennbar, doch hin und wieder wäre ein konkreter Entwurf der persönlichen Intentionen hilfreich gewesen. Handelt es sich um komplett psychisch Gestörte, religiöse Fanatiker, gebrochene Einsiedler, oder doch relativ normale Menschen, denen die falsche Zeit und der falsche Ort zum Verhängnis wurden? Weiterhin ist es natürlich fraglich, in wieweit dieser Beitrag mit seiner provokanten Ruhe vor dem Sturm überhaupt in diese Richtung führen möchte. So sollte man dieses angebotene Hybrid bestenfalls dankend annehmen und in den richtigen Momenten staunen. Zwischenzeitlich fragt man sich tatsächlich aufrichtig, wie alles überhaupt so weit kommen konnte, da sich die Hauptpersonen vollkommen aus rationalen Gefilden verabschiedet haben. Eines ist jedenfalls klar: Die Brüder Felix und Kurt hätten sich auch ohne den von ihrem dritten Bruder provozierten Zwischenfall die Köpfe eingeschlagen. Irgendwann. Irgendwo. Wegen irgendetwas. Unterm Strich bleibt "Die Totenschmecker" ein Vertreter mit überaus reißerischen aber nicht minder nachdenklichen Tendenzen, der seine unsentimentale Unterhaltungsmission mehr als ernst nimmt und das Publikum schockiert wo es nur geht. Dies geschieht bevorzugt in den persönlichen Komfortzonen der Zuschauer, die durch die aufwühlenden Bilder inklusive zahlreicher Tabubrüche ausgehebelt werden. Im Nachgang beachtlich.



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Sid Vicious
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Sid Vicious »

Prisma hat geschrieben:
Di., 29.11.2022 23:58
Abgründe sind deutlich erkennbar, doch hin und wieder wäre ein konkreter Entwurf der persönlichen Intentionen hilfreich gewesen. Handelt es sich um komplett psychisch Gestörte, religiöse Fanatiker, gebrochene Einsiedler, oder doch relativ normale Menschen, denen die falsche Zeit und der falsche Ort zum Verhängnis wurden?
Ich vermute, dass die Personen dazu erzogen wurden. Die Familie lebt seit Generationen in der Einöde. Für sie ist die Zeit stehen geblieben. Und das Schlimmste daran ist die Tatsache, dass diese Zeit heilig gesprochen wurde. Die Sakrale Zeit, der Traum einer jeden Diktatur (das Tausendjährige Reich). Man kann die Personen auch – wie viele Charaktere und Figuren in US-amerikanischen als auch italienischen Western – als Zivilisationsflüchtlinge bezeichnen, die von Zivilisierung und Forschritt überfordert werden und mit Hass und Brutalität reagieren.
Prisma hat geschrieben:
Di., 29.11.2022 23:58
Weiterhin ist es natürlich fraglich, in wieweit dieser Beitrag mit seiner provokanten Ruhe vor dem Sturm überhaupt in diese Richtung führen möchte. So sollte man dieses angebotene Hybrid bestenfalls dankend annehmen und in den richtigen Momenten staunen. Zwischenzeitlich fragt man sich tatsächlich aufrichtig, wie alles überhaupt so weit kommen konnte, da sich die Hauptpersonen vollkommen aus rationalen Gefilden verabschiedet haben.[/align]
Ich kam während des gesamten Film nicht aus dem Staunen raus.
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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

Ich glaube, heute würde das ZDF diesen Film nicht mehr zeigen oder? Hat doch eindeutig rassistische Tendenzen, meiner meinung nach.

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Prisma
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
Mi., 30.11.2022 11:42
als Zivilisationsflüchtlinge bezeichnen, die von Zivilisierung und Forschritt überfordert werden und mit Hass und Brutalität reagieren.

Die Beschreibung gefällt mir und trifft die Sache recht gut, wie ich finde. Vielleicht muss man irgendwann durchdrehen, wenn man derartig isoliert ist, oder man macht einfach weiter, bis man umkippt. Wenn wie hier Störfaktoren hinzu kommen, die für jeden so lange man denken kann durch das "Stille Post"-Prinzip verstärkt wurden, fabriziert es eine unbestimmte Angst und reaktionäres Verhalten. Es ist bei dieser Geschichte so, dass einen das Hin und Her verwirrt, denn man sagt sich oft, dass es so etwas bestimmt nicht geben kann, andererseits weiß man, dass es derartige Vorfälle schon unzählige Male gegeben hat, nicht selten wegen Bagatellen.

Sid Vicious hat geschrieben:
Mi., 30.11.2022 11:42
Ich kam während des gesamten Film nicht aus dem Staunen raus.

Das kann ich von meiner Erstansicht nicht bestätigen - höchstens szenenweise - denn anschließend fand ich den Film durch seine teils ausladenden und hin und wieder übertrieben wirkenden Strecken eigenartig unentschlossen, was sich aber schnell im Nachgang geändert hat, und das ohne ihn ein weiteres Mal anzuschauen. Der Verlauf arbeitet nämlich nach. Für mich ist "Die Totenschmecker" aus heutiger Perspektive daher ein richtiger Geheimtipp, der mich mehr als viel ausgewiesene Schocker entsetzen und packen konnte, da es sich am bitteren Ende eben doch um kein morbides Märchen handelt.

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

Dschallogucker hat geschrieben:
Mi., 30.11.2022 13:31
Ich glaube, heute würde das ZDF diesen Film nicht mehr zeigen oder? Hat doch eindeutig rassistische Tendenzen, meiner meinung nach.


Soweit ich mich entsinne, ist doch das Hauptthema des Films gerade das Aufzeigen des in der Gesellschaft tief verankerten Rassismus, was dann momentan auch aktueller denn je wäre...
Ein weiterer Film, den ich mir unbedingt mal wieder ansehen muss.

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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

Na gut, kann man vielleicht so sehen. Ich sehe das aber sehr kritisch.
Bei "Antikriegsfilmen" wird ja auch oft geballert bis der Arzt kommt ;)

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

Sobald ich mir den Film nochmals angeschaut habe, folgt eine konkretere Einschätzung des besagten Sachverhalts ;)

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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

Über den Film hatte ich länger nachgedacht und wollte deshalb die Meinung eines Bekannten dazu haben (Mitte 60, historisch interessiert, hat Doktortitel). Das ist kein "Filmfreund", er schaut ab und zu aktuelle ARD- und ZDF Krimis. Der konnte kaum glauben was er sah, dass da mehrere Sinti und Roma totgeschossen wurden. Er fragte nochmal nach, ob das damals wirklich im ZDF lief :mrgreen:

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Prisma
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Dschallogucker hat geschrieben:
Mi., 30.11.2022 13:31
Ich glaube, heute würde das ZDF diesen Film nicht mehr zeigen oder? Hat doch eindeutig rassistische Tendenzen, meiner meinung nach.

Das glaube ich auch nicht, dass der dort nochmal gebracht werden würde, was für meine Begriffe aber andere Gründe als mögliche rassistische Tendenzen hätte. Dieses Eisen wäre denen so oder so zu heiß (es sei denn, man kann es in einem einschlägigen "Tatort" unterbringen). Man liest und hört viel über mehrere Filme und das Schlagwort Rassismus ist oft schneller als ein Colt gezogen, sodass oft nicht erörtert wird, ob es denn stimmt oder nicht. Da hier Personen ungeniert mit »dreckige Zigeuner« und Ähnlichem beschimpft und gehetzt werden, liegt die oben hinterfragte These natürlich nah und es wirkt im Verbindung mit allen anderen Eindrücken auch sehr bedrückend. Vor dem Hintergrund der lebenslangen Kolportage bei den hier vorgestellten Leuten handelt es sich aber vermutlich um ein Schimpfwort erster Wahl, dass sie vielleicht auch ihrem ungeliebten Nachbarn hinter brüllen würden, da nur gewisse Eigenschaften im Vordergrund stehen. Die Kinder kennen Lieder über »Zigeuner«, sie sollen sich vor Fremden hüten, aber eine derartige Grundeinstellung sehe ich hier eigentlich nicht, vor allem wegen Maria Beck. Ist halt auch die Frage, ob die Regie das Thema wirklich aktiv platzieren wollte. Von daher habe ich mir über dieses Thema beim Anschauen keine weiteren Gedanken gemacht.

Es ist auch gut möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass die unschönen Worte heute einen völlig anderen Klang haben als damals. Betrachtet man den Verlauf der Abwärtsspirale, so sind rassistische Tendenzen scheinbar kaum ausschlaggebend, da die erste Tote durch einen bedauerlichen Zwischenfall zu beklagen ist und es keine Tat aus Fremdenhass ist. Es hätte ebenso gut der Nachbarsfrau passieren können, die die gleiche Nationalität gehabt hätte. Die nächste Tote ist durch den Schutz der eigenen, wenn auch zweifelhaften Reputation zu beklagen und genauso geht es dann auch munter weiter. Die hätten jeden kaltgestellt, was sie ja auch tun. Zeugen werden beseitigt, Triebe gestillt und durchgedrehte Gleichgesinnte schlagen sich die Köpfe ein. Am Ende kommt aber jeder einzelne Betrachter aus dem Publikum zu einen sehr individuellen Eindruck, das muss auch dazu gesagt werden. Hätte der Film in bewegten Bildern Bezug auf seine einführenden Sätze und die geschilderte wahre Begebenheit genommen (am Gericht), würde das schon wieder anders aussehen, da hier Leute aktiv Schuld zugewiesen bekommen haben, nur weil sie Fremde waren. Es bleibt also eine ziemlich schwierige Frage, die vielleicht am einfachsten - wenn auch nicht am besten - mit »Jein« zu beantwortet ist.

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Sid Vicious
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Sid Vicious »

Da das Toppic-VHS-Tape mit Namen DER IRRE VOM ZOMBIEHOF ja durch die Videotheken kreiste, wurden natürlich Leute aus sowie dem erweiterten Bekanntenkreis angeprochen. Natürlich empfanden alle, mit denen ich sprach, den Film als eine einzige Katastrophe. "Da iss kein Zombie" - "Die sprechen bayrisch" (derselbe Typ, der die österreichische Mundart in FUNNY GAMES bemängelte) - "Verarsche" - "Beschissenster Film aller Zeiten". Halt viel Karacho auf dem Tacho.

Ich erinnere mich nur an eine Besprechnung (Splatting Image), wo der Film lobende Worte erhielt. Da der schließende Satz "Nicht schlecht, Herr Specht." (das blieb zumindest in Erinnerung) lauete, kann eigentlich nur Keßler den Text geschrieben haben.

Ich habe noch ein paar alte Aufzeichnungen gefunden, die ich am 6. Februar 2017 niedergeschrieben und nun etwas aufpoliert habe:

In DER IRRE VOM ZOMBIEHOF aka DIE TOTENSCHMECKER aka DAS MÄDCHEN VOM HOF protzen und trotzen die Antagonisten mit Rassismus und Vorurteilen, das man meinen könnte: Himmler und Eichmann hätten ihnen die Dialoge in den Mund gelegt. Die Bauernsippe redet alles, aber wirklich alles schlecht. Selbst die 14jährigen würden es schon auf der Schulbank treiben. Das zeigt schließlich der Film SCHULMÄDCHEN-REPORT, den die Bauern SS freilich bestens kennt, aber niemals anschauen würde. (Die Herren erinnern etwas an Manfred Röder, der dereinst die Kino-Reklame in den Bahnhöfen als auch diverse Zeitschriften mit Farbe attackierte.)

Die Stimmung ist fortwährend gereizt, die Atmosphäre düster und abgrundtief böse und es existiert nicht der leiseste Funken Hoffung, dass sich das Gesamtbild - wie auch immer - zum Besseren wandeln könnte. Der Trauermarsch durch die Alpen wird von Symbolik (wie ein zerstörter Jesus am Kreuz) flankiert, und wenn die gequälten Töne einer Geige durch die Landschaft kreischen, dann erinnert es an jene Töne einer Mundharfe, welche einem 1968er IW zur auditiven Unverkennbarkeit verhalf.

Fazit: Ein Alpen-Drama mit leichten Anklängen an einen Italo-Rache-Western. Sarkastisch, zynisch, böse, geil, aber so was von geil.
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DJANGOdzilla
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von DJANGOdzilla »

Dschallogucker hat geschrieben:
Mi., 30.11.2022 20:01
Über den Film hatte ich länger nachgedacht und wollte deshalb die Meinung eines Bekannten dazu haben (Mitte 60, historisch interessiert, hat Doktortitel). Das ist kein "Filmfreund", er schaut ab und zu aktuelle ARD- und ZDF Krimis. Der konnte kaum glauben was er sah, dass da mehrere Sinti und Roma totgeschossen wurden. Er fragte nochmal nach, ob das damals wirklich im ZDF lief :mrgreen:
SCHINDLERS LISTE würden die bestimmt auch nicht mehr zeigen. Ist eindeutig antisemitisch. Da werden ja andauernd Juden umgebracht.

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Dschallogucker
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Dschallogucker »

SCHINDLERS LISTE habe ich nicht gesehen, aber einiges darüber gehört.
Aber es macht doch wohl einen Unterschied, ob da ein von Theumer oder ein anerkannter Regisseur wie Spielberg Regie führt.
Und wenn ein von Theumer Regie führt, dann kommt halt nichts "Hochwertiges" dabei raus. Sein Film ist unterhaltsam, verfolgt aber sehr fragwürdige Absichten

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Prisma
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Sid Vicious hat geschrieben:
Do., 01.12.2022 13:16
Natürlich empfanden alle, mit denen ich sprach, den Film als eine einzige Katastrophe.

Das kann ich sogar verstehen, denn man muss es immer erst einmal ordnen, wenn ein Titel das blaue vom Himmel verspricht oder in eine völlig falsche Richtung deutet und es am Ende nicht hält. Das passiert ja sogar ziemlich häufig und qualifiziert Filme dann gerne pauschal ab, oftmals sogar völlig ungerechtfertigt. "Die Totenschmecker" ist da so ein Paradebeispiel für Titel, die viel zu viel sagen oder bei den Alternativen hier sogar viel zu wenig. Ich weiß noch dass ich den beider damaligen Erstansicht deswegen fast nicht mögen wollte, weil mir zunächst ausschließlich der Toppic-Titel im Kopf herumgeisterte. Aber das Gezeigte wirkt tatsächlich ziemlich nach, und ich halte den Film alles in allem für sehr gelungen, da er das Meiste zwischen den Zeilen erzählt.

Sid Vicious hat geschrieben:
Do., 01.12.2022 13:16
Die Bauernsippe redet alles, aber wirklich alles schlecht.

Das hat auch so etwas von einer selbsterfüllenden Prophezeiung, sodass es letztlich vielleicht gar nicht anders kommen konnte.

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

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Die Totenschmecker
Der Irre vom Zombiehof
Das Tal der Gesetzlosen
Das Mädchen vom Hof
Blutrausch


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Deutsche Erstaufführung: 22.02.1979

Synchronkartei

Filmportal

Schnittbericht

Score: Joachim Ludwig

OFDb



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So, nachdem ich mir den Film vor einigen Tagen nochmals angeschaute habe, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass der Film gerade in der heutigen Zeit erneut ausgestrahlt werden müsste. Zwar steht entgegen meiner Erinnerung nicht direkt das Aufzeigen von gesellschaftlich verankertem Rassismus, oder besser gesagt Antiziganismus, im Zentrum des Geschehens, macht aber letztlich einen Großteil des Weltbilds der vermeintlich heilen Landbevölkerung aus, das uns Ernst Ritter von Theumer in seinem (a)sozialen Alpen-Drama offenbart. Irgendwie beklomm mich das Gefühl, dass der Regisseur eine Generalabrechnung mit der doppelmoralistischen Landbevölkerung vollziehen wollte, was ihm dann auch zweifelsfrei gelungen ist. Konkret bringt William Berger das vorherrschende Weltbild im Gespräch mit Herb Andress auf den Punkt, nämlich als dieser auf seine Äußerung "Ordnung muss sein. Gerechtigkeit muss sein" gefragt wird, was "für ihn Gerechtigkeit heißt"?


"Tradition, Autorität. Sonst fällt alles zusammen und wir haben Anarchie wie bei den Zigeunern. Ein Herr muss der Besitzer sein und die Verantwortung übernehmen. Es kann nur Einer befehlen. (...) Ich bin der Erbbare, das ist mein Hof, hier regiere ich... und wenn das jemand nicht passt, dann kann ich ihn rausschmeissen, also jederzeit. Das ist die Tradition."



Auf eine solche Haltung wäre nicht nur die AfD stolz, sondern sie stellt auch einen fruchtbaren Nährboden dar, aus dem jederzeit eine wie im Film aufgezeigte Säuberung resultieren kann. Hatte mich während der tödlichen Attacke gefragt, ob William Berger bei einem einheimischen Tourist mit der gleichgen hasserfüllten Wucht reagiert hätte, wie er es gegenüber der Sinti- und Roma tat? Spätestens am Ende des Films stellt sich dann heraus, dass er sogar mit der gleichen Gnadenlosigkeit gegen seinen Bruder vorgehen würde, denn er ist der autoritäre Herrscher am Hof, der die Tradition aufrecht erhält.


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Filmplakate:
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Bildvergleich: Heimatkanal-Fassung vs. VHS-Fassung
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PS: Welchen Film-Credit beinhaltet eigentlich die DVD?
'Die Totenschmecker', 'Der Irre vom Zombiehof', 'Das Tal der Gesetzlosen' oder 'Das Mädchen vom Hof'?

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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 21.12.2022 12:07
PS: Welchen Film-Credit beinhaltet eigentlich die DVD?
'Die Totenschmecker', 'Der Irre vom Zombiehof', 'Das Tal der Gesetzlosen' oder 'Das Mädchen vom Hof'?

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Die DVD hat die TV-Version "Das Tal der Gesetzlosen" und die Kino-Version "Das Mädchen vom Hof" als Hauptfilme zu bieten. Der zweitgenannte Film ist qualitativ etwas schlechter als der erste, unterscheidet sich aber nicht im Wesentlichen von der Laufzeit her. Dann gibt es als Zusatz noch den Toppic-Vorspann, der den Film als "Der Irre vom Zombiehof" ausweist, selbstverständlich in VHS-Qualität. Nur mit "Die Totenschmecker" gibt es keinen Vorspann. Auf den Kern Deines Beitrags komme ich die Tage nochmal zu sprechen.

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

Vielen Dank für die Info :hut:

D.h., die DVD beinhaltet auch den im Schnittbericht aufgezeigten Pressetext, der damals im Rahmen der ZDF-Ausstrahlung gezeigt wurde?

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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 21.12.2022 17:59
D.h., die DVD beinhaltet auch den im Schnittbericht aufgezeigten Pressetext, der damals im Rahmen der ZDF-Ausstrahlung gezeigt wurde?

Genau, der Text ist sogar vor beiden Filmen zu sehen.

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Richie Pistilli
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Richie Pistilli »

Danke schön :)

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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mi., 21.12.2022 12:07
So, nachdem ich mir den Film vor einigen Tagen nochmals angeschaute habe, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass der Film gerade in der heutigen Zeit erneut ausgestrahlt werden müsste.

Finde ich ganz bemerkenswert, dass Du das sagst. Ich sehe das ganz genauso, aber auch die mögliche Gefahr, dass ein Film wie dieser zur heutigen Zeit und im mittlerweile fast schon traditionell hochempfindlichen Diskurs völlig in den falschen Hals gekriegt werden könnte. Ich halte das Geschehen nämlich nicht für so unreflektiert, willkürlich oder unbedeutend, wie man nicht selten vernehmen konnte, sondern ganz im Gegenteil. Es werden ja schon mehrere Finger viele Wunden gelegt. Das Ganze wird am Ende nur von keiner moralischen Instanz geregelt. Mich hat der Verlauf gleich nach dem ersten Mal beeindruckt, vor allem weil sich das Geschehen selbstbewusst von seinen reißerischsten Titeln wegbewegt und einen kritischen Charakter offenbart, den ich so nicht erwartet hatte. Daher bleibt die Thematik vom Grundprinzip her brandaktuell.

Percy Lister
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Re: DIE TOTENSCHMECKER - Ernst Ritter von Theumer

Beitrag von Percy Lister »

"Die Totenschmecker" zählt zum Genre des modernen, ungeschminkten Heimatfilms, wie ihn "Hölleisengretl" fast zwanzig Jahre später repräsentiert. Keine Spur von falscher Romantik und Postkartenkitsch, sondern voller alltäglicher Abgründe, die ein Ventil suchen und finden. Die Familienkonstellation scheint vertraut, war sie doch oft genug Realität in jenen Dörfern, deren Bewohner unsentimental eigenen Gesetzen folgen, sich dabei jedoch auf Frömmigkeit, Tradition und Ehre berufen. Die Bilder spiegeln eine Lebenseinstellung wider, die auf den heutigen Betrachter befremdlich wirkt, im Kontext jedoch keineswegs ungewöhnlich wirkt. Die abgestumpften Charaktere sind sich keines Unrechts bewusst, weil sie ihr Handeln als naturgegeben empfinden, weswegen die Spirale der Gewalt sich so lange weiterdreht, bis sie an ihre Grenzen stößt. In diesem Zusammenhang ist die Unschlüssigkeit, welche die Titelgebung betrifft, diskussionswürdig, weil sie je nach Art der Betrachtung eine Wertung des Publikums wiedergibt. "Das Tal der Gesetzlosen" trifft den Ton sehr genau, weil niemand jemandem Rechenschaft ablegen muss, einzig die göttliche Autorität scheint je nach Einstellung als Entschuldigung bzw. Absolution angesehen zu werden.

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